Short Cuts
Eine Nachforschung
Vorwort
Strategie: entfernte Bekannte
Moral und Funktion
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Das Subjekt ist ein Wort
Sinn und sinnvoll
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Konfrontation ohne Sieg
Kurzes, allzu politisches Nachwort
Strategie: entfernte Bekannte
Zeiten, in denen Strategien einen offensichtlichen Einfluss auf linkes
Handeln hatten, muss man wahrscheinlich in die 70er Jahre datieren, und
selbst dann droht man noch dem einen oder anderen Mythos aufzusitzen.
Randgruppenstrategie, Konzept des bewaffneten Kampfs, proletarischer
Internationalismus, ... dass vieles nicht sonderlich ausgearbeitet oder
schlüssig war, kann nicht das Maß sein. Entscheidend ist, dass in
bestimmten gesellschaftlichen Situationen, Linke ihre Praxis im Kontext
einer strategischen Idee entwickelten und diese eine Art Halt gab; mehr
oder weniger, gebrochen oder geradewegs.
Nach den Niederlagen des Parteienkommunismus und der Stadtguerilla Ende
der Siebziger reüssierte die grüne Partei (Spielbein/Standbein) und
entfaltete im Verein mit der Alternativbewegung eine enorme Dynamik. Links
davon wurden die Reformulierung der Klassenanalyse in Anlehnung an die
italienische Autonomia und die Entwicklung des Front-Konzepts seitens der
RAF die ambitionierten Begleiter diverser sozialer Bewegungen der 80er.
Beim Versuch der Verlängerung und Verallgemeinerung dieser Bewegungen
wurden Fragmente, Restbestände oder Umarbeitungen verschiedener Strategien
in Anschlag gebracht, ohne dass die Verlaufskurve von sozialen Bewegungen
damit nachhaltig verändert werden konnte.
Der Niedergang des östlichen Machtblocks hat dann nicht nur für Staaten
und Bewegungen im Trikont materielle Bedingungen verändert, sondern auch
den historischen Gegenentwurf des 20. Jahrhunderts in Europa ausradiert.
Zwar verkörperte der Sozialismus schon lange nicht mehr die Träume
westlicher Linker (mit wenigen Ausnahmen hat sie ihn abfällig beurteilt,
bzw. scharf kritisiert), aber seine pure Existenz begrenzte die Macht der
kapitalistischen Hemisphäre und ließ es nicht von vornherein als Unsinn
erscheinen, eine von der herrschenden westlichen Ordnung verschiedene,
realisieren zu wollen. Das Ende des ungeliebten geopolitischen
Machtfaktors hat - trotz innerlicher Distanz - die Vorstellung vom Ende
des Kapitalismus, gar die Diskussion einer Umwälzungsstrategie zusätzlich
erschwert.
Da solch ein Zustand schwer erträglich ist, wurden auch in den
Neunzigern verschiedene Strategiebruchstücke - insbesondere die, die auf
Einheit der Linken (im antifaschistischen Kampf) zielten und auf die
Verbindlichkeit einer Organisation - weiter verwendet. Oft explizit
defensiv: "Stopp dem Niedergang und der Zersplitterung", aber mit einem
Versprechen auf noch ganz andere Wirkungen nach "Überwindung der Krise".
Kennzeichen dieser an traditionellen Antifaschismus- und
Sozialismusvorstellungen sowie der PDS orientierten Bemühungen ist es,
dass sie ihre strategische Idee nicht aus einer Theorie der Gesellschaft
gewinnen, sondern primär aus einer Beurteilung politischer
Kräfteverhältnisse, die rein instrumentell mit Behauptungen über die
Gesellschaft eingekleidet wird. Mobilisiert wird die Logik eines
historischen Kampfs zwischen Fortschritt und Reaktion, zwischen oben und
unten, der zur Zeit schlecht steht, was die Orientierung an "vernünftiger
Zusammenarbeit" unter den Auspizien der (Gegen-)Machtentfaltung
legitimieren soll.
Die Bestimmung des Gegenübers wechselt zwischen der "schwarzen Clique
mit Kohl an der Spitze", (nun auch schon "hinweggefegt"), dem
Neoliberalismus und dem Europa von Maastricht. Die Realität - Rücknahme
sozialpolitischer Errungenschaften, Deregulierung und Arbeitslosigkeit -
bekommt eine Antwort, die sie furchtbar schreckt: Realistische Politik. So
nennt sich die Anerkennung und Verlängerung der Sparzwang- und
Standortlogik, die Ignoranz der Untertanen-Vergesellschaftung, die
Etablierung von Opposition als mehr oder minder klassenkämpferisch
daherkommende Sozialtechnokratie. Eine radikale Kritik der aus dem Zwang
zur Systemalternative entlassenen Gesellschaft, die den früheren
Sozialstaatskompromiss nicht als Ideal feiert, sondern als Bestandteil der
selben kapitalistischen Eigengesetzlichkeiten begreift, die jetzt so
scheußliche Entwicklungen zeitigen, ist nicht bündnisfähig. Radikale
Analysen sind sektiererisch. Die Linke muss endlich eine echte Alternative
für die Menschen darstellen! Ach ja, sonst droht der Faschismus.
Immer wenn das eintritt, was einen im NS-Nachfolgestaat wahrhaftig
wenig wundern darf, noch weniger als in anderen europäischen
Gesellschaften - die Entfesselung der kapitalistischen Normalität, ohne
dass "die Massen" auf den Barrikaden stehen, ganz im Gegenteil - wird die
radikale Linke zu Realpolitik verdonnert, als hätte sie Schuld daran, dass
der "soziale Rechtsstaat" (Brandt?) nur eine Lösung für gewisse
(historische) Stunden ist, als ließe sich das Prekärwerden sozialer
Gruppen oder das Grenzregime nach Osten mit linker Politik abwenden.
Aber, so manche/r lässt sich gerne verdonnern. Die einst von jedem und
jeder Radikalen gefürchtete sprachliche Keule des Reformismusvorwurfs hat
ihren Schrecken gänzlich verloren. Das Bekenntnis zum radikalen
Reformismus weist einen als klugen Kopf und potentiell
interventionsfähigen Aktivisten aus. Um die Kritik am Reformismus, als
einer Kritik an der Inkonsequenz, aus vorgeblich revolutionärer Position,
ist es nicht schade. Was aber in der bereitwilligen Stärkung der
links-liberalen Seite gegen die völkisch-reaktionär-faschistische zur
Abwendung (manchmal) größter Schweinereien verschwindet, ist die Kritik an
Politik als systemstabilisierendem Handeln, als Aufrechterhaltung des
gesellschaftlichen Scheins vom Souverän, vom Bürger, der als Demokrat
vermittels Politik Staat und Wirtschaft steuert. So wie sich die
"revolutionäre Politik" nie ihrem Selbstwiderspruch gestellt hat, als
"Reformismus" noch ein Schimpfwort war, so wird sie jetzt stillschweigend
aufbewahrt für bessere Zeiten, - dann, wenn die Realpolitik wieder
Revolutionsgeschwafel verlangt. Derweil gibt's die Emphase von rechts, was
es auch nicht einfacher macht, die Suche nach einer politischen Strategie
der revolutionären Umwälzung als Fixierung auf bürgerliche Kategorien zu
begreifen.
Vermieden wird die Thematisierung der so einfachen wie unerträglichen
Erkenntnis, dass es eine den Gegenstand der Analyse umfassende,
"revolutionäre Politik" nicht gibt; nicht der Analyse des IWF oder der EU,
nicht der des rassistischen Konsens, nicht der des deutschen Militarismus.
Linke Politik, fußend auf einem strategischen Entwurf, der sich
tatsächlich mit der Totalität der Verhältnisse anlegt, ist eine aus
Gesellschaft(-sanalyse) erwachsene Leerstelle. Die fortgesetzte Suggestion
eines Handelns gemäß einer auf Umwälzung zielenden Strategie seitens
linker Aktivistengrüppchen in den Siebzigern und Achtzigern, die im Namen
vorgeblich planerischer Klarheit zur Gefolgschaft aufriefen, war allein
aufgrund anderer Kräfteverhältnisse noch nicht ganz so peinlich, wie sie
es heute wäre. Wer sich heute hinstellt und von "der Linken" Konsequenzen
fordert (z.B. organisieren - gemeinsam gegen Neoliberalismus -
antifaschistisches Bündnis schmieden) will damit irgendwie sagen, dass das
gleichzeitig die Strategie ist. Ohne mit nur einem Wort darauf einzugehen,
dass Handlungsableitungen aus der politischen Analyse ohne eine Idee, die
auf's Ganze zielt, die zur Strategie systematisiert wurde, einen sehr
privaten Charakter haben, wird in den Kreisen der linksradikalen Szene
weiter mit Beschwörungen, wie "das ist nötig" oder "es ist notwendig,
dass", "wichtig und richtig" hantiert. Die inhaltlichen Bestimmungen, die
Zielsetzungen, auf die sich "Notwendigkeiten" und "Richtigkeiten"
beziehen, soll ihre sprachliche Anwendung sinnvoll sein, spart man sich.
Wobei "sparen" nicht ganz stimmt, denn sparen hieße, man hätte sie im
Besitz.
Der Mangel derselben ist spürbar geworden, denn die Rahmenbedingungen
für die theoriearmen, aktionistischen autonomen Bewegungen existieren
nicht mehr. Nach dem Wegfall des linksliberalen Spektrums werden die
Motive für linke Militanz nirgends mehr "im Prinzip" legitimiert (bei
gleichzeitiger Abgrenzung von eben dieser Militanz). Und nachdem der real
existierende nun keinen gnädigen Schatten mehr wirft, ist der irgendwie
libertäre Kommunismus vollends als Pappkamerad erkennbar, der nicht mal
mehr diskursiv Zugeständnisse provoziert. Nicht nur den Kampf gegen die
Kriminalisierung, und den um die "moralische Anerkennung" ihrer Praxis,
auch den um die gesellschaftstheoretische Perspektive müssten die
AkteurInnen selbst bestreiten. Dass es bei dieser "Stimmung" kaum mehr
militante Akteure gibt, treibt die Verbliebenen in die Defensive. Und weil
sie die inzwischen in der Linken verbreitete Anpassung, die sich zu Recht
als vernünftig ausgibt, - allerdings ohne je einen Gedanken auf die Logik
der Vernunft verschwendet zu haben - als Rationalisierung von Ohnmacht
begreifen und ablehnen, muss das Publikum halt zur Kenntnis nehmen, dass
"militanter Widerstand weiterhin notwendig ist". Die Begründung fällt aus
und die Zweckbestimmung bleibt vage. Verdammter Zeitgeist.
Aber obwohl der Verlust des strategischen Bezugsrahmens kaum mehr
verhehlt werden kann, wird nicht offen gesprochen, also an "richtig" und
"notwendig" festgehalten, um zwingende Logik zu suggerieren, wo ein Loch
ist. Warum? Man/frau befürchtet, die Analyse rassistischer Verhältnisse
nicht in eine Strategie wenden zu können, müsste als Begründung herhalten,
eben diese Verhältnisse anzuerkennen. Gar nicht abwegig, in einer
Gesellschaft in der nur der Erfolg zählt und strukturelle
Gewaltverhältnisse schon allein deswegen einer halbwegs öffentlichen
Kritik entzogen sind, weil ihnen medial nichts abgewonnen (sic!) werden
kann. Der Gebrauch eines entschiedenen Vokabulars soll vor dem schützen,
was als "postmoderne Beliebigkeit" in die Feuilletons eingegangen ist.
Was aber bleibt, wenn die gesellschaftlichen Voraussetzungen für -
unter anderen - den spezifisch autonomen Linksradikalismus nicht mehr
bestehen, strategisch Durchschlagendes nicht in Sicht ist, darüber zu
sprechen aber vermieden werden soll, weil der Diskurs feindbestimmt ist?
Na, was wohl, das was die Politik - auch die linke - noch immer befeuert
hat: Moral durchsetzt die Argumente. Der Kampf ist notwendig, weil die
Sache gerecht ist! Die Beschreibung der Schweinerei spricht für sich. Muss
sie ja auch. Empört euch über die europaweit abgestimmte Ausgrenzungs- und
Abschiebepolitik!
Moral und Funktion