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Tote Hunde auf der Überholspur
6. Frankfurter Gegenuni 30.10.-11.11.07

„Back from the dead“#1#
»Frischer Wind an der Goethe-Uni« ist großflächig am alten Labsaal zu lesen. Ein frischer Wind, der sich für viele eher als steife Brise oder handfester Sturm darstellt, der sie aus der Uni weht, Studiengebühren sei dank. Die Lücke der nicht zahlungsfähigen wurde allerdings geschlossen mit windigen Begriffen wie »Exzellenz«, die – wie hohl auch immer – nun mal teuer zu erkaufen ist. Es spricht aus ihr das Zauberwort der »Konkurrenz«, verbunden mit dem »internationalen Wissensmarkt«. Portmonee auf, Hirn aus, Ellbogen an; das Leben als Killerspiel, kapitalistischer Normalzustand, auch an der Universität.
Jener »frische Wind« sorgt auch dafür, dass der beissende Geruch von Kritik gar nicht mehr aufkommt. Lässt sich nicht vermarkten, verkaufen, wirft keinen Mehrwert ab. Und die Protagonist_innen sind sowieso schon lange (mund)tot gemacht. Die Bücher verstauben, die Vorstellung von Wissenschaft als umfassender Gesellschaftskritik, die gleichzeitig notwendig auf ihre eignen wie die Bedingungen der realen Veränderung der Welt zum Besseren reflektiert, ist ebenso unter einer sechs Fuß dicken Staubschicht begraben.#2#

„zombie ritual“#3# auf dem „pet sematary“#4#?
Es gilt also, die Schaufeln auszupacken und die Oberfläche abzutragen. Gesellschaftskritik heute muss auch die eigene Geschichte reflektieren und kritisch aufnehmen. Die Beschäftigung mit älteren Texten darf daher weder dazu dienen, in Heldenverehrung zu erstarren und somit die Lebendigkeit der Kritik den Untoten zu übergeben, noch die Lieblingsautor_innen aufgrund libidinöser Bindung unadäquat zu einem zweiten Leben zu erwecken. Was bei Kuscheltieren schief geht, funktioniert auch bei Kritik nicht. Dennoch gilt es, die Aktualität vieler Auseinandersetzungen zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft damit umzugehen. Das bedeutet auch und gerade, mit den so genannten Klassikern respektlos zu verfahren. Kritische Auseinandersetzung kann weder gemütliches Ausruhen auf lieb gewonnenen Dogmen noch kuschelige Wohlfühlrunde in gegenseitiger Bestätigung heißen.


„open the abscess“#5#
In der doppelten Negation wie der doppelten Reflexionsschleife geht es also um eine schmerzhafte Operation, deren Mittel zwischen Kettensäge und Seziermesser notwendig schwanken. Doch die Wahl der Mittel muss wohl überlegt sein und richtet sich nach der jeweiligen Konstellation#6#. Deshalb muss – Paradoxon der Gleichzeitigkeit – die Operation jeweils Kritik jener Konstellation sein, Bedingung der Kritik des zu kritisierenden Phänomens#7#. Werden jedoch die im gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb allzu toten Hunde vergessen oder zum Götzenbild verklärt, muss ein solches Unterfangen scheitern. Stattdessen gilt es, den historischen Stand der Kritik gut dialektisch aufzuheben in der Kritik der Gegenwart. Dabei ist sicherlich das Verhältnis von Kritik und Institution zentral.

„Pathos Galore“#8#
In diesem Sinne werden während der Gegenuni „alte“ Theorien ausgepackt, um sie zu entstauben. Die Eröffnungsveranstaltung wird an den Aufsatz von Horkheimer – Zur gegenwärtigen Lage der Sozialphilosophie – anschließen und eine aktuelle Einschätzung vornehmen. Begreifen wir die aktuelle Veränderung der Universität nicht nur als Affront, sondern ebenso sehr als Anlass, das Verhältnis von Revolution und Institution neu zu bestimmen. Es geht schließlich um nicht mehr und nicht weniger als um die Entwicklung einer adäquaten Theoriepraxis, um zu einer praktischen Abschaffung der Herrschaft zu gelangen.

Hoch die Tassen,
Eure Gegenuni-Vorbereitungsgruppe

*.notes
#1# Death, Songtitel aus: back from the dead rehearsal demo, Demo-Tape 1985

#2# Die Paarung frischer Wind/ Staub ist nicht ganz unproblematisch, weil sie genau im Bild der Uni bleibt. Dagegen müsste herausgestellt werden, dass es der sogenannte frische Wind ist, der uns erstickt, und das vorgeblich Verstaubte die Luft zum Atmen. Da aber im Folgenden mit Schaufeln zu Werke gegangen wird, lassen wir es so stehen.

#3# Death, Songtitel aus: scream bloody gore, LP 1987

#4# Ramones, Songtitel aus: pet sematary (soundtrack), LP 1990

#5# Exhumed, Songtitel aus: gore metal, LP 1998

#6# Spätestens an dieser Stelle droht der Absatz, eine Hieroglyphe zu werden. Von welcher Konstellation ist hier die Rede? Der Verfasser konnte darüber selbst keine erschöpfende Auskunft geben, sondern verstrickte sich in Allgemeinheiten.

#7# Wo kommt jetzt das Phänomen plötzlich her? Worin besteht die Gleichzeitigkeit, und was bedingt was?
Nehmen wir z.B. mal Marx, einen der wichtigsten von den Verstaubten. Er hat eine hervorragende und bis heute frische Analyse der kapitalistischen Produktionsweise geliefert, ohne die jede Sozialwissenschaft in Affirmation abgleitet. Von Geschlechterverhältnissen schreibt er dagegen so gut wie nichts. Wenn es uns also um eine umfassende Analyse von Ausbeutung, Unterdrückung, Herrschaft und – Befreiung von diesen Verhältnissen geht, dann gilt es, diesen „blinden Fleck“ zu untersuchen. Dabei reicht es nicht, die Geschlechterverhältnisse als weiteres Moment bloß hinzuzufügen (umgekehrte Kettensäge), sondern ganze Teile der Theorie sind neu zu konzipieren: Geschichte lässt sich nicht mehr nur als die Geschichte von Klassenkämpfen verstehen, wenn Hausarbeit darin nicht begriffen ist. Gleichzeitig lässt sich aber die Stellung der „Hausarbeit“ in den gegenwärtigen Produktionsverhältnissen nicht ohne den Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital erklären.

#8# Fear is the path to the dark side, Songtitel aus: fear my thoughts, Split LP 200

 

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