Short Cuts
Eine Nachforschung
Vorwort
Strategie: entfernte Bekannte
Moral und Funktion
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Das Subjekt ist ein Wort
Sinn und sinnvoll
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Konfrontation ohne Sieg
Kurzes, allzu politisches Nachwort
Das Subjekt ist ein Wort
Der Mensch als soziales Wesen ist bestrebt an der Welt teilzuhaben, und
zwar in einem konkreten sinnlichen Modus.
Die bürgerliche Gesellschaft organisiert die sozialen Bedingungen zur
Erfüllung dieses "Wunschs zu wünschen" in spezifischer Weise. Ich nenne
die Teilhabe qua Beruf/Lohnarbeit, Familie, Sport/Hobby/Verein mit all
ihren Variationen eine historisch gewachsene Formierung der Art und Weise
sich in der Welt zu (be-)finden. Die Möglichkeiten dieser Teilhabe sind im
Zuge der sukzessiven Lösung tradierter Bindungen und der Auflösung von
Handwerk- und Industriearbeitermilieus Veränderungen unterworfen, jedoch
fortdauernd bestimmt durch Geschlechtsrollenerwartungen, Warentausch und
Ausgrenzungsmodi. In der postmodernen Gesellschaft werden, vermittels der
Simulation von Beteiligung bei Groß- und Medienereignissen, sowie durch
ständige Auffächerungen der Lebensstile, die Möglichkeiten so stark
differenziert, dass tendenziell für jede/n das Selbsterleben einer
Teilhabe in Aussicht steht.
Andererseits ist die Selbstwahrnehmung der Teilhabe permanent
gefährdet, weil sie in der Warengesellschaft nur dann als gelungen erlebt
wird, wenn sie "erfolgreich" ist. Die Größe des "Erfolgs" wird eigentlich
zur Konstitutionsbedingung der Teilhabe. Ohne Erfolg war ich nicht
vorhanden!
Wird im Rahmen meiner Lohnarbeit meine Kompetenz anerkannt oder werde
ich als jederzeit austauschbare Hilfskraft angesehen?
Gelingt die Paarbindung und somit die Bestätigung meiner Attraktion
oder bleibe ich allein bzw. gelangweilt?
Agiere ich auf einem der Felder der Freizeitauseinandersetzungen mit
überlegener Körpermotorik oder bin ich ErsatzspielerIn?
Gerate ich im Rahmen der Musikgroßveranstaltung außer mir und bin somit
bei den anderen oder werde ich von abgedrehten Leuten rumgeschubst?
Eine Teilhabe, die sich allenfalls im Geduldetsein erschöpft, wird von
den Subjekten der bürgerlichen Gesellschaft als Manko, als
Nichtangekommensein in dieser - durch diese Gesetze bestimmten - Welt
wahrgenommen. Nicht zufällig ist das gemeinsame Trinken und Großsprechen
von Männern die entscheidende soziale Auffangaktion nach Arbeit und Sport.
Hier können die bislang subjektiv nicht-dabei-Gewesenen vermittels Konsum
und verbaler Präsenz dominieren und ihren vorhandenen Platz im Gefüge
erleben. Nicht zufällig auch die Esoterikwelle, in der sich permanent
Welten eröffnen, die nichts anderes sind als Teilhabeangebote.
Der Ausbruch kritischer BürgerInnen aus dem bloßen Vollzug ihres
Daseins und ihre Selbstidentifikation als Linke oder Dissidenten basiert
auf der Verwerfung und/oder Erweiterung der bürgerlichen Art und Weise, in
der Welt zu sein. Die Bedeutung von "Erfolg" bleibt jedoch bestehen; den
üblichen Erfolgskriterien werden verwandte an die Seite gestellt: Der
Erfolg als politische/r AktivistIn ist die Bestätigung meines Kampfgeists
und meiner Moral, der Erfolg als subkultureller Insider verweist auf meine
innere Unabhängigkeit und Kommunikationsfähigkeit. Erweitert ist der
soziale Rahmen, innerhalb dessen Erfolg möglich und wichtig ist,
(politischer Zusammenhang, WG, Veranstaltung, Demo, Konzert). Das Regime
der "Selbstverwirklichung", nach dessen Gesetzen die Teilhabe gnadenlos
auf das "Ich" einer Identität fixiert/rückbezogen wird, bleibt
unangetastet. Kollektiv in einem tatsächlich antibürgerlichen Sinn wäre
demgemäß ein Kontext, in dem persönlicher Erfolg nicht das zentrale
Kriterium der Person wäre.
Keinesfalls soll hier der Eindruck erweckt werden, die politischen
Begründungen für dissidente Aktivität seien nicht ernst zu nehmen oder gar
nur vorgeschoben, um banal-egoistische zu verdecken. Es geht nicht um die
Entlarvung von HeuchlerInnen, schließlich gibt es diverse andere
Möglichkeiten, um sich als ProduzentIn der Welt zu erleben. Die
Behauptung, das wesentliche Movens der Teilhabe an einem sozialen Prozeß
gelte auch für Linke, sagt noch nichts aus über das, was links geschieht,
und diskreditiert keine Initiative, nur weil an ihrem Anfang nicht der
reine Altruismus steht. Die Behauptung richtet sich vielmehr gegen die
weitgehend uneingestandene Relativität der Antriebsfähigkeit politischer
Analysen und moralischer Postulate. "Objektive politische Notwendigkeit"
und "Handeln aus Solidarität" sind Formeln eines hyperrationalistischen
Menschenbilds, die die Realität des (bröckelnden) Engagements
verfehlen.
Leben heißt die Welt produzieren. Wenn die Konsequenz, so wie sich mir
die Welt darstellt, politischer Kampf heißt, dann wird sich das nur dann
materialisieren, wenn es einen sozialen Ort dafür gibt. Das Postulat
früherer RAF-Kader, der Gesellschaft nur insoweit anzugehören, wie man sie
bekämpft, gilt nur solange wie das Projekt den Beteiligten umfassend ihren
Wunsch zu wünschen erfüllt. Mit dem zwingenden Umkehrschluss, dass die
frühe Grenze, gar der Verlust der sozialen Möglichkeiten des Projekts, ein
unbelebtes und nicht belebbares Postulat zurücklässt, dessen
RepräsentantInnen sich wahrscheinlich gegenseitig quälen und auf der Suche
nach der erlebbaren Welt entweder in der Wirklichkeit undurchschaubarer
aber allgegenwärtiger Ränke landen oder Sozialasyl suchen bei Gruppen, die
Teil von subkulturellen/politischen Bewegungen sind.
Der hier ziemlich scharf dargestellte Widerspruch zwischen dem Handeln
gemäß Analyse und Erkenntnis und dem Wunsch nach Teilhabe, also zwischen
Politik und Subjektivität, war real in "bedeutenden" sozialen Bewegungen,
wie z.B. der Hausbesetzerbewegung 1980/81 weitgehend stillgestellt, primär
da der politische Diskurs zunächst eher bedeutungslos war. "Bisher war die
revolte eine permanente fete; das aufständische leben konnte sich an allen
ecken und enden breitmachen. Die existentielle revolte war deckungsgleich
mit der politischen - leben und politik eins. Oder anders gesagt: die
ablehnung des "politischen diskurses" ist eine unserer stärken, unsere
revolte kam aus einem radikalen subjektivismus und hatte den alltag, seine
tägliche sabotage und subversion zum gegenstand". (aus radikal Nr. 99,
11/81)
Politik machen erfordert das Einlassen auf die Logik der Vernunft im
Dienst einer höheren Sache. Was dem bürgerlichen Staat "Demokratie und
Marktwirtschaft" ist, ist der Linken "Volk", "Freiheit", "Revolution",
"Sieg" oder eben die Bewegung. Bewegung aber schon gedacht als zu
bewahrendes Kontinuum, als Bestandteil eines gesamtgesellschaftlichen
Kräfteverhältnisses. Politik machen bedeutet das Akzeptieren einer
Grammatik von Veränderung, von gesellschaftlichem Prozess. Das beinhaltet:
ideologische Festlegung, verläßliche Programmatik, Strukturen "aufbauen",
Fortschrittsmythos schaffen in Form einer Bewegungsgeschichte, einer
politischen Genealogie. Ein solches Auftreten ist nicht mehr eine Gefahr
für jede Ordnung, sondern der Ausdruck eines Versuchs, die jetzige durch
eine andere zu ersetzen.
Doch Vorsicht! Das hohe Lied auf den Ausbruch, die subjektive Revolte
ist - wendet man sie als distanzierte/r BetrachterIn zur Programmatik -
erzreaktionär. Da die soziale Revolte jeweils Kind einer Zeit ist, ist sie
zwar immer ein Verstoß gegen Recht und Gesetz, nicht aber notwendig an
emanzipatorische Prozesse gekoppelt. Soziale Revolten sind nicht, wie auch
die letzten Jahre gezeigt haben, vor der Verknüpfung mit völkischer
Programmatik geschützt.
Im eben schon zitierten Artikel heißt es gegen Ende: "Uns ist klar, daß
die herrschenden krieg führen, egal, ob wir ihn verweigern, verdrängen,
ihm zu entfliehen glauben oder uns ihm stellen."
Abgesehen vom autonomen-typischen Beziehen der Aktivität "der
Herrschenden" auf "uns", spricht sich hier die Erkenntnis aus, daß der
Verlust der Bewegungsdynamik und ihrer spezifische Subjektivität, das
bestehende Herrschaftskontinuum nur wieder stärker hervortreten läßt, daß
also der soziale "krieg" von oben nicht an die Existenz einer
gegenmächtigen Bewegung geknüpft ist.
Dass also das Ende der Bewegung nicht Stillstand oder Ruhe bedeutet,
sondern freie Fahrt für die "normale" gesellschaftliche Dynamik.
Anders gesagt: wenn auch die kurz aufgeflammte Überwindung bestimmter
politischer Formen überhaupt erst den Weg weist für eine tatsächliche
Unterminierung der bürgerlichen Ordnung, bedeutet das Ende eines solchen
Zyklus auch das Zurückgeworfen werden auf politische Formen.
Ihnen ohne soziale Revolte trotzdem zu entsagen, führt direkt in die
Esoterik (was sich auch empirisch belegen läßt), besserenfalls in den
Kunstbetrieb, und heutzutage wohl in den Konsumismus der
Spaßgesellschaft.
Sinn und sinnvoll