Editorial
Nun liegt sie endlich vor, die dritte Ausgabe der com.une.farce. Wie das bei no-budget Unternehmungen so ist, werden die Produktionszyklen wesentlich mehr durch den eigenen Alltag, durch den Zwang zur Lohnarbeit bestimmt, denn durch den verständlichen Wunsch jeder Redaktion nach pünklichem und regelmässigem Erscheinen. Das muss jedoch kein Problem sein, alle, die den Newsletter abonnieren, werden am ersten
Erscheinungstag einer neuen Nummer informiert.
Einer der angekündigten Punkte aus dem Editorial der Nullnummer - drei
Ausgaben pro Jahr - konnte somit auch im zweiten Jahr der farce nicht
umgesetzt werden. Wir geloben Besserung. Was ist aber aus den anderen
Punkten geworden?
Vermittlung von Theorie und Alltag heißt, politische Fragestellungen
zur eigenen Subjektposition in Relation zu setzen. So wie sich Herrschaft
bis unter die Haut materiell manifestiert, so übersetzen sich Herrschafts-
und Ausbeutungsverhältnisse in den daily terror der verwalteten Welt. Eine
an Emanzipation orientierte politische Theoriebildung darf sich nicht
damit begnügen, sozusagen vom Katheder die kritische Kritik zu predigen,
sondern muß sich auf den Alltag, auf die politische Praxis einlassen, um
an der kulturellen Grammatik, der symbolischen Ordnung wie den
ökonomischen und politischen Strukturen rütteln zu können. Die
Interventionen unseres Projektes in politische Debatten und
Auseinandersetzungen verstehen wir als eine solche
Vermittlungsanstrengung.
So das programmatische Editorial unserer Nullnummer im August
vorletzten Jahres. Wir haben in den ersten drei Ausgaben der farce
versucht, diese Linie anhand spezifischer Fragestellungen zu verfolgen.
Einen großen Raum nimmt dabei die Auseinandersetzungen mit Geschichte und
Gegenwart der ehemaligen autonomen Bewegung und die darauf folgenden bis
heute andauernen Grabenkämpfe der versprengten radikalen Linken ein. In dieser
Nummer wird mit dem Text Shortcuts: Eine Nachforschung diese Linie
nicht nur weitergeführt, sondern auch der Versuch unternommen, nach einem
gewissen zeitlichen Abstand noch einmal - oder erstmalig? - in Diskussion
über Stärken und Schwächen von Bewegungspolitik zu treten. Mit der
Bewegungspraxis im Alltag beschäftigt sich der Beitrag von Sonja Brünzels
am Beispiel von Reclaim the Streets: Karneval und Konfrontation.
Reclaim the Streets ist das unangemeldete Feiern von Straßenparties, ein
Zeitvertreib, der in den letzten Jahren in den Städten Großbritanniens an
Beliebtheit gewonnen hat. Es geht darum, sich auf lustvolle Art die
Straßen zurückzuerobern. Dies ist ein Beispiel dafür, dass sich in
Großbritannien in den 90er Jahren politische Aktionsformen entwickelt
haben, die anders funktionieren als traditionelle Demos. Eine mögliche
Entwicklung vom Ökoprotest zum antikapitalistischen Protest?
Der Beitrag Treffen der Generationen. Zwei Captains - Eine
Mission setzt sich in Form einer popkosmologischen Analogie zu
StarTrek mit dem Editorial der letzten farce auseinander. Einige
Mitglieder der farce-Redaktion treffen sich in einem simulierten
Redaktionsbüro, um via chat über die Aktionen gegen den Bielefelder
Kriegsparteitag der Gruenen mitte Mai dieses Jahres zu debattieren. Wir
erinnern uns: Es war der Tag, an dem Außenjoschka rot wurde. Ende
der neunziger Jahre stellt sich die Frage nach Ästhetik und
Strategie[-losigkeit] autonomer Politik aufs neue. Log in right now!
Nicht nur Bielefeld verdeutlicht, dass es Die Grünen sind, die unter
den Folgen von 1968 den Linken derzeit am schwersten im Magen liegen.
Schon Anfang der achtziger Jahre hat Johannes Agnoli den grünen Aufbruch
unter die Lupe genommen und vor einem drohenden Erstarren der Bewegung in
Institutionen gewarnt. Von der Kritik der Zustände zur Kritik der
Mißstände. Oder: Die Geburt der neuen Mitte aus dem Geist von 1968
- eine Besprechung von Agnolis Buch "1968 und die Folgen".
Für viele von uns stellte der Versuch der Weiterführung einer
undogmatischen linken Theorie und Praxis, wie sie schon in Teilen der
ehemaligen Neuen Linken praktiziert wurde, durch die Autonomen den
wichtigsten Bezugspunkt dar. Im zehnten Jahr nach dem Ende der
Blockkonfrontation und im ersten Jahr rotgrüner Regierungsentscheidungen
sieht die Welt allerdings etwas anders aus als zu Zeiten von Vokü, Transpi
und Mega. Die guten Deutschen wohnen wieder auf den Kanonen und kämpfen im
Kosovo, diesmal für die gute Sache, ehrlich. Dass kein nennenswerter
Widerstand gegen die Kriegspolitik Clintons, Schröders und Milosevics
zustande kam, ist auch den veränderten politischen Konstellationen
geschuldet. Die autonome a.f.r.i.k.a gruppe plädiert in Gegen wessen
Kriege welchen Widerstand? für die Etablierung eines neuen
Antimilitarismus. In eine ähnliche Richtung zielen die Bemühungen von
Alain Kessi. Er spricht mit Kosov@ Widersprüchlichkeiten und
Subjektivitäten eine Einladung aus, genau hinzusehen und sich konkret
irritieren zu lassen. Auf der Suche nach einem neuen Antimilitarismus sind
die Thesen des Philosophen und Psychoanalytikers Slavoj Zizek von größtem
Interesse. Im Gespräch mit ihm sind wir insbesondere der Frage
nachgegangen, auf welcher Weise der westliche Pazifismus eine
fortschreitende Entpolitisierung selbst mit sich spazieren führt.
Von London City begleiten uns Klaus Ronneberger, Stephan Lanz und
Walther Jahn nach Berlin, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Oberhausen und
Leipzig. Hier zeigen ihre Untersuchungen wie unauflöslich das Bild der
Städte mit globalen ökonomischen Entwicklungen verknüpft ist. Die Stadt
als Beute - eine Rezension.
Dem gleichen Thema widmet sich Andreas Siekmann. "Aus: Gesellschaft mit
beschränkter Haftung" ist eine Serie von Zeichnungen, die zwischen 1996
und 1999 entstanden sind. Das Projekt erhebt die Frage, wie die in den
neunziger Jahren endgültig umstrukturierten und ideologisch
konkurrenzlosen wirtschaftlichen Machtverhältnisse sich auf den
öffentlichen Raum auswirken. "Aus: Gesellschaft mit beschränkter Haftung"
besteht insgesamt aus dreizehn Bilderserien und war im Sommer 1999 in der
Kunsthalle Portikus in Frankfurt am Main ausgestellt. Für die farce haben
wir die Bilderserien Ne travaillez jamais (stand 1959 auf einer
Mauer in Paris und wurde dem Umfeld der Situationistischen Internationale
zugeordnet) und Falsche Freiheit Frankfurt (steht immer noch
irgendwo in Hessen) ausgewählt:
Dank mic aus Berlin können wir unser Multimedia-Versprechen aus dem
Editorial der no.1 wieder ein wenig wahrer machen. Der Mini-Comic im
Shockwave-Format nimmt unser Unbehagen an den Innenstädten auf und
zeichnet damit einen psychedelischen Stadtplan der Stadt ohne
Namen.
Zehn Jahre nach der deutsch-deutschen Vereinigung bleibt es ein
Hauptanliegen der Eliten der Berliner Republik, die NS-Vergangenheit als
Schranke der neuen außenpolitischen Machtansprüche aus dem Weg zu räumen.
Nach der Relativierung der Shoah durch eine konservativ-revolutionär
interessierte Lesart der Totalitarismustheorie (Ernst Nolte u.a.), hat
sich nun die neue deutsche Lässigkeit breit gemacht. Alex Karschnia rückt
in Der SPIEGEL und die Shoah diesem neuen deutschen Holocaust-Humor
mit einer beißenden Polemik auf die Pelle und stellt die Arbeit der "Shoah
Foundation" von Steven Spielberg vor.
Ohne Papiere in Europa heißt der Sammelband, der von der Kampagne
Kein Mensch Ist Illegal herausgegeben und im Dezember bei VLA - Verlag der
Buchläden Schwarze Risse / Rote Strasse erscheinen wird. Die farce proudly
presents gleichnamiges Vorwort und Auszüge der Texte Illegalisierung
von Migration und Selbstorganisation und Unterstützungsprojekte in
Westeuropa.
Zahlreiche Abbildungen sind dem Band "hoch die kampf dem. 20 Jahre
Plakate autonomer Bewegungen" des gerade genannten Verlags entnommen. Wir
danken für die Überlassung des Bildmaterials und verweisen auf diese
interessante Auseinandersetzung mit den autonomen Bewegungen - anhand
ihrer ästhetischen Kriterien.
An dieser Stelle möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass die Übernahme einzelner farce.artikel nicht nur möglich sondern geradezu Programm dieses Projekts ist bzw. sein soll. Wir verstehen uns in dieser Beziehung als eine Art SB-Laden für die GenossInnen bei den Printmedien. Mit der winzigen Einschränkung, dass bei einer Indrucklegung ein Verweis auf unser Projekt zum Programm gehört. Let’s get in contact!
Viel Spass mit no. three of Kritik im Netz &
Bewegung im Alltag.
Eure farce.red 12/99