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Forzalavoromente in Globalizzazione

Mentale Arbeit in der Globalisierung


com.une.farce


Franco 'Bifo' Berardi gehört zu den Theoretikern des italienischen (Post-)operaismus. Er wurde 1968 Mitglied der Gruppe 'Potere Operaio', deren heute bekanntester Exponent wohl Toni Negri war. Bifo trennte sich von der Gruppe nach deren leninistischer Wendung Anfang der 70er Jahre. In der Folge gründete er mit anderen das Zeitschriftenkollektiv A/traverso und gehörte Mitte der 70er Jahre zu den MacherInnen von Radio Alice in Bologna. Nach der Niederschlagung der 77er Bewegung, in der die antagonistischen kulturellen Konzepte jener Jahre ihren massivsten Ausdruck fanden, beteiligte er sich zu Beginn der 80er Jahre an jener Analyse der kapitalistischen Umstrukturierungsprozesse in (Nord)italien, die bis heute die materielle Grundlage der Thesen der italienischen Postoperaisten bildet. Einen wesentlichen theoretischen Bezugspunkt bildeten für sie die Grundrisse-Fragmente von Karl Marx (Wir haben diejenigen Stellen, auf die sich implizit auch der folgende Text bezieht, nochmals hervorgekramt). Bifo gehört zu den Herausgebern der Zeischriften- und Verlagsedition 'Derive Approdi' [übersetzt etwa: 'Deterritorialisierungen - Reterritorialisierungen', vgl. Glossar].

Bifo wird auf Einladung von com.une.farce vom 6. -13. Februar 1999 eine "Face-to-Face Vortrags- und Diskussionsreise in Süddeutschland unternehmen (Frankfurt, Stuttgart/Ludwigsburg, Reutlingen/Tübingen und München). Der hier übersetzte Text stammt aus dem Jahr 1997 und wurde zuerst in "EXIT - il nostro contributo all'estinzione della civiltà" veröffentlicht. In der nächsten com.une.farce (No. 2) soll ein Ausschnitt aus seinem Buch "Neuromagma"1 übersetzt werden.

Autonomes Zentrum Marbach a.N.



In den letzten Jahren haben die Worte "innovativ" und "konservativ" eine seltsame semantische Umkehrung erfahren. Seit dem Zusammenbruch des Staatskommunismus wird das Bündel von Werten und Perspektiven, die sich mit seiner Geschichte verbinden, als konservativ etikettiert. Daran ist etwas Wahres. Der Kommunismus stellte im guten wie im schlechten ein radikales Transformationsprojekt innerhalb des Horizontes der Industriegesellschaft dar. Und mit der Auflösung des industriellen Modells und der Paradigmen, die die Arbeits- und Industriegesellschaft konstituieren, schwindet auch die Kraft des Kommunismus, sowohl im Hinblick auf Interpretation und Analyse als auch im Hinblick auf die Formulierung eines politischen Projekts. Zugleich erscheint der hyperkapitalistische Liberalismus als innovative Kraft. In einem gewissen Sinne ist auch das richtig - insofern, als es der Liberalismus war, der die Prozesse der Postindustrialisierung und Globalisierung beschleunigte. Und trotzdem liegt in dem Ganzen ein begrifflicher und konzeptueller Mißbrauch.

Die beschleunigten Veränderungen (Auflösung der industriellen Produktionszyklen, Zerlegung der Arbeitsformationen, Neuzusammensetzung eines globalen Zyklus informatisierter Arbeit) führen dazu, daß das epistemisch-praktische Paradigma des Kapitalismus immer dysfunktionaler wird. Das Kapital hat sich zum Gesetz [Code] gemacht, das die Ökonomie bestimmt [codiert], und die Ökonomie hat sich zum Gesetz gemacht, das den Alltag, das Wissen und die Intelligenz neu bestimmt [codiert]. Diese Art von Gesetzen wirkt in verkürzender, pathologischer Weise. Die digitale technologische Innovation bringt ein Universum hervor, das nicht gemäß dem quantitativen und auf Warenaustausch basierenden mechanisch- industriellen Paradigma geregelt werden kann. Eben dort, wo der Antrieb der Innovation liegt, im Zyklus der kreativen Produktion, verlieren die Gesetze der Ökonomie ihre Bedeutung. Die unbegrenzte Duplizierbarkeit der Produkte der menschlichen Intelligenz macht das Konzept des Eigentums unbrauchbar. Das Immaterielle läßt sich nicht zum Eigentum machen: wenn ich ein materielles Objekt benutze, kann es niemand anderer benutzen; aber wenn ich ein immaterielles Gut gebrauche, das ohne Kosten vervielfältigt werden kann, macht es keinerlei Sinn, es als Eigentumsgegenstand zu betrachten. Je größer die Produktivkraft der Arbeit ist, desto mehr Arbeitslosigkeit und Elend bringt sie hervor: das ökonomische Gesetz wird widersinnig. Trotzdem setzt die Ökonomie ihr Gesetz immer wieder von neuem durch. Je unbegründeter ihr Herrschaftsanspruch ist, desto despotischer wird er eingefordert.


Das glücklichste Jahr

Das Editorial der Jahresausgabe des Economist, 'The World of 1997', beginnt mit einer bestürzenden Behauptung: "Das Jahr 1997 wird ein gutes Jahr werden, ein außergewöhnlich gutes Jahr. Eine der vielen Segnungen: Es wird Friede auf Erden sein." (...)

Der Economist hat seine Gründe anzunehmen, daß das Jahr 1997 ein außerordentlich glückliches Jahr werde. Tatsächlich können wir nach den Berechnungen der Buchhalter der angesehenen Londoner Zeitschrift davon ausgehen, daß das Welt- Bruttosozialprodukt um 4% wachsen wird. Halleluja.

Und was ist die Moral von der Geschichte? Natürlich gibt es eine Moral, und die Moral ist einfach: Das Wohlergehen, der Frieden, das schlichte Überleben der Menschheit stehen in entschiedenem, unumkehrbarem und grundsätzlichem Widerspruch zum ökonomischen Modell des Kapitalismus. Achtung: Jeder Priester des liberalen Glaubens wird Euch erklären, daß die Dinge gerade andersherum liegen. Das heißt: wenn sich die Leute in Algerien niedermetzeln und die Lebenserwartung in Rußland sinkt, liegt das gerade daran, daß die Regeln des Kapitalismus noch nicht in reinster Form angewendet werden, so wie es die Professoren von Chicago lehren. Oh yes. Aber die Professoren von Chicago erzählen ein fanatisches Märchen: Sie erfinden einen Ort, einfach und rein, genannt der Markt. Wenn erst jedes Element der Differenzierung ausgemerzt ist, wenn alle Menschen (theoretisch) in statistisch erfaßbare Größen umgewandelt worden sind, wird die unsichtbare Hand von Adam Smith in Vollkommenheit zu wirken beginnen und in der Selbstregulierung der unzählbaren ökonomischen Egoismen wird sich so, in magischer Weise, das Beste für die Menschheit verwirklichen. "Aber eine derart reine Gesellschaft existiert nicht, und der Ausgleich der oekonomischen Egoismen vollzieht sich heute eher in Form einer unaufhaltsamen Ausweitung von dem, was gemeinhin mit Kriminalitaet, Korruption und Gewalt bezeichnet wird. Auf diese Weise produziert ein Maximum an Liberalismus ein Maximum an Unfreiheit für die größte Zahl, wenn nicht für alle ökonomischen Akteure, auch für die starken unter ihnen. Deswegen kann Immanuel Wallerstein in seinem neuesten Buch 'After Liberalism'2 behaupten, daß, ungeachtet des Scheins, der Liberalismus auf diesem Planeten tot ist. Allerdings droht sein Kadaver den Planeten selbst verwesen zu lassen und mit ihm seine Bewohner.

Nun die Theoretiker der Globalisierung. Diese versprechen eine leuchtende Zukunft, wenn schon nicht für alle (man kann nicht das Unmögliche wollen) dann doch für einen Teil, sagen wir für 5-10% der Menschheit. Die Theoretiker der Globalisierung und der Excellence (einen schwachsinnigeren und zynischeren Ausdruck konnten sie nicht finden) skizzieren eine Welt, in der eine Minderheit von Übermenschen [dt. im Original], auf ewig miteinander verbunden in einem planetarischen Netzwerk der Entscheidungsträger und Manager, in rationaler Weise das regiert, was sich auf dem Planeten noch regieren läßt: Die Finanzen, die Leitlinien der grundlegenden technologischen Innovation, die Schnittstellen zwischen ökonomischer Macht und technisch-kommunikativem Netz. Rosabeth Moss Kanter behauptet in einem widerlichen Buch mit dem Titel 'World Class', daß die Welt der Zukunft den Kosmopoliten gehöre.3 Wer soll das sein?

"Die Kosmopoliten sind reich an drei unantastbaren Gütern, den drei 'C', die in einer globalen Ökonomie Vorherrschaft und Macht begründen: Concepts - das überlegene Wissen und die neuesten Ideen, Competence - die Fähigkeit, an jedem Ort auf höchstem Niveau zu agieren, Connections - die besten Beziehungen, die Zugang zu den Ressourcen der anderen und den Organisationen in aller Welt verschaffen.

Dank der Tatsache, daß die Kosmopoliten die besten und neuesten Konzepte liefern, ein Höchstmaß an Kompetenz besitzen und hervorragende Verbindungen haben, erringen sie Einfluß auf die Personen vor Ort."

Welch brillante Ideen, wenn auch ein bißchen à la Hitler. Wie könnte man übersehen, daß die Theorie der Excellence eine (zugegebenermaßen etwas schwache) Neuauflage des nazistischen Übermenschentums ist (das nichts mit dem sublimen Desinteresse Nietzsches zu tun hat)? Vorsicht: ich möchte keinesfalls behaupten, daß Rosabeth Moss Kanter, wie abstoßend ihre Ideen auch sein mögen, etwas Unsinniges sagt. Ganz im Gegenteil: Die Kosmopoliten, von denen sie spricht, existieren wirklich. Sie sind die Verbindungsstellen der Automatismen, die der planetarische biomechanische Superorganismus zu entwickeln im Begriff ist, seit der Prozeß der Digitalisierung begonnen hat, die Macht in eine virtuelle Dimension zu verlagern und Schnittstellen der techno- sozialen und techno- linguistischen Kontrolle einzurichten.


Mondialisierung und Globalisierung

Einige, darunter Paul Hirst und Grahame Thompson, haben neuerdings die Theorien der Globalisierung vom Standpunkt der klassischen Ökonomie aus kritisiert: "Die Globalisierung ist ein akzeptabler Mythos für eine Welt ohne Illusionen, aber sie ist ein Mythos, der uns jeder Hoffnung beraubt."4

Dieses Buch legt mit Hilfe einer beeindruckenden und wohlorganisierten Menge von Daten dar, daß man von Globalisierung nicht als einem neuen Phänomen sprechen kann und daß ihre Bedeutung übertrieben worden ist. Die Warenflüsse waren im Gegenteil in der geschichtlichen Periode zwischen 1870 und 1914 stärker integriert als heute. Aber die Argumentation von Hirst und Thompson verliert den zentralen Aspekt der Globalisierung aus dem Blickfeld. Dieser Aspekt betrifft weder die Integration des Marktes noch die Zusammensetzung des Kapitals, aber wesentlich die Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit. Der Kern des Problems ist nicht die Entstehung multinationaler Unternehmen oder die Geldzirkulation. Der Kern des Problems ist die molekulare Veränderung der menschlichen Arbeit und der weltweiten produktiven Interaktion.

Die semiotische Arbeit (die Arbeit an/mit Zeichen) stellt zugleich die umfassende Form und das verflüssigende Element des neuen, weltweiten Produktionssystems dar. Diese Arbeit ist deterritorialisiert, die Form des Netzes wird zur umfassenden Form, in der sich die gesellschaftliche Arbeit auf planetarer Ebene neu zusammensetzt. In der Vergangenheit sprachen wir von internationaler Arbeitsteilung, aber heute hat dieser Ausdruck keine Bedeutung mehr. Vielmehr sind wir Zeugen eine Art von Integration deterritorialisierter und beweglicher Fragmente von Arbeit durch eine netzartige Maschinerie. Immer häufiger stellt sich Arbeit juristisch als unabhängige, unternehmerische Arbeit dar. Aber tatsächlich ist die mentale Arbeit in jeder Hinsicht abhängige Arbeit, weil sie von dem Netz, von den Verbindungen abhängig ist. Und genau dies entgeht einem rein ökonomischen Ansatz, weil sich die mentale Arbeit nur schwerlich auf die Kategorien der ökonomischen Analyse reduzieren läßt.

Das, wovon Hirst und Thompson sprechen, ist ein altes Phänomen, das dem Kapitalismus seit dem 16. Jahrhundert wohlbekannt ist: der Weltmarkt, die Mondialisierung der Märkte. Was ist der Unterschied zwischen Mondialisierung und Globalisierung? Die beiden Begriffe bezeichnen nicht die gleiche Sache, den gleichen Vorgang.

Der Prozeß der Mondialisierung definiert sich durch einen wachsenden Warenaustausch zwischen verschiedenen Zonen des Planeten, durch eine zunehmende Integration der Märkte und infolgedessen der Lebensstile, die mit dem Konsum verknüpft sind. Steigende Anteile des Bruttosozialprodukts der produzierenden Länder werden in geographischen Regionen konsumiert, die weit vom Ort der Produktion entfernt liegen. Der Prozeß der Globalisierung bringt [dagegen] eine Integration der Produktionszyklen mit sich. Steigende Anteile der Produktion sind das Ergebnis einer weltweiten Montagekette, einer horizontalen Integration zwischen verschiedenen Momenten des Arbeitsprozesses (Projektierung, Herstellung der Halbfertigprodukte, Montage und Endkontrolle, Design, Vermarktung), die sich in verschiedenen Gebieten der Erde abspielen. Während der Prozeß der Mondialisierung die Mobilität der fertigen Produkte bedeutet, meint der Prozeß der Globalisierung eine wirkliche und tatsächliche Deterritorialisierung des Produktionsprozesses.

In der Phase, die wir als Globalisierung definieren, besteht zwischen finanzieller Investition und der Kontrolle über die Produktion kein Zusammenhang mehr. Wer sein Kapital investiert, ist am Geschäftserfolg des Unternehmens interessiert, in das er investiert hat, aber er muß nicht einmal wissen, welche Waren dieses Unternehmen produziert. Die Trennung zwischen Tauschwert und Gebrauchswert ist endgültig. Die Zirkulation des Werts ist völlig losgelöst von der materiellen Zirkulation der produzierten Güter. Das Gut, das gehandelt wird, ist immer häufiger nichts als Information.

Es ist offensichtlich, daß dieser Übergang, den wir Globalisierung nennen, erst durch die Verbreitung von Kommunikations- und Virtualisierungstechnologien möglich wurde: Der Produktionsprozeß ist zu einem guten Teil immaterialisiert, was produziert wird, sind also Informationen. Im allgemeinen sind die Produktionssektoren, in denen materielle Gegenstände in klassisch industrieller Weise durch physische Energien bearbeitet werden müssen, in den Randgebieten des internationalen ökonomischen Systems angesiedelt, dort, wo Handarbeit zu niedrigen Kosten zur Verfügung steht.

Dieser Prozeß, der sich heute voll entfaltet, wurde von Felix Guattari 1981 in einem Essay mit dem Titel 'Der weltweit integrierte Kapitalismus'5 auf den Punkt gebracht. Nach einer Analyse des reinen Simulationscharakters des Kalten Krieges zeigt Guattari die grundlegende geopolitische und ökonomische Integration der beiden Blöcke auf. Der Ausgangspunkt der Analyse Guattaris erschließt sich aus den ersten Worten des Buches: "Das Kapital ist keine abstrakte Kategorie, sondern ein semiotischer Operator."

Was heißt das? Während sich der Arbeitsprozeß durch Deterritorialisierungen aller Art fragmentiert, ausdehnt, auflöst und wieder neu zusammensetzt, integriert der Prozeß der Verwertung all die Fragmente der kapitalistischen Produktion, und zwar nicht nur (nicht mehr nur) durch das abstrakte Wirken des Wertgesetzes, sondern durch die konkrete und direkte Wirkung der Technologien, die es ermöglichen, Informationen ohne Zeitverzögerung zu transportieren. "In der marxistischen Theorie ist es der abstrakte Wert, der die Gesamtheit der menschlichen Arbeit über-codiert, sofern sie der konkreten Produktion von Tauschwerten dient. Aber die aktuelle Veränderung des Kapitalismus tendiert dahin, daß alle Gebrauchswerte zu Tauschwerten werden und alle produktive Arbeit von der Maschinerie abhängig wird. Der Warentausch selbst hat sich auf die Ebene der Maschinerie verlagert, seit die Rechner über Kontinente hinweg kommunizieren und den Managern die Handelsklauseln diktieren. Die automatisierte und informatisierte Produktion erhält ihre Konsistenz nicht mehr von einer menschlichen Grundlage, sondern aus der Kontinuität der Maschinerie, die alle menschlichen Funktionen und Aktivitäten durchdringt, umschließt, zerlegt, miniaturisiert und verwertet."

Wenn Guattari sagt, daß das Kapital ein semiotischer Operator sei, heißt das also, daß die Durchdringungskraft des kapitalistischen Modells nicht mehr nur von einem Effekt abstrakter Über-Codierung abhängt, der sich im Moment des Warentauschs manifestiert.

Ebenso hängt sie von der technologisch vermittelten Integration der unterschiedlichen Momente der Warenproduktion ab, von der Projektierung bis hin zu den technowissenschaftlichen, informationellen, materiellen Aspekten des Produktionsprozesses, usw. Guattari läßt sich nicht im geringsten durch das Spiel der Simulationen ablenken, das zu Beginn der Achtziger auf der Welt-Bühne aufgeführt wurde, sondern deutet direkt auf die langfristige Entwicklungslinie und nimmt so den Prozeß vorweg, der sich in den Neunzigern vor unseren Augen entfaltet:

a.) Durchsetzung (oder vielmehr Innervation, Durchdringen, invasive Wucherung) des kapitalistischen Modells, verstanden als semiotischer Operator, als Regel für eine verallgemeinerte Trans-Kodifizierung.

b.) Überhandnehmen der Ränder, einerseits in Form von Überbleibseln, Wiedergängern, Reterritorialisierungen (Identitätsobsessionen, Nationalismen, Fundamentalismen und Tribalismen), andererseits in Form von Minoritäten, Autonomien, Deterritorialisierungen (Subkulturen, provisorische Gemeinschaften, Kontaminierungen der [herrschenden] Kultur).


Verkabelung des menschlichen Schicksals und Kommunitarismus der Zukunft

Die Globalisierung ist Folge einer Integration von Technologie, Semiose und Ökonomie. Dank der elektronischen Technologien kann die Ökonomie die semiotische Aktivität integrieren und überkodieren. Die Globalisierung erscheint als Faktor, der eine Verkabelung des kollektiven menschlichen Schicksals bewirkt. Es gibt keine Möglichkeit mehr, die Zustände lokal zu verändern, weil die Grundgrößen der sozialen Wirklichkeit durch das komplexe Spiel globaler Wechselwirkungen bestimmt sind, die sich als immer unabhängiger vom politischen Willen erweisen.

Der Diskurs der Apologeten der Globalisierung ist zugleich unmenschlich in ethischer und kümmerlich in konzeptueller Hinsicht. Sie sagen, man könne sich der Globalisierung nicht widersetzen, weil diese ein intrinsischer Effekt der neuen Technologien sei (was unbestreitbar ist), und daß man man sich folglich auch den sozialen Konsequenzen nicht widersetzen könne, die dieser Prozeß mit sich bringt. Die Grenzen dieser Sichtweise liegen darin, daß es ihr nicht gelingt, sich die Möglichkeit vorzustellen, daß ein neues Paradigma auf der Bildfläche erscheinen könnte, ein Paradigma, das sich nicht mehr auf den Warentausch reduzieren läßt.

In den letzten zwei Jahren hat in Süd-Korea eine Reihe von Arbeiterkämpfen den lange bestehenden Unterwerfungspakt des neuen ostasiatischen Proletariats zerbrochen. Wahrscheinlich werden in den kommenden Jahren in den anderen Ländern Kämpfe ausbrechen, auch in China, das bereits jetzt von ethnischen und sozialen Konflikten erschüttert wird. Aber das wird keine Krise des Globalisierungsmodells herbeiführen, im Gegenteil wird es den Prozeß der Globalisierung, der Mentalisierung und der Verkabelung menschlicher Aktivität beschleunigen.

Wir verfügen über kein Modell, um uns vorzustellen, entlang welcher Linien der Prozeß der sozialen Neuzusammensetzung der mental gewordenen Arbeit ablaufen wird. Zu diesem Zweck [der Re-Organisation der ‘mentalisierten’ Arbeit als sozialer Kraft, d.Ü.] taugt weder das gewerkschaftliche Modell (Verhandlungen über den Preis und die Dauer der geliehenen Arbeit), noch das politische Modell eines Kampfs um die Veränderung der Formen [politischer] Repräsentation. Sowohl das eine wie das andere sind alte Rüstungen, die im Kampf gegen die Herrschaft des industriellen Kapitalismus nützlich waren. Aber jetzt sind solche Waffen stumpf geworden. Gewerkschaftliche Verhandlungen sind eine stumpfe Waffe, weil das Verhältnis zwischen abhängiger Arbeit und Kapital vollkommen abstrakt, beweglich, jederzeit fragmentierbar und neu zusammensetzbar geworden ist. Im Zyklus der mentalen Arbeit gibt es keine Arbeiter mehr, sondern lediglich Fragmente verfügbarer Arbeit.

Das Quantum der Arbeitszeit, von dem Marx sprach, war eine Abstraktion. Die Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus hat sich zur Aufgabe gemacht, die Abstraktion zur Konkretion zu führen, wie es häufig mit Konzepten von Marx geschieht. Heute hat sich diese Abstraktion materialisiert, denn das weltweite computerisierte System kann Fragmente abhängiger menschlicher Zeit zusammensetzen, die an verschiedenen Orten des Planeten erbracht werden, unter unterschiedlichen Bedingungen und in [sozialen] Kontexten, die nichts voneinander wissen. Der einzige Kommunikationskanal zwischen den diversen Fragmenten der atomisierten planetaren Arbeit besteht in der computerisierten Maschinerie, die sie zusammensetzt.

Und noch stumpfer ist die Waffe des politischen Kampfes, des Wechsels der politischen Vertretung, seitdem die politischen Vertreter ungeachtet ihrer hysterischen Entscheidungsfreude überhaupt nichts mehr regieren, weil die politische Repräsentanz durch technosoziale und technolinguistische Schnittstellen ersetzt wird, die in der Lage sind, die sozialen Beziehungen wirksam in ihrer materiellen Zusammensetzung zu gestalten. In diesem Sinn können wir sagen, daß die Unterscheidung zwischen rechts und links keine Bedeutung mehr hat; denn die politische Klasse entscheidet nicht über die Richtung, in der die Gesellschaft geht, sondern sie beschränkt sich darauf, die Anweisungen zu ratifizieren, die der Gesellschaft von den techno-sozialen und techno-linguistischen Automatismen auferlegt werden.

Die Globalisierung ist Ergebnis eines Integrationsprozesses zwischen Technologie und Semiose. Der semiotische Prozeß, der Austausch der Zeichen, der sich ununterbrochen zwischen bewußten Organismen abspielt, wird zunehmend von Automatismen beherrscht, die sich in den techno- sozialen und techno- linguistischen Schnittstellen bestimmen. In diesem Sinne können wir sagen, daß die Globalisierung eine Verkabelung des menschlichen Schicksals bedeutet, die Codierung dieses Schicksals in der Sprache der kapitalistischen Ökonomie.

Die Apologeten der Globalisierung sind obszön und dumm, aber die Globalisierung als solche ist alles andere als das. Dumm allerdings sind auch die, die den Widerstand gegen die Globalisierung so predigen, als wäre es möglich, lokalistische Nischen zu verteidigen, oder als ob eine fundamentalistische und traditionalistische Reaktion wünschenswert wäre gegen die kulturelle Homogenisierung, die die Globalisierung mit sich bringt.

Die Globalisierung ist der Horizont, vor dem sich die Modi des kommunikativen Handelns neu definieren. Jenseits des Horizonts der Globalisierung können wir uns Abspaltungen autonomer Kolonien rebellierender Kosmopoliten vorstellen, das Zusammenfließen lokaler Arbeiterkämpfe und Rebellionen der Empfindsamkeit und Intelligenz der Arbeiter der Hohen Technologien.

Das ist der Kommunitarismus, den wir brauchen: die Bildung von Kommunen telematischer Piraten, subliminaler Saboteure, von Gelehrten, die fähig sind, sich von der existierenden Welt zu lösen, die dazu in der Lage sind, neu sprießende und sezessionistische Welten hervorzubringen. Massenhafte Desertion von den Gesetzen, der Arbeit, den Kriegen, den Zugehörigkeiten, vom Gehorsam und von der Verantwortung. Das ist der Kommunitarismus, der kommen wird.

Franco "Bifo" Berardi
Übersetzt vom Autonomen Zentrum Marbach a.N.




Anmerkungen:
1Berardi, Franco: Neuromagma. Lavoro cognitivo e infoproduzione. Rom 1995 (Castelvecchi).<zurück zum Text>
2Wallerstein, Immanuel: After liberalism. New York 1995 (New Press).<zurück zum Text>
3Inzwischen auf deutsch erschienen: Kanter, Rosabeth Moss: Weltklasse. Im globalen Wettbewerb lokal triumphieren. 1996 (Ueberreuter Wirtschaftsverlag).<zurück zum Text>
4Hirst, Paul/Thompson, Grahame: Globalization in question. The international economy and the possibilities of governance. Cambridge/Oxford 1996 (Polity Press).<zurück zum Text>
5Guattari, Felix: Il capitalismo monidiale integrato. Verona 1997 (edizione Ombre Corti).<zurück zum Text>


Kleines Wörterbuch für den angewandten Post-Operaisten

Ein  P a r a d i g m a   ist ein Beispiel, das eine umfassende Tendenz zum Ausdruck bringt.  D e t e r r i t o r i a l i s i e r u n g  meint, abstrakt gesprochen, Ablösung einer Struktur von einem festen Ort im geographischen, sozialen, kulturellen und/oder politischen Raum. In den achtziger Jahren wurde der Begriff häufig im Kontext der subversiven Mikropolitiken benutzt. (Heute artikuliert beispielsweise Hakim Bey in "Temporäre Autonome Zonen" die Vorstellung einer deterritorialisierten, nomadischen Gegenmacht). Dies impliziert die Vorstellung, daß "die Macht" an festen (strategische) Orte gebunden ist und durch bewegliche (taktische) Nadelstiche ins Wanken gebracht werden kann. Aber wie wir mittlerweile wissen, kann sich auch "die" Macht/"das" Kapital deterritorialisieren. Der umgekehrte Prozeß der  R e t e r r i t o r i a l i s i e r u n g  meint entsprechend die (Wieder-) Herstellung fester Zuordnungen, sozialer, kultureller, regionaler Beziehungen.

S e m i o t i k  ist die Lehre von den Zeichen und  S e m i o s e   ist der Prozeß, durch den Zeichen mit Bedeutung und Inhalt versehen werden.

M e n t a l e  A r b e i t  ist geistige und immaterielle Arbeit, abhängiger und subalterner Output von Kreativität im Kontext einer kapitalistisch organsierten Produktion.

S o z i a l e  A r b e i t  meint nicht Sozialarbeit, sondern diffuse, im sozialen Raum deterritorialisierte Arbeit: Die produktive Arbeit wird nicht an einem abgrenzbaren, festen Ort (in der Fabrik) und zu festen Zeiten erbracht, sondern an unterschiedlichen Orten und verwoben mit anderen sozialen Aktivitäten. Eine  t e c h n o - s o z i a l e  S c h n i t t s t e l l e
kann sowohl eine Kontroll- oder Überwachungstechnologie sein, eine Organisation, ein technisches Gerät oder ein Individuum, das soziale Prozesse mit technischen Mitteln regelt oder kontrolliert. Hierzu gehören Software und Hardware, die verhindern sollen, daß Minderjährige bestimmte Inhalte zu Gesicht bekommen, oder auch der freundliche Bulle hinter dem Videomonitor, der die Hausordnung in bundesdeutschen Bahnhöfen durchsetzen hilft. Auf höherer Ebene: der Spine Doctor, der nach statistischer Analyse der jeweils angesagten Blubberwörter Schröders Rede schreibt, oder der Analytiker, der ausrechnet, daß der Unternehmensstandort XY jetzt doch besser geschlossen wird. Eine  t e c h n o - l i n g u i s t i s c h e  S c h n i t t s t e l l e  ist beispielsweise ein Journalist, der in einer bestimmten sozialen Situation einen gespeicherten Text aufruft, bearbeitet und anpasst, und ihn anschließend wieder in technisches (Massenkommunikations-) Medium einspeist. (Insofern ist der/die SchreiberIn dieser Zeilen eine technolinguistische Schnittstelle mit niedriger Übertragungskapazität (2.7 bps) ;-)


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