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Wenn ich die Meinungsäusserungen und Wortwechsel
über den Krieg der NATO gegen Jugoslawien, und der
jugoslawischen Führung gegen die albanische
Bevölkerung Kosov@s, mitverfolge, auf verschiedenen
e-mail-Verteilern sowie in persönlichen
Gesprächen mit Leuten, fällt mir auf, wie
verunsichert viele sind. Es scheint vielen AktivistInnen
Schwierigkeiten zu bereiten, die elementarsten
Prinzipien einer tradierten linksradikalen Politik in
eine Zeit hinüberzuretten, in der ein Krieg nicht
mehr so einfach als
imperialistisch/antiimperialistischer - hier böse
ImperialistInnen, dort tapfere
BefreiungskämpferInnen - gedeutet werden kann. Es
scheint mir, dass nicht die Prinzipien selber aufzugeben
sind. Nach wie vor sollen Menschen und ihr gelebtes
Leben vor der grossen Politik stehen. Nach wie vor geht
es darum, gegen Angriffe auf unsere Autonomie
solidarischen Widerstand zu entwickeln, ohne
Unterschiede unter uns einzuebnen. Nach wie vor gilt es,
diskursive Ablenkungsmanöver zu durchschauen und
eine Analyse im Verständnis von ökonomischen
und sozialen Machtmechanismen zu verankern. Es sind eher
weniger bewusste Eigenheiten linker und autonomer
politischer Praxis, die eines Überdenkens
bedürfen.
Gegen die Ethnisierung!
Der Reflex antiimperialistischer AktivistInnen, als
"Befreiungsbewegungen" wahrgenommene
Unabhängigkeitsbestrebungen als legitim und
unterstützenswert zu sehen, scheint etwa im Falle
des Kosov@ in die Enge zu führen. Vielleicht der
Wunsch nach einer Identifikationsmöglichkeit mit
den Feinden eines gewieften und rücksichtslosen
Machtpolitikers wie Slobodan Milosevic hat die einen
dazu geführt, während einiger Zeit vor der
tendenziell rassistischen, jedenfalls auf
"ethnischer" Trennung beruhenden Stossrichtung
einer "Ushtria Clirimtare e Kosoves" (UCK) die
Augen zu verschliessen. Andere haben angesichts der
allgemeinen Verunsicherung zum Thema lieber geschwiegen.
Die ersteren, zu denen ein Teil der Redaktion des Info
Internationals auf Radio LoRa in Zürich
gehören, hatten zumindest das Verdienst, sich zu
einer Zeit um die Geschehnisse in Kosov@ zu kümmern
und Diskussionen dazu anzutreten (auch im direkten
Kontakt mit UCK-Leuten in Zürich), zu der die UCK
anderen Medien ab und an eine Schlagzeile wert war. Als
der NATO-Angriff begann und klarer wurde, wie sich die
UCK vorerst bedingungslos für NATO-Strategien zur
Verfügung stellt, nahmen das einige der frühen
Befürworter einer Solidarität mit der UCK zum
Anlass, ihre Position kritisch zu überdenken.
Andere, auch wenn sie üblicherweise gegenüber
Staat und Medien sehr kritisch sind (ich staune etwa ob
der Erklärung eines anarchistischen Freundes auf
einer osteuropäischen e-mail-Diskussionsliste),
lassen sich auf die Rede von der Verhinderung einer
"humanitären Katastrophe" ein. Also auf
die von der NATO aller Wahrscheinlichkeit nach
eingeplanten Sachzwänge und die angebotenen
Scheinlösungen. Richtiggehend schockiert war ich
über die machistischen und aggressiven
Einwürfe mancher westeuropäischer und
US-amerikanischer Net-AktivistInnen (z.B. auf dem
nettime-Verteiler) als Reaktion auf
e-mail-Tagebücher, in denen JugoslawInnen aus
persönlicher Anschauung über die
Bombardierungen Belgrads, Novi Sads und Kraljevos
berichteten - auch wenn ich durchaus die
propagandistische Verwertbarkeit solcher
persönlicher Zeugnisse sehe. Damit möchte ich
aber so umgehen, dass ich sie zu kontextualisieren
versuche, und nicht so, dass ich sie unterdrücke.
Vielleicht aufgrund der Verunsicherung, plötzlich
auf ungewohnt unvertrautem Terrain politisch
argumentieren zu müssen, versteifen sich einige der
Net-AktivistInnen auf eine Anti-Milosevic-Haltung, die
in ihrer Nachlässigkeit in anti-serbischen
Rassismus umschlägt.
Dass umgekehrt eine Gruppe mit einer bereinigteren
politischen Position wie der Revolutionäre Aufbau
Schweiz es schafft, ein Flugblatt gegen den NATO-Krieg
zu schreiben, ohne mit einem Wort die vor Milosevics
Feldzug flüchtenden Flüchtlinge zu
erwähnen, sollte vielleicht nicht erstaunen. Auch
diese Position beruht auf einem (im letzteren Fall wohl
taktisch) vereinfachten Verständnis von
Imperialismus - wieder gibt es nur einen Bösen,
auch wenn das diesmal nicht Milosevic, sondern die NATO
ist, und implizit die Kosov@-AlbanerInnen, die mit der
NATO kollaborieren.
Mir scheinen alle diese Stellungnahmen auf eine
Schwachstelle in unserer politischen Praxis hinzuweisen.
Eine vertieftere Auseinandersetzung mit den politischen
Entwicklungsprozessen im Kosov@, die auf die
Komplexität ökonomischer und machtpolitischer
Ursachen eines sozialen Konflikts und auf die von
verschiedener Seite bewusst betriebene Ethnisierung des
Konflikts verwiesen hätte, habe ich bisher nur in
Ansätzen und in kleinerem Rahmen mitbekommen.
Die "vollendete Tatsache", für deren
Verwirklichung sich Slobodan Milosevic, Hans-Dietrich
Genscher, die UCK-Führer (aber auch Ibrahim Rugova
auf seine sanftere Tour) je aus eigenem Antrieb
jahrelang ins Zeug gelegt haben, wird weitherum
akzeptiert. Diese besteht in der Wahrnehmung, dass der
Konflikt auf jahrhundertealten "ethnischen"
Fehden beruhe und dermassen tief in den Knochen sitze,
dass kein Zusammenleben möglich ist. Angesichts des
erdrückenden Gewichts der "Geschichte"
bliebe dann auch aus linker Sicht nur ein Aufruf
übrig, die "ethnische" Trennung - als
Entschärfung des schwelenden Konflikts - auf dem
friedlichen Weg über Verhandlungen
herbeizuführen. Dies wurde für Bosnien durch
das unter US-Patenschaft zustandegekommene
Dayton-Abkommen vorexerziert. Nur, dass die in diesem
Abkommen vorgesehene "ethnische" Trennung
nicht ohne gewalttätige Umsiedlungen bzw. Massaker
auskommen konnte, da sich Leute nicht freiwillig
verschieben lassen. Das Medienereignis
"Srebrenica" war in diesem Sinne eine
Voraussetzung für die Realisierung von Dayton,
gewissermassen Teil des Planes.
Es scheint mir unabdingbar, die Rede von einem
"ethnischen" Konflikt zu durchbrechen. Dazu
gilt es einerseits den (ökonomischen und
machtpolitischen) Ursachen des Konfliktes nachzugehen.
Zentral darin ist die hohe Verschuldung Jugoslawiens und
insbesondere Serbiens nach Jahrzehnten erleichterten
Zugangs zu internationalen Krediten, bedingt durch die
Sonderstellung Jugoslawiens im "Kalten Krieg".
Die Schuldeneintreibungspolitik des Internationalen
Währungsfonds (IWF) wirkt sich dabei auf die
Ausbeutungsstrategien der jugoslawischen Regierung aus,
die wiederum soziale Kämpfe gegen diese Ausbeutung
nach sich ziehen. Es gehört andererseits zu diesem
Unterfangen, den Mechanismen der Ethnisierung, und somit
der Ablenkung von diesen Ursachen, auf den Grund zu
gehen. Dies ist selbstverständlich einfacher in
einem (westeuropäischen) Kontext, in dem die Leute
einen gewissen Abstand zu den Geschehnissen haben, als
im Umfeld derjenigen, die einem bereits
"ethnisch", also rassistisch definierten
Angriff ausgesetzt sind und unmittelbar auf diesen zu
reagieren und Überlebensstrategien dagegen zu
entwickeln haben. Aber selbst in Jugoslawien, im Kontext
des Krieges, gelingt es Einzelnen, konsequent so
über den Konflikt zu sprechen, dass sie die
Kriegslogik ad absurdum führen. Es gibt in
(Ex-)Jugoslawien eine lange Tradition des Widerstands
gegen von den Regierungen aufgezwungene
"ethnische" Trennlinien. Von den "Frauen
in schwarz" und Kriegsdienstverweigererinitiativen
über e-mail-Verteiler wie die anarchistischen
ex-yu-a-lista und attack [1] bis hin zu verschiedenen
feministischen Gruppen. An diese gilt es
anzuknüpfen, wenn wir eine Solidarität mit
Leuten in Jugoslawien aufbauen wollen. Diese
Solidarität ist möglich und bedingt keine
Stellungnahme für die eine oder andere
Kriegspartei. Im Falle von Kosov@ ist der Bezug auf
existierende Projekte und Kontakte ein bisschen
schwieriger als in Bosnien, da die Vernetzung zwischen
Kosov@-AlbanerInnen und anderen JugoslawInnen weniger
ausgebaut ist. Es scheint etwa in Kosov@ keine nach
aussen sichtbare anarchistische Bewegung zu geben - in
Bosnien, Kroatien und Serbien ein wesentlicher
Stützpfeiler anti-nationalen
Politikverständnisses. Trotzdem gibt es Kontakte,
sei es in feministischen Kreisen, in der
Friedensbewegung oder anderen Zusammenhängen.
Gemeinsam mit Leuten aus diesen Zusammenhängen sehe
ich die Möglichkeit, eine gemeinsame
anti-nationale, "linke" Position zu
entwickeln.
Es wäre insbesondere interessant, in einem
gemeinsamen Prozess ein Verständnis dafür zu
entwickeln, wie sich in der Schweiz, in Deutschland und
in Jugoslawien die Attraktivität verschiedener
nationalistischer Diskurse, Mythen und Loyalitäten
für die Leute konstruiert. Wie lassen sich bereits
aufgebaute Gewissheiten verunsichern, die im Moment zur
Frontenbildung und Legitimation für die NATO, die
UCK und/oder Milosevic beitragen? Einige Ansätze zu
Überlegungen in diese Richtung könnten die
Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 6
beitragen [2]. Diese Diskussion möchte ich
gemeinsam mit Leuten aus Jugoslawien führen und
dabei die Ängste und Hoffnungen der verschiedenen
Leute ernst nehmen. Ich glaube, es ist einfach, auf die
Gefahr verschiedener Legitimationsgebäude
hinzuweisen, aber wesentlich schwieriger, sich mit
diesen Fragen mit Leuten auseinanderzusetzen, die sich
diese Legitimationsstrukturen unter dem Druck der Bomben
und/oder Massaker (oft nur teilweise und gebrochen)
angeeignet haben. Da die Legitimationsgebäude zu
einer Überlebensstrategie gehören, muss es
dabei auch darum gehen, in einem kollektiven Prozess
unter radikalen/emanzipativen AktivistInnen neue
Überlebensstrategien zu entwickeln, bzw.
existierende Alternativen aufzuzeigen. Dieser Prozess
bezieht sich nicht nur auf Jugoslawien und die
Frontenbildung dort. Auch in gemischten (Ost-West)
e-mail-Foren wie nettime oder syndicate ergibt sich eine
Dynamik der Frontenbildung, die es zu verstehen und zu
durchkreuzen gilt.
Das Reden über den Krieg
Im Versuch, den Krieg nach allen Seiten hin zu
delegitimieren, scheint mir in einem ersten Anlauf nicht
so sehr die "historische Wirklichkeit" im
Vordergrund zu stehen, die akribisch recherchiert werden
müsste, um der "Propaganda"
"Fakten" entgegenzuhalten. Wichtiger ist
vielleicht erst einmal die taktische Frage der
Abschätzung des Effektes eines Diskurses. Ich sage
das nicht darum, weil mir historisches Verständnis
unwichtig wäre, sondern weil meines Erachtens auch
mit durchaus korrekten und bestätigten
"Fakten" Propaganda betrieben werden kann -
insbesondere kann ein Krieg durch Massaker legitimiert
werden, die auch tatsächlich stattgefunden haben.
Es schiene mir etwa gefährlich, zu sehr auf der
Wahrscheinlichkeit zu pochen, dass Massaker wie jenes in
Racak gestellt sind. Eine Diskussion darüber kann
nur im Zusammenhang mit den Anforderungen eines
Medienkrieges interessant sein. Eine Diskussion, die die
Motive für die Erfindung eines Massakers wohl
herausschälen kann. Dabei lässt es sich aber
schlecht verhindern, dass die betonte Verneinung dieses
oder anderer Massaker dem Diskurs derjenigen zugute
kommt, die nichts davon wissen wollen, dass
überhaupt Massaker begangen werden, und die damit
die eine Seite im Krieg zum "Guten" oder
zumindest "Unschuldigen" stilisieren
wollen.
Viele der Argumente, die gegen den Krieg
angeführt werden, haben so ihre Tücken. In
einer weit verbreiteten Argumentation wird die
jugoslawische Politik gegenüber Kosov@-AlbanerInnen
mit den langjährigen Angriffen des türkischen
Staates auf das Leben und die Identität der
KurdInnen verglichen und gefragt, warum denn die NATO
nicht die Türkei bombardiere, wenn ihr
Menschenrechte so wichtig wären. Dieser Vergleich
zwischen Kosov@ und Kurdistan nimmt in der Empörung
darüber, dass die Türkei und Jugoslawien mit
zweierlei Mass gemessen werden, das
humanimilitaristische Legitimationskonstrukt der NATO
ernst. Indem darauf hingewiesen wird, dass die
Türkei ja nicht zerbombt wird, wird das vorgebliche
Motiv der humanitären Intervention gleichzeitig in
Frage gestellt und bestätigt. Trotzdem denke ich,
dass Kurdistan in einem anderen Zusammenhang in die
Diskussion eingebracht werden kann, ohne die
angeführten Motive der NATO-Angriffe zu
legitimieren. Nämlich indem das Interesse der
Türkei, als NATO-Staat in der
Weltöffentlichkeit auf der Seite der
"Guten" zu stehen - auf der Seite der
WahrerInnen der Menschenrechte - hervorgehoben wird. Die
Berichterstattung über die Bombardierungen der NATO
lenkt unter anderem das Interesse der
Öffentlichkeit ab von einer gigantischen
Repressionskampagne des türkischen Staates gegen
KurdInnen, die derzeit verschärft im Gang ist.
Auch der Verweis darauf, die NATO habe mit ihrem
"autonomen Entscheid" zu einem Angriff auf
Jugoslawien die UNO und die OSZE - die "legitimen
Akteure" der Suche nach einer "friedlichen
Lösung" - ausgeschaltet und somit gegen das
Völkerrecht verstossen, birgt Gefahren. Ich meine
damit nicht nur, dass es merkwürdig anmutet, aus
einer autonomen, radikalen linken Position Strukturen zu
verteidigen, die zur grossen Politik gehören. Es
wäre vielleicht denkbar, pragmatisch davon
ausgehend, dass diese Institutionen einen Gegenpol zur
NATO bilden, sie gegen eine übermächtige NATO
stark zu machen. Aber es ist eben nur beschränkt
so, dass die UNO/OSZE einen Gegenpol zur NATO bilden,
wie etwa die Spionagearbeit der OSZE-BeobachterInnen in
Vorbereitung der NATO-Angriffe zeigt [3]. Zwar ergibt
sich aus den Interessen der UNO-Eliten eine Strategie
des "Überlebens", des Machterhalts der
UNO angesichts der ohne Rücksicht auf
UNO-Kompetenzen begonnenen NATO-Angriffe, die etwa Kofi
Annan anfänglich zu einer Verurteilung des
Alleingangs der NATO veranlasste. Doch wenn die
NATO-Kriegsführung zum Ziel hat, Jugoslawien (mit
oder ohne Milosevic an seiner Spitze) gefügig zu
machen, so verfolgt sie gleichzeitig die Strategie, den
UNO-Managern zuerst den Meister zu zeigen und deren
Auswahlmöglichkeiten einzuengen, um ihnen dann
Angebote für eine erneute Teilnahme am Prozess
zuzuschanzen - zu NATO-Konditionen. Kofi Annan scheint
sich jedenfalls dem Spiel bereits zu fügen. So
legitimieren die transnationalen Institutionen einander
- trotz Machtkämpfen untereinander. Sie wirken wie
in der altbekannten Arbeitsteilung des
good-cop-and-bad-cop-Duos polizeilicher Einvernahmen
vertrauenerweckend und drohend zugleich. Im soeben der
Öffentlichkeit vorgestellten neuen
NATO-Strategiekonzept ist ein mögliches
zukünftiges Verhältnis UNO-NATO ausformuliert:
die UNO soll ein für alle Male grünes Licht
geben für NATO-Einsätze ausserhalb des
NATO-Gebietes.
Auch die Rede von der Inkompetenz der
EntscheidungsträgerInnen und der Verweis auf das
Sexualleben des einen tragen zur Legitimation des
Krieges bei, indem die Ereignisse entpolitisiert, zu
einem Spektakel gemacht, und die existierenden
Interessen ausser Acht gelassen werden. Dass eine
Eskalationsstrategie auch für die Eskalierenden
nicht über die ganze Strecke der Ereignisse hinweg
unter Kontrolle behalten werden kann, ist zu vermuten,
und manche Folgen der NATO-Angriffe mögen ungewollt
und sogar unerwartet gewesen sein. Sicher aber ist es
nicht ein Scheitern der Diplomatie, das zum NATO-Angriff
führte, sondern der Erfolg einer
Eskalationsdiplomatie. Der unterdessen
berühmtgewordene Annex B des Kosovo Interim
Agreements von Rambouillet [4], das die
kosov@-albanische Führung aufgrund von Druck und
Überzeugungsarbeit der US-Diplomatie unterschrieb,
und der ganz Rest-Jugoslawien in ein NATO-Protektorat
verwandeln sollte, war wohl nicht aus diplomatischer
Inkompetenz so konzipiert, dass die jugoslawische
Führung den Vertrag keinesfalls unterschreiben
konnte.
Am ehesten gefällt mir das taktische Vorgehen
jener, die behaupten, es gebe einen Vertrag zwischen
Milosevic und NATO-VertreterInnen. Das braucht nicht den
Tatsachen zu entsprechen, und erhebt den Anspruch auch
nicht wirklich. Wesentlich ist dabei, darauf
hinzuweisen, dass Milosevic der Hauptnutzniesser der
NATO-Angriffe ist, und dass die NATO, die UCK und
Milosevic einander zur gegenseitigen Legitimation ihrer
Kriegsstrategie brauchen, und dass alle drei Parteien in
ihrem patriarchalisch-lebensvernichtenden Showdown gegen
die serbische und albanische Bevölkerung vorgehen.
Brilliant auf den Punkt gebracht haben es Sprayer in
Belgrad, die Boris Buden von Bastard/Arkzin wie folgt
zitiert: "Slobo, du Clinton!" [5]. Über
das allgemeine Interesse an der Durchsetzung einer
Kriegslogik hinaus, lässt sich das gemeinsame
Interesse der jugoslawischen Führung und der
transnationalen Machtstrukturen, symbolisiert durch
William Clinton, auf deren Arbeitsteilung bei der
Auspressung von Mehrwert aus der jugoslawischen
Bevölkerung - zwecks Schuldentilgung -
zurückführen.
Die Interessen an diesem Krieg
Es ist vielleicht ein grundsätzlich
unbefriedigendes Unterfangen, den Beweggründen der
"grossen Politik" für die Eskalierung des
Konflikts in Kosov@ nachzuspüren. So im Klartext
wird diese wohl keine der involvierten
Persönlichkeiten ausplappern. Und was soll das Ziel
dabei sein, mit Vermutungen und Indizien zu jonglieren?
Jede Interpretation von Ereignissen trägt die
Spuren ihrer Intention. Meine ist die, einen Diskurs
auszukundschaften, der sich nicht auf
"ethnische" Kriterien bezieht, sondern die
Ethnisierung als Machtstrategie betrachtet, als Vehikel
für handfestere Interessen. Die Suche nach dem
kriminalistischen Motiv birgt wohl die Gefahr, in
Verschwörungstheorien zu münden. Ich denke,
dem (vielleicht) dadurch entgehen zu können, dass
ich die Interessen (Motive) der verschiedenen Lager der
"grossen Politik" als heterogen sehe, und zum
Beispiel die NATO nicht als einen Block betrachte,
sondern die Dynamik und gegenseitige Wechselwirkung der
von den USA, Deutschland und anderen verfolgten Politik
untersuche.
Diese Dynamik ergibt sich daraus, dass diese
Mächte zwar gewisse gemeinsame Interessen haben,
teils aber eben dieselben Interessen - im Sinne einer
Konkurrenz um Einflusssphären. Ein starkes Motiv
der USA, aber auch der Niederlande und Englands, ist die
Erhaltung der NATO als hegemoniale militärische
Macht. Für die USA ist das Hauptinteresse die
Fortführung der US-amerikanischen Rolle als
Schutzmacht der europäischen Nachkriegsordnung.
Für die Niederlande und England ist eine
US-Präsenz wünschenswert als Gegengewicht zu
deutscher bzw. deutsch-französischer Dominanz in
EU-Strukturen. Deutschland und noch mehr
Frankreich sind zwar am Fortbestehen der NATO
interessiert, aber nicht als einer Hegemonialmacht, die
ihre machtpolitische Bewegungsfreiheit einschränkt.
Die NATO soll zu einem Bündnis unter anderen
zurückgestuft werden, neben europäischen
Strukturen, die EUropa unter der Führung
Deutschlands und Frankreichs eine gewisse Autonomie von
US-amerikanischen Interessen erlauben.
Um die nach dem Kalten Krieg ganz und gar nutzlos
gewordene NATO zu erhalten, braucht diese einen Krieg,
in dem sie zeigen kann, dass sie gebraucht wird. Nun,
das erklärt noch nicht, warum gerade gegen
Jugoslawien. Hier unterscheiden sich wohl die
Gründe der verschiedenen Mächte. Interessant
ist in dieser Hinsicht, dass Deutschland nur in der
deutschen Diskussion, allenfalls noch der
deutschsprachigen in der Schweiz und Österreich,
als Imperialmacht mit Drang nach Südosten
wahrgenommen und beschrieben wird. Die
Investitionspolitik Deutschlands seit 1989 ist eher
für ihre Ausrichtung auf russische Märkte
bekannt, und für ein relatives Desinteresse, was
den Balkan angeht. Ist die Betonung deutscher
Imperialbestrebungen durch einige AktivistInnen in
Deutschland geprägt von einer antideutschen
"Selbstüberschätzung"? Oder ist
umgekehrt ein Mangel an Informationen über die
Hintergründe deutscher Aussenpolitik in anderen
Sprachen für die deutschlandbezogenen Auslassungen
in Diskussionen ausserhalb des deutschen Sprachraumes
verantwortlich? Hinweise (die Spitze eines Eisbergs?)
auf deutsche Interessen- und Machtspiele sind durchaus
vorhanden. Weitherum bekannt sind etwa die
diplomatischen Initiativen eines Hans-Dietrich Genschers
zur Anerkennung Slowenjens und Kroatiens, die der auf
der Ethnisierung sozialer Fragen basierenden
Machterhaltungsstrategie Milosevics (ungewollt?) eine
wesentliche Unterstützung zukommen liessen. Schon
in der ersten kriegerischen Phase der Zerschlagung des
jugoslawischen Staatsgefüges war die
Dämonisierung der SerbInnen begleitet von
gemeinsamen Interessen der deutschen Aussenpolitik und
der jugoslawischen Innenpolitik - ähnlich wie jetzt
zwischen NATO und jugoslawischer Zentralregierung.
Weniger diskutiert als die Genschersche
Jugoslawienpolitik, aber immerhin in nicht-deutschen
Medien auffindbar, sind Hinweise auf Unterstützung
der UCK in einer frühen Phase durch den
Bundesnachrichtendienst (BND) und andere deutsche
Geheimdienste und deren Bewaffnung gegen den Willen des
US-amerikanischen CIA [6].
Die Eskalationsstrategie scheint jedenfalls in ihrer
Endphase unter US-diplomatischer Führung gewesen zu
sein. Ob die US-Regierung sich bloss unter den
Sachzwängen der bisherigen deutschen
Eskalationsbestrebungen veranlasst sah, das Ruder zu
übernehmen und so allzugrosse EUropäische
Autonomie abzuwenden, oder ob die USA aus ureigenen
Interessen an einer Zerschlagung dessen, was von
Jugoslawien übrigblieb, Schritte zu einer
Verunmöglichung einer verhandelten Lösung zu
unternehmen, wird wohl schwer zu eruieren sein. Auf
jeden Fall ist die US-Regierung zur Einschätzung
gekommen, ein Krieg unter NATO/US-Führung sei
für die Wahrung ihres Einflusses besser als
diplomatische Bestrebungen zur Entschärfung der von
der deutschen und der jugoslawischen Politik
vorangetriebenen Kriegsvorbereitungen.
Es scheint mir angebracht, für das
Aufspüren der Interessen verschiedener Mächte
von den beobachteten Folgen der NATO-Angriffe auszugehen
und Überlegungen anzustellen, wer von diesen Folgen
profitiert, wer sie eher widerstrebend akzeptieren
dürfte und wer die Leidtragenden sind. Ich gehe
nicht davon aus, dass jede einzelne Folge einer
bewussten Strategie zugeschrieben werden kann. Jedoch
davon, dass die meisten Folgen sehr einfach
abzuschätzen waren und deshalb im Sinne der einen
oder anderen Akteure, unter den gegebenen
Umständen, beigetragen haben zur Attraktivität
einer Eskalationsstrategie, oder umgekehrt zu Skepsis
gegenüber einer solchen Strategie.
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