Short Cuts
Eine Nachforschung
Vorwort
Strategie: entfernte Bekannte
Moral und Funktion
Revolutionäre Politik in der bürgerlichen Gesellschaft
Die Flucht in den Minimalismus - eine Erfolgsgeschichte
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Das Subjekt ist ein Wort
Sinn und sinnvoll
Die Irrationalität vernünftiger Analysen
Konfrontation ohne Sieg
Kurzes, allzu politisches Nachwort
Praktische Grenze der Politik: Gesellschaftstheorie
Streng genommen kann man die Verhältnisse (zumindest in ihrer
Totalität), so man gewillt ist, sie zu erkennen, nur ertragen. Sicherlich
wird man Erkanntes auch temporär verdrängen, vergessen.
Da keine dem Erkennen von Gesellschaft, dem Verstehen von
Zusammenhängen entsprechende unmittelbare Konsequenz zu ziehen ist, ist
ein Bezug zwischen dem engen Rahmen von Handlungsmöglichkeiten und dem
Verstehen nur mittelbar und damit abstrakt herzustellen. Ihn zu umreissen,
heisst Rückgriff nehmen auf theoretische Schwammigkeiten oder
transzendente Setzungen. Der Politikbegriff, der in seiner herkömmlichen
Form eben diesen Bezug verspricht, ist in dieser - überdeterminierten -
Form obsolet. Sein fortdauernder Gebrauch bedient sich hochstaplerisch dem
Versprechen radikaler Veränderbarkeit der Gesellschaft mittels
Politik.
Es ist das homogene, Theorie in Praxis überführende Handeln, nur noch
als vermeintliches im Rahmen einer Parteiorthodoxie oder eines sonstigen
Dogmatismus zu haben; oder nach Anpassung der Kritik an die Erfordernisse
der konstruktiven Mitmachens - beides basiert auf Wahrnehmungsverzerrungen
und theoretischen Auslassungen - ODER ALS FRAGMENT, das weder emotional
noch rational der Totalität des Gegenstands entspricht.
Ist die linke Theorie nicht in der Lage zu antizipieren, wie den durch
die Subjekte hindurchgehenden Herrschaftsstrukturen, die die sozialen
Verhältnisse tragen, begegnet werden soll (und wo sollte die Konfrontation
sonst stattfinden, wohl kaum vermöge einer Diktatur nach Eroberung der
Staatsmacht), damit die bürgerliche Gesellschaft ausgehebelt wird -
wohlgemerkt: überhaupt theoretisch, - dann ist linke Politik nur begründet
als Tätigkeit von Leuten, die etwas auf bestimmte Art in eine bestimmte
Richtung tun, weil anderes dümmer, verbrecherisch oder schon gescheitert
ist, nicht aber, weil sie der Überzeugung sind, dass ihre "historische
Aufgabe" so gelingen wird. Es mag unfair scheinen, die verbliebenen,
marginalisierten Linken an dieser Elle zu messen, aber mit dem Auftreten
als Politische ist immer verknüpft die Suggestion einer über das
Anprangern von Missständen und Denunzieren bürgerlicher Alltagspraxen
hinausweisenden Vorstellung von Veränderung. Wenn aber zu dieser
Veränderung, zu dem, wie sie auf der Basis der realen Gesellschaftlichkeit
funktionieren soll, nichts gesagt wird, werden kann (wobei das zuzugeben,
noch besser ist als positivistisch daher zu schwätzen), dann ist es
geboten, die Kohärenz der bürgerlichen Gesellschaft zu beschreiben, der
der eigenen politischen Positionen zukommenden Autorität aktiv zu entsagen
und die Begrenztheit einer Sinnstiftung vermittels politischer Strategie
einzuräumen, ohne einen Jota der Kritik am Bestehenden inkl. dessen
Sinnlosigkeit abzumildern.
Nach dem Formulieren einer radikalen Systemkritik, die Gesellschaft
bestenfalls mitverändern zu können, ohne Ausbeutung und Herrschaft
nachhaltig zu beschädigen, bedeutet, der eigenen politischen Praxis keine
Transzendenz, keinen tieferen Sinn abgewinnen zu können.
Bezieht sich aber das Handeln von in einer politischen Tradition
stehenden Gruppen per se fragmentarisch auf ihren analytischen Kanon, so
ist es nur angemessen, die starre Anwendung des Politik-Begriffs hinter
sich zu lassen. Und weiter, das Sich-ins-Verhältnis-Setzen einzelner,
nicht großspurig (als unpolitisch-individualistisch, sektiererisch) zu
denunzieren, da es sich kategorial von fragmentarischem Handeln, auch wenn
es sich noch so wortreich auf Theorie "bezieht", nicht unterscheidet.
Politisch im tatsächlichen (engen) Raum eigener Einflussmöglichkeiten zu
sein heißt, eine persönliche Entscheidung zu fällen, nicht eine
strategische. Geradeso wie Entscheidungen gefällt werden: Etwas Intuition,
viel Nachdenken und manchmal spontan anders; in Ermangelung allgemeiner
Wahrheiten, auf der Basis wackeliger ideologischer Leitlinien und einiger
Erfahrungen. "Warum?" und "Für wen?" sind Denkanleitungen, nicht Fragen,
die immer beantwortet werden können.
Dialektik der Wahrnehmung
Die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Zusammenhängen steht in einem engen
Verhältnis zur Möglichkeit des Handelns. Die Ohnmacht des erkennenden
Subjekts wird sukzessive seine Wahrnehmung begrenzen. Unangreifbare
Verhältnisse beeinträchtigen die Wahrnehmungsfähigkeit, Angriffe
garantieren sie aber nicht. Wobei "Angreifbarkeit" ein dem autonomen
Blickwinkel geschuldeter allzu kämpferischer Ausdruck ist. Schon eine
lautstarke Äußerung, eine nachträgliche schriftliche Auseinandersetzung,
also zwar persönliche, aber sehr zurückhaltende Formen der Bezugnahme
werden als Überwindung der durch Ohnmacht gestifteten Passivität erlebt.
Dass diese Überwindung aus dem Blickwinkel der Macht nur symbolischen
Charakter hat, ist ihr Kennzeichen und für den Moment nicht weiter
wichtig. Weil der Umschlag von symbolischem Aufbegehren in signifikantes
ungeheuer reizvoll ist, ist er dauernde Stimulanz medialer
Heldenproduktion: Als einzelner den Verhältnissen die Stirn bieten -
allein gegen die Mafia.
Für das linke Subjekt ist insofern Widerstand (emphatisch) die
Voraussetzung für Widerstand (praktisch), das heißt, es ist der "Sinn"
geringfügiger, alltäglicher, mikropolitischer Praxen, immer wieder der
eigenen Ohnmachtserfahrung, Artikulationsmöglichkeiten entgegenzusetzen,
sich momentelang einen gesellschaftlichen Ort zu schaffen, an dem sich
man/frau als Handelnde erfahren kann. Dieses Rezept verschafft jedoch
gerade bei absichtsvoller Anwendung immer weniger Linderung. Denn gerade
die Unzulänglichkeit des Handelns gegenüber den jeweiligen Zuständen rückt
ins Zentrum einer wenig blockierten Wahrnehmung. Der naheliegende Reflex,
die alltäglichen Praxen zu einem Strategie aufzuladen, also den
kurzfristig besetzten Ort zu instituionalisieren, schlägt sich als
Selbstverdummung/Blickfeldbegrenzung nieder. Weitere Erkenntnisse scheinen
nicht notwendig und würden faktisch den eingerichteten Zustand
bedrohen.
Praktisches Handeln kann nicht vom real Vorfindlichen abstrahieren. Die
Praxis ist der Dynamik sozialer Prozesse voll und ganz ausgesetzt. Das
gilt für die Beziehungen der AkteurInnen untereinander sowie für die
unmittelbaren gesellschaftlichen Reaktionen. Anders als der
Reflexionsprozess mit seinen Pausen und Dosierungen verläuft die
praktische Handlung in einem engen sozialen Rahmen, oder aber als
institutionalisiertes Projekt (mit spezifischen Eigenschaften und
Konsequenzen, s.o.). Handelnd kann das Subjekt nicht abstrahieren und
nicht antizipieren, was in politische Sprache übersetzt heißt, zwar
militant, aber nie konsequent radikal sein.
Die Möglichkeit der Kritik, sich ihre Radikalität gegenüber dem
Gegenstand nicht auf Machbarkeit eindampfen zu lassen und sich
gleichzeitig nur verzögert (d.h. korrigierbar) zu vermitteln, markiert
gleichzeitig ihre Schwäche: aufgrund der Arbeit der Abstraktion von
gesellschaftlichen Vorgängen aus einer idealistischen Position heraus (der
des Kritikers/Theoretikers, der Kritikerin/Theoretikerin) - ein Handeln,
das nur mittelbar wieder sozial werden kann - ist dieses Handeln sinnlich
höchst reduziert. Seine ProtagonistInnen rächen sich daher nicht selten,
z.B. mit Formalismus, für die entgangene Befriedigung.
Das Subjekt ist ein Wort