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"Natürlich sind zehn
Deutsche dümmer als fünf
Deutsche"
Zur Kampagne gegen die doppelte Saatshörigkeit
der CDU

von Sonja Brünzels
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1. Vorbemerkung
Anfang dieses Jahres führte die CDU gegen die
Pläne der neuen rot-grünen Bundesregierung zur
Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts
eine einigermaßen erfolgreiche
Unterschriftensammlung durch. Aufhänger war dabei
die Frage, ob Einwanderern eine doppelte Staatsangehörigkeit
ermöglicht werden sollte. Einige linksradikale
Politclowns konterten mit einer Gegenaktion, der
"Kampagne gegen die doppelte Staatshörigkeit
und für die Integration der CDU". Der folgende
Text diskutiert einige Erfahrungen, die bei dieser
Gegenkampagne gemacht wurden.
Um den Erfolg der CDU-Kampagne und auch die
Beobachtungen bei den Gegenaktionen zu verstehen, ist
vorab ein Blick auf die diskursive Struktur des
bundesdeutschen Rassismus hilfreich. Herausragendes
Merkmal des Rassismus in der Bundesrepublik Deutschland
ist, daß er im herrschenden politischen und
medialen Diskurs begrifflich gar nicht existiert.
Während in Großbritannien Tony Blair
unlängst parlamentsöffentlich sagen konnte
"Of course there is a problem with racism in this
country", werden wir auf eine entsprechende
Feststellung von Schröder bzw. dessen Nachfolgern
wohl noch einige Jahrzehnte zu warten haben. Eine
öffentliche Diskussion über strukturellen
Rassismus in Polizei und Behörden, wie sie zur Zeit
in Großbritannien geführt wird, ist in
Deutschland undenkbar: Hierzulande heißt Rassismus
'Ausländerfeindlichkeit', ein Wort, das die
Ausgrenzung der hier lebenden Migrantinnen von
vorneherein als gegeben hinnimmt. Rassismus erscheint im
bundesdeutschen Diskurs nicht als Problem, das die Mitte
der Gesellschaft tangiert, sondern als eine
Randerscheinung: Ausländerfeindlich sind die
anderen, die Ossis, die Skinheads, die Neonazis. Die
banale Tatsache, daß Millionen hier lebender
Einwanderer durch ein strukturell rassistisches
Staatsbürgerrecht zu Menschen zweiter Klasse
gestempelt werden (und daran wird sich, wie's aussieht,
wohl nicht viel ändern), ist der Rede nicht
wert.
Dennoch gibt es ein Problem mit "den
Ausländern": Nachdem die 'Fluten' der
Flüchtlinge bzw. 'Asylanten' erfolgreich
trockengelegt wurden, heißen die Schlagworte
'Innere Sicherheit', 'Ausländerkriminalität',
'Organisierte Kriminalität',
'Drogenkriminalität' etc. Dabei ist die Struktur
des Diskurses durch eine zugleich grundlegende und stets
prekäre Trennung zwischen 'guten Ausländern'
und 'bösen Ausländern' gekennzeichnet: Der
gute Ausländer ist legal im Lande, arbeitet hart
und zahlt unsere Renten. Im Idealfall ist er vom
Deutschen nicht zu unterscheiden; es wird ihm dann
erlaubt, nach einigen Jahrzehnten Arbeit in Deutschland
seine bisherige Staatsangehörigkeit sowie einen
Sprachtest abzulegen und sich (nach Nachweis gelungener
Integration) durch Erwerb eines deutschen Passes
aufzulösen. Der böse Ausländer dagegen
ist illegal, Krimineller, Drogenhändler und
Sozialschmarotzer. Er wird abgeschoben. Durch
institutionelle Regelungen wird sichergestellt,
daß die Trennung zwischen beiden Kategorien auch
materielle Realität besitzt: Das Arbeitsverbot
für Flüchtlinge zeigt dies ebenso wie die
Bedingungen ( bspw. keine Vorstrafen, keine
Arbeitslosen- oder Sozialhilfe), welche Schilys
Gesetzentwurf für eine Einbürgerung fordert.
Der Rassismus, der sich in diesem Diskurs offenbart, ist
zugleich ausschließend und integrationistisch.
Dabei bleibt die Trennung zwischen Innen und Außen
der bundesdeutschen Gesellschaft, was die Positionierung
'der Ausländer' angeht, prekär: ganze Gruppen
von Menschen können sich, wie unlängst 'die
Kurden' nach dem Verbot der PKK, von der einen Seite der
unsichtbaren Trennlinie unversehens auf die andere Seite
verfrachtet sehen.
An den Stammtischen fehlen dagegen oft die subtilen
Unterscheidungen, die den öffentlichen und
offiziellen Diskurs kennzeichnen: Es gibt zuviele
Ausländer hier in Deutschland, sie bedrohen unsere
Kultur und nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Sie
machen sich überall breit und ihr Nachwuchs rempelt
unsere Omas auf der Straße an. Basta così.
Während sich dieser dumpfdoitsche
Populärrassismus an den Stammtischen immer wieder
selbst bestätigt, leidet er allerdings an
öffentlicher Sprachlosigkeit. Wer die Parole
"Ausländer raus!" nämlich auch im
öffentlichen, politischen oder medialen Raum
krakeelt, ist ein Rechtsextremist und damit in der
bundesdeutschen symbolischen Ordnung draußen. In
der Politik bedeutet das: solche Leute werden nicht
gewählt und wenn doch, so wie in Sachsen-Anhalt die
DVU, werden sie anschließend in der
BILD-Zeitung medial geschlachtet. Der deutsche
Stammtischrassist hat daher ein Problem. Er weiß,
daß alle genauso denken wie er. Und er weiß
auch ganz genau: sagen darf er's nicht, zumindest nicht
allzu laut.
2. "Die Menschen dort abholen, wo sie
stehen": Die Kampagne der CDU
Angesichts dieser Gegebenheiten unternahmen die
Christdemokraten nach ihrer katastrophalen
Wahlniederlage letzten Herbst den Versuch, das Gesetz
des politischen Handelns zurückzugewinnen, indem
sie den populären Stammtischrassissmus unter ihren
Fahnen gegen die Pläne der neuen Bundesregierung
zur Reform des Staatsbürgerrrechts mobilisierten.
Die Vorgeschichte ihrer Kampagne ist interessant, zeigt
sie doch die Integrationsfähigkeiten einer
deutschen Volkspartei von ihrer besten Seite: Zuerst
preschte Stoiber als Rechtsaußen vor, indem er die
hier lebenden Migranten im Zusammenhang mit den
rot-grünen Reformplänen als Gefahr für
die innere Sicherheit, "schlimmer als die
RAF", etc. denunzierte und dabei die
politbranchenüblichen Differenzierungen (siehe
oben) einmal außen vor ließ. Diese rechte
Flanke wurde dann an Schäuble und die politischen
Zentrumsspieler der CDU weitergegeben, die im besten
Besinnungsaufsatzstil den Integrationsdiskurs beschworen
und die einigermaßen logikfreie Forderung
"für Integration, gegen doppelte
Staatsangehörigkeit" erhoben. Zu diesem Zeitpunkt mußte freilich
auch dem letzten Bierdimpfl klar geworden sein,
daß die CDU endlich einmal etwas "gegen die
Ausländer" zu tun im Begriff war. So gelang
den Christdemokraten, durch einen diskursiven
Fallrückzieher die Ausländer-Raus-Rassisten zu
mobilisieren, ohne sich dabei im respektablen Feld
legitimer politischer Forderungen ins Abseits zu
stellen. Nachdem der Ball zwischen rechter Flanke und
Zentrum ein paarmal hin- und hergewandert war, brauchte
Koch/Hessen bekanntlich unter Beifall des
staatsbürgerlichen Publikums nur noch zu
verwandeln. Es soll im folgenden dahingestellt bleiben,
ob dieser CDU-Doppelpaß nun Resultat genialer
Planung oder schlicht Dummenglück war. Ein anderer
Aspekt ist möglicherweise interessanter: Hier wurde
bewußt oder unbewußt mit der
"Interpretationsvariabilität" gearbeitet,
mit der Fähigkeit des Empfängers einer
Botschaft, diese abweichend vom oder sogar entgegen dem
Wortlaut zu interpretieren. Konkret gesprochen
läßt sich die These aufstellen, daß
diejenigen, die die Forderungen der CDU zur
"Integration von Ausländern"
unterschrieben, damit "Ausländer Raus"
meinten und nichts anderes, daß die
Unterschriftensammlung also in erster Linie darauf
hinauslief, den Stammtischrassismus endlich auch in die
respektableren Sphären des politischen Diskurses zu
integrieren und ihm dort eine Stimme zu verleihen.
3. "Gegen die doppelte Staatshörigkeit und
für die Integration der CDU"
Angesichts der anlaufenden Unterschriftensammlung der
CDU unternahmen es einige linke Politaktivistinnen, die
Richtigkeit dieser zunächst gewagt erscheinenden
These empirisch zu überprüfen und praktisch zu
demonstrieren. Das Prinzip war dabei denkbar einfach:
Wenn die Unterstützer der CDU nicht für deren
politische "Forderungen", sondern in erster
Linie gegen Ausländer unterschrieben, sollte es
möglich sein, ihnen auch andere Texte
unterzujubeln. Entgegen mancher böswilligen
Unterstellung ging es dabei nicht darum, zu zeigen,
daß die deutschen "mündigen
Staatsbürger, die hier ihren politischen Willen zum
Ausdruck bringen" (O-Ton Erwin Teufel,
CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg)
des Lesens nicht mächtig seien. Eher schon zeigte
sich, daß diese Bürger zwar lesen
können, aber das Geschreibsel der CDU, das sie
unterschrieben und als Ausdrucksmittel ihres politischen
Willens benutzten, selbst des Lesens nicht für wert
hielten. Es war also nur nötig, sich ein Original
der CDU-Unterschriftenliste zu verschaffen, welche von
der CDU-Bundesgeschäftsstelle auf ihrer Homepage
dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurde,
und diese Liste in angemessener Weise zu editieren.
Dabei wurde darauf geachtet, den Tenor des
integrationistischen Diskurses ebensowenig zu
verändern wie die wichtigsten Buzzwords oder das
allgemeine Schriftbild. Lediglich das Objekt der
Integrationsbegierde wurde ausgetauscht: Statt der
"ausländischen Mitbürger" waren es
die Deutschen bzw. die CDU, die sich integrieren
sollten, anstatt gegen die doppelte
Staatsangehörigkeit für Migrantinnen ging es
nun gegen die "doppelte Staatshörigkeit"
der Deutschen. Die Kritik linker Diskurspuristen,
daß hierbei der integrationistische Diskurs
strukturell verdoppelt werde, wurde einigermaßen
achselzuckend in Kauf genommen. In der Tat ist die
modifizierte Unterschriftenliste ebenso für
rotgrüne Zivilgesellschaftlerinnen kooptierbar, von
denen sich vermutlich auch einige an der Gegenkampagne
beteiligten. And so what? Ziel des Unternehmens war es,
zu zeigen, daß es den CDU-Unterstützerinnen
vor allem um den performativen Akt des Unterschreibens
"gegen die Ausländer" ging und der CDU,
die sich dessen sehr wohl bewußt war, um die
politische Mobilisierung eines doitschen Dumpfrassismus.
Und es ging darum, die daran Beteiligten so gut wie
möglich (medien)öffentlich zu blamieren.
4. Die unsichtbare Verschwörung - das Internet
als Medium einer Kampagne
Ein interessanter Aspekt der Kampagne gegen die
doppelte Staatshörigkeit und für die
Integration der CDU lag in den Möglichkeiten, das
Internet als Medium zur (Selbst)organisation der
Aktivistinnen zu nutzen. Das Prinzip, nach dem die
"Organisation" der Kampagne ablief, war
denkbar einfach: Ein paar Leute hatten die Grundidee,
fabrizierten mit Unterstützung der CDU-Homepage und
eines PC die modifizierte Unterschriftenliste und
stellten diese im Netz zur Verfügung. Dazu kam noch
eine SPAM-Aktion (also eine massenhaft verschickte,
unerwünschte bzw. nicht angeforderte Mail), mit der
auf das Ganze aufmerksam gemacht wurde. Das war's auch
schon.

Interessant war der Prozeß, der sich danach
abspielte: Menschen griffen die Idee auf, modifizierten
sie (es existieren mittlerweile einige ziemlich abstruse
Varianten der Unterschriftenliste), ergänzten sie
oder entwickelten eigene Aktionen. Es fand sich jemand,
der eine Homepage
einrichtete, auf der sich
Erfahrungsberichte, Vorschläge und Medienechos
sammelten. Die Möglichkeiten des Netzes als Medium
reziproker Kommunikation erwiesen sich in diesem
Zusammenhang als wesentlicher Faktor: Die Kampagne, die
zu Unterschriftensammlungen in knapp 30 meist
süddeutschen Städten führte, erhielt ihre
konkrete Form in einem Kommunikationsprozeß im
Netz, in dem sich Aktivistinnen von den Ideen anderer
inspirieren ließen, eigene Aktionen entwickelten
und ihre Erfahrungen zur Verfügung stellten. (Die
Dokumentation findet sich auf der obengenannten
kulturserver-Adresse)
Aus Sicht der Aktivistinnen hebt sich die Kampagne
durchaus vorteilhaft von früheren Erfahrungen ab.
Der Prozeß der Organisation einer Kampagne
läßt sich ja böswillig so karikieren:
Die üblichen Verdächtigen leiern ein
Vorbereitungstreffen an. Fall A: Niemand kommt. Es wird
ein zweites Vorbereitungstreffen organisiert, usw. Fall
B: Alle kommen (oh weh). Es wird ein Wochenende lang
ohne Ergebnis auf Konsens diskutiert und/oder es werden
Arbeitsgruppen eingerichtet. Dann wird ein weiteres
Treffen angesetzt, zu dem natürlich völlig
andere Leute erscheinen, usw. Zum guten oder schlechten
Ende fassen dann durch niemand legitimierte In-Zirkel
Beschlüsse, in die sich andere Menschen einklinken
oder auch nicht. Die oben skizzierte Cyberspace-Version
des ganzen hat zwar den Nachteil, daß nur
NetUserinnen sich unmittelbar am
Kommunikationsprozeß beteiligen können, ist
aber ansonsten weniger nervig und in einem gewissen
Sinne auch demokratischer. (Nebenbei bemerkt: Was ist
eigentlich das härtere Ausschlußkriterium:
all diejenigen auszuschließen, die keinen
Internetaccount haben, oder all die Leute, die sich kein
Wochenende radikallinker Diskussionskultur antun wollen
oder können?) Wichtig erscheint dabei, daß
sich die konkrete Gestalt der Kampagne aus den
Aktivitäten der lokalen Gruppen ergab, aus dem
Zusammenspiel von Internetkommunikation und konkretem
Handeln im "real space", an dem natürlich
nicht nur Netzfuzzis beteiligt waren.
5. Der gute Name des Bürgers: Erfahrungen beim
Unterschriftensammeln
Die Erwartungen, die an die alternative
Unterschriftensammlung geknüpft waren, wurden von
der Realität bestätigt, wenn nicht sogar
übertroffen. Die Bürgerinnen rissen sich
geradezu darum, ihre Unterschrift zu hinterlassen:
"Kann ich hier gegen die Türken
unterschreiben?" lautete der Tenor. Die Freunde der
CDU ließen sich weder durch gutgemeinte Hinweise
("Wir sind aber nicht von der CDU",
"haben Sie unsere Forderungen auch genau
gelesen") noch durch ein CDU-untypisches Outfit der
Unterschriftensammlerinnen irritieren - selbst dann
nicht, wenn diese erkennbar selbst Migrantinnen waren.
Zu Beginn waren die alternativen
Unterschriftensammlerinnen noch davon ausgegangen, es
sei notwendig sich zu tarnen, also im gepflegtem JU-Look
und mit dümmlichem Gesichtsausdruck aufzutreten.
Selbst das Original CDU-Logo fand sich zunächst
noch auf einigen der alternativen Unterschriftenlisten.
Doch die Erfahrung zeigte schnell, daß solcher
Feinsinn nicht nötig war. Egal ob in Lederhosen
oder Punkoutfit, als CDU oder als Initiative
"C.S.U. - Clowns Sammeln Unterschriften" -
Unterschriften bekamen alle, und das nicht zu knapp.
Daß die C.S.U. im badischen Freiburg antrat,
wunderte die irregeleiteten CDU/CSU-Fans ebensowenig wie
die in Nürnberg am Infostand der Gegenkampagne
aufgestellte Forderung "Deutsche kauft deutsche
Bananen". An vielen Orten führten die
Aktivisten bei Unterschriftskandidaten zunächst
dialektfeindliche "Sprachtests für
Deutsche" durch. Auch das
vermochte die Freunde der CDU nicht zu irritieren: Die
alternativen Unterschriftensammlerinnen wurden
überall, egal wie sie aussahen oder was sie sagten,
für ihr Engagement gelobt, mit rassistischen
Stammtischparolen zugetextet, und hatten endlich einmal
Gelegenheit, sich so richtig in die Volksgemeinschaft
einbezogen zu fühlen. I'll never miss that
feeling.
Erschütternde Szenen spielten sich allerdings
ab, wenn Aktivbürger schließlich doch
mitkriegten, wofür sie mit ihrem guten Namen
unterschrieben hatten, und denselben dann
zurückhaben wollten. Dabei kam es zu
Auseinandersetzungen, bei denen die
CDU-Unterstützer ihre mangelnde Vertrautheit mit
den Spielregeln der bürgerlichen Zivilgesellschaft
("Unterschreib' nie etwas, ohne es vorher
durchgelesen zu haben - haben Ihnen das Ihre Eltern
nicht beigebracht?") oft handfest unter Beweis
stellten.
Die Beobachtungen, die sich bei der
Unterschriftensammlung machen ließen, liefern
natürlich jede Menge Stoff für Anekdoten. Sie
haben aber auch einige durchaus beunruhigende
Implikationen. Natürlich läßt sich in
diesem Zusammenhang leicht die eigene Arroganz, der
Blick von oben auf den dummdeutschen Pöbel,
pflegen. Wir wissen aber auch, daß dieselben
Menschen in anderem Zusammenhang durchaus in der Lage
sind, kulturelle Zeichen sehr differenziert zu lesen. Es
ist genau diese Fähigkeit, die dafür sorgt,
daß sie in einer anderen Situation ein linkes
Flugblatt, von denselben Aktivistinnen verteilt, noch
nicht einmal in die Finger nehmen würden. Es stellt
sich die Frage, was im Falle der alternativen
CDU-Unterschriftensammlung die Fähigkeit der
mündigen Bürger zur Wahrnehmung kultureller
Zeichen so stark in den Hintergrund treten ließ.
Niemand geht davon aus, daß es die Abstumpfung
durch's Fernsehen war, es hilft auch nicht die Tatsache,
daß angesichts postmoderner Beliebigkeit
kulturelle Zeichen ohnehin keine festen Bedeutungen mehr
hätten: handelt es sich doch bei
Stammtischrassisten um eine Klientel, die
üblicherweise vom "anything goes"
meilenweit entfernt ist. Eher schon dürfte die
Feststellung wichtig zu sein, daß Informationen
nicht dann geglaubt werden, wenn sie plausibel sind,
sondern dann, wenn sie dem Begehren der Menschen
entsprechen. Auf die vorliegende Situation
übertragen, hieße das: Bei den
CDU-Unterstützern war das Begehren, dem eigenen
rassistischen Ressentiment Ausdruck zu verleihen, so
stark, daß jegliche kognitiven Dissonanzen bei der
Befriedigung dieses Begehrens schlicht ausgeblendet
wurden. Noch zugespitzer formuliert: Sie waren so geil
darauf, es "den Ausländern zu zeigen",
daß sie weder sahen noch hörten. Auch die
Reaktionen derer, die schließlich merkten,
daß sie hinter's Licht geführt worden waren,
scheinen uns diese These zu stützen. Anyway, lustig
war's nicht gerade, was die Unterschriftensammlung im
Hinblick auf diese Form von deutschem
Populärrassismus so gezeigt hat.
6. Fazit
Im Nachhinein betrachtet hat die CDU mit der
Unterschriftenkampagne ihre politischen Ziele weitgehend
erreicht. Von dem ohnehin bescheidenen Reformentwurf zum
Staatsbürgerrecht werden nur die rassistischen
Kröten (keine Einbürgerung für
Erwerbslose, Straffällige,
"Verfassungsfeinde", etc.) übrigbleiben.
Daß die Gegenkampagne gegen die doppelte
Staatshörigkeit nicht "gewinnen" konnte,
war angesichts der Kräfteverhältnisse - zwar
nicht 5 gegen 50 Millionen, aber ca. 500 beteiligte
AktivistInnen gegen 500.000 CDU-Mitglieder und deren
Anhang - nicht anders zu erwarten. Spannend ist aber,
denken wir, ein anderer Aspekt der Kampagne: Es ist
gelungen, in einer Situation zu intervenieren, in der
sich aus unserer Sicht mit "vernünftigen"
politischen Forderungen wenig oder gar nichts erreichen
ließ. Eine Unterstützung der rot-grünen
Reformpläne war angesichts der oben genannten
rassistischen Populismen unakzeptabel. Der
rot-grüne Gesetzesentwurf sollte aus
Regierungssicht zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche
politischen Kampagne für ein neues
nicht-völkisches Staatsbürgerrecht lostreten -
ansonsten hätte rot-grün auch gegen den
eigenen Wohlstandschauvinismus mobil machen müssen.
Die banale Feststellung, daß jeder Mensch, der
hier lebt, auch die gleichen (Bürger)rechte haben
solle, bleibt zwar korrekt, kann derzeit aber vor dem
Hintergrund der oben skizzierten rasisstischen Struktur
des Diskurses über Einwanderer in der BRD und den
Interessen des rot-grünen
Regierungsbündnissses kaum wirkungsvoll in die
politische Diskussion eingebracht werden.
Angesichts der offen rassistischen Mobilisierung
durch die CDU war es sinnvoller (und sei's nur, um
selbst keine Magengeschwüre zu kriegen), diese
durch Nadelstiche zu stören und die Protagonisten
so gut wie möglich zu blamieren. Das ist
mancherorts durchaus gelungen: kleine Erfolgserlebnisse
also, immerhin. Zudem war es durch die Form der
Gegenaktionen auch für linksliberale
Journalistinnen möglich, sich einzuklinken - ein
Aspekt, der die relativ breite Mediencoverage
erklärt. In manchen bürgerlichen Zeitungen
fanden sich treffende Analysen der Kampagne,
während es so gut wie keine "negativen"
Berichte gab. Presseschreiber, die etwas gegen die Ziele
der Aktionen hatten, hielten sich in der Regel ebenso
zurück wie die CDU selbst. Daß die lokalen
Christdemokraten meist intelligent genug waren, sich
empörte Dementis und ähnliches zu sparen, war
nicht zu erwarten. Es gab natürlich einige
leuchtende Ausnahmen vor allem in Bayern. Eine
Lieblingsgeschichte: Als die CSU in Regensburg die
Initiative "C.S.U. - Clowns Sammeln
Unterschriften" per Rechtsanwalt aufforderte, das
Kürzel nicht mehr zu verwenden, löste sich
diese auf und benannte sich unter dem Gejohle der
bundesweiten Medien in "C.D.U. - Clowns Danken
für die Unterschriften" um. In Erlangen
verteilten Aktivistinnen die alternativen
Unterschriftenlisten, noch bevor die lokale CSU mit dem
Sammeln begonnen hatte. Daraufhin schickte der
CSU-Bezirksverband nicht nur ein wütendes Dementi
durch die Presse, sondern begann auch öffentlich
nach der undichten Stelle zu suchen, durch die der Feind
in den Besitz der Bögen gelangt war. (Tip:
http://www.cdu.de/).
In dieser Art netter Anekdoten, die sich über
die Aktionen erzählen lassen, liegt ein wichtiger
Aspekt verborgen. Gerade in Bayern wurde die Kampagne
gegen die doppelte Staatshörigkeit mit einiger
Begeisterung aufgegriffen: In einer Situation, in der
die politischen Kräfteverhältnisse
hoffnungslos sind und die Repressionsmechanismen gegen
jede Form widerständiger Aufmüpfigkeit
brachiale Formen angenommen haben, bot die Kampagne die
begeistert genutzte Gelegenheit, den Spieß einmal
umzudrehen, die machtarroganten Herrschaften von der CSU
vorzuführen und den rassistischen Aktivbürgern
ihre eigene Unterschrift in das vorlaute Mundwerk zu
stopfen. So ließ sich immerhin demonstrieren,
daß nicht jeder rassistische Mist widerstandslos
durchgeht und daß sich Formen (para)politischen
Widerstands finden lassen, angesichts derer die
eingespielten Repressionsmechanismen nicht so recht
funktionieren. In diesem Sinne war die Kampagne
zumindest lokal durchaus erfolgreich darin, Unruhe in
die Provinz zu tragen in einem Land, in dem die Ruhe
unerträglich zu werden droht.
*Zum Autor:
Der intellektuelle Desperado Sonja Brünzels
versteht sich selbst als Hausmann von Luther Blissett
(Kommissarin für die korrekte Verwendung der
Zeichen im öffentlichen Raum). Die Kampagne zeigte,
daß Sonja Brünzels nicht nur eine binäre
Enität ist, sondern einem Rhizom gleich, die
Datenautobahn zwischen Leonberger Dreieck, Viernheimer
und Hermsdorfer Kreuz bevölkert. In Sachen
"Staatshörigkeit" war er in den Monaten
Januar, Februar und März 1999 "face to
face" im ganzen Land unterwegs. |
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