Interdependence Day
Politik an der Grenze zum Empire
von No Spoon
[Ende September 01]

Jeder Versuch, die Folgen der Anschläge in New York und Washington historisch-materialistisch zu verstehen, läuft Gefahr, auf halbem Weg abzubrechen. Ständig drohen die Denk- und Reaktionsweisen in allzu altbekannte Muster zurückzufallen. Die folgenden Thesen nähern sich den Ereignissen daher aus einer anderen Richtung.

Angenommen, es geht hier nicht um Imperialismus, Krieg und die globale Hegemonie der letzten Supermacht. Angenommen, es geht statt dessen um eine neue Struktur global vernetzter Machtbeziehungen und Dispositive, die sich schon mit dem II. Golfkrieg und, als anderer Strang, mit den Zapatisten abzuzeichnen begannen. Dann könnte der freie Blick aufs Empire (wie Negri und Hardt es nennen) dabei helfen, den vernetzten Aktivismus zwischen Seattle und Genua nicht als Frühwarnsystem der Weltverwaltung zu begreifen, sondern als Multitude, als Ort der Selbstvergesellschaftung, den es auszuloten gilt.

Den freien Blick aufs Empire öffnet gerade der materielle Vorsprung, den die Ereignisse vor dem Wissen haben, das für adäquate Reaktionen nötig wäre. Lassen wir uns also auf dieses Wissen ein, um dessen immanente Grenzen nachzuweisen. Nutzen wir unseren Vorsprung.


0.
Am 11. September habe ich abends mit einem Freund telefoniert. Bei ihm zuhause lief nebenher der Fernseher; und das, was er da sah, hatte er bis zu meinem Anruf ganz selbstverständlich für einen der üblichen Katastrophenfilme gehalten. Noch 1938 hatte die Ausstrahlung des Radiohörspiels War of the Worlds eine Massenhysterie ausgelöst (ironischerweise vor allem in New York und New Jersey). Heute ist das Verhältnis von fiktivem und realem Wahnsinn offensichtlich umgekehrt. Mehr noch, das Genre der Actionfilme, in dem Terroristen während der letzten zwanzig Jahre die Welt terrorisierten, verwandelt sich zum WYSIWYG-Kino - What You See Is What You Get. Oder sagen wir eher: Die kollektiven Phantasien sind von der Wirklichkeit überholt. Denn wenn man sich Streifen wie die Die-hard-Sequels vergegenwärtigt, in denen es um Passagierflugzeuge und Hochhäuser ging, scheint jedes filmische Szenario des terroristischen Superschlags plötzlich merkwürdig blass. Am ehesten kann noch die Logik der symbolischen Mobilmachung und Kriegserklärung, die nach den Anschlägen einsetzte, durch einen Film wie Independence Day eingefangen werden. Es ist kein Zufall, dass die ‚Gegner' hier Aliens sind; die plötzlich aus dem Off auftauchen, völlig unbekannt, und außerdem in keiner Weise berechenbar.

Auf der unmittelbaren Ebene des Konflikts ist Blade Runner vermutlich genauer. Zwar sind auch hier die Gegner keine Menschen. Da sich die Androiden aber äußerlich kaum unterscheiden, sind sie nur schwer zu identifizieren und können sich völlig frei im gesellschaftlichen Alltag bewegen. Sie sehen, dass sie um ihr Leben betrogen sind, haben nichts zu verlieren. Ihre nächsten Schritte sind gerade deshalb unvorhersehbar und unberechenbar. Vom imperialen Herrschaftsregime der globalisierten Zitadellenökonomie her gedacht, sind die Ausgeschlossenen das ganz ‚Andere'; und die Entdeckung, dass sie sich mitten unter uns bewegen und einer unzugänglichen Logik folgen, ist ein fundamentaler Schock.

I.
Selbst die politischen Eliten wussten in den Tagen nach dem Anschlag nicht, was nun zu tun ist, und klammerten sich an ihre Routinen. Für dieses Terrorszenario gab es anscheinend keine Konzepte. Der Vergleich des Anschlags mit Pearl Harbour und die gängige Rede von Krieg deuten darauf hin, dass es überhaupt an Worten und Begriffen fehlte, das Geschehene und das Kommende zu fassen. Als die NATO den Bündnisfall feststellte, wussten selbst die Kabinettsmitglieder nicht genau, was das jetzt konkret bedeutet. Krieg?

Die schiere Monstrosität der Terrorakte sollte nicht täuschen: Seine Bedeutung erlangt der 11. September nicht allein durch die Materialität der Anschläge, den über 6000 Toten aus 42 Staaten, sondern vor allem durch ihre symbolische Dimension. Mit der Zerstörung des Pentagons und des World Trade Centers sind die Insignien ökonomischer und politisch-militärischer Macht entzaubert. Das amerikanische Selbstverständnis, das eigene Territorium als sicheres Hinterland zu wissen, fiel mit dem Hauptquartier der letzten Supermacht, die nun bitter lernen muss, dass auch sie kein idyllisches Eiland im Meer der globalen Verwerfungen ist. Eine ähnliche Lektion muss indes auch das globale Management lernen, das, ob in London, Tokio oder Singapur, im Schatten der Supermacht seinen Geschäften nachging. In der Stadt der Null-Toleranz zeigt der Einsturz der Twin Towers nicht nur die unmittelbare Verwundbarkeit jener Akkumulationsdynamik, die doch halbe Kontinente in die Krise stürzen kann. Weniger die Vernichtung von ein paar Tausend Computern, Büros und Humankapitalien, und sei's an der Weltleitbörse, bringt die globalisierte Ökonomie bis in den letzten Winkel ins Wanken. Das Primat der Politik meldet sich als Destabilisierung der Verwertungskreisläufe im Ökonomischen zurück, als Unberechenbarkeit des Terrors, als Unkalkulierbarkeit der staatlichen Reaktionen. Die wechselseitige Abhängigkeit der kommodifizierten Lebensweisen von der Weltkonjunktur beweist sich in den Bitten besorgter Weltenlenker, sich in Zeiten politischer Krise nicht auch noch beim Konsumieren zurückzuhalten.


II.
Der 11. September war mitnichten der Beginn eines neuen Krieges, weil der Krieg des 21. Jahrhunderts - der postmoderne Krieg - als Krieg nicht mehr zu führen ist. Nicht, dass nicht die USA und der Nord-Westen versuchen könnten, tatsächlich in den Krieg zu ziehen. Nicht, dass nicht mögliche Militärschläge Tausende von Opfern fordern, ganze Landstriche in Not und Elend stürzen oder auch neue Kriege entfachen. Doch sowohl die symbolische Dimension der Anschläge wie die Diffusion des Feindes vereiteln die bekannten Reaktionsmuster. Ein Krieg gegen den Terrorismus ist genauso wenig zu gewinnen wie der Krieg gegen Drogen. Wem will man schon den Krieg erklären? Welche Vergeltung kann die Zerstörung der Insignien militärischer und ökonomischer Macht aufwiegen? Terror sich nur als staatlich protegierten vorstellen zu können, zeigt nur die Beschränktheit derer, die versuchen, auf die neue mit den Konzepten der alten Welt zu antworten. Warum nicht die TU Hamburg-Harburg, die Flugschulen Floridas und die US-Visa-Behörde bombardieren -, gemäß dem Motto: We will make no distinction between the terrorists and those, who harbour them? (Bush II, 11.9.) Nehmen wir einmal an, es führte tatsächlich eine Spur zu bin Laden und al qaida. Die Bombardierung verlassener Zeltlager, auch halb Afghanistans, wo eh' kaum noch ein Stein auf dem anderen steht, selbst des Iraks klingt eher nach Windmühlenkämpfen. Die Ausweitung von Angriffen auf immer neue Schurkenstaaten schafft dagegen nur noch weitere Feinde.

III.
Es ist naiv zu glauben, die Anschläge hätten aktiver staatlicher Beihilfe bedurft und es reiche zum Sieg, diese Staaten im Zweifelsfall in Schutt und Asche zu bomben. Um den Krieg als Krieg zu gewinnen, müßte jeder einzelne Anhänger bin Ladens (so er's denn gewesen ist) bedingungslos kapitulieren. Die Aufgabenstellung des postmodernen Krieges gleicht eher einer Polizeiaktion. Nur mit den Kriterien einer Polizeiaktion ist er zu bewerten, ob affirmativ oder kritisch. Es braucht Ermittlungen, Beweise, Fahndung und ein Gerichtsverfahren. Polizeiaktionen müssen zielgenau sein und dürfen nicht mehr Schaden anrichten, als den, den sie zu verhindern haben. Polizeiaktionen sind der Politik immer nachgeordnet. Sie sind nur dann effektiv, wenn sie langfristig nicht allein auf Repression setzen.

Kein Staat dieser Welt hat den Anschlag aufs WTC begrüßt, nicht nur aus Angst vor Vergeltung. Wenn es stimmt, dass mit dem WTC die zivilisierte Welt angegriffen wurde, und wenn das die Menschen, nicht nur die Regierungen, auch so empfinden, dann öffnet sich ein globaler politischer Raum, innerhalb dessen Konflikte nunmehr die Gestalt einer Bekämpfung des Terrors annehmen. Seit dem Ende der Blockkonfrontation verwandeln sich die entscheidenden Konflikte, vom Golfkrieg II, über Somalia bis zu Bosnien, dem Kosovo und Mazedonien, immer mehr in solche Polizeiaktionen, gelungenere und fehlgeschlagene. Konflikte nehmen die Form an, dass sich eine immer umfassendere Mehrheit der Weltgesellschaft gegen einen materiell jämmerlichen Feind stellt, dessen lokale Grausamkeit nur mühsam zum ebenbürtigen Gegner der Superallianz stilisiert werden kann. Mit Russland, China, sogar Kuba und dem Iran ist die Mehrheit total geworden. Das ist das Empire, und deshalb gibt es keine Kriege mehr, sondern nur noch Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

IV.
Aus der Unfähigkeit, den Krieg gegen den Terror tatsächlich gewinnen zu können, müssten die USA den Schluss ziehen, dass nicht sie das Empire sind, weil das Empire kein US-Imperialismus ist. Die USA sind die militärische Supermacht und doch nur einer von vielen Faktoren im Empire. Weil die Globalisierung nicht die globale Verallgemeinerung der Vereinigten Staaten ist, sondern die Weltökonomie, die Weltpolitik und die Weltkultur sich ihre eigenen, nicht territorialen Räume schaffen: über, unter und zwischen den einstigen Nationen.

Empire heißt, dass die einst internationalen Machtverhältnisse nicht mehr linear zu fassen sind. Vielmehr verschränken und vermengen sich einst übersichtliche internationale, nationale und lokale Machtverhältnisse. Internationale lokalisieren sich in global cities, nationale supraregionalisieren sich zu Staatengemeinschaften, zigtausend Kilometer entfernte werden zum Vehikel, die lokalen zu delegitimieren. Die Grenzen dämpfen die Resonanzen nicht länger, ökonomisch wie politisch. Um Missverständnissen vorzubeugen, Empire meint nicht das Verschwinden von Staaten, geschweige denn von staatlicher Gewalt. Aber es bedeutet, dass keine Souveränität mehr zu behaupten ist. Für niemanden. Empire steht für die neuartige Komplexität der globalen Macht- und Austauschverhältnisse, für die zunehmende Interdependenz der Weltgesellschaft, weil die Welt räumlich und zeitlich zusammengerückt ist, ohne dabei gleichförmiger zu werden. Jeder Bürgerkrieg ist nun ein Krieg inmitten des Empire, mit Hunger, Elend und Zerstörung, mit Waffenbedarf und Kampfausbildung in der Praxis, mit Flüchtlingen und unterbrochenem Warenverkehr, mit emotionalen, finanziellen, materiellen und ideologischen Kanälen in alle Regionen der Welt. Nach Pearl Harbour konnten die USA noch alle Japaner internieren, die in den Vereinigten Staaten lebten. Heute muss Bush eine Moschee besuchen.

V.
Aus den Konturen des Empire lässt sich ein Negativszenario abschätzen. Es droht, wenn die Immanenz der Weltgesellschaft nicht anerkannt wird. Es droht mit jeder strikten Grenzziehung zum Feind. Wenn andre Staaten, Kulturen und vermeintliche Rassen als Ursachen der Probleme identifiziert, und als Lösung Mauern, Abschottung, und Vernichtung propagiert werden. Statistisch lassen sich Terrorwahrscheinlichkeiten projizieren, als Grundlage weltweiter Strafverfolgung wie des Ausbaus der Kontrollapparate auf der Höhe der technologischen Entwicklung. Doch das maximale Maß an Sicherheit, das diese Strategie bieten kann, wäre die Sicherheit, wie sie die Bürger Israels erleben. Und das wäre wohlgemerkt die rechtstaatliche Variante der Terrorprophylaxe, im Gegensatz zu Tschetschenien. Flugzeugbomben, Atomanschläge und großtechnische Attentate sind so zu verhindern. Strafbombardierungen simulieren Handlungsfähigkeit. Aber auch das Mosaik durchgängiger Zugangsbeschränkungen, gestaffelt nach Risikogruppe, Videoüberwachung und Ausweiskontrollen, die Bewaffnung der halben Bevölkerung und die Abschottung des anderen Teils können nicht verhindern, dass irgend ein Durchgeknallter sich vor der Disco mit Unkraut-Ex und einer Packung Nägeln in die Luft jagt.

VI.
In Deutschland und vielen anderen Staaten gab es Kundgebungen, auf denen die Solidarität mit den Opfern des Anschlags, aber auch mit der "amerikanischen Nation" demonstriert werden sollte. Der Angriff auf New York löste selbst bei denen Emotionen aus, die ansonsten das alltäglich Sterben etwa auf den drei Kontinenten nur mäßig interessant finden. Für viele schien der Slogan "Wir alle sind Amerikaner", teils als blau-rote Ansteckschleife oder mit den Stars and Stripes visualisiert, eine angemessene Haltung zu sein, auch wenn bestimmt nicht alle die rückhaltlose militärische Unterstützung der USA bei Vergeltungsschlägen darunter verstanden. Diese Anteilnahme hätte wohl kaum allein die Bombardierung des Pentagon bewirkt. Entscheidend ist New York, der Prototyp der modernen Stadt, Vorbild für die Skylines auf allen Kontinenten: ob in Jakarta, Tokio, Sydney, Cape Town oder Riad. Entscheidend ist New York als materialer Knoten fast jedes transkontinentalen sozialen Netzes, die durch das Zusammenrücken der Welt, die Flucht, die Neugierde, die Suche nach dem besseren Job, die Migration in allen ihren Formen entstanden: Die Realität von Schanghai, von Kabul und Srebrenica, Oaxaca und Kinshasa ist immer auch ein Teil New Yorks. Und umgekehrt.

VII.
Was die Zerstörung des WTC so bedrohlich macht, ist die Ahnung, dass sie nicht nur die Lebensweise der Global Ruling Class, der Banker, Manager und Administratoren zur Disposition stellt. Bedroht ist die metropolitane Lebensweise, weil sie viel enger mit der neoliberalen Globalisierung, hier verstanden als spezifische Verlaufsform der kapitalistischen Entwicklung, verwoben ist, als es der national begrenzte Blick glauben macht. Aus der Perspektive des Empire gehören fast alle Bundesbürger zum privilegierten oberen Drittel der Weltbevölkerung, jenem Drittel, das seine Verantwortung so gern beiseite schiebt. Es ist eine Binsenweisheit, dass der American Way of Life global schlicht nicht verallgemeinerbar ist, weder ökonomisch, noch sozial, noch ökologisch. American Way of Life meint nicht nur die fordistische Seite: Kleinfamilie, PKW und Eigenheim, McDonald's und Hollywood. Im Gegenteil, es ist gerade unsere Lebensweise, die Selbstverständlichkeit von Mobilität, der Ausdruck unserer Identitäten im kurzlebigen Minderheitenkonsum, das dienstleistungsintensive Singledasein. Eine Lebensweise, die ihre materiellen Kosten hat, und eben jene neoliberale Kommodifizierung von Alltagsarbeit vorantreibt, die die Lohneinkommen so spreizen. Der Krieg im Kongo wird unter anderem durch den Abbau jenes Metalls finanziert, das sich in jedem der 40 Millionen Handy in der BRD befindet. Es ist unsere eigene Lebensweise - die Freiheit, uns im Mainstream der Minderheiten unsere Lieblingssubkultur zu basteln -, die mit ihren immensen materiellen und immateriellen Voraussetzungen in Widerspruch gerät.

VIII.
Im Alltag der Globalisierung sind Terrorangriffe nicht auszuschließen. Auch noch so aufwendige Überwachung kann in der globalisierten Gesellschaft konspirativen Gruppen nichts anhaben, die sich im lokalen Durchschnitt differenter Lebenspraktiken verstecken. Im Rauschen der weltweiten Zirkulation von Waren, Technologien und Datenströmen, Finanz- und Humankapital verschwinden die Spuren vernetzter Gruppen. Technologische Maßnahmen schränken nur die Beweglichkeit von Menschen, Dingen und Gedanken ein, absoluten Schutz können sie nicht garantieren. Die Sicherung des Empire nach dem Muster des Israel-Palästina-Konflikts wäre das Ende der Globalisierung in ihrer jetzigen Form. Hier stoßen sich die Sicherheitsinteressen der Exekutive mit den Verwertungsinteressen der wirtschaftliche Funktionseliten, die sich ihrerseits der Emanzipationsdynamik seit 68 bedienten. Insofern war der Angriff aufs WTC tatsächlich ein Angriff auf unsere Freiheit und unsere Lebensweise. Den Raum in einen Flickenteppich homogenisierter Territorien zu zerstückeln, damit die Alarmfunktion statistischer Normabweichung praktikable Ergebnisse liefert, würde dem den Boden entziehen, was die Aspekte der Globalisierung sind, die es eigentlich erst zu verallgemeinern gilt: die stetige Schöpfung neuer Kulturen und Lebensweisen, die Wahl der Lokalität, das Verschwinden der Grenzen, die Kommunizierbarkeit von Differenz.

Mehr Sicherheit in der Differenz gäbe es gewiss, wenn alle Menschen in Würde leben könnten. Wenn jeder einzelne mehr zu verlieren hätte als seine Perspektivlosigkeit. Mehr Sicherheit für alle verspricht auch, was die Folgen unserer Handlungen minimiert: die Dezentralisierung der Versorgungssysteme, die Dämpfung globaler Rückkopplungen und die Abschaffung fehlerpotenzierender Verfahren und Technologien. Das ist eine langwierige Angelegenheit und würde gewiss die Dynamik der globalen Akkumulation dezentrieren.

IX.
Wie kann linke Politik im Empire aussehen? Vielleicht lassen sich global nur noch formale Kriterien entwickeln, während alle anderen Bestimmungen ihren emanzipativen Charakter ganz dem je lokalen Kontext verdanken. Ausschließen lässt sich aber ein ganz bestimmter Politiktypus, und zwar derjenige, der die selbsterklärte Souveränität zur Voraussetzung hat. Es sind jene Politiken, die behaupten, die Wahrheit zu besitzen, den Hebel zu kennen, um die Welt zu verändern, und eine strikte Grenze zwischen sich und dem Feind ziehen zu können. Dieser Politiktypus tritt in unterschiedlicher Gestalt auf. Als Taliban, Skinheads Sächsische Schweiz, UCK oder Sendero Luminoso. Als Supermacht, die nur ihr eigenes Interesse vertritt, als Staatenallianz, die Schurkenstaaten ausradiert, oder als repressive Weltregierung. Zwischen souveränistischen Politiken können meilenweite Unterschiede bestehen, so weite, wie zwischen demokratischen und diktatorischen Staaten. Doch die letzte und erste Option dieser Politik ist immer der Krieg, und sei's der Bürgerkrieg. Das goldene Zeitalter brach freilich nach keinem der Kriege an, obwohl doch der Sieg versprach, die Welt nun endlich und ungestört nach dem eigenen Plan neu erschaffen zu können. Im Gegenteil. Je radikaler die Souveränisten die Probleme lösen wollen, je tiefer sie an die vermeintlichen Wurzeln gehen, desto stärker müssen sie die gesellschaftliche Dynamik in die Realität ihres Weltbildes pressen und desto grausiger enden ihre Bemühungen: vom Kampf gegen das Böse bis zur Ausrottung des Bösen.

X.
Mit der globalen Solidarisierung wie der eigenen Berührtheit, die nach dem Anschlag einsetzte, hat die Immanenz der Weltgesellschaft noch klarere Konturen angenommen. Schon seit Seattle 1999, noch eindringlicher seit Genua, ist die Frage nach adäquater Politik im Zeichen globaler Immanenz auf die politische Agenda zurückgekehrt. Noch gibt es keine Namen, in denen sich die Marginalisierten und Unzufriedenen artikulieren könnten. Demokratie, Sozialismus oder nachhaltige Entwicklung sind durch die doppelzüngige Politik des Nord-Westens in weiten Teilen dieser Welt längst diskreditiert. Die namenlose Globalisierungskritik, in ihrer progressiven Variante, beharrt auf den allumfassenden Interdependenzen, klagt globale Verantwortung ein und listet all jene Folgen auf, die mit den herkömmlichen ökonomischen und politischen Instrumenten nicht zu messen sind. Weil sie das kann, weil sie ihre eigene Widersprüchlichkeit zu respektieren vermag, befindet sich diese Globalisierungskritik auf Augenhöhe des Empire, und das hat sie den meisten Weltadministratoren und Weltökonomen voraus. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn die Kritiken am heutigen Zustand der Welt als das rezipiert würden, was sie sind: als Ausdruck der Komplexität des Empire, und nicht als Frischzellenkur für die alte Ordnung. Es gibt keine raschen Antworten auf die vielfältigen Probleme dieser Welt, gerade auch nicht von der Globalisierungskritik, wenn sie ihre eigene Gestalt ernst nimmt. Die Antworten auf ihre Probleme müssen die Menschen je selbst erfinden und ausprobieren. Emanzipative Politik auf der Höhe des Empire kann keine Angelegenheit einer Weltregierung sein, sei sie auch prozedural-demokratisch legitimiert. Was es braucht, sind dennoch globale Entscheidungen, um die lokalen Spielräume zu weiten und die Interdependenzen zu federn. Nicht für die Wiederkehr territorialer Souveränitäten, sondern für die Erfindung neuer Lebensweisen.
Inhalt
readme.txt
Interdependence Day
Gefaketer SB in Genua
go.to/online-demo
New Actonomy
Anmerkungen KG
Interview KG
Das umkämpfte Subjekt
Multikulturalismus
Déjà vu
Inhalt
readme.txt
Interdependence Day
Gefaketer SB in Genua
go.to/online-demo
New Actonomy
Anmerkungen KG
Interview KG
Das umkämpfte Subjekt
Multikulturalismus
Déjà vu
Inhalt
readme.txt
Interdependence Day
Gefaketer SB in Genua
go.to/online-demo
New Actonomy
Anmerkungen KG
Interview KG
Das umkämpfte Subjekt
Multikulturalismus
Déjà vu
Inhalt
readme.txt
Interdependence Day
Gefaketer SB in Genua
go.to/online-demo
New Actonomy
Anmerkungen KG
Interview KG
Das umkämpfte Subjekt
Multikulturalismus
Déjà vu