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Alain Kessi
Globale Mobilisierungen — Worum geht's bei den Protesten in Prag?
Abwicklung der Wirtschaft und neue Abhängigkeiten am Beispiel Bulgariens


Es ist kein Zufall, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, bekannter unter ihrem Kosenamen 'Weltbank' oder kurz WB, ihre nächste Tagung in Prag angesetzt haben. Nachdem die beiden Bretton-Woods-Institutionen (benannt nach dem Ort ihrer Gründung im Jahr 1944) dieses Jahr bereits ein Treffen in Washington abgehalten haben, legen sie diese Veranstaltung in eine Region, in der sie in den letzten zehn Jahren richtiggehend gewütet und die sozialen Verhältnisse durcheinandergewirbelt haben.

Einer Einladung von lokalen anarchistischen und anderen Gruppen folgend, werden in Prag am 26. September Tausende, teils von weither angereist, auf die Strasse gehen, um gegen das Treffen zu protestieren. Dieser Protest gliedert sich ein in eine Reihe von weltweiten Mobilisierungen, deren Ziel es ist, Veranstaltungen der internationalen Finanz- und Handelsinstitutionen anzugreifen und zu delegitimieren. In der paradigmatisch durch "The Battle of Seattle" bekannt gewordenen Form haben die globalen Mobilisierungen ihren Anfang im Mai 1998, als anlässlich des Ministertreffens der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf ein breiter Protest sichtbar wurde - nicht nur in Genf selbst, sondern auch bei weltweiten dezentralen Aktionen. Seither geht eine grossartige Energie, ein neuer Optimismus von jedem internationalen Aktionstag aus und bildet die Grundlage für die Arbeit an den Vorbereitungen zum nächsten. Aktionen und Logistik werden über eine Vielfalt von regionalen und thematischen e-mail-Verteilern diskutiert. Etwas schwieriger scheint sich inmitten dieses Aktionismus die gemeinsame Erarbeitung von Analysen und Hintergrundinformationen zu gestalten.

In der Mobilisierung für Prag wird bisher wenig auf die spezifische Situation Osteuropas und den Einfluss der beiden Bretton-Woods-Institutionen auf die Region eingegangen. Auf den vielen Websites, die für die Proteste mobilisieren, sind Hintergrundtexte, die sich mit Osteuropa beschäftigen, die grosse Ausnahme. Die meisten Analysen wurden sichtlich in früheren Kampagnen zu Strukturanpassungsprogrammen (SAPs) in Asien, Afrika oder Lateinamerika entwickelt und werden nun unbesehen übernommen und auf die Situation in Osteuropa übertragen.

Es scheint zwar, dass grosse Teile der neuen Welle von Mobilisierungen eine durchaus antikapitalistische, antirassistische und antisexistische Ausrichtung haben. Als kleinster gemeinsamer Nenner ist das schon eine ganze Menge. Die Rhetorik aber scheint bei jedem Gipfel, bei jedem Anlass in etwa dieselbe zu sein, aufbauend auf einem etwas oberflächlichen Verständnis von Antiimperialismus. Ob es nun um einen Protest gegen die WTO oder gegen IWF/WB geht, die Rede beschränkt sich im grossen und ganzen auf eine eher allgemein gehaltene Kritik an transnationalen Konzernen, an der Zerstörung der Lebensgrundlagen, an der neoliberalen Durchsetzung eines internationalen Ausbeutungsgefälles. Die Mechanismen und Strategien, die konkrete Rolle der einen oder anderen Institution im internationalen Machtgefüge, bleiben meist nur vage umrissen.

Hier möchte ich versuchen, einige Gedanken spezifisch zur Rolle des IWF und der Weltbank in Ost- und Südosteuropa zusammenzufassen und damit zu einer konkreteren Diskussion im Hinblick auf die Prag-Mobilisierung beizutragen - auch in der Hoffnung, dass die präzisere Analyse einer klaren Abgrenzung zu rechten und neo-nationalistischen Antiglobalisierungsdiskursen dienlich ist.

Historischer Präzedenzfall — deutsche Grossraumpolitik in den 30er Jahren
Mit einer Bretton-Woods-ähnlichen Politik wurden Ost- und Südosteuropa bereits vor der Gründung des IWF und der WB konfrontiert. Im Rahmen der Grossraumpolitik der nationalsozialistischen Regierung Deutschlands wurde über finanztechnische Strukturen, die fast alle Aspekte der späteren Bretton-Woods-Strukturen vorwegnahmen, sowie über eine regionale Differenzierung der Produktionsstruktur die Region in ein Abhängigkeitsgefälle vom deutschen Zentrum eingebettet und deren Ausbeutbarkeit sichergestellt. Es geht hier in keiner Weise um eine Gleichsetzung des Imperialismus von Bretton-Woods mit dem deutschen Nationalsozialismus, sondern um bestimmte, klar umrissene Parallelen in den verwendeten ökonomischen und "entwicklungspolitischen" Werkzeugen schon in der unblutigen Phase der Unterwerfung, in der Zeit vor dem Blitzkriegfeldzug und dem Aufbau der industriellen NS-Vernichtungsmaschine. Hier seien nur einige Aspekte herausgestrichen. Weitere Einzelheiten können bei Detlef Hartmann in Autonomie Nr. 14 nachgelesen werden. [1]

Das deutsche Projekt eines südosteuropäischen Grossraums scheiterte letztendlich am entschiedenen Widerstand vor allem der Bäuerinnen und Bauern, die es durch diese erste "grüne Revolution" (Sojaoffensive, etc.), die der bekannteren "grünen Revolution" der sechziger Jahre unter dem Bretton-Woods-Regime Patin stand, unterwerfen und vernichten sollte. Eine erste Folge des technologischen Angriffs war aber ein radikaler Umbau der Produktions- und Handelsstrukturen in den angegriffenen Ländern. Mit der Einführung monokultureller cash-crops-Produktion wurde die Landwirtschaft auf den Export ausgerichtet, im Falle Bulgariens insbesondere von Tabak, zu Lasten des Anbaus von Weizen für den eigenen Bedarf. Damit wurden Subsistenzstrukturen zerstört, was ArbeiterInnen für kapitalistische Verwertung in der Industrie, einschliesslich der landwirtschaftlichen Monokulturindustrie, freisetzte. Die mit den Monokulturen einhergehende Technisierung der Landwirtschaft führte in eine Abhängigkeit von der deutschen Industrie für die Beschaffung von Maschinen, Know-how, Saatgut, Herbiziden, Pestiziden und Dünger. Gleichzeitig kam die gesamte Handels- und Verarbeitungskette und damit die Mehrwertabschöpfung unter die Kontrolle von international agierenden Grosskonzernen. Die Machtverhältnisse zwischen deutscher Metropole und südosteuropäischen "Entwicklungsländern" erlaubte eine willkürliche Festlegung der relativen Preise zwischen "hochwertigen" industriellen Produkten und "niederwertigen" Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten. Aus dieser künstlich hergestellten Preisdifferenz ergab sich die absurde Situation, dass Deutschland sich in Ost- und Südosteuropa mit den nötigen Rohstoffen und Nahrungsmitteln eindeckte und es gleichzeitig schaffte, diese nicht zu bezahlen, sondern umgekehrt die liefernden Länder über Langzeitkredite in eine Schuldenabhängigkeit zu treiben. Einen Überblick über den Fall Bulgariens, wo eine Elite mit den deutschen Planern gemeinsame Modernisierungsvorstellungen teilte und wo verhältnismässig wenig auf Zwang gesetzt wurde, gibt Thomas Bohn in Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik Nr. 12. [2]

John Maynard Keynes, mit Harry White aus der Roosevelt-Regierung der hauptsächliche Architekt von Bretton-Woods, lernte aus den Fehlern der Nazi-Ökonomen sowie der frühen New Dealer Roosevelts, die mit dem "Panamerikanischen Kartell" ein ähnliches Grossraumprojekt in Lateinamerika ebenfalls nicht gegen den Widerstand der in Subsistenz lebenden Bäuerinnen und Bauern [3] hatten durchsetzen können. Die wesentliche Neuerung, die Keynes dem ökonomischen Projekt seiner Nazi- und New Deal-Vorbilder beimengte, war eine Legitimationsfassade, die die Realität von Vernichtung durch Entwicklung, d.h. des Aufbrechens sozialer Zusammenhänge und der Zerstörung von Lebensgrundlagen durch die Einführung neuer Technologien, zumindest in den Augen westlicher und nördlicher Eliten in den Hintergrund rückte und einen humanistischen Auftrag der "Entwicklungshilfe" vorschob - die "zivilisierte" Phase der "Neuen Ordnung".

Die Perestroika als Angriff auf die sozialen Forderungen
Nach dem erst ökonomisch-technologischen, dann industriell-kriegerischen Angriff des deutschen Imperialismus in den 30er und in der ersten Hälfte der 40er Jahre standen Ost- und Südosteuropa vier Jahrzehnte lang unter dem Einfluss einer anderen politisch-ökonomischen Strategie des Modernisierungsangriffs und der internationalen Arbeitsteilung, dem Staatskapitalismus Stalin. scher Prägung. Dieses System, nachdem es gewisse Erfolge in der Vernichtung der Subsistenzwirtschaft und der Unterwerfung von ArbeiterInnen unter die Logik der Kapitalakkumulation verbucht hatte, geriet Ende der sechziger Jahre bereits in eine tiefe Krise - etwa zeitgleich mit der Krise des Fabrikregimes des westlichen fordistischen Systems. Die Legitimationsstrukturen, die in der Aufbruchstimmung nach dem zweiten Weltkrieg noch in verschiedenen Ländern Ost- und Südosteuropas zumindest in städtischen Milieus eine einigermassen breite Unterstützung des Modernisierungsprogramms gewährleistet hatten, waren brüchig geworden, die egalitäre Ideologie zu offensichtlich in einen Widerspruch zu den parteigestützten Machtstrukturen geraten. Manche Formen des Widerstands erinnern an die Kampfformen der "autonomia operaia" in Italien: "Sie tun so, als ob sie uns zahlten, und wir tun so, als ob wir arbeiten würden". Im Gegensatz zum westlichen Kapital, das vor dem erfolgreichen Widerstand der ArbeiterInnen in eine neoliberale Deregulierung und eine internationale Arbeitsteilung innerhalb der einzelnen Produktionsprozesse flüchtete, fehlte es dem "sowjet." -russischen [4] Kapital an der nötigen Flexibilität. Die Perestroika war der Versuch der "sowjetischen" Eliten, jene sozialen Strukturen, die sich unter dem Einfluss der egalitären Legitimationsideologie verfestigt hatten und nunmehr einer effektiven Kapitalakkumulation im Wege standen, zu zerschlagen und einen weiteren Modernisierungsangriff einzuleiten. [5]

Diese Neuorientierung der "sowjetischen" und osteuropäischen Eliten bot dem westlichen Kapital die einmalige Gelegenheit, über Institutionen wie der Europäischen Union (und insbesondere ihrem Phare-Programm), der Nato, dem IWF, der Weltbank, der EBRD (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) und anderen die Kontrolle über die ost- und südosteuropäischen Ökonomien zu gewinnen und sie in eine ähnliche Abhängigkeit zu zwingen wie früher die sogenannte "Dritte Welt". Die Entwicklungen seit dem Beginn der Perestroika, aber insbesondere in den letzten zehn Jahren, sind geprägt von gemeinsamen Interessen zwischen den lokalen oder nationalen Eliten in Ost- und Südosteuropa und den westlichen imperialistischen Strukturen. Der im Westen verbreitete Diskurs über Korruption und mafiöse Strukturen in Osteuropa übersieht die enge Verquickung der neureichen Schichten in Osteuropa mit den Zugriffsinteressen des westlichen Kapitals. Korruption hat immer eine aktive und eine passive Seite, und die treibende Kraft ist dabei die aktive Seite, in diesem Fall westliche Regierungen und Konzerne sowie die internationalen Institutionen, die unter deren Kontrolle stehen. Damit sollen die eigenen Interessen der osteuropäischen Neureichen nicht unterschlagen werden - sie müssen aber im Kontext des weit massiveren Angriffs durch westliche Institutionen gesehen werden.

Mafia? Neureiche?
Auch in der bulgarischen Diskussion ist die Rede von der "Mafia", doch ist der Begriff da anders konnotiert als im westlichen Diskurs. Ein anderer Begriff, jener der "Neureichen", erfasst in Bulgarien weitere Feinheiten des Bedeutungsfeldes. Der unterschiedliche Sprachgebrauch verweist auf Unterschiede zwischen Ost und West und ist damit eine Erörterung wert.

Der Begriff der Mafia wird in Bulgarien verwendet für die eng mit den staatlichen Institutionen verwobenen hierarchischen Machtstrukturen, in denen sich einflussreiche Businessleute bestimmte Märkte aufgeteilt haben, die vor NeueinsteigerInnen konsequent verteidigt werden. Diese Machtstrukturen weisen durchaus Parallelen auf mit jenen der italienischen oder US-amerikanischen Mafia auf. Die Rede von der "Mafia" ist aber im westeuropäischen Sprachgebrauch derart von der Idee bestimmt, es gebe einen guten, geordneten Markt und einen bösen, mafiösen Markt, dass der Begriff auf Deutsch unbrauchbar wird für die Beschreibung osteuropäischer Verhältnisse. Darüber hinaus ist der Diskurs über die Russen- oder Bulgarenmafia immer auch von rassistischen Zuschreibungen geprägt und schürt verschwörungstheoretisch die Angst vor "fremdem" Einfluss auf westeuropäische Volkswirtschaften.

Ich bevorzuge den Begriff der Neureichen, da er den sozialen Prozess, der zu dieser neuen Elite geführt hat, besser zu fassen scheint. Der Begriff der Neureichen (bulgarisch: novobogatazhi; russisch: nuvorisch, aus dem französichen "nouveaux riches") wird in Bulgarien oder auch Russland verwendet und bezieht sich auf jene Leute, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort sassen und sich in der Umbruchsituation Anfang der 90er Jahre am Parteivermögen bereicherten. Noch klarer negativ konnotiert ist der literarischere Begriff der Parvenus (bulgarisch: parvenju), derjenigen, die in eine soziale Position gelangt sind, die ihnen nicht zusteht - nur, dass der Begriff in Bulgarien von unten verwendet wird und nicht von einer Aristokratie, die auf aufstrebende Kleinbürgerliche herunterschaut. Im Unterschied zu den neureichen Kapitalisten aus der Zeit der britischen Industrialisierung, die ihren ganzen Vermögenszuwachs aus den ArbeiterInnen herauspressen oder im kolonialen Handel erwirtschaften mussten, [6] konnten die bulgarischen neu-alten Eliten ein riesiges Startkapital innert kürzester Zeit aus dem Parteivermögen abzweigen, hatten also den abgeschöpften Mehrwert, die Ausbeutung von Jahrzehnten auf einmal zur Verfügung. Die rasante Geschwindigkeit dieses Prozesses erklärt vielleicht auch, warum die Neureichen es nicht geschafft haben, neben Turbo-Folk (bulgarisch: tschalga), Mercedes und Handys eine ihre Klasse legitimierende und stützende Kultur und Ästhetik aufzubauen und so in der Öffentlichkeit zwar als bedrohlich und mächtig, gleichzeitig aber auch als lächerlich wahrgenommen werden.

IWF und Neureiche Hand in Hand
Als Ende der 80er Jahre in Bulgarien mit dem Lukanow-Plan die "Kommunistische" Partei beschloss, sich selbst in einen kapitalistischen Konzern nach westlichem Muster umzuwandeln und junge Kader in angesehene Managementschulen in die USA schickte, bildete sich eine neue Generation von Businessleuten heran, die es bei ihrer Rückkehr verstanden, durch zwischengeschaltete Privatfirmen und fingierte Rechnungen massiv Staats- bzw. Parteigelder in ihre eigenen Taschen abzuzweigen. Dies bildete ein Grundkapital, das über den Embargohandel mit Serbien (vor allem mit Öl, das schiffweise die Donau hochgefahren wurde) während der Jugoslawienkriege Anfang der 90er Jahre vervielfacht wurde - unter anderem von Leuten, die der jetzigen Regierung nahe stehen. [7] So tat sich die Schere zwischen der verarmenden breiteren Bevölkerung und den neureichen Eliten auf. Für die Herstellung dieser sozialen Ungleichheit, die als Voraussetzung für den westlichen Einfall in die bulgarische Wirtschaft gesehen werden kann, war eine Phase (auch physisch) brutaler ursprünglicher Akkumulation nötig. Ehemalige Spitzensportler (sog. Burtzi, Mehrzahl von Buretz = Ringer) taten sich mit den neureichen Politkadern und ehemaligen Geheimdienstlern zusammen und retteten als Bodyguards und Geldeintreiber ihren sozialen Status in die neue Ära hinüber. Diese offen brutale Phase ist insofern abgeschlossen, als die parallele Ökonomie von der Regierung 1997 die Gelegenheit erhielt, ihre Gelder und Geschäfte zu legalisieren und die "Mafia" nun selber ein Interesse an "Ruhe und Ordnung" und einem guten Investitionsklima hat.

Nur über diese neuen, aggressiven und vorwiegend männlichen Eliten [8] konnte die für westliche Interessen (wie auch für die Modernisierungsinteressen besagter Eliten) notwendige Abwicklung der bulgarischen Wirtschaft erreicht werden. Die bulgarischen Eliten waren insofern an der Zerstörung der Wirtschaft interessiert, als sie bei der Verramschung der Betriebe deren Aktiva einkassieren konnten. Der IWF und andere westliche Akteure insofern, als die Abwicklung der bulgarischen Wirtschaft und vor allem ihrer funktionierenden Teile Voraussetzung war für eine nachhaltige Abhängigkeit der bulgarischen Ökonomie und deren Einbettung in eine internationale Arbeitsteilung zugunsten westlicher Konzerne. Dieses gemeinsame Interesse der lokalen Eliten und der internationalen Institutionen öffnete letzteren die Tür und erlaubte ihnen, ihre ExpertInnen einzuschleusen und von da an kontinuierlich starken Einfluss auf die politische und ökonomische Ausrichtung der Regierungen zu nehmen.

Der Druck des IWF - der weitere Kredite zur Überbrückung finanzpolitischer Engpässe von der Erfüllung einer Reihe von Auflagen abhängig macht - auf möglichst schnelle Privatisierung staatlicher Betriebe, bzw. die Vorbereitungsarbeit der Weltbank zur Abspaltung und Privatisierung der profitträchtigen Abteilungen der Betriebe (während die verlustreichen Abteilungen weiterhin dem Staat unterstellt bleiben oder geschlossen werden), forcierte eine völlig undurchsichtige Privatisierungspolitik und entsprechend die persönliche Bereicherung jener, die an den betreffenden Schaltstellen hockten. Die durch IWF und Regierung auferlegte Zeitnot führte dazu, dass in vielen Privatisierungsdeals die Ausschreibung wenige bis keine Angebote einbrachte, so dass regierungsnahe Personen sich die Firmen für ein Butterbrot ergattern konnten.

Es ist verblüffend, in welchem Detail die Abkommen zwischen dem IWF und der Regierung die Politik der Regierung in den verschiedensten Bereichen festlegen. Neben allgemeinen Prinzipien wie der Ausgeglichenheit des Budgets ist hier die Erhöhung des Rentenalters festgeschrieben, die Stilllegung von 243 Kilometer nicht rentabler Eisenbahnstrecke geplant, die Privatisierung von Banken festgelegt, die Schweigepflicht von BankmitarbeiterInnen gegenüber dem IWF aufgehoben, das Verbot des Exports von unfermentiertem Tabak gestrichen, sowie die regelmässige Erarbeitung und Publikation einer Reihe von Statistiken angeordnet.

Die Politik des IWF und der Weltbank steht bisweilen in gegenseitigem Widerspruch. Im Falle der Staatsbahnen etwa schreibt der IWF vor, dass sie mit höchstens 20 Millionen US-Dollar vom Staat subventioniert werden dürfen. Die Weltbank geht dagegen davon aus, dass die Staatsbahnen einen öffentlichen Auftrag haben und gesetzlich verpflichtet sind zur Instandehaltung der Infrastruktur sowie zur Weiterführung defizitärer Linien, woraus sie eine Entschädigung durch den Staat in der Höhe von 360 Millionen US-Dollar ableitet. Auf diesen Widerspruch angesprochen, zucken ExpertInnen von IWF und Weltbank mit den Achseln. Was auch immer der bulgarische Staat in diesem Falle tut, er kann die Auflagen nicht erfüllen.

Zum Beispiel: Liquidierung der landwirtschaftlichen Kooperativen
Im Jahre 1992/93 wurden von der "demokratischen" (blauen) Regierung in allen Gemeinden Bulgariens Liquidationsräte eingesetzt, um die landwirtschaftlichen Kooperativen (in Bulgarien bekannt unter der Abkürzung TKZS - Landwirtschaftliche Arbeitskooperative) abzuwickeln. Die Parteifunktionäre gingen daran, die Maschinen zu verramschen, die Immobilien sich selber oder Bekannten zuzuschanzen, die Tiere - darunter Zuchtkühe, die kurz zuvor für teures Geld importiert worden waren - der Metzgerei zuzuführen oder aber den ehemaligen Angestellten der Kooperativen über ein Gutscheinsystem zu verkaufen. Die meisten früheren MitarbeiterInnen sind seit der Liquidierung ohne Arbeit, der landwirtschaftliche Anbau ist nur noch ein Schatten der früher in den gesamten Ostblock exportierten Früchte- und Gemüseproduktion, die marktorientierte Tierzucht ist nunmehr auf einige wenige fabrikmässige Betriebe konzentriert. Allenfalls einige der Männer finden Arbeit in den neuen Kooperativen, die von waghalsigen Unternehmern auf den Ruinen der TKZS aufgebaut werden. Oder sie hüten die Ziegen, Schafe oder Kühe der reicheren DorfbewohnerInnen. Die Rechte und Freiheiten, die sich Frauen innerhalb des staatskapitalistischen Systems erkämpft hatten, sind grossenteils in der Rückkehr zu einer traditionelleren Rollenverteilung untergegangen.

Diejenigen, denen bei der Liquidierung etwas Land zugesprochen wurde (entweder, weil sie oder ihre Eltern Besitz in das TKZS gesteckt hatten, oder weil sie aufgrund der Dauer ihres Angestelltenverhältnisses Anrecht erworben hatten) und darauf etwas Futtergetreide anbauen, können es sich leisten, einige Kühe oder Ziegen zu halten. Fast alle aber sind seither aus dem gerichteten Zeitverlauf der Geschichte (dem Fortschritt, der mit technologischen Angriffen und der Zerstörung der Lebensgrundlagen einhergeht, mit dem aber auch die Hoffnung auf Verbesserung der Lebensbedingungen verbunden ist) ausgeschlossen und sind in der zyklischen Abfolge der Jahreszeiten gefangen - nicht in die Subsistenz zurückgekehrt, die durch die "grünen Revolutionen" der Nazis und der "Kommunisten" effektiv zerstört wurde, sondern in eine neue, äusserst prekäre Subsistenz gezwungen. Zu ernähren wissen sich die meisten - aber Geld, um die Kinder in die Schule zu schicken, ob nun für Schuhe, für ein Hemd, für den Bus oder für die Schulbücher, haben viele nicht. Die Subventionen wurden auf Druck des IWF gestrichen, die TKZS auf Druck der EU und der neureichen Eliten geschlossen, die Leute üben sich in Überlebenskunst.

Zum Beispiel: Die Gesundheitsreform
Ein sozialer Bereich, der stark staatlich reguliert und subventioniert war und entsprechend in allen Ländern Ost- und Südosteuropas zu den ersten Sorgen des IWF gehörte, ist der Gesundheitssektor. Die staatlich garantierte kostenlose medizinische Betreuung musste zerstört werden und durch eine privatwirtschaftliche Betreuung ersetzt werden, die den meisten Leuten nicht zugänglich ist. In Bulgarien sieht es konkret so aus, dass jene, die sich keinen privaten Arzt leisten können und von der staatlichen Krankenkasse abhängen, oft schlampig bis lebensgefährlich betreut werden, haufenweise offensichtlich falsche Diagnosen erhalten, selber durch die halbe Stadt rennen müssen, um eine Spritze und Nadel aufzutreiben, Medikamente selber auf dem Schwarzmarkt oder aus dem Ausland beschaffen müssen, auf einen Monat später vertröstet werden (so sie denn in einem Monat noch leben sollten), weil irgendein Medikament nicht auf Lager ist. Gebrochene Scheiben können nicht ersetzt werden, so dass im Winter der Durchzug eisige Kälte in die Operationssäle trägt. Da nicht genügend antiseptische Mittel vorhanden sind, um hygienische Verhältnisse aufrechtzuerhalten, sind Besuche in manchen Abteilungen schlicht untersagt.

Der durch die IWF-Budgetschraube durchgesetzte Mangel in den öffentlichen Polikliniken drängt jene, die noch irgendwie die Mittel dazu auftreiben können, in die privaten Kliniken und Praxen, und überlässt die anderen einer bisweilen tödlichen öffentlichen Medizin, die nur noch ein Schatten der früheren staatlichen medizinischen Versorgung ist. Viele gehen erst gar nicht zum Arzt, da sie den einen nicht vertrauen und sich die anderen nicht leisten können. Diese IWF-Strategie senkt erfolgreich die Reproduktionskosten und setzt Mittel frei für den Schuldendienst und Modernisierungsprogramme.

Neustrukturierung der Geschäftspraktiken
Die gängige Beschreibung der wirtschaftlichen Umwälzungen geht davon aus, dass eine zentralplanerische Geschäftspraxis durch eine auf Markt und Konkurrenz basierende Praxis ersetzt werden soll. Diese ideologisierte Beschreibung führte etwa dazu, dass von der Weltbank und anderen westlichen Insitutionen eingesetzte "Experten" (weitgehend Männer) jahrelang den ManagerInnen der grossen Staatsmonopole einschärften, es werde jetzt nicht mehr "geplant", sondern marktwirtschaftlich gehandelt - nur um sie in neuerer Zeit wieder in Planungskurse zu schicken, da nun die ideologische Vorbereitung so weit fortgeschritten ist, dass zugegeben werden kann, dass Planung Bestandteil marktwirtschaftlichen Handelns ist. Auch ist der Übergang nicht so sehr einer von Monopolen zu Konkurrenz, sondern eher eine Verschiebung der Staatsmonopole auf westliche Quasimonopole.

Ein weit wesentlicheres Merkmal der Geschäftspraktiken in Bulgarien vor dem westlichen Modernisierungsangriff, das den internationalen Institutionen mehr Kopfzerbrechen bereitet haben dürfte als die Planwirtschaft an sich, ist das Fehlen von geschriebenen Regeln der geschäftlichen Gepflogenheiten und die Wichtigkeit persönlicher Beziehungen beim Abwickeln der Geschäfte. Dieses in kritischen Diskussionen in Bulgarien bisweilen als "patriarchalisch" beschriebene System liess Anfang der 90er Jahre westlichen Konzernen keine Chance, sich zu ihren Bedingungen auf dem bulgarischen Markt festzusetzen. Immer waren sie abhängig von Mittelsleuten, die nicht nur der bulgarischen Sprache mächtig und mit den geschäftlichen Gepflogenheiten vertraut waren, sondern auch in langjähriger Praxis ein Netz von Kontakten und Beziehungen aufgebaut hatten, ohne die es damals nicht möglich war, in Bulgarien Business zu betreiben. Kein Wunder wird diese Art von Geschäftsethik in einer westeuropäischen Öffentlichkeit in Zusammenhang gebracht mit "Korruption", "Clanstrukturen", "Mafia". Auch wenn sie hier nicht unbekannt ist - wie etwa Kohls "Ehrenwort" beweist, mit dem er den Skandal um die CDU-Parteigelder abzuhaken trachtete.

Innert weniger Jahre haben es Weltbank, EBRD und Phare-Programm geschafft, eine Situation, die westlichen Firmen keine Chance liess, in eine umzuwandeln, die bulgarische Firmen fast vollständig ausschliesst. Obschon die Weltbank und ähnliche Institutionen nicht sehr grosse Beträge zu Projekten beisteuern (dafür ziehen andere GeldgeberInnen oft nach, so dass ein Vertrag mit der Weltbank weit grössere Kredite erschliesst als nur jene mit der Bank selber), ist ihre Beteiligung mit der Bedingung verknüpft, dass eine Ausschreibung der Projekte erfolgt, und zwar nach ihren jeweiligen Richtlinien. Dies ist ein potentes Mittel zur Beseitigung der Beziehungsökonomie und zur Durchsetzung einer angeblich "transparenten", in Wirklichkeit aber einfach eine andere Gruppe von MarktteilnehmerInnen bevorzugenden Prozedur. Es zeigt sich, dass bulgarische Firmen, auch wenn deren Manager einen Harvard-Abschluss haben, oft grösste Schwierigkeiten haben, nicht wegen gravierender Formfehler aus der Ausschreibung ausgeschlossen zu werden. Von über 40 Verträgen im Rahmen der Erneuerung der staatlichen Eisenbahnbetriebe BDZ, die 1998 abgeschlossen wurden, wurde nur ein unbedeutender Liefervertrag an eine bulgarische Firma vergeben. Andere bulgarische Firmen können nur als Subunternehmer der internationalen Konzerne sowie als Dienstleistungsunternehmen für die Experten der internationalen Institutionen einige Brosamen abkriegen.

In den grossen Staatsmonopolen wurden sogenannte PIUs (Project Implementation Units) eingerichtet, Spezialabteilungen mit einem halben Dutzend Personen, die neben Bulgarisch auch perfekt Englisch sprechen und als Schnittstelle zwischen den internationalen Institutionen und den noch immer von der Beziehungsökonomie geprägten bulgarischen Strukturen dienen. In Zusammenarbeit mit von den internationalen Institutionen eingesetzten und inoffiziell von diesem oder jenem Konzern eingekauften ExpertInnen entwickeln die bulgarischen PIU-Leute die Ausschreibungspapiere, die Verträge mit den internationalen Institutionen sowie in der Schlussphase die eigentlichen Verträge mit den Konzernen, die den Auftrag zugesprochen erhalten haben. Je nach Einfluss der Experten sowie der Direktoren der Staatsfirma und zuständigen MinisterInnen, denen allenfalls von der Konkurrenz für erfolgreiches Lobbying ein bis zwei Prozent der Projektsumme (bei etwa zehn Prozent Gewinnmarge) in Aussicht gestellt worden ist, werden die Ausschreibungspapiere auf den einen oder anderen Konzern zugeschnitten.

Wenn der bulgarische Staat grosse Kredite aufnimmt, um sein Modernisierungsprogramm umzusetzen, heisst es noch lange nicht, dass eine wirkliche Verbesserung der Infrastruktur erreicht wird (geschweige denn zum Nutzen der allgemeinen Bevölkerung). Im Falle eines der grossen Staatsmonopole wird die kreditfinanzierte erneuerte interne Kommunikationsinfrastrukur aller Wahrscheinlichkeit nach nie funktionieren, oder zumindest nie eine Verbesserung der Dienstleistungen ermöglichen. Die Tatsache, dass ein Direktor der Staatsfirma für ein Konsortium von Hewlett Packard und Oracle lobbyierte und ein Minister für ein Konsortium von Compaq und Informix einstand, führte zu einer Pattsituation bei der Evaluierung der Offerten. Es wurde dann ein Kompromiss gefunden, bei dem HP/Oracle einen Teil des Projektes zugesprochen bekam, und Compaq/Informix einen anderen. Die vorgeschlagenen Lösungen sind nicht kompatibel miteinander und werden auf längere Zeit hinaus IT-SpezialistInnen (IT = Information Technologies) beschäftigen, welche das Zusammenspiel der beiden Projektteile notdürftig zusammenflicken. Zumindest für einige bulgarische SpezialistInnen eine Chance, für einige Zeit einen einigermassen einträglichen Job zu finden. Die Alternative für die Staatsfirma ist, für teures Geld zusätzlich zum existierenden Vertrag die beiden Konsortien zu beauftragen, ihre Systeme zu integrieren und aneinander anzupassen.

Hyperinflation heisst Umverteilung
Anfang 1997 zwangen Proteste - darunter der Sturm auf das Parlamentsgebäude, der Bulgarien ausnahmsweise in die internationalen Medien brachte - die sozialistische Regierung von Zhan Widenow zum Rücktritt. In den letzten Monaten dieser Regierung nahm die Inflation stark zu und erreichte im März 2000% (auf ein Jahr hochgerechnet). Dies entsprach einer grossangelegten Umverteilung. Die breite Bevölkerung, die vor allem in den Jahren vor 1989 durch das Fehlen von Konsumprodukten und Luxusgütern zum Sparen gezwungen war, verlor dabei den Grossteil ihrer Ersparnisse. Darüber hinaus wurden ein Viertel der bulgarischen Banken liquidiert, um einer Bankenkrise ein Ende zu setzen, die über die Defizitdeckung durch die Notenpresse der Nationalbank auch die Inflation antrieb. Dabei ging wiederum ein Teil der Ersparnisse flöten, auch wenn eine bestimmte Menge durch tagelanges Anstehen von den Banken eingefordert werden konnte. Dafür profitierten all jene, die über Beziehungen zu grossen Krediten gekommen waren (die sogenannten "Kreditmillionäre"), und damit überhaupt erst die Bankenkrise eingeleitet hatten, denn die Kredite schrumpften bei der Entwertung des Lew zu einem Bruchteil ihres ursprünglichen Werts. Die Hyperinflation spielte also eine wichtige Rolle bei der Enteignung der breiten Bevölkerung und der Stabilisierung der neuen Eliten.

Im Alltag bewirkte die Hyperinflation, dass in den Läden die Preise mehrmals täglich angepasst wurden. Nach Erhalt des Lohnes musste dieser sofort ausgegeben werden. Als die neue Regierung in Zusammenarbeit mit dem IWF einen Währungsrat (currency board) einsetzte und durch die Anbindung des Lew an die deutsche Mark und eine restriktive Geldpolitik der Nationalbank die Inflation eindämmte, bewirkte das erst einmal eine konkrete Erleichterung des Alltags. Die Absicht der Regierung bzw. des IWF bei der Einführung des Währungsrats war aber selbstverständlich nicht die, die Leute von der Notwendigkeit zu entlasten, ihr Geld möglichst schnell auszugeben. In einem Bericht ein Jahr nach Einführung des Währungsrats rekapitulieren ExpertInnen der bulgarischen Nationalbank die Gründe für seine Einführung: "Bulgariens Fremdwährungsreserven fielen unter das kritische Minimum, was eine normale Rückzahlung der Aussenschulden behinderte". [9] Der Zusammenhang zwischen Hyperinflation und der Einführung des Währungsrates ist auch komplexer als es auf den ersten Blick scheint. Anne-Marie Gulde, Senior Economist beim IWF, merkt in einem Bericht an, dass die Hyperinflation von Anfang 1997 die Durchführbarkeit des Währungsrats erleichtert hat - das Dahinschmelzen der Innenschulden, die anfangs ein ausgeglichenes Budget gefährdet hätten, erlaube ein Geldmanagement ohne Rückgriff auf die Nationalbank. [10]

Kämpfe?
Der Widerstand gegen die Politik von Weltbank und IWF, oder auch der EU oder anderer internationaler Institutionen, gestaltet sich in Bulgarien wie in den meisten anderen ost- und südosteuropäischen Ländern schwierig. Am meisten fällt dabei ins Gewicht, dass jede Art von kollektiver Organisierung, ja Solidarität an sich, durch ihre ideologische Aufladung in der Zeit vor 1989 gründlich desavouiert ist. Proteste und Widerstand bleiben deshalb auf individueller Ebene oder auf jener von thematisch eingeschränkten Interessengruppen, die auf ein bestimmtes Ereignis reagieren. Obwohl in Diskussionen klar wird, dass viele verstehen, welche Rolle internationale Institutionen in der Unterwerfung der bulgarischen Gesellschaft unter die Logik des Ausbeutungsgefälles spielen, wagen nur wenige die hegemoniale Wahrnehmung zu durchbrechen, es gebe zur Einordnung der bulgarischen Wirtschaft in westlich dominierte Strukturen keine Alternative. Insbesondere die Landwirtschaft wurde dermassen effektiv zerstört, dass es tatsächlich nicht einfach scheint, autonomere Wege zu gehen. Und so bleibt die Hoffnung, innerhalb des Ausbeutungssystems eines Tages auf der gemütlicheren Seite zu stehen und wenn schon nicht in absehbarer Zeit der EU beizutreten, so doch von der schwarzen Liste der EU gestrichen zu werden und ohne Visum nach Westeuropa reisen zu können. Das Versprechen des Anschlusses an "den Westen" und der in Aussicht gestellte Wohlstand, welche die Leute im Moment noch hinzuhalten vermögen, dürfte aber jene nicht ewig beschwichtigen, die sich durch den Modernisierungsangriff um ihre Zukunft geprellt sehen. Zwischen dem Druck der internationalen Institutionen, gekoppelt mit den Eigeninteressen einer bulgarischen Elite, und der steigenden Wut in der Bevölkerung gegen die staatliche Politik bleibt der Regierung nicht viel Handlungsspielraum.

Wie lässt sich aber der Wunsch vieler OsteuropäerInnen nach einer Öffnung gegen aussen, also nach einer Teilhabe an einer Globalisierung, verbinden mit der Antiglobalisierungsrhetorik eines Teils der internationalen Mobilisierungen? Wäre es denkbar und sinnvoll, sich von dieser Rhetorik zu verabschieden, zumal es schwierig ist, sich mit linken Antiglobalisierungsslogans von ähnlichen rechten und nationalistischen Diskursen abzugrenzen? Tatsächlich richtet sich der Widerstand der globalen Mobilisierungen ja nicht "gegen Globalisierung", sondern gegen jene, die eine echte Globalisierung, in der jede und jeder selber entscheiden kann, wo und wie sie leben will, durch eine Vielfalt von Regulationsinstrumenten verhindern - Grenzkontrollen gegen aussen, rassistische Gesetze gegen innen, die Aufrechterhaltung von Handelsstrukturen, welche die industrialisierten Länder bevorzugen, eine Mischung von militärischer Drohung, Krieg und der finanz- und handelstechnischen Durchsetzung von Abhängigkeit.

"Für eine Globalisierung der Rechte", forderten vor kurzem in Bologna die Proteste gegen die OECD (Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung). Damit knüpfen sie an eine operaistische Beschreibung von Klassenkämpfen an, die zumindest den Vorteil hat, einen grassierenden Defätismus angesichts verlorener Einzelkämpfe zu entschärfen: Eineinhalb Jahrhunderte internationalistischer Klassenkampf haben das Kapital derart in die Enge getrieben, dass es die Flucht nach vorne in eine Globalisierung der Produktionsprozesse antreten musste. Mit der Flexibilisierung der Produktion wurde zwar klassisch fordistischen Kämpfen die Effektivität weitgehend genommen. Gleichzeitig hat sich das Kapital eine globale Widerstandsbewegung eingehandelt - eine, die es ernst meint mit der Globalisierung. Eine solche Beschreibung bricht mit den Rückzugsgefechten der FordismusnostalgikerInnen und öffnet eine Perspektive, in der soziale Veränderungen nicht nur nach den Verwertungsinteressen des Kapitals durch technologische Angriffe durchgesetzt werden. Ein globaler Prozess von Widerstand und von Kämpfen, die aus lokalen Begebenheiten schöpfen und sich weltweit aufeinander beziehen, bietet die Gelegenheit, eigene Wünsche zu formulieren und solidarisch neue gesellschaftliche Modelle zu entwickeln.

In Prag dürfte das Anreisen einer Vielzahl von AktivistInnen aus verschiedenen Ländern im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Dabei darf nicht vergessen gehen, dass eine globale Mobilisierung nur in dem Masse effektiv ist, in dem sie lokalen Kämpfen den Rücken stärkt. Diese lokalen Kämpfe gehen nach dem 26. September weiter, wenn die meisten Gäste abgereist sind. Bis dahin besteht die Gelegenheit zu einem Austausch über Analysen und Widerstandsformen, der die jeweiligen Kämpfe vorantreibt und stärkt - auf dass auch in Osteuropa die ideologischen und gesellschaftlichen Hürden zu einem breit angelegten Widerstand genommen werden.

Anmerkungen
[1] Detlef Hartmann, “Völkermord gegen soziale Revolution – Das US-imperialistische System von Bretton Woods als Vollstrecker der nationalsozialistischen Neuen Ordnung”, Autonomie – Materialien gegen die Fabrikgesellschaft, Neue Folge, Nr. 14 (2. unveränderte Auflage 1987). Obwohl Hartmann im Text recht genau ausführt, wie die finanztechnischen Instrumente in den verschiedenen imperialistischen Ländern parallel entwickelt wurden und welche Innovationen genau von den Naziökonomen eingeführt wurden, scheint der Titel selbst in die Falle antiimperialistischer Diskurse der 70er Jahre zu gehen, die den US-Imperialismus als Vollstrecker der Nazi-Politik dämonisieren und damit den Holocaust ausklammern.
[2] Thomas M. Bohn, “Bulgariens Rolle im ‚wirtschaftlichen‘ Ergänzungsraum Südosteuropa”, in Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik Nr. 12, “Besatzung und Bündnis – Deutsche Herrschaftsstrategien in Ost- und Südosteuropa” (1995), pp. 111-138.
[3] Einer operaistischen Beschreibung folgend, können wir hier allgemeiner vom Widerstand der Klasse sprechen. Der Begriff unterscheidet sich von jenem der Arbeiterklasse, indem er alle antagonistischen, nicht einbindbaren Kräfte umfasst, also insbesondere auch Bäuerinnen und Bauern, deren selbstversorgende Lebensweise (Subsistenz) aus der Sicht des Kapitals zerstört werden muss, um ihre Verwertbarkeit überhaupt erst herzustellen.
[4] “Sowjetisch” und “sowjet”-russisch steht hier in Anführungszeichen, da nach der Oktoberrevolution einer der ersten Angriffe der Bolschewiki um Lenin den “Sowjets”, also den Räten galt, die entmachtet wurden. Die “Sowjet”-Union hatte daraufhin wenig mit einer Räterepublik zu tun, für die SozialrevolutionärInnen gekämpft hatten.
[5] Siehe auch: Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 4, “Das Ende des sowjetischen Entwicklungsmodells – Beiträge zur Geschichte der sozialen Konfrontationen mit dem sozialistischen Akkumulationskommando” (1992).
[6] Siehe dazu Eric Hobsbawm, Industrie und Empire – Britische Wirtschaftsgeschichte seit 1750, 2 Bde (1970).
[7] Zur Geschichte der bulgarischen Neureichen siehe auch Alain Kessi, “Kriegsgewinnler und Embargoverlierer”, in com.une.farce 3/99, encore.une.farce; erweiterte Fassung eines Artikels in Jungle World Nr. 29/99, 14. Juli 1999.
[8] Zur geschlechterspezifischen Polarisierung der Gesellschaft nach der “Wende” siehe Judith Dellheim, “Lateinamerika im Osten?”, Ost-West-Gegeninformationen Nr. 2/97 Juli 97, Alternativ-sozialistisches Osteuropakomitee Graz.
[9] Victor Yotzov et al., “The First Year of the Currency Board in Bulgaria”, Bulgarian National Bank, Discussion Paper 1, September 1998.
[10] Anne-Marie Gulde, “The Role of the Currency Board in Bulgaria’s Stabilization”, Finance & Development, September 1999, p. 36.