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"Symbolische" versus "richtige" Politik?

Zur unmöglichen Suche nach der richtigen Politik in der falschen

com.une.farce


In 'der' bundesdeutschen Linken ist die Debatte um den Begriff des Politischen in den neunziger Jahren ein Dauerbrenner geworden. Angesichts der Dynamik des gesellschaftlichen Wandels ist das auch kein Zufall. Die Kontroverse darüber, welche Formen politischen Handelns heute für eine Linke Sinn machen, sprich zur Subversion der herrschenden Gesellschaftsordnung beitragen, verkommt aber zu einer Gespensterdebatte, wenn es dabei nicht um die Fortentwicklung der eigenen Praxis geht, sondern der Abgrenzungsdrang gegenüber anderen Gruppierungen die wesentliche Antriebskraft darstellt. Diskussionen unter Linksradikalen sind oft Veranstaltungen, bei denen das Anliegen, die Assoziation der Freien und Gleichen, nicht mehr aufscheint, sondern in der jämmerlichen Praxis eines dem christlichen Fundamentalismus entlehnten gegenseitigen Exorzismus verendet.

Vor diesem Hintergrund erscheint uns ein vorsichtiges und differenzierendes Vorgehen angebracht, wenn wir uns der Debatte um den Begriff des Politischen nähern. Immer häufiger tauchen in politischen Auseinandersetzungen kritische Bezugnahmen auf den Begriff einer 'symbolischen Politik' auf. Zur Beschreibung bürgerlicher Politikformen erscheint uns dieser Begriff durchaus sinnvoll. Daher betrachten wir seine Brauchbarkeit in der Auseinandersetzung mit den hegemonialen Verhältnissen. Anschließend wollen wir versuchen, zu zeigen, daß eine analoge Verwendung des Begriffs in innerlinken Debatten problematisch ist und häufig der Denunziation mißliebiger linker Praxisformen dient: Hier fungiert der Begriff tendenziell als Schimpfwort und eröffnet eine Ebene der Auseinandersetzung, die wenig fruchtbar ist.

Ausgangspunkt für unsere Überlegungen zu 'symbolischer Politik' ist unser Interesse für die Rolle der 'symbolischen Ordnung' bei der Inszenierung und Stabilisierung bürgerlicher Macht und Herrschaftsformen. Wir bezeichnen als 'symbolische Ordnung' die Strukturen der Repräsentation herrschender Verhältnisse und materieller Machtstrukturen auf der Ebene der Zeichen, sei es über Sprache, visuelle oder akustische Symbole. Die 'symbolische Ordnung' bildet die in der Gesellschaft bestehenden materiellen Gewaltverhältnisse ab, ist aber nicht mit ihnen identisch. 'Symbolische Politik', wie sie für die bürgerlich-repräsentative Demokratie typisch ist, agiert inerhalb dieser Strukturen, benutzt, produziert und reproduziert sie. Linkes politisches Handeln dagegen, das sich mit dieser 'symbolischen Ordung' auseinandersetzt, Formen von Kommunikationsguerilla etwa, führt zwar keine materiellen Angriffe auf die kapitalistischen Gewaltverhältnisse, versucht aber die "Direkte Aktion" gegen deren Legitimation.

Bei einer Analyse bürgerlicher symbolischer Politik ist es wesentlich, diese nicht wie etwa der sozialdemokratische Cheftheoretiker Thomas Meyer als "Die Inszenierung des Scheins" (Frankfurt 1992) mißzuverstehen und in erster Linie als Medienproblem abzuhandeln. Unserer Ansicht nach muß die Frage prinzipieller gestellt werden. Dazu mag es sinnvoll sein, an einige Basisbanalitäten zu erinnern: Im Kapitalismus wird notwendigerweise eine Aufspaltung der Sphären von Politik und Ökonomie imaginiert; der Bereich der Politik als Gestaltung von gesellschaftlichen Verhältnissen scheint in der Logik bürgerlicher Gesellschaft getrennt vom Bereich der kapitalistisch organisierten Ökonomie. Entscheidend ist dabei, daß die Grundstruktur der Ökonomie als natürlich immer schon gegeben, und somit dem Gesellschaftlichen vorgängig gedacht wird. Auch wenn die politische Sphäre einige demokratische Elemente enthalten mag, ist es ein konstitutives Wesensmerkmal der bürgerlich-repräsentativen Demokratie, daß der "volonté generale" des Souveräns, also der Staatsbürgerin, durch die "Sachzwänge" einer eigentumsförmig organisierten Ökonomie enge Grenzen gesetzt sind. Es geht nun nicht darum, die im bürgerlichen Diskurs vorgenommene Beschränkung des 'Politischen' als naturnotwendig zu akzeptieren als tatsächlich gegeben zu unterstellen. Vielmehr besteht unser Anliegen darin, darauf hinzuweisen, daß diese Beschränkung in der Art und Weise wie bürgerlich-repräsentative Demokratie funktioniert, ständig diskursiv reproduziert wird.

Aus dieser Konstellation ergibt sich eine Ambivalenz von herrschender Politik. Während sie auf der einen Seite dort materiell wirksam in die Sphäre des Gesellschaftlichen eingreift, wo es der als vorgängig gedachten Logik der ökonomischen Sphäre ("Standort Deutschland") entspricht, wird die Integration sozialer Konflikte, die aus der ökonomischen Dynamik resultieren, vor allem auf symbolischer Ebene zu vollziehen versucht. Das permanent geforderte "Bündnis für Arbeit" ist ein Paradebeispiel solcher 'symbolischer Politik': Auch nachdem der fordistische Klassenkompromiß seine materielle Grundlage verloren hat und faktisch längst aufgekündigt ist, zelebrieren Politik, Gewerkschaften und (wenn auch immer widerwilliger) Wirtschaftskreise immer wieder aufs neue die rituelle Beschwörung: "wir sitzen alle im selben Boot". Daß sich in ein "Bündnis für Arbeit" gesetzte Hoffnungen von der millienarischen Ankündigung Kohls, die Arbeitslosigkeit bis zur Jahrtausendwende zu halbieren, allenfalls graduell unterscheiden, muß wohl nicht weiter ausgeführt werden.

Allgemein läßt sich sagen, daß bürgerliche Politik die Funktion hat, grundsätzliche soziale Widersprüche unsichtbar zu machen oder als reines Managementproblem handhabbar erscheinen zu lassen. Das gilt im übrigen nicht nur für Widersprüche, die unmittelbare Folge der kapitalistischen Verfaßtheit bürgerlicher Gesellschaft sind, sondern in ähnlicher Form auch für die Folgen patriarchaler Gewaltverhältnisse.

Im Hinblick auf den gesellschaftlich institutionalisierten Rassismus schließlich besteht eine nur scheinbar paradoxe Situation: Während die materiellen Voraussetzungen rassistischer Unterdrückung auf politischer Ebene kontinuierlich hergestellt bzw. verschärft werden, praktiziert die bürgerliche Politik zugleich auf symbolischer Ebene einerseits antirassisstische Rhetorik ("Deutsche sind ausländerfreundlich"), andererseits einen offen rassistischen Diskurs ("Kriminelle Ausländer abschieben!"). Während in der Sache von rot-grün bis schwarz-braun weitgehende Einigkeit herrscht, hat sich die politische Kontroverse hier vollständig auf die Ebene der symbolischen Präsentation von Politik verlagert. Der rassistische Grundkonsens bleibt dabei unhinterfragt und unthematisiert.

Wie stellt sich nun das Problem der "symbolischen Politik" hinsichtlich einer linken Praxis dar?

Der Vorwurf nur "symbolische Politik" zu betreiben war und ist unter Linken besonders dann sehr beliebt, wenn es darum geht, einer anderen linken Gruppe vorzuwerfen, daß sie nur folgenlose Stürme im Wasserglas produziere. Dabei verkam der Begriff zum Schimpfwort für ein politisches Handeln, das im Verdacht steht, es nicht ganz ernst zu meinen mit dem vorgebrachten Anliegen. Als "symbolische Politik" wurden etwa bestimmte Aktionen der Friedensbewegung in den Achtziger Jahren kritisiert. Hier wurde diskutiert, ob es sich tatsächlich um einen entschiedenen Widerstand gegen die NATO-Aufrüstung handelte, oder darum,  das eigene gute Gewissen abzusichern. Vorgeworfen wurde den "Lila-Tücher-TrägerInnen", daß ihre "symbolische Politik" mit angezogener Handbremse und der ständigen Inszenierung der eigenen Friedfertigkeit kein angemessener Ausdruck der friedensbewegten apokalyptischen Visionen und Horrorszenarios war.

Wenn eine solche Kritik in vielen Fällen auch zutraf, ging der Streit doch im Grunde eher darum, daß das linksliberale Bürgertum keine revolutionäre Perspektive einnahm. Der symbolisch inszenierten Friedfertigkeit setzte die radikale bzw. autonome Linke eine gleichermaßen symbolische Militanz der direkten Aktion entgegen. Der notwendige Streit um die inhaltliche Perspektive wurde hauptsächlich anhand der Aktionsformen geführt. Der Denkfehler bestand dabei darin, einer bestimmten Form der Praxis eine unmittelbare Essenz zuzuschreiben. Es wurde schlicht verkannt, daß die Straßenmilitanz der Autonomen, selbst wenn sie sich als Ausdruck revolutionärer Entschlossenheit imaginierte, doch auch nichts anderes als 'symbolische Politik' war (Dagegen läßt sich der Vorwurf 'symbolische Politik' kaum gegen eine Militanz erheben, die Flüchtlinge gegen Nazis oder den Staat verteidigt).

Daher erscheinen uns ähnliche Vorwürfe mittlerweile eher als Ausdruck eines Kampfes um "symbolisches Kapital" denn eines Ringens um eine gesellschaftsverändernde Praxis. Es geht dabei mehr um "Die feinen Unterschiede" (Bourdieu), denn um das Bemühen, sich und andere zu bewegen, das Richtige zu tun. Problematisch wird es, wenn die Kritik an 'symbolischer Politik' nur noch dazu dient, mißliebige Fraktionen als reaktionär oder im besten Falle unerheblich zu denunzieren.

Konstitutiv für linke Politik ist die materialistische Gesellschaftanalyse. Die Kritik der politischen Ökonomie ist zentral in linken Analysen gesellschaftlicher Verhältnisse. Dabei ist die Frage nach der ökonomischen Struktur der Gesellschaft einer der notwendigen Ausgangspunkte (aber nicht der einzige) für das Austragen gesellschaftlicher Widersprüche und den Kampf um gesellschaftliche Veränderung. Gegenwärtig erscheint diese Feststellung allerdings als Abstraktum. Zwar blamiert sich die Behauptung vom Ende der Geschichte und der marktförmigen bürgerlichen als der besten aller denkbaren Gesellschaften täglich immer wieder von neuem. Doch entspricht dieser Analyse derzeit keine konkrete Handlungsmöglichkeit. Eine soziale Bewegung, die sich anschickt der kapitalistischen Wolfsgesellschaft den Garaus zu machen, ist nicht in Sicht. Vielmehr muß die soziale Basis für ein gesellschaftveränderndes Projekt erst mühsam wieder rekonstruiert werden.

In dieser Situation gibt es unterhalb der unerreichbar scheinenden Ebene 'der' Revolution zwei mögliche Ebenen linker Praxis. Einmal besteht auf der symbolischen Ebene die Möglichkeit, auf gesellschaftliche Widersprüche hinzudeuten und dieselben sichtbar zu machen, also in die Auseinandersetzung um die Repräsentation gesellschaftlicher Verhältnisse einzugreifen. Zum anderen stehen auf der materiellen Ebene Versuche, die Auswirkungen dieser Widersprüche im Alltag der Menschen zumindest halbwegs erträglich zu halten. Gemeinhin wird Letzteres innerhalb der radikalen Linken als reformistisch bezeichnet. Gegenüber beiden Formen von Praxis ist der Vorwurf, es handele sich letztlich nur um 'symbolische Politik', ebenso zynisch wie billig zu haben.

Unsere Kritik an der Kritik der 'symbolischen Politik' setzt in erster Linie daran an, daß darin die Denkfigur eingeschrieben ist, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen tatsächlich eine 'symbolische' von einer 'wirklichen' linken Politik unterscheidbar sei. Dieser Trugschluß macht eine Trennung auf, die in der Perspektive der Ohnmacht gar nicht existiert. Der Vorwurf unterstellt, es gäbe für die Linke derzeit eine 'wirkliche' reale Politik. Eine Linke, so wie sie im Moment in den imperialistischen Zentren verfaßt ist, die weit davon entfernt ist, die Machtfrage stellen zu können, kann gerade aber gar nichts anderes unternehmen, als 'symbolische Politik' zu praktizieren.

Linken Aktionen vorzuwerfen, sie würden keine revolutionären Handlungen darstellen (weil sie sich beispielsweise nicht gegen den Wert oder gegen die Arbeit richten) erscheint uns ziemlich daneben. Das Problem dieser Kritik ist tatsächlich, daß sie die bestehende Dialektik von 'symbolischen Effekten' und 'realen Wirkungen' (was etwas anderes ist als die Dialektik von "Reform und Revolution") nicht denken will. Auf der Ebene von linker politischer Praxis haben wir mit dieser Differenz kein Problem. Unterhalb der Ebene 'der' Revolution, die die kapitalistische Produktionsweise aufhebt, ist nämlich so ziemlich alles 'symbolische Politik'. Und der Mythos der Revolution ist als Meßlatte politischer Praxis offensichtlich ungeeignet. Das revolutionäre Phantasma impliziert, daß der Kapitalismus ein Zentrum habe, das es mit revolutionärer Gewalt aus den Angeln zu heben gelte; das Winterpalais, der Geldspeicher des Dagobert Duck. Es ist ein bürgerlicher (Alp)traum, der gerade jene Differenz nicht begreifen kann, die bürgerliche von feudaler Herrschaft unterscheidet.

Revolutionäre Rhetorik spielt bei der derzeitigen Verfaßtheit der Linken kaum eine Rolle mehr. Fatal ist es aber auch, wenn aus der Unmöglichkeit einer "wirklichen" politischen Praxis heraus der Rückzug in den Elfenbeinturm der wahren Kritik nicht nur angetreten, sondern auch von anderen gefordert wird: Die Lösung wird in der Verordnung bestimmter Theorien, bestimmter Formen der Kritik gesucht. Je marginaler die radikale Linke ist, umso heftiger ringen ihre selbsternannten Strategen um die Lufthoheit über den Maulwurfslöchern der verbliebenen Aktivisten. Es wird allemal Energie und Zeit dafür aufgewandt, die 'richtige Linie' zu überwachen und nach Möglichkeit jede/n der da weiterbuddelt zu belehren, daß er oder sie nichts anderes als die Türöffner von diesem oder jenen -ismus sei. Das Elend dieser Ideologiekritik besteht nun nicht in erster Linie in dem Distinktionsbedürfnis von anderen Linken und den damit verbundenen Allmachtsphantasien; vielmehr ist es der Aberglaube, eine bestimmte Abfolge von Zeichen wäre der Garant einer richtigen Einschätzung und die Annahme einer 'richtigen' Kritik verweise auch auf das richtige Handeln.

Insofern ist auch jegliche (Ideologie-)Kritik der Radikalen Linken 'symbolische Politik'. Jedes Flugblatt und jedes Transparent ist nichts anderes als die sprachliche, visuelle oder akustische symbolische Repräsentation von Kritik. Der entscheidende Punkt ist aber, wie diese Repräsentation von Kritik den Rahmen von gesellschaftspolitischem Handeln absteckt, beeinflusst, bereitet oder beeinträchtigt. Gesellschaftsveränderndes kollektives Handeln bedarf der Delegitimation der symbolischen Ordnung. Hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen einer radikal linken und einer bürgerlichen/sozialdemokratischen Politik: Werden in einer (symbolischen) politischen Handlung grundlegende gesellschaftliche Widersprüche sichtbar, oder werden sie verdeckt? Beinhaltet die politische Intervention eine Zuspitzung, die die konkrete Situation überschreitet, oder verbleibt sie in selbstverständlicher Akzeptanz des Bestehenden?

Diese Überlegungen erklären auch, warum wir uns auf den Begriff  "symbolische Dissidenz" nicht positiv beziehen wollen. Es geht nicht um ästhetische oder formale Abgrenzung. Ebensowenig geht es uns darum, von Mikropolitiken oder Subkulturen eine permanente Subversion einzufordern, die nicht rekuperierbar und vereinnahmbar ist (vgl. a. autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe: Subkultur, Subversion, Supervision ). Gegenwärtig steht auf der Tagesordnung, den Traum von einem anderen, menschenwürdigen Leben wieder denkbar zu machen. Die Verwirklichung der konkreten Utopie der Freien und Gleichen steht in einem engen Zusammenhang mit der Delegitimierung der herrschenden Ordnung. Hierzu bedarf es gegenwärtig der symbolischen wie praktischen Repräsentation alternativer Vorstellungen über die Natur der gesellschaftlichen Beziehungen.

autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe