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"Der westliche Pazifismus und seine die Entpolitisierung vorantreibende Haltung"
Ein Gespräch mit Slavoj Zizek

Der Philosoph, Psychoanalytiker und Medienintellektuelle par exellence Slavoj Zizek ist einer der wenigen Gegner der Nato-Intervention im Kosovo-Krieg gewesen, dem in der bundesdeutschen Öffentlichkeit die großen liberalen Foren wie ZEIT und Süddeutsche Zeitung nicht verschlossen blieben.

Er ist als Kritiker eines "abstrakten Pazifismus" und eines "repressiven Multikulturalismus" bekannt; die er als zentrale Formen einer "post-politischen" Entpolitisierung gesellschaftlicher Konflikte charakterisiert. Zizek zufolge drückt sich die gegenwärtige hegemoniale Form der Politik in einer "Post-Politik" aus, die einem Ende der Ideologien beziehungsweise dem Ende des antagonistischen Klassenkonflikts das Wort rede. Damit verbinde sich eine "Herrschaft von aufgeklärten Technokraten" und "liberalen Multikulturalisten": "Post-Politik betont [...] die Notwendigkeit, die alten ideologischen Trennlinien hinter sich zu lassen und sich den neuen Problemen zu stellen, bewaffnet mit dem notwendigen Expertenwissen und freier Beratschlagung, die die konkreten Bedürfnisse und Forderungen der Menschen in Betracht ziehen." (Zizek 1998: 37f.) Diese Politik fördere faktisch die Entpolitisierung vor allem minoritärer Gruppen. Während innerhalb klassischer politischer Theorien, so Zizeks Interpretation, repräsentative Demokratie und Politik in gewisser Weise synonyme Verwendung fänden, insofern sich durch die Artikulation sogenannter Minderheitenprobleme immer auch ein gegen die herrschende "neutrale" Universalität gerichteter radikaler universalistischer Anspruch ausdrückte und darüber radikale Demokratisierungsprozesse vorantreiben könnte, stelle die "Post-Politik" diesen Prozeß still. Das im Multikulturalismus erhobene Postulat der Toleranz nehme minoritären Gruppen die Möglichkeit, auf ihre partikulare Weise Universalität artikulieren zu können und fördere irrationale und gewaltförmige Artikulationsformen. Ein ausgedehntes "rechtlich-psychologisch-soziologisches Netzwerk von Maßstäben" sorge für die Identifizierung von immer genauer spezifizierten gesellschaftlichen Untergruppen: "Was die Post-Politik zu verhindern sucht, ist [die] [...] metaphorische Universalisierung partikularer Forderung. Post-Politik mobilisiert den ganzen Apparat von Experten, Sozialarbeitern, und so weiter, um diese Forderung (dieses Anliegen) einer partikularen Gruppe genau auf diese Forderung mit ihrem bloß partikularen Inhalt zu reduzieren". (Ebd.: 50)

Allerdings, räumt auch Zizek ein, geht von den postmodernen Politisierungsformen auch eine enorm befreiende Wirkung aus. Vieles, was lange als unpolitisch galt, wird inzwischen als Produkt und als konstitutives Element des konkreten gesellschaftlichen Zusammenhangs thematisiert. Gemeinsamer Nenner dieser "post-politischen" Form der Politisierung ist die Kritik an Identität. Identitätskritik - sei es die Artikulation von Nicht-Angehörigen der Metropolenmehrheit oder diejenige von Nicht-Heterosexuellen - stellt immer auch die Selbstverständlichkeiten der Mehrheitsgesellschaft in Frage. Sei es innerhalb der großen Politik, innerhalb der Festlegungen von ethnischen Identitäten oder innerhalb des weißen Feminismus - deren Anspruch auf "neutraler" Universalität wird jeweils dadurch angegriffen, daß minoritäre Gruppen diese Differenz offenlegen. Auch wenn damit nicht Identität als solche angegriffen wird, so wird doch ihrer Unumstößlichkeit der Boden entzogen.

Es findet eine Politisierung bislang als apolitisch geltender Domänen statt. Sie sollen nicht mehr ein "Teil ohne An-Teil", ein "Teil, das an seinen Platz gehört", sein, sondern wahrgenommen - und in diesem Sinne anerkannt - in ihrer eigenen Aussage ernstgenommen und verallgemeinert werden. Dies kann allerdings sowohl bedeuten, als ein Teil des Ganzen toleriert werden zu wollen und sich in diesem Sinne von einer unterprivilegierten Position zu emanzipieren, kann aber auch dahingehend gewendet werden, die gesellschaftliche Ordnung selbst in Frage zu stellen und somit der herrschenden eine kritische, "linke" Universalität entgegenzusetzen.

Momente der Identitätskritik werden allerdings auch als Entwicklungsmöglichkeiten des globalisierten Kapitalismus aufgenommen. Sie bieten in diesem Kontext die Möglichkeit, verschiedensten Positionen und Identitäten ihren legitimierten Platz zuzuweisen, ohne daß ihre Genealogie und Vernetzung berührt wird. Innerhalb dieser Entwicklung werden weitere Differenzierungen und Überschneidungen geschaffen, deren kategoriale Grundlagen und Machtbeziehungen eher modifiziert denn aufgelöst werden: Männer übernehmen die sog. soft skills, Erziehungsurlaub wird geteilt, besserverdienende Frauen leisten sich Putzfrauen, binationale Ehen entstehen,die Medien feiern den Kanakhype, Deutsche lernen Salsa und Bauchtanz, der Mainstream entdeckt die "Minderheiten". Die Identitätspolitiken, welche zahlreiche, zuvor zum Verschwinden gebrachte Existenzweisen und Partikularitäten wieder sichtbar gemacht haben, werden vom Differenzkapitalismus integriert, ohne dass die Grundkategorien und ihre Beziehungsweisen verschwinden.

Multikulturalismus ist nach Zizek die adäquate Ideologie eines globalisierten Kapitalismus, der in einer Art "Selbstkolonisierung" die Opposition zwischen Metropole und kolonisierten Ländern zugunsten einer kolonisierenden Haltung gegenüber jedem Standort aufgelöst habe. Der globale Kapitalismus beinhalte somit das Paradox einer "Kolonisierung ohne kolonisierende nationalstaatliche Metropole", so wie der Multikulturalismus einen "gönnerhaften eurozentristischen Abstand" hält: "Mit anderen Worten ist Multikulturalismus [...] eine verleugnete, verkehrte, selbstreferentielle Form des Rassismus, ‚ein Rassismus, der Abstand hält' - er ‚respektiert' die Identität des Anderen, nimmt das Andere als eine in sich geschlossene ‚authentische' Gemeinschaft wahr, zu der er, der Multikulturalist, einen Abstand einhält, was seine privilegierte universelle Position belegt." (Ebd.: 72f.) In einem Respekt vor der Besonderheit des Anderen sieht Zizek die Behauptung der eigenen Überlegenheit durchscheinen.

Insofern stellen die tolerante, multikulturalistische und die intolerant eurozentristische Politik falsche Alternativen dar. Zizek zufolge kann nur eine Repolitisierung der Ökonomie - allerdings nicht in einem essentialistischen Sinn - dazu beitragen, daß Politik wieder zu einem Ort des Kampfes um die Augestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse werden kann. In der Akzeptanz der Entpolitisierung der Ökonomie liege eine Beschränkung der politischen Debatte auf "Lebensformunterschiede" begündet. Die Repolitisierung der Ökonomie würde dagegen die Politiken identitätskritischer minoritärer Gruppen effektivieren.

Das Gespräch mit Zizek fand im Juli in Berlin statt.

 

Frage: Sie haben sich mit der Rolle von Pazifismus und Multikulturalismus im Kontext der Konlikte in Ex-Jugoslawien auseinandergesetzt. Wie würden sie ihren theoretischen Ansatz in bezug auf die Situation nach dem Kosovo-Krieg zuspitzen?

Zizek: Der abstrakte Pazifismus westlicher Prägung unterstützt den Prozeß der Entpolitisierung gesellschaftlicher Konflikte. Er entsteht sicherlich aus einer Symphatie für die Opfer der Kriege, ich denke aber, daß der Pazifismus eine tiefere Form von Rassismus enthält, eine paternalistische Haltung. Das ist eine der Ursachen, warum der Konflikt auf dem Balkan seine jetzige Form angenommen hat: Der westliche Pazifismus und seine die Entpolitisierung vorantreibende Haltung. Der Pazifismus besagt, daß es das Problem sei, daß die Menschen sich hassen würden und es darauf ankomme, daß die verfeindeten Parteien miteinander kommunizieren würden. Der Kosovo-Krieg hat aber nicht wegen mangelnder Kommunikation stattgefunden.

Und was waren die Gründe für den Krieg?

Der Krieg fand statt aufgrund politischer Machtkämpfe. Der Pazifismus fordert "mehr Toleranz" als Mittel gegen Rassismus. Diese Herangehensweise ist falsch und mystifizierend. Die Antwort auf Intoleranz ist nicht Toleranz. Toleranz ist lediglich eine abstrakte Antwort.

Teilen der abstrakte Pazifismus, den Sie hier kritisieren und die Legitimation des Nato-Angriffes die gleichen Grundlagen?

Ja, diesen Gedanken habe ich in einem ZEIT-Artikel ausgearbeitet (26/1999 vom 1.7.99). Offiziell stehen Nato-Ideologie und abstrakter Pazifismus zwar in Opposition zueinander, sie teilen jedoch die gleiche Grundlage: Die Entpolitisierung des Konflikts und die Thematisierung als eine Art Naturkatastrophe. Alle sind irgendwie Opfer des Krieges, "Wir" - der Westen - müssen den Frieden bringen.

Welche Rolle spielt hier die Frage der "nationalen Identitäten"

Meine Beobachtung ist hier, daß es diese nationale kulturellen Traditionen schon sehr lange gibt und die Frage ist, wieso sie auf einmal heute wichtig werden. Die Antwort ist auch hier wieder: Nicht die kulturelle Tradition als solche ist interessant, sondern der politische Machtkampf, der diesen Bezügen zugrundeliegt.

Kann die Wiederentdeckung kultureller Traditionen in Ex-Jugoslawien in Anlehnung an den Begriff des Orientalismus als eine Art Balkanismus beschrieben werden?

Ja, in einer Parallele zu dem von Edward Said geprägten Begriff des Orientalismus gibt es einen Balkanismus im ehemaligen Jugoslawien. Balkanismus beruht auf einer mythischen Identität, die beispielsweise Emir Kusturica in seinen Filmen reflektiert. Er thematisiert etwa in "Underground" die sogenannten "primitiven Leidenschaften" des Balkans indem er genau das schafft, was der Westen zu sehen wünscht: Krieg, Sex, Essen und Trinken als Bestandteil einer traditionellen Ordnung. Das ist die einfache westliche Phantasie über den Balkan.

Diese Prozeß ist auch als Ethnifizierung beschrieben worden.

Der falsche Zugang zum Prozeß der Ethnifizierung ist es, positivistisch festlegen zu wollen, welche sozialen Träger notwendig für diesen Prozeß sind. Faktisch zeigt sich, daß sich große Bevölkerungsgruppen einfach indifferent gegenüber dem Prozeß der Ethnifizierung verhalten. Ich bin gegen solche generellen Thesen. Man sollte immer die konkrete Situation betrachen und fragen: Was passierte zwischen Gemeinschaft A und Gemeinschaft B, daß sie sich hassen? Genauer: Was passierte innerhalb von Gemeinschaft A, daß sie einen externen Feind benötigt? Die Zugangsweise über Ethnien ist auf jeden Fall die falsche Zugangsweise zu sozialen Konflikten.

Zudem sollte man immer beachten, daß Ethnifizierung nichts mit einer Rückkehr zu alten Traditionen zu tun hat. Ethnifizierung ist ein postmodernes Phänomen, um einmal einen Modebegriff zu verwenden. Wenn Ulrich Beck von einer reflektierten Moderne spricht, ist es auch nötig, von einem "reflektierten" Rassismus zu sprechen: Der heutige Rassismus ist ein "reflektierter" Rassimus, er ist nicht mehr der alte spontane und organische Rassismus. Er stellt keine Rückbesinnung auf vormoderne Elemente dar, sondern er ist ein notwendiges Produkt der Modernisierung.

Wie erklären Sie die Macht dieser "reflektierten" Strategien?

Die neue Ethnifizierung, die Erfindung ethnischer oder religiöser Wurzeln, ist Ergebnis einer "falschen" Liberalisierung. Das ist das Paradox moderner Gesellschaften: Offiziell ist die moderne Gesellschaft eine säkularisierte Gesellschaft, innerhalb derer die Individuen frei seien und hedonistische Ziele verfolgen könnten. Faktisch hingegen gibt es so viele Regulierungen des Alltagslebens wie noch nie zuvor: Sexualität, Essen, Trinken, Rauchen - alles ist der Regulierung unterworfen. Mich selbst ethnisch zu identifizieren bedeutet in diesem Kontext, mit all diesen Regeln des bürgerlichen Durchschnittsalltags zu brechen. Es waren Adorno und Horkheimer, die diesen Prozeß in bezug auf den Faschismus beschrieben haben. Faschismus, so Adorno und Horkheimer, sei nicht nur ein Rückfall in die Barbarei sondern auch eine Form der falschen Befreiung von der Kontrolle über das alltägliche Leben. Dies ist ein zentraler Punkt, um die Attraktivität des Konzepts der neuen Ethnifizierung zu erklären: Falsche Befreiung von unserer postmodernen, regulierten Gesellschaft.

In welchem Verhältnis sehen sie dieses Modell der neuen Ethnifizierung und der herrschenden Ordnung der Geschlechter?

Eine Verknüpfung zwischen diesen beiden Herrschaftverhältnisse herzustellen ist sehr populär, ich möchte aber davor warnen. Ich denke, es gibt einen fundamentalen Unterschied, der darin besteht, daß der heutige Spätkapitalismus nicht mehr auf eine patriarchal organisierte Herrschaft zurückgreifen muß. Das ist das Problem, daß ich mit identitätskritischen feministischen Ansätzen habe. Moderner Kapitalismus braucht zu seiner Reproduktion keine fixierten Geschlechter mehr, deshalb geht die Identitätskritik dieser Theorien ins Leere.1 Sogenannte sexuelle Perversionen sind heute längst nicht mehr subversiv; obwohl es natürlich immer noch Probleme der Gleichstellung von Homosexuellen gibt.

Wilhelm Reich dachte ja noch, die patriarchal organisierte Familie ist der absolut notwendige Kern zur Reproduktion des Kapitalismus. Sexuelle Liberalisierung sollte in dieser Logik letztlich den Kapitalismus angreifen, weil sie die Rolle der Familie verändert. Heute sehen wir, daß es nicht so einfach ist. Der Kapitalismus kann sehr wohl ohne Familien überleben.

Hier komme ich wieder zum Ausgangspunkt: D ie Einteilung politischer Prozesse in Liberalisierung und Modernisierung auf der einen und Fundamentalisierung auf der anderen Seite ist eine grundsätzlich falsche Einteilung. Wir sollten die Ideologie nicht akzeptieren, daß unser Feind der Fundamentalismus sei. Fundamentalismus ist ein dialektisches Resultat der spätkapitalistischen Strukturen. Wer nicht die Grundlagen des modernen Kapitalismus hinterfragt, wird die Dynamik des modernen Rassismus nicht verstehen.

Multikulturalismus und Rassismus sind demnach Bestandteile der selben Sichtweise gesellschaftlicher Konflikte?

Gesellschaft unter dem Oberbegriff Kultur analysieren zu wollen, ist für so viele Gruppierungen erst an dem Punkt interessant geworden, wo kein ernstzunehmender Politiker oder Intellektueller mehr in der Lage war, wirklich oppositionelle Gesellschaftsentwürfe zu dem herrschenden demokratisch-parlamentarischen Typus zu entwickeln. Die Linke resignierte vor Jahre und verzichtete auf Gesellschaftsanalyse mit politischen und ökonomischen Kriterien zugunsten des Begriffes der Kultur. Der politische Kampf drehte sich scheinbar plötzlich ausschließlich um Frage der kulturellen Identität. Der Preis, den die Linke dafür bezahlte, war, daß die Analyse von Gesellschaft generell entpolitisiert wurde. Das hat auf einer allgemeinen Ebene damit zu tun, daß heute niemand Politik beziehungsweise Ökonomie so wie sie funktionieren, angreifen will. Ökonomie ist der wahre Diktator von heute. Die grundlegende Funktionsweise des Kapitals wird einfach aus den Diskussionen ausgeblendet.2

Nochmal zurück zu ihrer Kritik von Toleranz als Allheilmittel gegen Rassismus...

Nur um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht gegen Integration.

...Ja, aber hinter dem Begriff Integration, der sich als Form Toleranz ausgibt, verbirgt sich oft - wie beispielsweise hier in der BRD - die Vorstellung der Assimilation. Assimilation meint schliesslich Anpassung an herrschende Identitätsformen.

Ich sehe die negativen Aspekte von dem, was sie Assimilation nennen. Aber ich denke, daß eine einfache Gegenüberstellung einer "guten" Toleranz und einer "schlechten" Assimilation falsch ist. Eine Gesellschaft, die keine Assimilation einfordern würde, würde sich gefährlich einer Art "Apartheid"-Logik nähern: Jede Gruppe soll für sich bleiben. Ein Beispiel: In Slowenien entschied vor etwa zwei Jahre ein Gericht zugunsten eines Vaters gegen seine Tochter. Der Vater wollte seine Tochter im Alter von zwölf Jahren unter Berufung auf kulturelle Traditionen der Roma verheiraten und verteidigte sich vor Gericht mit der Toleranz gegenüber der kulturellen Identität der Roma, während sich die Tochter auf ihre Unversehrtheit berief. Das Gericht entschied, daß ein Verbot einer solchen Hochzeit einen Akt der gewaltsamen Assimilation darstellen würde und somit nicht legitim sei. Ich möchte mit diesem Beispiel verdeutlichen: es gibt keinen einfachen Weg, keine grundsätzliche Ablehnung von Assimilation. Es ist immer einfach, tolerant zu sein, wenn der andere die gleiche Vorstellung von Menschenrechten hat. Was macht man allerdings, wenn das nicht so ist?

In dem Beispiels vermischen Sie zwei Ebenen. Es ist doch möglich, unabhängig von kulturellen Identitäten gegen die patriarchale Ordnung zu kämpfen.

Was ist mit einer ethnischen Gruppe, die sagt, die patriarchale Ordnung sei ein grundlegender Bestandteil ihrer kulturellen Identität? Ich denke der grundsätzliche Fehler ist, daß wir das Andere immer als das "gute" Andere denken.

Um die Leser zu schocken möchte ich noch ein weiteres Beispiel bringen: Ich nehme gerne in Debatten über Toleranz die Position eines Verteidigers der Todesstrafe ein, weil ich zeigen möchte, daß jedes Argument gegen die Todesstrafe eurozentristisch, also im multikulturalistischen Sinne intolerant ist.

Das klassische Gegenargument gegen die Todesstrafe ist, daß die Todesstrafe kein Verbrechen verhindere. Die Theorie, daß Strafe der Prävention und nicht der Wiederherstellung der Gerechtigkeit diene, ist Bestandteil des westlichen Gerechtigkeitsmodells. Alle anderen Vorstellungen von Gerechtigkeit kennen diesen Präventionsgedanken überhaupt nicht.

Was ich damit sagen möchte ist: Nennen Sie mir ein Argument gegen die Todesstrafe, das sich nicht auf einen westlich-kulturellen Hintergrund bezieht. So ein Argument gibt es nicht. Entweder gesteht man sich in seiner Ablehnung der Todesstrafe seinen Eurozentrismus ein oder man muß anerkennen, daß es in einigen Religionen und Kulturen Argumente für die Todesstrafe gibt, die man nicht widerlegen kann.

Ein Gegenargument gegen die Todesstrafe wäre doch, daß sie sich immer auf ein Staatswesen als Form der Macht bezieht, das über das Leben der Menschen zu entscheiden trachtet.

Ja, aber ausserhalb des Westens gibt es ebenso Macht. Es ist doch lediglich eine inverse Form von Rassismus anzunehmen, ausserhalb des Westens wäre die Macht immer "besser".

Damit hier kein Mißverständnis aufkommt: Ich bin gegen Eurozentrismus. Aber es gibt auch Formen, wie klassisch eurozentristische politische Theorien wie zum Beispiel die Menschenrechte in einem emanzipativen Sinn benutzt werden. Wenn etwa in einer nichtwestlichen Dikatur im Namen der Menschenrechte gegen diese Diktatur gekämpft wird, ist dieser Kampf nicht automatisch eurozentristisch, es werden lediglich die Bedürfnisse der Kämpfenden in den Begriffen des Humanismus formuliert.

Eine Kritik an Assimilation ist somit mit Vorsicht zu formulieren: Man bedenke, daß die große Strategie des Kolonialismus - über lange Zeit die Form der Herrschaft Europas über den Rest der Welt - nicht Assimilation sondern Apartheid war. Englische Kolonisatoren zeigten großen Respekt vor der indischen Kultur, insbesondere die Spiritualität wurde sehr bewundert. Angst bestand nicht etwa vor deren Differenz, sondern davor, daß "assimilierte Inder" "bessere" Kapitalisten als es die Kolonisatoren waren, werden könnten. Die dominante Strategie war also ein "falscher" Respekt vor anderen Kulturen. Ebenso in Südafrika: Ein Argument für die Aufrechterhaltung der Apartheid war auch, daß Assimilation angeblich die kulturellen Eigenarten der verschiedenen Völker zerstören würde.3

Was ich sagen will, ist, daß es zu einfach ist, zwischen "schlechter" Assimilation und "guter" Toleranz zu unterscheiden. Beides sind Strategien der westlichen Staaten, ihre Macht zu festigen.


Anmerkungen
1 Auch wenn Zizek hier identitätskritische feministische Ansätze kritisiert, so bezieht er sich doch an anderer Stelle explizit auf die Argumentation von Judith Butler. Er sieht bei Butler eine gelungene Verknüpfung zwischen ökonomischem und kulturellem Kampf um Anerkennung von Queer-Positionen. Zizek bejaht grundsätzlich Queer-Politik, möchte jedoch auf das Problem hinweisen, daß das "postpolitische, tolerante multikulturalistische Regime" inzwischen in der Lage sei, auch Queer-Forderungen zu neutralisieren. <zurück zum text>
2 Diese Intervention zugunsten einer Kritik der politischen Ökonomie will Zizek nicht als einen neuen Essentialismus verstanden wissen. Es geht vielmehr um eine Analyse des Prozesses der radikalen Entpolitisierung der Ökonomie. Ökonomie wird im Rahmen der neuen sozialdemokratischen Regime als eine Art interessenlose Verwaltung der gesellschaftlichen Angelegenheiten präsentiert. Die politische Zielrichtung der objektivierten Sparzwänge ist auf dem entpolitisierten Terrain der Ökonomie nicht mehr thematisierbar. Erst ein neuer Bezug auf ökonomische Prozesse könne diese wieder politisierbar machen. <zurück zum text>
3 Kolonisierung in Form von Apartheid ist nicht das durchgängige Merkmal aller Formen des Kolonialismus. Es ist maßgeblich der britische Kolonialismus, auf den sich Zizek hier bezieht, der Differenz als Herrschaftsstrategie in den Vordergrund stellt. Andere Formen des Kolonialismus, beispielsweise der französische, zeichnen sich eher durch Assimilation aus. <zurück zum text>

zum weiterlesen:
Ein Plädoyer für die Intoleranz, Passagen Verlag, Wien 1998
"Die Nato - die linke Hand Gottes? Über die Selbsttäuschung des Westens oder: Warum der Konflikt auf dem Balkan so bald kein Ende finden wird", in: DIE ZEIT 26/1999 vom 24.6.1999
"Der Dritte Weg ist weg. Jugoslawien als westliche Projektion betrachtet", in: Süddeutsche Zeitung vom 1.7.1999
"Der Westen braucht eine zweite Aufklärung. Der slowenische Psychoanalytiker und Philosoph Slavoj Zizek über die Folgen des Krieges in Europa", in: Freitag 28/1999 vom 9.7.1999
"‘Wir müssen alles ändern, sonst ändert sich nichts‘. Der Krieg ist vorbei, doch auf dem Balkan herrscht kein Friede. Wie soll es weitergehen? Ein Gespräch mit dem serbischen Politiker Zoran Djindjic und dem slowenischen Philosophen Slavoj Zizek.", in: Süddeutsche Zeitung Magazin 34/1999 vom 27.8.1999
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