Short Cuts
Eine Nachforschung
Vorwort
Strategie: entfernte Bekannte
Moral und Funktion
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Das Subjekt ist ein Wort
Sinn und sinnvoll
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Konfrontation ohne Sieg
Kurzes, allzu politisches Nachwort
Vorwort
Ohne sich gelegentlich Rechenschaft über ihre Ziele und Hoffnungen
abzulegen, machen die wenigsten Linken weiter Politik, haben sie erst die
30 überschritten; vorausgesetzt sie glauben noch, dass auch sie es sind,
die sich bewegen. Es handelt sich dabei um eine ganz gewöhnliche
Erscheinung der aktiven Lebensgestaltung, weit verbreitet in der
spätbürgerlichen Gesellschaft. Dabei stehen mehrerlei literarische Formen,
die von dieser Rechenschaft anschaulich und angemessen dramatisch
berichten, zur Verfügung. Anders verhält es sich mit einer Rückschau auf
die theoretischen Prämissen und ehernen Glaubenssätze, die sich über die
Zeit etabliert haben. Neben der naheliegenden Möglichkeit, sie
stillschweigend zu revidieren - man möchte den sehen, der sich heutzutage
hin- und einen zu Rede stellt - bietet sich als Alternative die große
Abrechnung an. Sie auf den Weg zu bringen, wird jedoch nur gelingen, wenn
die öffentliche Inventur mit anschließendem Ausverkauf ihre Kundschaft
findet, also ein Bedarf besteht. Meine Absicht ist, an einem solchen
Bedarf vorbeizuschreiben, und dennoch von ein paar Grundsätzlichkeiten der
radikalen Linken, der Rest-Autonomen-Linken, der Wie-auch-immer-Linken,
den Deckel abzuschrauben und nachzusehen.
Im vorliegenden Text wurde versucht, die Schlüssigkeit einer
Selbstverortung als "politisches Subjekt" vor dem gesellschaftlichen
Hintergrund der 90er Jahre, der auch der einer einflusslosen radikalen
Linken ist, zu untersuchen, und das Ganze, gleichwohl es den Charakter
einer nur lebensgeschichtlich als notwendig empfundenen Vergewisserung
hat, auszuformulieren. Es handelt sich also einmal um die öffentliche
Anzeige einer Orientierungssuche und zum anderen um die Anwendung, - und
das heißt, Bestätigung ihres methodischen Nutzens - einer
materialistischen Analyse, dargeboten in Form eines politischen Texts.
Den Elan dafür nicht zu verlieren, wurde dadurch, dass zum Beispiel die
Arbeit am Begriffe im Bereich der sich aktionistisch gebenden radikalen
Linken wenig beliebt ist, nicht gerade leichter. In den Szenen der Rödler
und Rackerer ist die Unterschätzung theoretischer Arbeit ungefähr so
verbreitet wie die Überschätzung linker Einflussmöglichkeiten auf den Gang
der Dinge. Damit geht eine, angesichts ihrer begrenzten
Anwendungsmöglichkeiten, Überbewertung linker (Moral-) Grundsätze, einher.
Die Fraktion der publizierenden, der Kritik und Theorie produzierenden
Linken hingegen drapiert gerne die Brüche der eigenen Biographie als
intellektuellen Werdegang. Die hier verbreitete Ablehnung praktischer
Schlussfolgerungen speist sich aus demselben Reflex, der das Exemplarische
ihres Werdegangs vor jedem analytischen Gedanken schützt. In beiden
Haltungen spiegelt sich eine typische Sichtweise der BürgerInnen reicher
Länder auf ihr Dasein, das planbar, steuerbar und voller bedeutsamer
Entscheidungen zu stecken scheint - eine/n BürgerIn verschlägt es nicht
irgendwo hin, und eine/n bewusste/n Linke/n schon gar nicht. Diese
Überschätzung eines an sich folgenlosen Lebens resultiert aus dem
Verwachsensein mit einer Gesellschaft, in der historische Macht
akkumuliert ist, von der aus fortwährend in die Geschehnisse rund um den
Globus eingegriffen wird. Etwas von dieser Bedeutung reklamierte - bis vor
nicht allzu langer Zeit - "die Linke" für sich. Es gab Zeiten, da war vom
Angriff im Herzen der Bestie die Rede. Jenseits dessen, dass dieses Pathos
heute uncool ist, hat man sich in der Zwischenzeit nicht einigen können,
wer oder was die Bestie ist und welches Mittel die heftigsten
Rythmusstörungen verursacht. Der Internationalismus? Die Politik der
Personen? Die französischen Philosophen? Die Wertformanalyse? Soziale
Bewegungen plus Rhetorik oder der antifaschistische Kampf?
Bevor jetzt der Beifall von der falschen, der Seite des Katzenjammers
oder der gemäßigten Anpassung kommt, soll diese hier gleich als die
Kehrseite der Großmäuligkeit denunziert werden. Dass wir alle nur kleine
Rädchen im Getriebe sind, die nichts ausrichten können, ist wohl wahr,
aber seit der Faschismus mit den kleinen Rädchen zur perfekten Maschine
wurde, interessiert es nicht mehr, wie klein die Rädchen sind, nur noch
was sie machen.
Dieser Text richtet sich an Linke, die mit ihrer politischen, bzw.
gesellschaftlichen Selbstverortung unter den gegebenen Bedingungen nicht
besonders gut zurecht kommen. Dass man sich aus dem Teil des Textes, der
sich kritisch mit den geschichtsphilosophischen Konstruktionen dieser
Linken beschäftigt, seinen Ausstieg munitionieren, seine
Anpassungsleistung rechtfertigen kann, ist nicht weiter tragisch - gute
Argumente für eine bürgerliche Karriere gibt es ohnehin genug. Der Text
ist eher insofern problematisch, als er von einer konkreten Situation (der
meinen) abstrahiert, in seinen Reflektionen für interessierte LeserInnen
aber nur dann fruchtbar wird, wenn sich diese Abstraktionen wieder mit
konkreten Erfahrungen bebildern lassen.
Auf Quellenangaben wurde bewusst verzichtet. Nicht darum, jede
Behauptung abzusichern, geht es, sondern um einen Überblick. Einiges aus
dem Literatur-Fundus der letzten Jahre wird sich ohnehin unbewusst einen
Weg gebahnt haben.
In diesem Text finden sich keine Beschwörungen. Beschwörungen sind der
Inbegriff der Denkfaulheit. Beschwört werden Hoffnungen und Perspektiven.
Zusammen mit den Appellen sind es die drei Geißeln linker Radikalität. Die
vierte, die Utopie, wird z.Z. nicht mehr beschworen. Lediglich ihr Mangel
wird angezeigt: Die Linke hat keine Utopien mehr! Wohl wahr. "Wir brauchen
wieder Utopien und Visionen, um der Banalität der Warengesellschaft etwas
entgegensetzen zu können, weil eine andere Gesellschaft schon fast
jenseits der Vorstellungskraft liegt!" Das erscheint mir ein sehr
haushälterisches Vorgehen: Die Vorstellung des ganz anderen ist ein
amüsanter Zeitvertreib, entscheidend ist die Organisierung anderer
Erfahrungen. Sich von der üblichen Waren- und Gewaltförmigkeit
unterscheidende Daseinsmomente sind entweder erfahrbar oder so weit weg,
dass auch die Ausgestaltung einer Utopie unwirklich bleibt. Utopien
basieren auf ungewöhnlichen Erfahrungen, sie ersetzen sie nicht.
Entstehen aus (neuen) Erfahrungen (neue) Träume, dann beschreibt der
Zeitpunkt ihrer Fixierung den Beginn ihrer Indienstnahme. Die Annoncierung
der neuen kollektiven Utopie enthält häufig die Mitteilung, dass auf
weiteren konkreten Genuss erstmal wieder zugunsten einer an den Horizont
gespiegelten heilen Welt verzichtet werden muss.
Also, Schluss mit dem Beschwören erst, und dann dem Vergemeinschaften
von Utopien, hin zur Erfahrung der Kollektivität, des Genusses und der
Theorie.
Strategie: entfernte Bekannte