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Matthias Brieger |
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Von der Kritik der Zustände zur Kritik der Mißstände
Oder: Die Geburt der neuen Mitte aus dem Geist von 1968
Ein Antipasto misto zu Johannes Agnolis Buch "1968 und die Folgen"
Beim Lesen des Buches von Agnoli wird deutlich, was aus der
Protestbewegung von `68 hätte werden können, wenn sie die marxsche Kritik
der politischen Ökonomie radikalisiert und zur Kritik von Politik und
Staatlichkeit entwickelt hätte. Doch widrige Umstände und Mangel an
revolutionärer Geduld ließen aus der Suche nach Alternativen zur
bestehenden Gesellschaftsordnung bald die Suche nach Alternativen zum
Widerstand werden. Die Verstaatlichung der Opposition, die ihre Wurzeln in
der Illusion der Möglichkeit eines alternativen Gebrauches des
bürgerlichen Staates hatte, war gleichzeitig deren Ende.
Die sprichwörtliche Geduld des Papiers ist von und zu 68erInnen gehörig
strapaziert worden: von NostalgikerInnen ebenso wie von ApologetInnen der
Heimkehr in den Schoß des zivilgesellschaftlichen Konsenses, aber auch von
BewahrerInnen der reinen der reinen Lehre, die über Häme selten hinausgekommen sind.
Der Stachel der Kritik am Opportunismus der Kader von einst blieb so oft
schon an der Oberfläche stecken.
Die in "1968 und die Folgen" zu lesenden Texte Agnolis, die zwischen
1968 und 1989 entstanden sind, gehen tiefer. Agnoli hält sich wenig mit
der Verbitterung über verspielte Chancen auf. Er wird nicht müde, die
Waffe der Kritik zu gebrauchen. Vielleicht liegt das daran, daß er von
sich selber sagen kann: "ich bin eines konstruktiven Denkens nicht
fähig".
Freilich hält das Buch für all diejenigen, die sich mit der Geschichte
der neuen deutschen Linken auseinandergesetzt haben, das eine oder andere
Déjà-vu bereit. Und doch imponiert darin eine Weitsicht und Klarheit, die
keine Langeweile aufkommen läßt. Agnoli zeigt sich in dieser Textsammlung
als marxistisch geschulter Analytiker, kreativer Denker und Hetzer gegen
Dogmatismen jedweder Provenienz, aber auch als Meister der Ironie. Der
Vielfalt der Aspekte, die dieses Buch behandelt, gerecht zu werden, ist
ein Unterfangen, das eine Rezension kaum einlösen kann. Statt dessen soll
ein gemischter Vorspeisenteller gereicht werden, der Lust auf den
Hauptgang machen will.
Von der "Klebrigkeit" bürgerlicher Institutionen
Unter den Folgen von 1968 sind "Die Grünen" diejenige, die der
Restlinken derzeit am schwersten im Magen liegt. In einem Gespräch mit dem
späteren Herausgeber der Protestchronik Wolfgang Kraushaar hatte Agnoli
schon 1983 den grünen Aufbruch unter die Lupe genommen und das Erstarren
der Bewegung in Institutionen vorhergesagt.
Agnolis Prognose basiert auf seiner Kritik der Transformation der
Demokratie und seiner Sicht des bürgerlichen Staates als Klassenstaat, der
nicht zu reformieren sei, sondern sich klebrig einverleibt, was ihm zu
nahe komme. Dabei sieht Agnoli durchaus eine Möglichkeit zur Betätigung
für Fundamentalopposition im Parlament: Es gehe um das Ausnutzen von
Zugängen zu Information und Öffentlichkeit, die die letztlich
entscheidende politische Arbeit außerhalb der Machtorganisationen des
bürgerlichen Staates, zu denen er neben den Parlamenten auch die Parteien
rechnet, erleichtern sollen.
Eine Partei, die eine Politik der radikalen Veränderung der bestehenden
Gesellschaft nicht nur auf ihre Fahnen geschrieben habe, sondern auch
effektiv vertreten wolle, müsse in Parlamenten eine permanente
Obstruktionspolitik betreiben. Keinesfalls dürfe sie zur Regulation der
Krisen oder zur Reproduktion des bestehenden Systems beitragen, wie es
"Die Grünen" schon damals getan hätten, indem sie über
Koalitionsbeteiligungen räsonierten. Auch als "Die Grünen" die Unfähigkeit
amtierender Regierungen oder die Unregierbarkeit des Landes im Munde
führten, hätten sie nur eines im Sinn gehabt: "Wer von der Unregierbarkeit eines
Landes spricht, hat ganz eindeutig Regierungsabsichten", meint Agnoli. Und
wo sein Gesprächspartner Kraushaar noch insistierte, daß der lange Marsch
durch die Institutionen führen würde, warnte Agnoli schon, daß er in ihnen
enden werde.
Doch nicht nur das Buhlen um Regierungsfähigkeit wird aufs Korn
genommen: auch der ökologische Gedanke, der den Schutz der Gattung zum
Ziel habe und quasi zwangsläufig bei der neuen Mitte ende. Wer die ganze
Gattung schützen und bewahren wolle, könne sich nicht mehr dezidiert auf
die Seite ihrer emanzipatorischen VertreterInnen und Projekte stellen. Das
dumme romantische Geraune von der Würde der Natur enthalte, wie das von
der menschlichen Gattung, einen Appell an die Emotionalität. Agnoli stellt
dagegen: "daß alle Emanzipation immer an die Vernunft apelliert hat und
nie an das Gefühl - es ist immer die Restauration und die Reaktion, die
auf das Gefühl rekurriert". Der amtierende Außenminister und die
Fishermans friends standen ja schon vor 25 Jahren für eine Politik, die
aus dem Bauch kommt.
Alles Nazi oder was?
Ein großer Ansporn für Agnolis rastlose Kritik am bundesdeutschen Staat
ist seine Sorge, daß die Entwicklung in der BRD hin zu einem System des
totalen Konsenses gehe. Agnoli, der als junger Mann in Italien Funktionär
des faschistischen Jugendverbandes war, hat später wiederholt auf die dem
kapitalistische System innewohnende Tendenz zu autoritären politischen
Formationen und zum Faschismus hingewiesen: Es sei geradezu eine
Spezifität, des bürgerlichen Staates, daß er die Zugangsmöglichkeiten der
Massen zu den Zentren der Macht weitgehend einschränken müsse. Ob das mit
offenem Terror gegenüber revolutionären Kräften oder im Wege eines
Klassenkompromisses im Rahmen eines korporativistischen oder auch
demokratischen Systems geschehe, bedürfe jedoch genauen Bedenkens. Mehr
als einmal kritisiert Agnoli in diesem Band ungenaue Faschismusvorwürfe.
Er wendet sich in dieser Sache beispielsweise gegen Hans Jürgen Krahl,
aber auch gegen Peter Glotz. Immer ist ihm die Genauigkeit der Vergleiche
ein wichtiges Anliegen, immer wieder klagt er auch die historische
Spezifizierung der Faschismusvergleiche ein. Denn wenig bringt ihn mehr in
Rage, als die Unfähigkeit, unter Regeln zu subsumieren - jenes Unvermögen
mithin, das Kant mit Dummheit gleichsetzte.
Ungenaue Faschismusvergleiche seien eine Dummheit. Sie könnten dazu
führen, daß isolierte autoritäre und reaktionäre Denkfiguren und Praxen
des gesellschaftlichen Konsenses und seiner demokratischen VertreterInnen
- der "Extremismus der Mitte " - in irreführender Weise etikettiert
würden. Wer den politischen Gegner permanent als "Nazi" karikiert, werde
dessen politisches Handeln analytisch und praktisch verfehlen.
Der inflationäre Gebrauch historisch und politisch nicht ausreichend
spezifizierter Faschismusvorwürfe komme damit einer Strategie gleich, die
mehr verschleiere, als in aufrüttelnder Weise bloßstelle. Ob und inwieweit
der extensive Gebrauch ungenauer und unzutreffender Faschismusvorwürfe
durch deutsche Linke sogar dazu beigetragen hat, die Gleichgültigkeit der
Öffentlichkeit zu befördern und damit mittelbar die Entrückung und
Entsorgung des deutschen Faschismus als geschichtliche Vorvergangenheit
mit zu bewerkstelligen, wäre noch zu untersuchen.
Deutscher Herbst und italienischer Winter
Nicht nur der Blick auf den Faschismus, sondern auch der auf die
Revolte von `68 scheint bei Agnoli durch den Vergleich zwischen den
Geschehnissen in Deutschland und in Italien an Schärfe zu gewinnen. Wenn
Agnoli immer wieder Erfahrungen aus den italienischen Kämpfen den
deutschen GenossInnen zur Kenntnis bringt, wird er nicht müde, darauf
hinzuweisen, daß die Kraft des revolutionären Aufbruchs in Italien aus der
Tiefe des dortigen endemischen Dissenses zum Staat entstand, den er
hierzulande so vermißte. Das Eintreten des "PCI" in den historischen
Kompromiß und für den bürgerlichen Staat, ließ ihn, so Agnoli, seiner
Führungsrolle gegenüber der linken Fundamentalopposition verlustig gehen
und machte den Weg frei für eine politische Praxis der Selbstorganisation
und der Autonomie. Dabei standen die Aneignung von kritischer Ökonomie
jenseits vom Studium der bolschewistischen Antike sowie zur Aktion
tendierende Staatskritik ohne die alten Führungsgarnituren, aber auch
jenseits des anarchosyndikalistischen Spontaneismus, einer facettenreichen
Bewegung Pate, die aus der Fabrik heraus kommend die italienische
Gesellschaft in ihren Grundfesten erschütterte.
Wenn Agnoli italienischen GenossInnen einen Bericht über theoretische
Grundlagen und Hintergründe der "Apo" schreibt, dann hat er AdressatInnen
mit anderen sozialen und politischen Hintergründen vor sich. Unter diesem
Blickwinkel entsteht eine Perspektive auf die Ereignisse, die für hiesige
Eingeborene ungewöhnlich und bereichernd sein könnte.
Hat er sich ab 1977, auch unter dem Eindruck der staatlichen Hetze
gegen die Veröffentlichung des "Mescalero-Briefes", an welcher er
beteiligt war, mit Fragen der Repression auseinandergesetzt, so wird auch hier
im Vergleich Deutschland-Italien hinter dem stärkeren Ausmaß der Verfolgung in Italien die größere
Breite des Angriffs auf den Staat erkennbar; einer von vielen
Unterschieden mithin, die einem Blick, der den deutschen Herbst für das
Maß aller Dinge hält, entgehen müssen.
Darf es noch mehr sein...
Agnolis Texte in "1968 und die Folgen" illustrieren nicht nur die
Genese und Weiterentwicklung eines offenen, staatskritischen Marxismus,
sie gewähren auch Einblicke auf Nebenschauplätze der Auseinandersetzungen.
Beispielsweise analysiert er in "Die Schnelligkeit des realen Prozesses.
Vorläufige Skizze eines Versuchs über Adornos historisches Ende" dessen
Unfähigkeit, sich auf die Revolte der Studierenden zu beziehen und vieles,
vieles mehr...
All dies wird liebevoll zubereitet und feurig angerichtet.
Soweit das Antipasto...
Johannes Agnoli:
1968 und die Folgen.
Freiburg i.B.: ça ira, 1998
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der fc bayern münchen ist in der
fußball-bundesliga zu seinem fünften sieg in folge gekommen.
der deutsche tennisbund ist seit gestern ohne führung. |
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heute hält der wechsel von sonne und
schneeschauern noch an, von mittwoch an soll der winter aber erst einmal weichen. |
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