![]() |
![]() ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Vorbemerkung der Redaktion Das nachfolgende Interview entnahmen wir der Ausgabe 7.2. (Herbst 2000) von Left History. Wir veröffentlichen es, weil es
Für eine Untersuchung der Autonomia Ein Interview mit Sergio Bologna1 von Patrick Cuninghame2 Sergio Bologna3 hat sich als einer der führenden Intellektuellen des italienischen Operaismus (Arbeiterismus4), eine sympathisierende, jedoch auch kritische Distanz zu den sozialen Bewegungen bewahrt, die die Autonomia (Autonomie) der 1970er Jahre gebildet haben: die autonomen ArbeiterInnen, die selbstorganisierten StudentInnen, die radikalen Feministinnen und die gegenkulturelle Jugend. Sein Essay über die "1977er Bewegung"5, "Der Stamm der Maulwürfe"6 stellt eine der vollständigsten Untersuchungen der sozialen, politischen und ökonomischen Ursprünge und der Zusammensetzung einer der wichtigsten politischen und sozialen Massenbewegungen Italiens dar, der Bewegungen, die die Wurzel des heutigen weitläufigen Netzwerks der centri sociali (teilweise besetzten Sozialzentren) und der Freien Radios ist. Der Begriff "Autonomia" ist in sich zweideutig, da er sich auf zwei zwar verbundene, aber doch verschiedene Phänomene bezieht: Einerseits Autonomia Operaia (AO, Arbeiterautonomie, auch Autonomia Organizzata, Organisierte Autonomie genannt), die, wie der Name schon andeutet, ein direkter Nachkomme der operaistischen Tradition war, wie sie vor allem von der in den frühen 1960er Jahren halbjährlich erscheinenden Zeitschrift Quaderni Rossi (QR, Rote Notizhefte7) begründet wurde. Die Quaderni Rossi waren der Versuch verschiedener PCI und PSI8-Intellektueller, durch eine Reinterpretation von Marxens Arbeiteruntersuchung, seiner Theorie der Klassenzusammensetzung und der der Selbstverwertung des Massenarbeiters (vgl. Anmerkung 24) die autonome Arbeiterklassenmilitanz während des Wirtschaftswunders und der massenhaften internen Migration aus dem (italienischen) Süden nach Norden ab Mitte der 1950er Jahre zu erklären/theoretisieren. Der italienische Operaismus begann als eine politische und intellektuelle Bewegung, die die Theorie der Arbeiterzentralität der PCI aufrechterhielt, aber auch der orthodoxen marxistischen Sichtweise der Arbeiterklasse als Opfer der Verhältnisse und dem ineffektiven Reformismus der Historischen Linken kritisch gegenüber stand. Aus dieser Initiative entstand 1969, über die Zwischenstationen Classe Operaio (eine aktivistischere Variante von QR), Potere Operaio Veneto Emiliana9 (POV-E, eine regionale Gruppe und gleichnamige Zeitung, die sich vor allem Fabrikkämpfen in Nordostitalien widmete) und durch verschiedene lokale Fabrikinitiativen, besonders in der Chemiefabrik Porto Maghera, die italienweite politische Organisation Potere Operaio (PO, Arbeitermacht). PO trug sehr dazu bei, auf das Bündnis zwischen der libertären Studentenbewegung von 1968 und der weitverbreiteten autonomen Arbeiterbewegung des "Heißen Herbstes" von 1969 zu drängen. PO löste sich 1973 auf - unter Druck gesetzt durch das Wiederaufleben des Feminismus, das zu einer Krise der Militanz und zum Rückzug vieler weiblicher Aktivistinnen aus den maskulinistischen Post-1968er marxistischen Gruppen, wie PO, Lotta Continuia10 (LC, Der Kampf geht weiter) und Avanguardia Operaia (Arbeiteravantgarde). Die durch die Ölkrise ausgelösten Entlassungen und Umstrukturierungen 1973 ermöglichten es der PCI und den Gewerkschaften, wieder die Kontrolle über die großen Fabriken des Industrie-Dreiecks des Nordens zurückzugewinnen und so das Gewicht der Gruppen in den Fabriken zu untergraben, die für die PO von Bedeutung waren. Zu gleicher Zeit zeigte der Höhepunkt der autonomen Fabrikmilitanz, der wilde Streik bei und die Besetzung der Fabrik Mirafiori von FIAT in Turin im März 1973, die Entbehrlichkeit der PO, waren doch wenige der "fazzoletti rosso" (so wurden die Aktivisten wegen ihrer roten Halstücher, die zur Vermummung während der Umzüge in den Fabriken, und bei Angriffen auf Vorarbeiter, Manager und Streikbrecher benutzt wurden, genannt) Aktivisten der neuen Linken. Autonomia Operaia entstand in den 1970er Jahren als ein wenig strukturiertes Netzwerk lokaler Fabrik- und sozialer Kollektive, das von freien Radiostationen wie Radio Onda Rossa in Rom und Radio Sherwood in Padua sowie Zeitschriften wie Rosso in Mailand, Senza Tregua (Ohne Respekt) in Rom oder Primo Maggio (Erster Mai) in Turin zusammengehalten wurde. Auch hier waren es vorrangig männliche Intellektuelle, wie Toni Negri und Oreste Scalzone, die die Entstehung des neuen sozialen Subjektes aus den Kämpfen der frühen 1970er Jahre diskutierten: Der "operaio sociale" (gesellschaftliche Arbeiter, vgl. Anmerkung 24) der in den offenen Räumen der (gesamten) "gesellschaftlichen" Fabrik angesiedelt ist, während der "operaio massa" (Massenarbeiter) auf die Kämpfe in der (produzierenden industriellen) Fabrik beschränkt war. Die Beziehungen zur feministischen Bewegung blieben weiterhin verkrampft und autonome11 Frauenkollektive kritisierten die Aufrechterhaltung einiger diskreditierter politischer Praktiken der Gruppen, besonders die machohafte Neigung zum Gebrauch von (teilweise bewaffneter) Gewalt. Zur selben Zeit wurde diesen autonomen Frauen vorgeworfen, sie seien eher altmodische marxistische Revolutionärinnen als Feministinnen des "Selbsterfahrungs-Feminismus" und damit vom Mainstream der Frauenbewegung isoliert12. Der Versuch von AO die gegenkulturelle und post-politische "1977er Bewegung" zu organisieren und zu hegemonisieren traf ebenso auf beträchtlichen Widerstand. Die Entführung und Ermordung von Aldo Moro im Jahre 1978, dem großen Staatsmann der Democrazia Christiana und Chefunterhändler mit der PCI in deren gemeinsamem Projekt des "Historischen Kompromisses"13 durch die "Brigate Rosse" (RB, Rote Brigaden) legitimierte drakonische staatliche Repression, die einen allgemeinen "riflusso" (Rückfluss/-zug (ins Privatleben, AdÜ)) vom politischen Aktivismus hervorrief. Das wiederum veranlasste die radikalen Teile von AO, nach einer Intensivierung des Klassenkampfes durch bewaffneten Kampf und Industriesabotage zu verlangen. Dies wiederum erlaubte es dem Staat, eigenmächtig und willkürlich die RB mit der AO gleichzusetzen, was am 7. April 1979 zur massenhaften Festnahme der verwundbaren Intellektuellen der AO führte; ungeachtet ihrer bitteren Kritik am "anachronistischen, kontraproduktiven und militaristischen" Versuch der RB, den Staat zu stürzen und die Macht zu ergreifen. Die nachfolgende Hexenjagd auf autonomistische Intellektuelle und AktivistInnen, begleitet und unterstützt von der PCI nahestehenden Stadtverwaltungen und JournalistInnen, führte zu mehreren Wellen von Massenfestnahmen, einer möglichen Untersuchungshaftdauer von bis zu fünf Jahren bei Anklagen wegen Terrorismus und zum Exil des Kerns der Intellektuellen und AktivistInnen14. Autonomia Operaia, der Versuch einer revolutionären, neo-leninistischen, avantgardistischen Struktur innerhalb der breiten Sozialrevolte wurde 1983 zerstört, obwohl das sie wesentlich tragende "unterirdische" Netzwerk lokaler Gruppen und Individuen den finsteren Winter der 1980er Jahre überlebt hatte. In den 1990er Jahren nimmt sie an der Festigung des Netzwerkes der centri sociali (besetzte soziale Zentren) teil. Umgekehrt und verwirrenderweise steht die Autonomia auch in Verbindung mit der "diffusen" und "kreativen" Autonomia ("autonomia diffusa"), der "Autonomie des Sozialen", wie sie von der Masse vor allem gegenkultureller Jugendlicher, StudentInnen, arbeitsloser und prekarisierter junger Leute, radikaler Feministinnen, Schwulen und Lesben, StrassenkünstlerInnen gebildet wird und jenen desillusionierter ehemaligen Mitgliedern der Neuen Linken, gebildet wird, die dem dogmatischen Marxismus zunehmend kritisch gegenüberstehen und cani sciolti (herumstreunende Hunde) genannt werden. Die Jugend- und AkademikerInnenarbeitslosigkeit erreichte Mitte der 1970er Jahre einen ersten krisenhaften Höhepunkt. Viele junge Leute vermieden es sogar, nach Arbeit zu suchen und ließen damit die große Verweigerung (innerhalb der Fabrik z.B., AdÜ) im Stich. Sie flohen zunehmend aus dem erstickenden Autoritarismus der traditionellen italienischen Kernfamilie um kollektiv zu leben, oft in besetzten Häusern und Wohnungen. Sie überlebten teilweise durch lavori neri (den wachsenden postfordistischen Sektor unsicherer, kurzer, niedrig bezahlter, deregulierter Jobs und durch Schwarzarbeit) und teilweise durch massenhafte Diebstähle in Supermärkten und Restaurants, aber auch durch die Erzwingung von freiem Eintritt zu Kinos und Konzerten durch (offensives) Schwarzfahren in den öffentlichen Buslinien. Dies war das (soziale) Meer, in dem der Fisch AO schwamm, aber es war nicht unbedingt die ideale Umwelt. Die resepktlosen Stadtindianer der 77er Bewegung verspotteten nicht nur erbarmungslos die institutionalisierte Linke, sie machten sich auch über die exzessive Ernsthaftigkeit und Überheblichkeit der revolutionären Linken lustig, schon ihre bloße Vorstellung von Politik und politischer Arbeit führte einige von ihnen dazu, über eine "post-politische Politik"15 nachzudenken. Es ist jedoch wichtig, die von einigen Teilen der Presse und von den Universitäten herbeifantasierte imaginäre Trennung zwischen friedlichen creativi und gewalttätigen autonomi zu entmythifizieren. Trotz ihrer unterschiedlichen politischen Methoden und Ziele scheint es eine bemerkenswerte Interaktion zwischen diesen beiden Typen der Autonomia gegeben zu haben, vor allem in der 1977er Bewegung: Ein weiterer Beweis, dass die Trennung zwischen kulturellen und politischen Sozialbewegungen, wie sie von Soziologen wie Melucci16 behauptet wird, möglicherweise eher formell als real ist. In diesem Interview umreisst Bologna eine operaistische Methodologie zur Untersuchung der Geschichte und Klassenzusammensetzung der autonomen Arbeiterbewegung in Italien, gegründet auf den Querverbindungen zwischen politischen Eliten, Intellektuellen und Massenbewegung, zwischen Spontaneität und der Organisation von Mikrosystemen des Kampfes während dreier Generationen politischer Basismilitanter von den 1950er bis zu den 1980er Jahren. ![]() |
![]() |
![]() |
![]() ![]() ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Cuninghame: Bologna: Manchmal interpretieren wir und manchmal antizipieren wir. Manchmal haben wir eine größere Fähigkeit auf neue Perspektiven hinzuweisen oder der Bewegung eine Identität zu geben. Aber die meiste Zeit waren wir diejenigen, die einen Input erhalten haben. Am Anfang gab es eine Fähigkeit, eine Graswurzel-Kreativität, und deswegen eine Fähigkeit zur Selbstorganisation, ein Bewusstsein, und über allem ein Wissen, ein politisches Know-How, das die Systeme des Kampfes und die Organisationsmöglichkeiten in Gang brachte; all das gab uns den Input. Mit anderen Worten, eine Reihe von Aspekten der Realität strömte auf uns ein und wir reflektierten sie. Gleichzeitig gab es eine Reihe von subjektiven Verhaltensweisen, von zeitgenössischen Kulturen, von Spannungen, von Projekten, die wir späterhin versuchten ex post zu ideologisieren oder in ein breiteres Programm, ein grösseres Bild oder sogar ein Netzwerk einzuordnen. Nun, ich denke die grundlegende Methode ist die, immer diese beiden Pole strikt auseinanderzuhalten und zu versuchen, die Dialektik in dem Sinne zu identifizieren, dass sie zwei verschiedene Pole sind. Die reale Geschichte ist ein wenig die des wiederholten (Zusammen-) Treffen und der Trennungen dieser Pole. Cuninghame: Bologna: Die politische Elite, eine mit Wissen ausgestattete Schicht, und andererseits die Massenbewegung, eine Schicht, die nur (ihre) Wünsche, Verlangen, Spannungen undsoweiter hat. In Wirklichkeit ist die Beziehung dialektisch: Es gibt die Massenbewegung, die schon mit großem Wissen ausgestattet ist, die schon über ein ziemlich fortgeschrittenes System politischen Wissens, politischen Know-Hows verfügt, die in der Lage ist, Kampfformen zu entwickeln, die offensichtlich mit den Gewerkschaften, mit der Partei brechen - und die uns den Beginn dieses Austauschs zwischen Intelligenz und Militanten anbieten kann. In diesem Sinne ist der beste Lehrer, Geschehnisse auf diese Weise zu interpretieren Danilo Montaldi18. Das grundlegende Konzept dieser Forschungsmethode ist die These "Spontanität existiert nicht". Was wir "Spontanität" nennen, ist in Wirklichkeit die Bildung von Mikrosystemen des Kampfes, die bereits politisch sehr reif sind, da sie von einer Generation von Militanten bestimmt wurden, die aus der resistenzia kamen. Oder sie waren Arbeitermilitante, die schon Gewerkschaftsaktivisten gewesen waren, die individuell und allmählich in aller Stille mit den Gewerkschaften gebrochen und ihre eigene Autonomie entwickelt hatten. Aber sie sind lebendige Menschen, sie sind eine Generation, und deshalb, vielleicht, auch eine Art politischer Elite, eine die sehr reif ist. Die ersten comitati di base (CDB, Basisausschüsse) bei Pirelli wurden von ehemaligen gewerkschaftlichen Vertrauensmännern der CGIL19 und ehemaligen lokalen Führern der PCI gebildet. Montaldi veröffentlichte dieses wunderbare Buch Militanti Politici di Base20, in dem er die Geschichte und die Theorie dieser Schicht beschreibt, dieser Generation revolutionärer Militanter, die beinahe alle Arbeiter oder mit ländlichen (Arbeits-) Kämpfen verbunden waren. Sie hatten eine solch tiefgründige politische Kultur, solch eine weitreichende Fähigkeit sich zu organisieren, Kampfformen zu entwickeln, die, so Montaldi - und das ist der Teil, wo er Recht hat - der wirkliche Sauerteig, der wirkliche Antrieb zu den Kämpfen sind, die vor und während den Quaderni Rossi21 stattfanden. Die Quaderni Rossi waren der Versuch, diese Dinge zu verstehen und sie zu theoretisieren. Jedoch waren innerhalb von Quaderni Rossi nur ein paar Leute, besonders Romano Alquati, in der Lage, diese Dinge zu verstehen, während die anderen nach meiner Meinung völlig abseits standen. Sie warfen nicht einmal dieses Problem auf. Bologna: Die erste Generation dieser Bewegungen war die schon vorher erwähnte, von den 1950ern bis zur Mitte der 1960er Jahre. Diese Generation wurde durch den Typus der autonomen Arbeiterkämpfe geprägt, der von den Quaderni Rossi und Classe Operaia23 (Arbeiterklasse) untersucht wurde. Ab 1966/67 zeigte sich eine zweite Generation, die der "1968er". Sie kam nicht, wie noch die erste, aus einer kommunistischen Tradition oder Geschichte. 1967/68 entstand die Generation der Neuen Linken, sie bestand aus Militanten die die Sprache des Antagonismus, der Revolution teilweise von uns gelernt hatten. Und hier wurde unsere Rolle wirklich wichtig. Unsere Rolle war während der ersten Phase nicht wichtig gewesen, als wir den Typus der Arbeiterkämpfe, der Mitte der 1960er bis Mitte der 1960er Jahre stattfand, untersuchten. Wir wurden erst wichtig in den Bewegungen von 1968, die nicht von ArbeiterInnen, sondern von StudentInnen getragen wurden. Da spielte die politische Elite eine vorantreibende ("avantgardistische") Rolle. Die Synthese all dieser Dinge geschah 1969, als die operaistische politische Elite eine Strategie in die 1968er Bewegung einbrachte, die erfolgreich sein sollte, während andere anti-autoritäre Eliten eindrucksvoll besiegt und marginalisiert wurden. Es war 1969 als sich die gesamte Bewegung vor den Toren von FIAT befand, dass wir wirklich gewonnen hatten. Der Sieg der operaistischen Tendenz zwang die gesamte Studentenbewegung dazu, sich mit den Arbeiterkämpfen zu beschäftigen. Der Operaismus war viel weiter entwickelt, intellektuell stärker und er hatte ein größeres politisches Know-How, weil er von den Arbeiterkämpfen wusste und die anderen Strömungen nicht. Er führte einen erfolgreichen Dialog mit den kämpfenden ArbeiterInnen und der Geschichte der Arbeiterkämpfe, während die anderen dies nicht taten. Zu diesem Zeitpunkt trat zur Arbeiterbewegung, die von den alten politischen Militanten mobilisiert worden war, ein zweite Generation von Arbeitern hinzu. So wurden verschiedene politische Generationen von Arbeitern in den Fabriken geformt. Cuninghame: Bologna: ![]() |
![]() |
![]() |
![]() ![]() ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
Cuninghame: Bologna: Auf diese Weise breitete sich die Intelligenz aus und wurde eine weitgestreute "diffuse Intelligenz", die gegenüber der Arbeiterklasse nicht als eine politische, leninistische Intelligentsia handelte - dies ist sehr wichtig zu verstehen. Statt dessen handelte sie als neue Intelligenz innerhalb der Berufe. Ein Arzt konnte eine Versammlung, ein Basiskomitee von ÄrztInnen ansetzen und eine alternative Medizin schaffen, Kämpfe gegen die Hierarchie in der Medizin, gegen die pharmazeutischen Fabriken und die Pharma-Medizin, gegen die hierarchische Beziehung zwischen Arzt und Patient beginnen. So begann dieser lange Marsch innerhalb der medizinischen Institutionen, der, nach meiner Auffassung, einer der interessantesten Aspekte der italienischen Revolution war und von Basaglia26, Maccacaro und Terziamboli zustande gebracht wurde. Wir kennen viele große WissenschaftlerInnen, die einige Ansichten über das Leben in den italienischen Krankenhäusern und die italienische Medizin vollkommen verändert haben, mindestens in/für einen gewissen Zeitraum. Dasselbe geschah unter den RichterInnen, unter AnwältInnen, auch, aber eher weniger unter KünstlerInnen und auch sehr wenig unter den SchriftstellerInnen, von ein paar Ausnahmen wie Balestrini27 abgesehen. Dies war eine Erscheinung von größter Bedeutung! Die Publikation, die dieses Phänomen der Intellektuellen aller Disziplinen, die ihr technisches Wissen nutzten, um die Grundeinstellung der kapitalistischen Wissenschaften und Technologie zu verändern, am besten repräsentierte war die Zeitschrift Sapere (Wissen), herausgegeben von Maccacaro. Ich war der einzige Vertreter des klassischen Operaismus, der an diesem Magazin teilnahm. Jedoch konnten wir die inhaltliche Linie der Zeitschrift erfolgreich beeinflussen, da wir unsere eigene besondere Vision in Fragen der Technologie, der Wissenschaft hatten, die sehr viel klarer, sehr viel systematischer war. Sapere war die erste Zeitschrift, die eine Debatte auf wissenschaftlicher Basis über Ökologie und Umweltschutz eröffnete, die völlig verschieden von der der ÖkologistInnen der 1980er Jahre war, weil unsere grundlegende These war, dass "Ökologie" vor allem mit der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft beginnt. Aus diesem Grund begannen wir mit dem Thema "Gifte in der Fabrik und am Arbeitsplatz". Einer der Protagonisten dieser Debatte innerhalb der Zeitschrift und der italienischen Bewegung war Luigi Marra, ein Techniker bei Montedison28 in Castellanza, der ein Kader war - und die außergewöhnlichste Persönlichkeit in der realen Autonomie im Italien der letzten 20 Jahre. Er ist ein Labortechniker, der bei einer Explosion am Arbeitsplatz beide Unterarme verlor und seitdem sein ganzes Lebens dem Kampf gegen Gift und anderer Gefahren innerhalb der Fabrik gewidmet hat. Er hat ein riesiges Wissen über diese Themen angesammelt, wobei ihm viele Wissenschaftlern, Physikern, Biologen und Ärzten geholfen haben. 1976 explodierte die Fabrik ICMESA in Seveso und verseuchte ein weite Gebiete mit großen Mengen von Dioxin, einer hochgiftigen Substanz. Das war der erste größere ökologische Unfall, der Bhopal und Tschernobyl vorwegnahm. Es war das erste Mal, dass die öffentliche Meinung sich der Möglichkeit einer Umweltkatastrophe bewusst wurde. Keiner der von den Vereinten Nationen oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gesandten Wissenschaftler erkannte, dass Dioxin das Problem war. In der ersten Woche stocherten sie nur im Nebel herum. Die Arbeiter waren diejenigen, die Dioxin als das Problem entdeckten, besonders diejenigen, die von Luigi Marra organisiert worden waren. Sie kannten den chemischen Prozess und die möglichen Unfälle, die daraus resultieren konnten und befragten die Arbeiter von ICMESA, die nicht reden wollten, die Angst hatten. Sie rekonstruierten, zusammen mit den Arbeitern von ICMESA, den gesamten Produktionszyklus, indem sie alles berichteten, was passiert war: Wofür war dieses Ventil und wie hatte es reagiert? Am Ende bekamen sie heraus, dass die einzige Substanz, die bei dem Unfall entstanden sein konnte, Dioxin war. Das war ein Beispiel für ihre sehr großen technischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten. Das war unser ökologischer Kampf, er war nicht so wie dieser Mist von den Grünen29! Und so kommen wir jetzt zu den Jahren 1976-77. Die 1977er Bewegung war etwas ganz anderes. Sie war eine neue und interessante Bewegung, da sie erstens nicht wirklich Wurzeln in vorhergehenden Bewegungen hatte, oder falls sie sie hatte, auf eine vielschichtige Art und Weise. Sie hatten eindeutig eine andere soziale Basis, die sich von der der Bewegungen von 1968 und 1973 unterschied. Ihre soziale Zusammensetzung basierte auf einer Jugend, die mit den politischen Eliten, inklusive den Eliten von 1968, also auch mit den Gruppen wie Lotta Continua und selbst der Autonomia Organizzata gebrochen hatte oder sie zurückwies. Sie hatte nicht nur mit der traditionellen kommunistischen Bewegung gebrochen sondern auch mit (den Folgen von, AdÜ) 1968. Sie brach völlig mit der Vision des Kommunismus, während letztlich auch der Operaismus von sich dachte, er sei der Vertreter des "wahren Kommunismus". Die 77er Bewegung wollte absolut nicht der "echte Kommunismus" sein. Cuninghame: Bologna: Welche Beziehung hatte nun die Autonomia, speziell die Gruppe um Negri oder selbst Primo Maggio30 zu dieser Bewegung, verglichen mit all den anderen marxistisch-leninistischen, ,maoistischen politischen Eliten oder Gruppen wie Lotta Continua? Warum waren wir einzigen, die mit der 77er Bewegung in Dialog treten konnten? Vielleicht weil wir darin erfolgreich waren, zu verstehen, was die tiefere Natur dieser Bewegung war? Wir waren deshalb erfolgreich, weil wir es besser als die anderen verstanden, dass diese Bewegung alle Regeln gebrochen hatte und weil wir selbst nie besonders an Regeln gehangen hatten, konnten wir die Bewegung besser interpretieren als andere, sie verstehen und sie besser akzeptieren als andere. Cuninghame: Bologna: Cuninghame: Bologna: Schließlich ist der grundlegend zu klärende Punkt oder die zu stellende Frage: Was war die Autonomia? Was verstehen wir darunter? Kann sie definiert werden? Es besteht immer die Gefahr, die Autonomia als politische Elite, als eine neue Art des politischen Denkens oder als die Beschreibung einer Massenbewegung oder etwas anderes zu verstehen. Sie sehen, das ist nicht leicht. Wo können wir anfangen? Ich glaube zuerst muss genau beschrieben, müssen die Unterschiede, besonders die zwischen den verschiedenen Ebenen artikuliert werden. Als ein Ergebnis haben wir manchmal die autonomia als alle drei der genannten Beschreibungen verstanden. Deshalb müssen wir voraussetzen, dass dieses Wort "Autonomie" gleichzeitig sehr komplex und höchst vieldeutig ist. Es ist wichtig, aus dieser Mehrdeutigkeit nicht etwa noch größere Widersprüchlichkeiten herauszulesen. Man sollte im Gedächtnis behalten, dass das Denken der Autonomia Organizzata und im Besonderen das von Toni Negri in der Tat ein Denksystem ist, das in einem gewissen Sinne Mehrdeutigkeit theoretisch bearbeitet: Genau die zwischen politischen Eliten, Ideologie und Bewegung. Dies ist der Versuch, den Leninismus abzulehnen, und im Wesentlichen zu sagen, dass die heutigen politischen Formen dynamische politische Formen sind, die sich öffnen und schließen, die nicht statisch sind. Offensichtlich war es eine Art des Verbergens der Dialektik zwischen politischer Elite und Bewegung. Folglich muss man sehr vorsichtig mit dieser Art von Beschreibung sein, da man sonst in der Klemme steckt. Ein weitere Gefahr ist, das "Calogero-Theorem"31 gedankenlos zu übernehmen. Calogero überbewertet und übertrieb die Rolle der Autonomia Organizzata indem er die historische Beziehung umkippte und behauptete: "Die autonomia ist verantwortlich für dies alles". Die Geschichte zeigt genau das Gegenteil: All dies erklärt die Autonomia Organizzata und nicht umgekehrt. Wenn wir nicht auf diese Unterscheidung achten, reproduzieren wir ausdrücklich, wenn auch unbewusst, das Calogero-Theorem. ![]() |
![]() |
![]() |
![]() ![]() ![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
|
![]() |
Inhalt readme.txt go.to/online-demo New Actonomy Anmerkungen KG Interview KG Das umkämpfte Subjekt Multikulturalismus Déjà vu |
Inhalt readme.txt go.to/online-demo New Actonomy Anmerkungen KG Interview KG Das umkämpfte Subjekt Multikulturalismus Déjà vu |