Short Cuts
Eine Nachforschung
Vorwort
Strategie: entfernte Bekannte
Moral und Funktion
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Das Subjekt ist ein Wort
Sinn und sinnvoll
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Konfrontation ohne Sieg
Kurzes, allzu politisches Nachwort
Konfrontation ohne Sieg
Die Konfrontation suchen, gar sich durchsetzen - nicht um etwaige
"Siege" in die Waagschale einer Strategie zu werfen, sondern, weil auch
ohne großen Plan die Produktionsverhältnisse falsch sind, Herrschaft kein
Recht hat, und wenn's schon geht, in Gestalt dieses Repräsentanten oder
jener Nutznießerin gebremst gehört.
Irgendeinen Zipfel der Verhältnisse bekämpfen, nicht um den Faschismus
zu verhindern, denn das hieße einen Status Quo zu verteidigen, der doch
die notorische Vorstufe ist. Außerdem kann der Faschismus, wenn er denn
"kommt", so wenig "verhindert" werden wie die Verhältnisse, die auf ihn
hinführten.
Das ist der rein negatorische "Sinn": Einen Moment die Kontinuität
herrschaftsförmiger Praxen außer Kraft setzen, eventuell mit konkretem
Nutzen für diesen und jene. Das Zuschneiden des Kampfs auf eine
strategische Linie, die mehr sein will als die Fluchtlinie eines
Gegenmachtprojekts, ist der dialektische Rückschlag der Macht: Der Verlust
der Siege an die Prinzipien der politischen Ökonomie, der Ordnung, des
autoritären Prinzips. Die Kontinuität der Herrschaftsprozesse erfordert
nicht ihr programmatisches Abbild (den Kampf zur Sicherung der Dauer eines
Sieges), sondern die notwendigerweise diskontinuierliche Unterhöhlung,
Zersetzung von Herrschaftspositionen, soweit die Kräfte eben reichen. Sie
reichen ja ohnehin nicht weit, und ihre Umwandlung in Schubkräfte der
Modernisierung steht auch immer auf der Tagesordnung. (Für
Anti-AKW-Bewegung, Stadtguerilla, Hausbesetzer usw. machte es in gewisser
Weise Sinn, von Gegenmacht zu sprechen, weil sie als politischer Faktor
nicht völlig zu kontrollieren waren. Aber mit dem Aufkommen des Begriffs
Gegenmacht ging die Verkennung der Macht als statische einher, der nur ein
ausreichend starkes "Gegen" erwachsen muss, um sie zu "brechen".)
Linke, dissidente Praxis ist Kritik, Konfrontation, ohne etwaige Siege
akkumulieren zu können. Natürlich sind die Erfahrungen, die zum "Sieg"
führten, möglichst zu sozialisieren, meinetwegen nutzbar zu machen,
wiederholen lässt er sich sowieso nicht. Nicht militante Großtaten wie die
Durchsetzung der Freilassung fünf Inhaftierter oder die demonstrative und
schlagartige Kritik der modernen Gefängnisarchitektur, und auch nicht all
die speziellen Kampagnenerfolge.
Etwas zu verhindern, zu unterbrechen, zu verzögern, zu irritieren, zu
erklären, all das fließt nicht zusammen in einen Topf. Wieviel
Selbstverdummung haben die Versuche, Strategien zu formulieren, sie als
richtig im innerlinken Konkurrenzkampf durchzusetzen schon hervorgebracht:
all die schlechten Argumente, die Bauernfängerei, das Blendertum. Nur um
sich im Lichte einer Bedeutung zu bewegen. Seht her: Unser Handeln hat
Hand und Fuß! Quelle und Ziel. Keine Mühe geht verloren, kommt alles
unserem Dingsbums zugute. Wo wir sind, ist Sinn, ist das Verlorensein in
den bürgerlichen Verhältnissen aufgehoben.
Auch diese Art Textproduktion ist ein dauerndes Stiften von
Zusammenhang. Das fortwährende Zusammenhängen von Worten treibt den Sinn
aus den Ritzen. Die Ernüchterung kleidet sich neu ein. Aber selbst wenn,
der negatorische "Sinn" ist ein überaus abstrakter, von dem man nicht
leben
kann. Das Engagement scheint beliebig. Kraft und Mühe scheinen
verpulvert.
Schaut man weniger auf das Ergebnis, bleibt die (kollektive) Praxis als
Moment in einer sozialen Wirklichkeit, die an lebenswerten Momenten nicht
gerade reich ist. Aber als Ausweg ist das zu eng, die resignative
Grundstimmung lässt sich nicht vertreiben.
Die Resignation rührt vom Verlust einer kollektiv erfahrbaren, bzw.
imaginierten Wirkung, die es ermöglichte einen Diskurs des Strategischen
zu führen, der einen manchmal an die bürgerliche Politik anschloss, und
wenn nicht, dann zumindest an eine Geschichte der Teilhabe.
Ohne dies scheint jedes Engagement als Vergeudung von Kräften, die doch
einem Eigentlichen zu Verfügung stehen sollten. Unnötige Zermürbung. Da
aber die Qualifizierung bestimmter Handlungsansätze als "richtig und
wichtig", als "sinnvoll" - wie gesehen - sich nicht herleiten, sondern nur
setzen lässt, steht die sinn-lose Verausgabung in einem anderen Verhältnis
als dem des Gegensatzes.
Das Streunen in irgendwelchen Widersprüchen des Alltags ist nicht die
Konsequenz aus der Abwesenheit von Strategie, denn "Konsequenz" verweist
auf ein logisches System, sondern eine Möglichkeit unter den Bedingungen
technologisierter Herrschaft und völkischer Massenkultur sich als
Produzent der Welt zu erleben, ohne die Erkenntnisse zu verraten und dem
Zwang zur Anpassung gänzlich zu unterliegen.
Die Verwirklichung von Wut UND Erkenntnis folgt dabei weniger der
Moral, vielmehr gibt sie der Subjektivität eine soziale Funktion. Ohne
diese ansatzweise Sozialisierung seiner privaten Regungen wird das
politische Subjekt von seinen Widersprüchen zerrissen und Fragment für
Fragment verwertet. Es geht darum, - umgekehrt - den politischen Kampf als
höchst fragmentarische Angelegenheit zu begreifen, die nicht zugunsten
eines ganzheitlichen Irgendwas überwunden werden kann und darf, der aber
auch kein Kommando gewährt werden muss über das tägliche Bewegen in den
Verhältnissen. Diese Gratwanderung setzt die Erwägungen einer
anti-essentialistischen, und also feministischen Theorie ins Recht,
dergemäß die Befreiung vom "weiblichen" Körper-Ich auch im Kampf gegen
männliches Dominanzverhalten praktiziert werden muss, nicht aber darin -
zugespitzt, im Kampf gegen den Vergewaltiger - aufgehoben ist. Ohne die
Notwendigkeit zur Konfrontation zu bestreiten, die identitären,
dogmatischen Effekte ihrer Hypostasierung unterlaufen.
Dass man/frau sich durch den Mangel an Strategie in Läppischkeiten
riskiert, ist ein Hohn, den zu geißeln nur gelingt, wenn die Perspektive
der Betrachtung, die Auffindbarkeit von sinnvoll-strategischem und somit
vernünftigerem Handeln voraussetzt.
Denn dieser Hohn ist zuerst der der sozialen Verhältnisse; die zu
beschreiben, gelingen mag, die zu verstehen, äußerster Anstrengung bedarf.
Und da diese Totalität einen zu erschlagen droht, stehen Läppischkeiten
als notwendige Versinnlichung, der Analyse weder fremd noch irrational
gegenüber. Dass man/frau möglicherweise beim Äppelklauen statt auf der
Barrikade stirbt, in der Psychiatrie statt in Isohaft landet, wäre nur
dann sinnlos zu nennen, wenn man/frau den Verhältnissen attestiert, es
wäre in ihnen vernünftig zu leben.
Allein die politökonomischen und gesellschaftstheoretischen
Erkenntnisse sind nicht besonders viel wert, um sich morgen anders als in
die gesellschaftlichen Funktionsabläufe integriert zu erleben. Aber die
nächste Abweichung, die sich als solche wahrscheinlich nicht auf der Höhe
der Kritik bewegt, ramponiert die Hülle des aufgeklärten Subjekts, in die
der infernalische Lärm der Erkenntnis gepresst ist, zugunsten des
desintegrierten, affektgeladenen und ausgebeuteten Menschen.
Das ist keine Entwicklungsgeschichte, die soeben das Erlangen einer
höheren Stufe in Aussicht gestellt hätte. Es geht um die Befreiung vom
Normalitätsdruck des Politischen, nicht um die Freiheit vor der Reflexion
des eigenen Denkens. Denn diese ist die Freiheit des Bürgers, später des
Folterknechts.
Also die Verhältnisse bekämpfen, um sie ertragen zu können? Um es
ertragen zu können, sie weitreichend zu verstehen?
Der um sein Ziel beraubte Heros schreit auf. Aber das ist keine
therapeutische Losung, keine mönchische Bescheidenheit. Es ist die
rationale Schlussfolgerung aus der Kritik der die Verhältnisse leugnenden
Rationalität.
Was ist den das Subjekt im Verhältnis zu den Verhältnissen, die es
verändern will? Ein Topf Hirsebrei in den Everglades. Es heisst,
Krokodilen sei es relativ egal, was sie fressen. Und wenn schon:
verschluckt, verdaut und als Handtasche wieder aufmucken.
Ohne die Destruktion der wohlgeordneten Ziele linker Interventionen
wird das Subjekt erstens nie verstehen, wo es lebt, und zweitens nicht
leben können, wenn es endlich versteht.
In den Verhältnissen bekämpft das Subjekt auch immer sich selbst. Nicht
in der kasteienden Manier christlicher Büßer, sondern als wiederkehrender
Anschlag auf's Identischsein. Die Verhältnisse nicht in Ruhe lassen,
heisst, seine Identität nicht zu bewahren. Dieses Nichtbewahren bezeichnet
keine Aufgabe der Dissidenz, nicht Anpassung an die übliche Verwaltung
meiner Affekte, sondern die Ausweitung der Dissidenz, Zerstörung des
politischen Machermythos.
Wenn das Sichriskieren aber nicht mehr von der "gerechten Sache"
verlangt wird, die den Sinn spendet, erlebt man/frau das als einen
Verlust, nicht als Befreiung. Sich zu gefährden, ohne angeben zu können,
was es bringen soll - und sei es noch so allgemein - ist dem Bürger/der
Bürgerin nicht gegeben, weil er/sie rechnen kann. Nur im Affekt, hört
er/sie auf zu rechnen. Aber der Affekt ist ein gefährliches Ding, wie die
Vernunft.
Kurzes, allzu politisches Nachwort