Kriegsgewinnler und Embargoverlierer
Bulgarien wird zu einer Dienstleistungsaußenstelle Europas

von Alain Kessi
(Jungle World, 14.7.99)
Der Krieg gegen Jugoslawien samt seinem ideologisch-propagandistischen Umfeld war für die Nato eine Gelegenheit, ihre Hegemonie auszuweiten und die Gefügigkeit der verschiedenen osteuropäischen Regierungen zu testen. Die bulgarische Regierung hat den Test bestanden. Mit Bravour, meint "die persönliche Freundin von Aussenministerin Nadezhda Mihajlova", US-Staatssekretärin Madeleine Albright. Knapp, meint ein Nato-General, darauf hinweisend, daß sich die bulgarische Regierung standhaft geweigert hat, Flüchtlinge aufzunehmen. Bis auf diesen Punkt war die bulgarische Regierung aufs Äußerste bemüht, sich für einen eventuellen Nato-Beitritt zu positionieren. Für oder gegen den Nato-Angriff?
Die Haltung der bulgarischen Bevölkerung zu den Nato-Angriffen war gespalten. Die Sympathien für die jugoslawische Regierung halten sich zwar in engen Grenzen. Aber zumindest der Teil der Nato-Propaganda, der auf eine generelle Dämonisierung "der Serben" abzielte, scheint den meisten BulgarInnen wenig Eindruck gemacht zu haben. Dies, obwohl auch in Bulgarien die offizielle Geschichtsschreibung von ethnisierenden Konstruktionen und Zuschreibungen strotzt und unter verschärften Bedingungen Ethnisierungsstrategien durchaus Aussichten auf Erfolg haben könnten.
Selbst laut den regierungsfreundlich manipulierten Umfragen lehnten über die Hälfte der Leute die Nato-Angriffe ab. Viele nahmen den Krieg, etwas resigniert, als Durchsetzung westlich-imperialistischer Interessen auf dem Balkan wahr. Würde sich die bulgarische Regierung etwa wie die jugoslawische gegen IWF-Auflagen wehren, könnte ein solcher Krieg durchaus auch gegen Bulgarien vom Zaun gerissen werden. Ministerpräsident Kostov hatte also keine einfache Aufgabe, den Leuten seine natofreundliche Politik schmackhaft zu machen. Er oszillierte zwischen zynischen Verweisen auf seine eigene Machtlosigkeit angesichts der Nato-Druckmittel und hochemotionalisierten Tiraden, etwa, als er meinte, gegen die Bombardierungen könne nur sein, wer nichts gegen den Genozid im Kosovo habe. Und das seien in Bulgarien nur jene Leute, die bereits vor einem Jahrzehnt einen Genozid verschuldet hätten. Mit "jenen Leuten" meint er die ehemaligen KommunistInnen (als ob er damals nicht selber beim Komsomol gewesen wäre!) und mit dem "Genozid" die Zwangsbulgarisierung der türkischsprachigen Minderheit 1984.
Die kritische Haltung der SozialistInnen war demgegenüber populärer, sie hatten sich aber in den letzten Jahren ihre politische Glaubwürdigkeit bereits allzu gründlich verscherzt.
Etwas größeren Spielraum für natofreundliche Positionen als die regierenden Vereinigten Demokratischen Kräfte hatten die VertreterInnen der Eurolinken - ein Verband von westlich und (neo-) liberal orientierten Persönlichkeiten. Einzig die Bewegung für Rechte und Freiheit mit ihren meist türkischsprachigen AnhängerInnen hatte wenig Probleme, sich für die Nato-Bombardierungen und für eine Solidarität mit den AlbanerInnen im Kosov@ zu entscheiden.
Abgesehen von der Oppositionszeitung "Monitor" und dem inzwischen (wieder einmal) eingegangenen sozialistischen Parteiorgan "Duma" blieben die bulgarischen Medien weitgehend regierungs- bzw. natotreu.
Die Mär von der humanitären Intervention wurde wenig angegriffen, und das diplomatische Hickhack von Rambouillet und der berühmte Annex B sind in den bulgarischen Medien nicht groß zu Ehren gekommen. Eine unkritische Westorientierung, die sicher auchdamit zusammenhängt, daß die beiden auflagestärksten Zeitungen, "24 Chaassa" und "Trud", wie ein Großteil der Presseerzeugnisse, im Besitz der deutschen WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) sind. Embargos und Profite
Die wirtschaftliche und politische Entwicklung Bulgariens in den letzten zehn Jahren ist stark geprägt von den verschiedenen Kriegen und Embargos, in Jugoslawien wie zuvor im Irak. Der Irak war ein wichtiger Exportmarkt für die bulgarische Wirtschaft, sowohl für landwirtschaftliche Produkte als auch für die Bauindustrie, die wesentlich an Infrastrukturprojekten in arabischen Ländern beteiligt war. Die direkten Verluste, die der bulgarischen Wirtschaft aus den drei Embargos gegen Serbien, den Irak und Libyen erwuchsen,
belaufen sich nach Angaben des Außenministeriums auf über die Hälfte der gesamten Auslandsverschuldung Bulgariens (1996: 10 Milliarden US-Dollar).
Das Embargo gegen die Bundesrepublik Jugoslawien während des Bosnienkriegs dauerte von 1992 bis 1996. Es hat die bulgarische Wirtschaft vollständig umgekrempelt und in einem ersten Schritt "kriminalisiert". Die Voraussetzungen zu dieser Entwicklung sind in den Vorgängen Ende der 80er Jahre zu suchen. Damals sollte gemäß einem Plan des nachmaligen Ministerpräsidenten Andrei Lukanov die Partei in einen marktwirtschaftlich orientierten Großkonzern umgebaut werden.
Dafür wurden junge Parteikader an westeuropäischen und US-amerikanischen Hochschulen zu KapitalistInnen ausgebildet. Als die Partei ihr Machtmonopol aufgab, floßen große Teile des Parteivermögens, das Resultat von Jahren staatssozialistischer Kapitalakkumulation, in die Taschen dieser neuen Kader. So entwickelte sich rasch eine Klasse von Neureichen mit hervorragenden Beziehungen innerhalb der Staatsstrukturen. Damit war die Voraussetzung gegeben für die Gründung privater Unternehmen, oft Briefkastenfirmen, die als Subunternehmer der staatlichen Betriebe figurierten und dank aufgeblasener Projektbudgets beträchtliche Profite abzwacken konnten. In der Alltagssprache wurde diese aggressive Modernisierungselite, die im und um den Staatsapparat die wirtschaftliche "Transformation" durchsetzt, als bulgarische "Mafia" bekannt.
Das vierjährige UNO-Embargo gegen Serbien wirkte weniger dadurch, daß der bulgarisch-serbische Handel zum Erliegen kam. Dieser war sowieso nie von großer Bedeutung. Hingegen wurde die wichtige Handelsverbindung in die EU - immerhin etwa 45% der bulgarischen Exporte gehen da hin - erheblich gestört. Die Umleitung der Waren über Rumänien ist umständlich und wegen hoher Zollgebühren bzw. noch höherer Schmiergelder teurer.
Der Weg über Griechenland und das Mittelmeer hingegen ist beträchtlich länger. In dieser wirtschaftlichen Isolation entwickelte die Aussicht auf Gewinne aus dem illegalen Embargohandel eine folgenreiche Dynamik.
Für Produkte, die unter das Embargo fielen, wurden in Jugoslawien Wucherpreise bezahlt. Dies nutzten BulgarInnen aus den Dörfern der Grenzregion im kleinen Stil, um in Serbien Benzin für bis zu 20 Mark pro Liter zu verkaufen. So richtig profitierten aber vor allem jene neureichen Eliteclans, die in den Embargo-Großhandel einstiegen. Ganze Kähne, vollgeladen mit Treibstoff oder anderen Waren, fuhren über die Donau nach Jugoslawien -
steuerfrei und mit riesigen Profitmargen. Es war die Zeit der offenen Brutalität, die Zeit der Burtzi (Mehrzahl von Buretz = Ringer), der muskulösen, Manta oder Mercedes fahrenden Ex-Spitzensportler mit Handy, die ihren ideologisch bedingten Statusverlust dadurch wettmachten, daß sie nun für die zahlreichen neuen Versicherungsfirmen von Tür zu Tür gingen und den frischgebackenen UnternehmerInnen tatkräftig Versicherungspolicen und Protektionsverhältnisse andrehten. Weitere Stützpfeiler der Mafia waren die bereits erwähnten ehemaligen Parteikader (unterdessen sowohl bei den "SozialistInnen" wie bei den "DemokratInnen" gelandet) und die Geheimdienstoffiziere. Die offen aus- und zur Schau getragene Brutalität der Burtzi diente unter anderem auch dazu, mit einem Medienrummel um Handgreiflichkeiten und Morde vom forcierten Umbau der wirtschaftlichen Strukturen abzulenken. In Bars waren Messerstechereien nicht selten, und Morde wurden für gewöhnlich nicht aufgeklärt. Entsprechende Männlichkeitsbilder übertrugen sich auch auf Jungs in manchen Stadtvierteln, auf deren Provokationen zu reagieren nicht anzuraten war.
Nach zwei Monaten der Hyperinflation - auch eine effektive Art der Umverteilung - gelang es dem IWF und den marktwirtschaftlich orientierten politischen Parteien Anfang 1997,
die Sozialisten von der Macht zu verdrängen. Mit der Übergangsregierung von Stefan Sofyanski, heute Bürgermeister von Sofia, begann eine neue Ära. Innenminister Bogomil Bonev veranstaltete zwar zunächst medienwirksame Schießereien zwischen PolizistInnen und zu "Kriminellen" emporstilisierten Jugendlichen, befand sich also punkto mafiöser Ablenkungsstrategien in der besten Tradition. Den Ratschlägen des IWF folgend, unterzog er aber alle Lizenzen von Versicherungsagenturen, Wechselstuben und Banken einer Überprüfung und ließ viele von ihnen schließen. Gleichzeitig sorgte er für ein wirtschaftliches Umfeld, in dem die Mafiaunternehmen ihr Kapital legalisieren und reinvestieren konnten. Seither ist die Mafia selber auf "Recht und Ordnung" bedacht, auf Stabilität und ein gutes Investitionsklima, und die sichtbare Brutalität ist größtenteils verschwunden. Es bleiben die tiefen Verflechtungen zwischen den neuen KapitalistInnen einerseits, den Behörden und Staatsbetrieben andererseits.

Erhöhte Abhängigkeit - erhöhte Erpressbarkeit
Das diesjährige EU/Nato-Embargo gegen Serbien und der Nato-Krieg gegen Jugoslawien dauerte dagegen nur zwei Monate -
Bulgarien schloß sich dem EU-Embargo Ende April an und schaffte es Ende Juni ab. Etwas voreilig, wie mahnende Stimmen aus EUropa meinten. Die Folgen waren weniger einschneidend, bestehende Abhängigkeiten wurden aber, durchaus auch im Sinne von IWF, EU oder NATO, weiter verstärkt.
Trotzdem beziffert das Finanzministerium die direkten volkswirtschaftlichen Verluste infolge des Kriegs auf etwa 150 Millionen Dollar. Die bulgarische Witzkultur wundert sich derweil, wie in Kriegszeiten solche Verluste gemacht werden können, wenn aus Friedenszeiten keine entsprechenden Profite bekannt sind.
Der Handelsweg über jugoslawische Straßen bleibt vorerst weiter geschlossen, zumindest solange Slobodan Milosevic seine Macht in Belgrad zu halten vermag. Um die Abhängigkeit von Jugoslawien zu durchbrechen, drängt die bulgarische Regierung seit längerem auf eine zweite Donaubrücke nach Rumänien, ganz im Westen bei Vidin. Im Osten, auf zwei Dritteln des Weges zum Schwarzen Meer, wurde 1954 die erste errichtet. Der Bau einer zweiten Brücke ist bisher daran gescheitert, daß sie nicht in die Verkehrspolitik der rumänischen Regierung paßt. Mit wenigen Kilometern Wegstrecke durch rumänisches Hoheitsgebiet läßt sich kaum viel am Durchgangsverkehr verdienen. Unter dem Druck der EU stellt sich der rumänische Präsident Emil Constantinescu nun zumindest nicht mehr offen gegen diese Lösung, macht aber auch keine Anstalten, konkrete Verhandlungen aufzunehmen. Zudem hat der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber seinem bulgarischen Amtskollegen Ivan Kostov versprochen, er werde bei der rumänischen Regierung intervenieren.
Längerfristige Auswirkungen dürfte der Krieg auf die Privatisierungspolitik der Regierung haben. Unter dem Diktat des IWF werden Staatsfirmen in gewinn- und verlustbringende Abteilungen aufgeteilt, um die profitträchtigen Abteilungen an private InvestorInnen zu verhökern.
Potentielle InvestorInnen sehen die gesamte Region einschließlich Bulgariens als instabil an. Der Chef der Privatisierungsagentur, Zachari Zheliazkov, meinte bereits Mitte April, es zeigten sich keine neuen InteressentInnen und bisherige zögen sich zurück. Damit fallen die Preise der feilgebotenen Staatsbetriebe. Da gleichzeitig ganze Branchen und Betriebe nach den Vorgaben der internationalen Institutionen als "nicht konkurrenzfähig" geschlossen wurden und in den übrigbleibenden Betrieben restrukturiert wird, steigt die Arbeitslosigkeit, die Abhängigkeit der ArbeiterInnen von ihrer Arbeitsstelle und damit ihre Ausbeutbarkeit. Die durch den Nato-Krieg verschärften wirtschaftlichen Schwierigkeiten nahm die Weltbank in ihrem Portfolio-Bericht vom Juni 99 dann auch noch zum Anlaß, den Druck auf die bulgarische Regierung bezüglich einer beschleunigten Umsetzung des Strukturanpassungsprogramms zu erhöhen. Das heißt im Klartext, Betriebe zu Tiefstpreisen zu verschleudern, Leute zu entlassen und gleichzeitig das soziale Netz, das Arbeitslose auffangen könnte, abzubauen. Ein ansehnlicher Teil der alternden Bevölkerung auf dem Land wurde bereits in die Subsistenz zurückgedrängt, kann nicht mehr konsumieren, lebt von der Eigenproduktion und etwas Tauschhandel. Von dem, was hier angebaut und verarbeitet wird, hängen auch zahlreiche Verwandte in den Städten ab, da selbst für jene, die eine Stelle haben, der Lohn nur selten zum Leben reicht.
Viele in Bulgarien haben längst die Hoffnung verloren, daß sich die bulgarische Wirtschaft zu mehr als einer Dienstleistungsaußenstelle westlicher Firmen entwickeln könnte. In einem Anflug von Galgenhumor sprechen manche davon, BulgarInnen seien im Standortwettbewerb darum bemüht, sich möglichst ausbeutbar zu machen. Zögerliche Hoffnung wecken lediglich die ständig wiederholten und nach dem Nato-Angriff auf Jugoslawien mit Nachdruck verbreiteten Versprechungen von der Eingliederung
in die Europäische Union. Was auch immer dann westliche Firmen und Institutionen mit der bulgarischen Wirtschaft anstellen - wenigstens könnte mann/frau dann im Westen arbeiten und wäre nicht, wie bisher, visumspflichtig. Mit diesen Hoffnungen spielte jüngst wieder der britische Regierungschef Tony Blair. Bei seinem Besuch in Sofia vor einigen Monaten sprach er sich eindringlich dafür aus, Bulgarien zur nächsten Runde der Beitrittsverhandlungen einzuladen.
Auch EU-Thinktanks wie das CEPS (Center for European Policy Studies) raten zu einer raschen EU-Osterweiterung, obschon diese wirtschaftlich für die EU uninteressant und organisatorisch schwierig sei.
Sie sei aber die einfachste Möglichkeit zur Befriedung des Balkans, erklärte das CEPS im jüngsten Bericht. Um den Widerspruch zwischen direkten wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen zu lösen, sind in nächster Zeit Diskussionen über eine EU-Teilmitgliedschaft für osteuropäische Beitrittskandidaten zu erwarten, wie sie bereits für die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken vorgeschlagen wurde. Denn aus EU-Sicht dürfte eine richtige Mitgliedschaft wohl bei keinem der neuen Anwärter ernsthaft in Frage kommen.