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"Becoming a political screen" - Linke gehen online

Politik und Internet. Bis heute ist ein mit aller Entschiedenheit vorgetragenes "Don't believe the hype!" die gängigste Formel, auf die deutsche Linke sich in Bezug auf's Web einigen können. Will man doch auf keinen Fall ins gleiche Horn blasen wie www.neuemitte.de. Von diesem Grundmisstrauen war auch der Aufbruch dieses Webzines geprägt: Kritik im Netz kann nicht ohne die eindeutig materialistische Versicherung der Bewegung im Alltag auskommen.

Doch worauf kann sich dieses Misstrauen beziehen, wenn eigene Erfahrungen mit digitalen politischen Praxen kaum vorhanden sind? Noch vor wenigen Jahren waren die häufigsten Themen, die Linke mit dem Netz verbanden, Überwachung und New Economy. Inzwischen haben viele zumindenst einige Zugänge zu Email und Online-Recherche. Doch die Netzpraxis bleibt meist innerhalb des Kontexts von Ausbildung und Lohnarbeit. Solche Fähigkeiten sind eben mittlerweile notwendig, wenn man auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben möchte. Die Welt der Laptops, Desktops und Breitbandzugänge wird auch weiterhin als die Welt des politischen Gegners aufgefasst, selbst wenn man mehr oder weniger gezwungenermassen 20 bis 40 Stunden die Woche darin eine Rolle spielt. Woher kommt diese Gewissheit, das eine emphatischere Nutzung des Webs einer unwiderruflichen Assimilation in den Mainstream gleich käme?
Jedoch scheint diese vorherrschende Abwehrhaltung in letzter Zeit einem vorsichtigen Herantasten ans Web als Terrain politischer Auseinandersetzung zu weichen.

Diesen Widersprüchen stellt sich die Redaktion der traditionsreichen Berliner Theorieinstitution Das Argument in ihrer Ausgabe 'Neue Ökonomie des Internet', mit der bewährten methodischen Trennung Antonio Gramscis: Das WWW als Terrain politökonomischer und zivilgesellschaftlicher Strategien. Gegen die im Editorial konstatierte Blindstelle des gesellschaftlichen Verwendungszusammenhangs neuer Technologien wird eine politökonomische Analyse und eine sorgfältige Rezeption feministischer und linker Nutzungsweisen gestellt. In diesem Zusammenhang werden auch Projekte wie Indymedia und com.une.farce besprochen. Nur schade, dass sich die Argument-Redaktion wie die meisten deutschen linken Zeitschriftenprojekte einen Seitenhieb auf postoperaistische Zugänge zur neuen Produktionsweise, die mit dem Begriff der "immateriellen Arbeit" verbunden sind, nicht verkneifen kann. Im Umkehrschluss zur begründeten Abwehrhaltung gegenüber linken Katastrophentheorien müssen positive strategische Überlegungen zu den neuen Arbeitsverhältnissen offensichtlich als "Traumtänzerei" abgetan werden. Vielleicht führt die Provokation, vom klassischen marxistischen Pradigama abzuweichen, hier zur Abwertung. Auch wenn einige der anregenden postoperaistischen Überlegungen über das Ziel hinausschießen, könnten sie zu einer Diskusssion über neue politische Strategien der Linken wichtige Ansatzpunkte liefern. Die Farce-Redaktion legt daher auch weiterhin grossen Wert auf Autoren wie Franco "Bifo" Berardi und Maurizio Lazzarato.

Eine praktische Aneignung des Webs hat sich das Nadir-Kollektiv mit der Gründung von indymedia.germany zur Aufgabe gemacht. Erste Erfahrungen mit direkter Berichterstattung konnten bei den Castortransporten im Frühjahr gemacht werden. Relativ zeitnah waren aktuelle Informationen zu den Aktionen vor Ort im Netz abrufbar.

Kein Mensch ist illegal (k.m.i.i) und die Gruppe Libertad! wagten am 20. Juni die erste Online-Demo auf dem alten Kontinent, die sich gegen das Geschäft der Lufthansa mit der Abschiebung von Flüchtlingen richtet. Bei der Vorstellung des elektronischen Sit-ins auf der Homepage der Lufthansa im Frankfurter BCN-Café vergaßen auch sie nie den Hinweis, dass diese Aktion auf keinen Fall als Äquivalent zu klassischen 'Strassenaktionen', sondern vielmehr zu deren Ergänzung gedacht sei. Zu Gast war der New Yorker Netzaktivist Ricardo Dominguez, der seit 1994 mit dem 'Electronic Disturbance Theatre' ein von schriftstellerischen Aktivitäten inspiriertes Konzept des elektronischen zivilen Ungehorsams entwickelt hat. In den USA scheint es wesentlich selbstverständlichere und unverkrampftere linke Zugänge zur Webmilitanz zu geben als hierzulande. Auch Rtmark und andere Gruppen machen dort seit Jahren vor, was in Europa leider noch eine Zukunftsvision zu sein scheint. Anders als die spannungsgeladene Denke von Webidealismus und Strassenmaterialismus fasst Dominguez Netzaktivismus als selbstverständlichen Teil widerständiger Praxen in einer Welt, in der die Subjekte eben auch als Mediensubjekte konstituiert werden und sich als solche auch bewegen können - becoming a political screen.

Das OpenText-Projekt um die Erfindung und Füllung des Begriffs "New Actonomy" geht in die zweite Runde. Nach der ersten Vorlage von Florian Schneider hat nun Geert Lovink seine Gedanken zum Subjekt der neuen globalen Protestbewegung einfließen lassen. "New Rules for the New Actonomy" bleibt weiter offen.

"Wahrscheinlich sehen wir vieles jetzt klar, vielleicht nicht. Aber nichts wird mehr so sein wie es war." An diesem Eindruck des Rappers Curse nach den Terroranschlägen in New York und Washington vom 11. September setzt No Spoon mit ihrer immanenten Kritik am hegemonialen Kriegsdiskurs an. Immanent heißt, die inneren Widersprüche des hegemonialen Blocks auszuleuchten, aufzugreifen, zu politisieren und darin eine andere Strategie zur Infragestellung dessen zu sehen, was uns nun bevorsteht.

"Interdependence Day - Politik an der Grenze zum Empire" erscheint in einer Publikations-Coop mit der Frankfurter StudentInnen Zeitschrift Diskus, in deren Sondernummer zur Frankfurter Buchmesse (Nr. 2/01) der Text parallel erschienen ist.


Wie auch schon die letzte Ausgabe der Farce, wird auch diese mit dem Konzept "in.progress" veröffentlicht. Das bedeutet eine zeitlich gestreckte Heftproduktion, bei der zunächst nur einige Artikel, ein paar editorische Bemerkungen und ein fragmentarisches Layout erscheinen. Innerhalb der nächsten Wochen wird die Ausgabe dann vervollständigt.

Der geplante Schwerpunkt "Direkte Medien / eigene Medien / Netzaktivismus" kommt momentan noch nicht so richtig zum Zug - geplant sind Interviews und Beiträge zum Phänomen Indymedia, der freien Software-Bewegung "Oekonux" und natürlich zum Netzaktivismus-Ereignis des Jahres, der Online-Demonstration zur Imagepflege der Lufthansa.

Drei der bereits vorliegenden Texte stammen aus einem anderen Zusammenhang, der Frankfurter Tagung zu "Subjetkonstitution und Ideologieproduktion", die vom 9. bis 11. Februar diesen Jahres von der Hochschulgruppe "Demokratische Linke" veranstaltet wurde. Ankündigung und Konzept liessen darauf hoffen, dass es gelingen könnte, die verschiedenen Zugänge der Neuen Linken zu Gesellschafttheorie, die einerseits eher von der Frankfurter Schule, andererseits von französischen Ansätzen des (Post-)Strukturalismus inspiriert waren und sich bisher stets in einem unproduktiven Konkurrenzverhältnis gegenseitig blockierten, zu einer positiven Vermittlung zu führen. Dass eine produktive Zusammenführung auf der Podiumsdiskussion und einigen Foren nicht gelang, hatte viel damit zu tun, dass eine marginalisierte Linke in den Zeiten des Umbruchs eher auf die Übersichtlichkeit und Sicherheit geschlossener Theoriebildung zu setzen scheint, als auf die praxisbezogene Verwendung in konkreten Kontexten. Erst dann könnte sich nämlich die Relevanz des jeweiligen Ansatzes erweisen.

Schade um die verpasste Chance, zumal Thilo Maria Naumann in seinem Eröffnungsvortrag durchaus versuchte, Geröll aus dem verschütteten Tunnel zwischen Frankfurt und Paris beiseite zu räumen. Wir dokumentieren daher den Eröffnungsvortrag, sowie einen Beitrag des Rassismus-Panels und eine Kongressbesprechung von Serhat Karakayali.
Inhalt
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go.to/online-demo
New Actonomy
Anmerkungen KG
Interview KG
Das umkämpfte Subjekt
Multikulturalismus
Déjà vu
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Das umkämpfte Subjekt
Multikulturalismus
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