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von Geert Lovink und Florian Schneider
Seattle, Melbourne, Prag, Nizza, Davos, Quebec, Göteborg, gerade Genua und
bald Qatar. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als würde eine neue
globale Protestgeneration auf den Plan treten, die es ausgerechnet mit der
von 1968 aufzunehmen hat. Unter dem Deckmantel von Digitalisierung,
Informatisierung und Globalisierung brodelt eine Vielzahl politischer,
kultureller, ökonomischer und sozialer Konflikte, deren Ausmaß und Tragweite
bei weitem noch nicht abzusehen sind. Lange aber noch kein Grund, sich
Illusionen hinzugeben: Die großen sozialen Bewegungen des vergangenen
Jahrhunderts wirken ausgelaugt und inhaltlich wie strukturell verbraucht. Die
komplexen Zusammenhänge einer immer enger vernetzten globalen Ökonomie und
immer weiter ausdifferenzierter Lebensverhältnisse wirken immun gegen jegliche
Form der Kritik.
Das Feld des Politischen ist in Tausende von Einzelbildern zerfallen, und
trotzdem bricht sich ausgerechnet in diesem Durcheinander ein Aktivismus mit
neuartigen politischen Artikulations- und Handlungsweisen Bahn. Gemeinsam ist
diesen Ansätzen, dass sie äußerst flexibel und mit einer taktischen und
strategischen Pluralität operieren sowie einen zeitgemäßen Begriff von
Solidarität und Selbstbestimmung suchen, der unmittelbare und lokale
Auseinandersetzungen mit dem Globalen koppelt oder kurzschließt.
Was also hat sich verändert?
1.Wenn es früher darum ging, die Menschen irgendwo einzusperren, um sie zu
disziplinieren (Schule, Militär, Fabrik, Krankenhaus, Irrenhaus,
Nationalstaat), finden Kontrollen heute praktisch überall und in Echtzeit
statt. In den meisten politischen, sozialen, kulturellen Bereichen haben
Techniken der Vernetzung die bisherigen Formen von Machtausübung abgelöst.
Chipkarten, biometrische Systeme, elektronische Halsbänder regeln den Zugang
zu proprietären, privilegierten oder sonst wie abgeschotteten Bereichen.
Grenzen sind in diesem Zusammenhang einem besonderen Bedeutungswandel
unterworfen: An der Grenze geht es heutzutage, statt Ein- oder Ausschluss,
um den Abgleich der Nutzerprofile, statt Racist Profiling um User-Profiling.
Postmodernes Border-Management soll hier die Ausfilterung vermeintlich
nützlicher von unnützer Arbeitskraft besorgen. Es handelt sich um eine
totalitäre Vernetzung wider Willen, die das Gerede vom Digital Divide sehr
romantisch erscheinen lässt.
2.Es gibt kein Außen mehr und damit ist auch der
archimedische Punkt der Kritik dahin, sich genau auf der Grenze
niederzulassen und einen Blick auf die Verhältnisse zu riskieren, ohne
wirklich Teil der Auseinandersetzungen zu sein. Die "Neue Linke", wie sie
aus den studentischen Milieus der 60er und 70er Jahre entstanden ist, hatte
ihre Ideologiekritik aus dieser sicheren Position heraus betrieben. Kein
Wunder, dass die Reste dieser Protestkultur sich heutzutage vor allem
dadurch hervortun: Jammern, Maulen und - wenn es richtig radikal wird -
anderen ein schlechtes Gewissen machen.
3. Arbeit, die nicht berechenbar und nicht mehr messbar
ist, ist nun wirklich nichts neues. Entscheidend ist aber ihre Bedeutung für
den Produktionsprozess. Das, was Michael Hardt und Toni Negri
"Affektindustrie" nennen, umfasst die Arbeit in Krankenhäusern und an
Filmproduktionen, in Softwareklitschen und Kindergärten, in
Unterhaltungskonzernen und Altenheimen. Das industrielle Hervorbringen von
Emotionen, Leidenschaften, Aufregung, Unterhaltung und Wohlbefinden ist in
eine Dimension vorgedrungen, in der schließlich das rätselhafteste, das
Leben selbst, zum Gegenstand der Produktion wird.
4. Nahezu alle Gesetzmäßigkeiten politischen Denkens und
Handelns sind heute mehr oder weniger radikal in Frage gestellt. Nötig ist
eine Neubestimmung der politischen Praxis und ihre Theoretisierung. In
diesem Zusammenhang ist es ausgesprochen spannend, nicht alle Erkenntnisse
über Bord zu werfen, sondern im Gegenteil, die Erfahrungen aus anderen
historischen Umbruchsituationen zu untersuchen oder zu rekapitulieren. Dabei
neue Begrifflichkeiten zu entwickeln und alte neu zu füllen sowie Kämpfe
miteinander kommunizieren zu lassen. Und zwar gleich ob sie alt oder neu
sind, wo sie physikalisch stattfinden und wie sie enden werden.
Widerstand kommt immer vor der Macht und Sabotage kommt von Sabot, einem
heimlich in die Maschine eingeschleusten Holzschuh, der die Produktion
vorübergehend blockiert. Wie der reguläre Streik zielt die Sabotage
unmittelbar auf den Profit des Unternehmens ab, um die Erfüllung bestimmter
Bedingungen zu erreichen. Vor allem dann, wenn Arbeitern das Streikrecht
versagt, entzogen oder unbrauchbar gemacht wurde, war Sabotage ein probates,
wenngleich illegales Mittel innerbetrieblicher Auseinandersetzungen. In den
aktuellen politischen Auseinandersetzung gibt es eine Reihe von Parallelen zur
Situation Ende des vorletzten, Anfang des letzten Jahrhunderts.
Sabotage steht im radikalen Widerspruch zu repräsentativen Formen der
Auseinandersetzungen in den institutionalisierten Kontexten der
Arbeiterbewegung. Diese blieben immer auf den Nationalsstaat bezogen, während
gleichzeitig und immer wieder spontane, un- oder gar besser organisierte
Formen von Widerstand ein globales Klassenbewusstsein ausdrückten. Aktuelle
Aktionsformen versuchen eine Neubestimmung von Sabotage als sozialer Praxis
und zwar nicht in herkömmlichen, destruktiven Sinne, sondern als eine
konstruktive innovative und kreative Praxis. Diese Konstruktivität ist eine
organ- und organisationslose Bewegung in vielen verschiedenen Perspektiven.
Selbstbestimmtes, vernetztes Denken, das ausdrücklich verschiedene
Herangehensweisen und Verknüpfungen vorantreibt und sich als soziale
Auseinandersetzung unmittelbar auf die Produktionsebene bezieht und
konstitutiv ist für einen kollektiven Aneignungsprozess von Wissen und Macht.
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