Short Cuts
Eine Nachforschung
Vorwort
Strategie: entfernte Bekannte
Moral und Funktion
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Das Subjekt ist ein Wort
Sinn und sinnvoll
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Konfrontation ohne Sieg
Kurzes, allzu politisches Nachwort
Sinn und sinnvoll
Einem Vorgehen, Sinn zu attestieren, etwas grundsätzlich als sinnvoll
zu bezeichnen, ist Resultat des Versuchs, eine rationale Einsicht in ein
Handeln zu überführen. Aber auch: etwas, das geschehen soll, das gemacht
wird, entspricht nicht nur einem Wunsch oder einer Neigung, sondern wird
zusätzlich - wenn nicht hauptsächlich - durch die Einordnung in einen
rationalen Kontext sanktioniert. Dieses Changieren zwischen der Einsicht
als Ursprung des "sinnvollen" Agierens und dem Agieren, als der
Sanktionierung bedürfenden Impuls, verdeutlicht die Spannung, welcher der
Prozess der Sinnstiftung unterliegt. Sinn ist das entscheidende Bindeglied
zwischen Reflexion und Handlungsimpuls. Und das in doppelter Form. Sowohl
nach innen, gegenüber intrapersonalen Instanzen vollzieht sich eine
Bereinigung der Widersprüche, als auch nach außen, im Erfüllen der
Rationalitätsforderungen des sozialen Umfelds. Der geschaffene Kontext
(Sinn) tritt an die Stelle der Analyse, verdrängt ursprüngliche Motive aus
dem Bereich des Sprechens und verschafft im Wortsinn
Bewegungsspielraum.
Der Kanon der als sinnvoll erachteten Dinge ist ein gewordener, ein
historisch gewachsener. Sinn als positiv konnotierte Kategorie, gar als
fast transzendente, ist eng mit der positivistischen Forderung nach
Konstruktivität verknüpft. Scheiben einzuschlagen macht vorderhand erst
mal keinen Sinn, Unterschriften zu sammeln aber wohl. Letztlich sind
aufgeklärte Geister aber durchaus bereit, darüber zu diskutieren, was Sinn
macht, bis hin zum toleranten Verzicht auf eine endgültige Fixierung,
vorausgesetzt, die in Rede stehende Praxis verstößt nicht gegen allzu viel
Gesetze. Jeder ist seines Sinnes Schmied!
Sinn ist für Linke äußerst wichtig. Die Kategorie wird um so wichtiger,
wie im Hinblick auf das Ziel einer "befreiten Gesellschaft" kein
offensichtlich Sinn machender Weg, keine ohne weiteres sinnvollen
Aktivitäten erkennbar sind. Also muss der Sinn erklärt werden: dieses oder
jenes ist Handeln in angemessenem und rationalen Bezug zum
gesellschaftlichen Status Quo vor dem Hintergrund einer kritischen
Einsicht. Da sowohl die kritischen Einsichten stark divergieren als auch,
was überhaupt als angemessenes Handeln ins Auge gefaßt wird, ist der
Rückgriff auf die liberale Antwort naheliegend: Wenn du das so siehst,
dann mach doch, es kann durchaus sinnvoll sein. Was soviel heißt wie:
Erspar uns den Versuch, uns darauf zu einigen was z.Z. "politisch
sinnvoll" ist, das führt nur zu Debatten, in denen Unmengen ungeklärter
Widersprüche hochkommen. Die Antwort ist insofern ein schwerer Schlag, als
die ursprüngliche Bestrebung, vermittels der Sinnkategorie eine soziale
Vermittlung von Denken und Tun statthaben zu lassen, scheitert und das
Subjekt auf die Selbstbefragung zurückgeworfen ist.
Da der Sinn nichts Fixes ist, vielmehr in Relation steht zu dem, was
andere machen, ihrerseits als sinnvoll erachten, wird eine Handlung nicht
automatisch falsch, wenn kein Mensch sie aufnimmt und innerhalb eines
rationalen Diskurses akzeptiert, allenfalls sinnlos.
Es gibt ein Handeln, das nährt sich aus unmittelbarer Wut, aus Ekel vor
der Nonchalance des vollführten Terrors (z.B. in Abschiebeknästen) und
dessen sittsamer und abgeklärter Rechtfertigung durch die Vertreter von
Demokratie und Pressefreiheit. Ein solcher Handlungsimpuls ist aus einem
Affekt motiviert, dessen psychische Alternative die Einwilligung in die
Abstumpfung ist. Dieses Handeln also, ist nicht zu verkoppeln mit dem
Wunsch nach Perspektive, mit der Suche nach einem Hebel, um die Hermetik
dieser einverstandenen Gesellschaft aufzubrechen, mit dem Ziel, als
Subjekt Anerkennung und Erfolg zu haben, über die Jahre des Älterwerdens
etwas aufzubauen, einen Fortschritt zu empfinden, der sich einer
Biographie anschmiegt, Vorhut einer antirassistischen Bewegung zu sein,
die irgendwann stark genug ist, um die spezifisch deutsche Tradition einer
völkischen Massenkultur nachhaltig zu konfrontieren, so dass sich
wenigstens - wenigstens! - ein spürbarer gesellschaftlicher Zwischenraum
auftut zwischen den Flüchtlingen und der Staatsräson.
Was aber geschieht angesichts dieser Einsicht, Wut und Perspektive
nicht verknüpfen zu können?
Der gänzlich legitime, aber enttäuschte Wunsch, die Arbeit gegen die
Abschiebemaschinerie möge in einem schönen Leben stattfinden, ein Wunsch,
den zu geißeln einzig den protestantischen Funktionären diverser
Heilslehren vorbehalten bleiben sollte - muss kompensiert werden.
Kompensation verspricht der Akt der Sinngebung. Ein Sinn, der der Mühe und
Aussichtslosigkeit eine höhere Weihe gibt, sie transzendiert. Denn auch
das soziale Ereignis, das dieses Arbeiten darstellt, ist durch das
Aufeinandertreffen je einzelner Frustrationen und Ohnmachten geprägt und
daher nicht rasend erlebenswert. Zwischen dem affektiven Handlungsimpuls
und jener institutionellen Perspektivlosigkeit der Arbeit gilt es zu
vermitteln. Sinn könnte mit der Erfolglosigkeit im Grundsätzlichen (bei
kleinen Teilsiegen) versöhnen und die Schönheit eines Kampfes jenseits des
bürgerlichen Lebensentwurfs hervorbringen.
Mann und Frau soll darüber nicht spotten, denn der Spott überdeckt
meist nur, dass man/frau sich gegen jeden Impuls des Aufbegehrens
versperrt und den Ekel runterschluckt, d.h. ziemlich ordnungsgemäß
kanalisiert ist.
Dennoch mutet, mit Distanz betrachtet, die Sinnsuche absurd an und
rührend. Angesichts der so eifrig und aufwendig betriebenen rassistischen
Aussonderung unter den Bedingungen des Warenüberschusses, scheint jede
Sinnstiftung für die in ihrer Dimension völlig hilflose Gegenwehr von der
Logik des rassistisch fundierten Kapitalismus weggefegt zu werden. Der
Sinn der sich formulieren ließe, ist daher nicht logisch. Das was er soll,
Substanz stiften (vermitteln) zwischen Impuls und Perspektive, kann er
nicht, ohne entweder den Impuls zu denunzieren (und damit langfristig
abzuwürgen) oder eine Perspektive zu finden, wo doch nur die Macht (die
Gesellschaft) eine hat. Der Sinn ist also eine persönliche, zumeist
ethisch geerdete Setzung, der genau das nicht zukommt, was der Begriff
doch sein will: sozialisierbare, verallgemeinerbare Ratio.
Der Trotz, meinem Handeln gegen die Logik der Sache einen Sinn
zuzuweisen, ohne auf religiöse Kategorien wie Nächstenliebe
zurückzugreifen, inkarniert mich ironischerweise als Prototypen des
bürgerlichen Subjekts. Das Individuum realisiert sich als autonomes, als
der Gesellschaft gegenüberstehendes gerade in der Behauptung individueller
Sinnstiftung. Ein schönes Beispiel im Schaukasten der bürgerlichen
Ideologie vom freien Menschen.
Tatsächlich ist der gesellschaftliche Status und die gesellschaftliche
Funktion von der individuellen Sinngebung nicht berührt. Die Ansicht,
Emanzipation wäre genau das: die Austreibung der Gesellschaft, die
Erlangung von Unabhängigkeit via autonomer Sinnstiftung ist der Ruin eines
kritischen Gesellschafts- und Subjektverständnisses. Emanzipation basiert,
im Gegenteil, auf der Erkenntnis der unhintergehbaren Gesellschaftlichkeit
des Ichs, meines Selbsterlebens, meiner Wahrnehmung, meiner Sinnsuche.
Jede Selbstkonstitution (z.B. mittels der Transzendenz einer Sinngebung)
als der Gesellschaft entronnenes Ich ist ein antiemanzipatorischer Akt,
der mich in die Fänge der Gegenaufklärung, der Mythologie wirft.
Jede Emanzipation hat als Kern die öffnende Erkenntnis, dass ich nicht
einfach ich bin, sondern Effekt dessen, wie ich betrachtet und behandelt
wurde und werde, somit meinen Wünsche keine Natur zukommt. Dass die
persönlich erlebten Einpressungen mir als gesellschaftlichem Subjekt
gelten. Diese Zusammenhänge zu durchschauen, heißt Schuldgefühle zu
überwinden, in erkannten Widersprüchen handeln zu lernen.
Zurück zum Sinn und zum Fazit: Beim Versuch, meine oppositionelle
Tätigkeit gegenüber der Abschiebepraxis mit Sinn zu versehen, lande ich in
einem hübschen Widerspruch. Nicht nur hat der Kampf in seiner
antirassistischen Dimension keine Perspektive, auch fesselt mich mein
Versuch, die Logik von Macht und Machtlosigkeit hinter mir zu lassen und
(individuellen) Sinn gegen (gesellschaftliche) Logik zu setzen, um so
enger an das Phantasma des autonomen Individuums, das sich kraft Wille und
Charakter über die Zustände zu erheben vermag, an die Dichotomie Mensch
versus Gesellschaft, absurderweise also an das Menschenbild, das sich im
selben historischen Kontext formte, in dem die sozialen Fakten des
Rassismus mit dem Menschenbild des Bürgers versöhnt wurden.
Wie diesem Widerspruch entkommen? Wie auch dem entkommen, dass mein als
Ausweg dienender "autonomer" Sinn mich als humane/n BürgerIn konstituiert,
die/der, da sie/er selbstlos und ohne Gratifikation Gutes tut, als
Honoratior, als einflussreicher Ehrenmensch angesprochen werden will? Denn
der gegen die Logik gestiftete Sinn funktioniert nicht ohne soziales Echo.
Entweder die betreuten Abschiebehäftlinge, meine FreundInnen oder die
Öffentlichkeit, irgendwer mag mein Engagement irgendwie gefälligst zur
Kenntnis nehmen.
Allein eine kollektive Situierung eines Sinns vermag den Effekt der
"Hyperindividualisierung" zu unterlaufen und den gewünschten Effekt -
nämlich die Abgrenzung von den Kategorien der Erfolgslogik - zu
erhalten.
Die Irrationalität vernünftiger Analysen