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Die allenthalben beklagte Krise
'der Autonomen ist spätestens mit dem Autonomie-Kongreß 1995 zum
Allgemeinplatz geworden. Mangelnde Auseinandersetzungsbereitschaft zwischen sich
vermeintlich immer mehr abschottenden Szenen bereite über kurz oder lang das
Ende 'der Autonomen; einer politischen Bewegung, die, so scheint es, ihre
Homogenität wie so viele andere erst im Nachhinein zugewiesen bekommt. Die
Schuldigen an der 'Krise der Autonomen sind schnell benannt: autonom-feministische
Kulturkämpferinnen und die ihnen mit vorauseilendem Gehorsam folgenden
autonomen Männergruppen - so zumindest Autonomen-Chronist Geronimo.
Mit Glut & Asche hat Geronimo nach Feuer & Flamme und
Feuer & Flamme II im letzten Jahr sein drittes Buch über die
autonome Bewegung vorgelegt. Während sich Feuer & Flamme, 1990
erstmalig erschienen und inzwischen in fünfter Auflage zu einem 'Bestseller
avanciert, der Beschreibung einer Geschichte der autonomen Bewegung widmete, nimmt
sich nun Glut & Asche den autonomen Politikbegriff zum Gegenstand der
Kritik. Nicht zuletzt dieser habe zur aktuellen Krise der Autonomen
beigetragen.
"Die Bemühungen um einen Begriff des 'Politischen sollen unbedingt dazu
dienen, sich in der Beschreibung und Analyse von den umfänglichen, in der
autonomen Bewegung selbst vorhandenen, unpolitischen Verfahrens-, Handlungs- und
Denkweisen abzugrenzen. Diese Schrift soll das 'Politische gegen als 'politisch
maskierte, rassistische, therapeutische, juristische, moralische und auch
terroristische Diskurse verteidigen. Dabei werde ich die von 68 ausgehende
Entgrenzung des Politischen reflektieren und zum Teil argumentativ
zurechtrücken."(Geronimo 1997: 28f)
Für diese "Entgrenzung des
Politischen" werden neben antirassistisch und antifaschistisch arbeitenden
Gruppen im autonomen Kontext organisierte Feministinnen verantwortlich gemacht,
die in den 80er Jahren "die Parole, daß das Private politisch sei" in
einer Art und Weise interpretiert hätten, daß eine "Praxis eines
dauernden Kontrollblicks auf individuell privates Verhalten organisiert werden
konnte. Was dabei (nicht nur) bei 'Autonomen oft rauskam, war gerade nicht
'Politik oder etwas 'Politisches, d.h. keine Diskussion, kein Streit, kein
Aushandeln, sondern bloß repressive Moral, wie bei den Pietisten."
(Ebd.: 181)
Kritisierter "Kontrollblick" ist für Geronimo nicht zu unterscheiden
von der Herrschaftsförmigkeit der kapitalistischen Privatsphäre, die
eben immer auch mehr ausmache als bloße Reproduktion. Das Private sei ein
notwendiger Rückzugsbereich, der anderes biete, als sich lediglich 'Fit for
Fun machen zu können und die 'privaten Sexismen und Rassismen ausleben zu
können: "Dabei ist das Nicht-Politische keineswegs un-politisch. Es ist
einfach nur privat, oder in einer Form öffentlich, die nicht zwangsläufig
etwas mit Politik zu tun haben muß. Auch wenn die Begriffe 'privat und 'politisch
voneinander völlig unabhängig nicht zu denken sind, weil sie sich
bedingen und sich ohnehin nicht statisch oder gar völlig abgeschlossen
zueinander verhalten, so lassen sie sich eben doch nicht mit der Forderung: 'das
Private ist politisch! einfach so kurzschließen." (Ebd.: 29)
Die massiven
Eingriffe herrschender Politik in einen der letzten Rückzugsbereiche der
Individuen, das Private, sieht Geronimo als eines der zentralen gesellschaftlichen
Probleme an und kritisiert, daß eine politische Bewegung wie die der Autonomen
unkritisch eben diese hegemoniale Tendenz der bürgerlichen Gesellschaft
reproduzieren und den direkten politischen Eingriff mittels Kontrolle in diesen
Bereich befördern würde.
Private Property
Mit diesem Argumentationsmuster befindet
er sich in berühmter Gesellschaft. Schon in der Debatte um eine kritische
Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse in den 20er und 30er Jahren wurde von
Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Erich Fromm und anderen die These vertreten, die
Familie, respektive die private Sphäre, als Ort der Charakterbildung sei
notwendig, um den direkten Einfluß kapitalistischer Herrschaftszusammenhänge
auf die Individuen zumindest in Ansätzen einzudämmen und die
Möglichkeit zur Herausbildung eines starken Ichs zu ermöglichen. Der
damals analysierte Autoritäre Charakter, ein sich nach den Ge- und Verboten
der herrschenden Ordnung orientierender Typus mit starken Ängsten vor den
Ansprüchen des eigenen Es, sei unter anderem Ergebnis der Zerrüttung der
bürgerlichen Familie. Wenn insbesondere Horkheimer die nicht marktvermittelten
Beziehungen in der Familie idealisiert, trifft sich das mit Geronimo, der den 'das
Private ist politisch-Gedanken letztlich aus genau denselben Gründen für
so bedrohlich hält:
"Denkt man den 'das Private ist politisch-Gedanken
nämlich weiter als nur als richtigen Angriff auf ein offenkundig gewordenes
Mißverhältnis zwischen politischen Ansprüchen und Idealen auf der
einen und einer eklatant dazu im Widerspruch stehenden Alltagspraxis auf der
anderen Seite, so können sich - je nach Kontext - in dieser Parole auch
totalitäre Tendenzen ausdrücken, die das 'Private, verstanden auch als
einen notwendigen Ort des Rückzugs und der intimen Reproduktion des
Individuums, zu vernichten drohen." (Ebd.: 180)
Sicherlich, die Auswirkungen, die benannter Kontrollblick und totalitäre
Elemente der Kategorie des Verhaltens haben können, tragen durchaus
repressive Züge. Diese repressiven Elemente können über die
innerhalb von Subkulturen wie der autonomen üblichen, zum Teil
äußerst rigiden Codes, Kleider- Sprech- und Themenordnungen hinausgehen.
Die Vorstellung vom 'ganzheitlichen Leben, welche sich in der Kategorie des
Verhaltens wiederfindet, ignoriert, daß gesellschaftliche Widersprüche
in die Körper eingeschrieben sind. Produktiver als eine solche Einheit
herbeizusehnen wäre sicherlich, sich der Widersprüchlichkeit des eigenen
Verhaltens innerhalb der verschiedensten Konflikte zu vergewissern. Kritik
gängiger autonomer Praxis- und Theorieformen ist hier auf jeden Fall
angebracht, es kommt allerdings darauf an, welche Kritikstrategien bemüht
werden.
Indem Geronimo solchen Einheitsvorstellungen entgegenhält, daß es
notwendige Orte des "Rückzugs" und der "intimen
Reproduktion" geben müsse, ignoriert er, daß die Kritik an der
Trennung von "privater" und "politischer" Sphäre nicht
etwa behauptet, daß es solche Rückzugsmöglichkeiten nicht geben
dürfte, sondern daß es sie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft
für verschiedene gesellschaftliche Gruppen in den verschiedensten
Ausprägungen gibt. Die Vorstellung einer von zahlreichen Maßregelungen
durchzogenen öffentlichen und einer von diesen befreiten privaten Sphäre
ist Bestandteil bürgerlicher Ideologie. Die Subjekte werden auf eindeutige
Identitäten reduziert, kontrolliert, diszipliniert und normalisiert - und das
nicht nur im Rahmen 'öffentlicher Herrschaft, sondern gerade innerhalb
privater Nischen. Das Private als Ort eines Rückzuges, der das Andere zu
öffentlichen und politischen Räumen verkörpern soll, darzustellen,
öffnet vielmehr Raum für Projektionen. Ähnlich, wie bei Horkheimer
etwa die Mutterfigur, die als Projektionsfläche für alle denkbaren nicht
marktvermittelten sozialen Kompetenzen steht, so läßt sich bei Geronimo
auch im Umkehrschluß seine kleine Welt herausfiltern: unkontrolliert,
unpolitisch und individuell, eben "einfach nur privat".
In seinem Einsatz für das Private als persönlichem Ort der Freiheit ist
Geronimo, ohne den Begriff selbst im Munde zu führen, mitten in der Debatte
um Political Correctness gelandet. In seiner Suche nach einem angemessenen
Politikstil für die 90er Jahre lehnt er die Rückkoppelung des oben
beschriebenen Privaten an eine wie auch immer geartete politische Sphäre ab
und bedient sich dabei einer klassisch zu nennenden Anti-PC Argumentation:
"Die im Zusammenhang mit dem Gedanken, daß das Private politisch ist,
dargelegten Überlegungen zu totalitärem Kontrollanspruch,
Kurzschluß und relativem Scheitern unter veränderten
gesellschaftspolitischen Bedingungen läßt mich insgesamt eine
große Distanz zu dem Begriff des 'Verhaltens als Kategorie für
politische Auseinandersetzungen einnehmen." (Ebd.: 182)
Anti-PC, so wie es sich in den letzten Jahren auf Feuilletonseiten,
Kinoleinwänden und 'coolen Partys etablierte, steht für das
Zurückdrängen von Öffentlichkeit als kritischer Instanz - einer
Idee von Öffentlichkeit freilich, die selbst noch in ihrer Ablehnung
völlig überzeichnet wird. Enttabuisierung ist dabei sozusagen der
Zwischenschritt zur Privatisierung und bedeutet in diesem Kontext nichts anderes,
als das einer als potentiell kritisch und herummäkelnd wahrgenommenen
Öffentlichkeit mit rebellischem Pathos ein Recht auf etwas
nicht-Kritisierbares entgegengesetzt wird. Die schon klassisch zu nennende Floskel,
der sexistische oder der rassistische Scherz sei 'nur Spaß und deswegen
unangreifbar, verweist auf den Wunsch, Kritik verbannen zu wollen. PC, das
"buzzword der konservativen Gesellschaftskritik"
(Adolphs/Karakayali
1998: 21), "wird zum Vernetzungsknoten, mit dem sich verschiedene
Diskursstränge zu unterschiedlichen Themen verbinden lassen, u.a. können
damit Ausgrenzungsdiskurse gebündelt werden, die dann in den Dienst von
Täter-Opfer-Umkehrungen gestellt werden." (Ebd.)
Diese, als konservativ
zu bezeichnende Gesellschaftskritik ist freilich nicht nur im rechten Lager zu
verorten. Während die Rechten einen angeblich viel zu großen
Einfluß von 68ern und Neuen sozialen Bewegungen zurückdrängen
wollen, straft eine bestimmte Spielart linker Publizistik inzwischen fast jede
Form inhaltlicher Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konflikten mit ihrem
berühmten titanic-Zynismus. Sicherlich, der friedensbewegte 'Gutmensch und
die 'Betroffenheits-Sozialdemokratin, die besonders in den 80er Jahren den
immanenten und damit letzlich herrschaftsstabilisierenden Charakter der
sogenannten kritischen Öffentlichkeit prägten, verdienen eine
linksradikale Kritik. Anti-PC wurde diese Form der Kritik in titanic, jungle World,
konkret und anderen Organen dieser Preisklasse erst, als sie sich auf reine
Sprachkritik reduzieren ließ, die völlig von den Inhalten des
Kritisierten abstrahierten: "Die Kritik an den Gutmenschen [schließt;
G.O.] in der Regel von schlechtem und falschem Deutsch auf schlechte und falsche
Gesinnung, von klischeehafter Sprache auf naives Denken und von unerträglicher
öffentlicher Gestik auf die Falschheit des mit dieser Gestik
Unterstrichenen." (Diederichsen: 1996: 113)
Anti-Feminismus
Anti-PC ist in diesem Sinne eine
originär antifeministische Position, da Feminismus, ungeachtet seiner vielen
verschiedenen Spielarten und Fraktionen, in seiner Gesamtheit für die
kritische Thematisierung von patriarchaler Herrschaft, die nicht ohne die
Aufteilung in eine private und eine öffentliche Sphäre zu denken ist,
steht. (Vgl. Frank 1996) Diese Art der Thematisierung von Herrschaft, von Geronimo
als "Entgrenzung des Politischen" beschrieben, soll im Diskurs der Anti
Political Correctness zurückgedrängt werden. Wer wie Geronimo von
"Entgrenzung" spricht, hat eine gewisse "Normalität" vor
Augen, zu der er gerne wieder zurückkehren möchte. Ähnlich wie in
den großen Anti-PC Attacken in Zeit, Spiegel oder FAZ ist auch hier der Ruf
nach Normalität die Kernaussage, deren Bedeutung über den vermeintlichen
Inhalt hinausgeht. Normalität wird zur Chiffre für den Wunsch nach klaren
politischen Fronten und Gewißheiten in einer komplexen, von verschiedensten
Herrschaftsmechanismen durchzogenen Welt. Schon allein die Beteiligung neuer
sozialer Gruppen am Kampf um Vormachtstellungen wirkt bedrohlich auf diejenigen,
die die Bedeutung ihres den bisherigen Einfluß absichernden sozialen und
kulturellen Kapitals schwinden sehen. (Vgl. Adolphs/Karakayali 1998: 21f)
Obwohl Geronimo eine '80er Jahre-Bequemlichkeit autonomer Feministinnen an den
Pranger stellt, produktive Unruhe, Streit und Auseinandersetzung einfordert - sich
somit selbst auf der progressiven Seite verortet - ist es sein Standpunkt, der von
einem Normalismus durchzogen ist. Eine Situation auf dem Abschlußplenum des
Autonomie-Kongresses erscheint ihm symptomatisch: "gegen jede Art von
'Benimmregeln'" (Geronimo 1997: 169) wollte er "rebellieren" (ebd.)
was ihm jedoch keine produktive Unruhe, sondern lediglich den Entzug des
Rederechtes einbrachte. Einer Kritik an Formen folgte eine formale Reaktion,
könnte an dieser Stelle eingewandt werden, Geronimo sieht hier allerdings den
Untergang emanzipativer Politik aufscheinen. Unhinterfragt bleibt indes der
Standpunkt seiner Rede: Worin besteht denn das gemeinsame politische Projekt,
welches eine inhaltliche Erwiderung auf die 'Benimmregel-Kritik notwendig gemacht
hätte? Wer bestimmt denn, welche Positionen Bestandteil einer Debatte sein
sollen? Indem Geronimo Definitionen des Politischen setzt, die sich an einem
gemeinsamen autonomen Projekt orientieren, von dem wiederum andere
"Notwehridentitäten" behaupten, daß es als gemeinsames nicht
mehr existiert, versucht er eine autonome Identität durchzusetzen, die seiner
eigenen Argumentation folgend doch auch nur eine unter anderen
'Notwehr-Identitäten ist.
Geronimos Kritik an der vermeintlichen Verbotspolitik von feministischer Seite ist
aber durchaus ambivalent. Einerseits sieht er sich bedroht, andererseits findet er
die vermeintlichen Denkverbote und moralischen Tabus lächerlich, da sie
angesichts eines realen Mangels an Sanktionsmöglichkeiten wirkungslos seien:
"Das Errichten von moralischen Tabus ist immer eine defensive und
autoritäre Angelegenheit, die auch in diesem Fall, da sie teilweise auch noch
von politischen Verlierern praktiziert wird, lächerlich und hilflos
bleibt." (Geronimo 1997: 201) Gerade durch die Betonung dieser
Lächerlichkeit und Hilflosigkeit, die doch zumindest die Frage aufwirft, ob
denn überhaupt so etwas wie ein feministisches moralisches Tabu besteht,
versucht Geronimo seinen Ansatz von "Gegen-Politik" im Glanze einer
rationalen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen
erscheinen zu lassen: "In der 'großen Politik von oben sollen die
kleinen Leute, d.h. wir heute zum Verschwinden gebracht werden. Dagegen hilft keine
'große, sondern nur eine andere Gegen-Politik [...]." (Ebd.) Wer hier
Wen zum Verschwinden bringen will und wer sich hier selbst als Opfer konstruiert,
wird vor dem angedeuteten antifeministischen Hintergrund mehr als deutlich.
Insbesondere die Zuschreibung "moralisch" zu sein, dient dazu, Kritik
zurückzuweisen und die als moralisch Klassifizierten aus dem politischen
Diskurs auszugrenzen: "Der Begriff wird einerseits benutzt, um einem
politischen Einwand genau diese Dimension zu nehmen, zum anderen, um den
politischen Gegner als von inneren, 'moralischen, d.h. letztlich privaten
Zuständen her argumentierend zu denunzieren - als weich und feminin,
moralisch im Sinne von 'einen moralischen haben, weinerlich und nicht
männlich-pragmatisch-politisch." (Diederichsen 1996: 17)
Feminismus
Das, was Geronimo mit "Entgrenzung
des Politischen" durch die 68er beschreibt, ist indes nicht durch, sondern in
Kritik an diesen entstanden. Die neue Frauenbewegung hat in ihren Ursprüngen
kritisiert, daß die antiautoritäre Bewegung entgegen ihren
kulturrevolutionären Ansprüchen eben nicht die Politisierung des
Persönlichen betrieben habe, sondern auf Grundlage eines individualistischen
Befreiungsmythos weiterhin alte reaktionäre Verhaltensmuster reproduzierte.
Die von Wilhelm Reich inspirierte 'Befreiungspsychoanalyse der 68er wollte der
attestierten "Negation der Sexualiät" in der bürgerlichen
Gesellschaft, so die antiautoritäre Fraktion, eine "sexuelle Aktion"
entgegenhalten, welche die Emanzipation der Individuen voranbringen sollte.
Grundlage einer solchen Argumentation ist die von Foucault kritisierte
"Repressionshypothese": Herrschaft werde ausschließlich über
Repression ausgeübt, Sexualität als einer der am meisten mit Verboten
belegten gesellschaftlichen Bereiche sei der Hebel zur Befreiung der Individuen.
Der "Sozialismus in einem Haus" (Reimut Reiche) der Kommunen und
frühen Wohngemeinschaften führte aber nicht zur Befreiung sondern zur
Etablierung eines neuen linken Machismo, dessen Ausläufer heute noch zu
beobachten sind.
In Kritik daran hat sich eine feministische Bewegung entwickelt, die sich in ihren
Anfängen auf eine spezifisch weibliche Identität stützte, um sich
in Abgrenzung zu anderen Identitäten als eigenständige politische
Größe zu etablieren. Ansätze wie die von Luce Irigaray, Julia
Kristeva oder Monique Wittig machten den Unterschied zwischen einem biologischen
Geschlecht (sex) und einem sozialen Geschlecht (gender) thematisierbar und boten
somit die Möglichkeit, einem kritisierten Biologismus der weiblichen
Identität zu entkommen. Vom Poststrukturalismus inspirierte Theoretikerinnen
wie etwa Judith Butler schließlich radikalisierten die sex/gender-Debatte,
indem sie der Konstruktionsthese ihren idealistischen Beigeschmack nahmen und
nicht nur davon sprachen, daß das soziale Geschlecht im Sinne etwa von
Verhaltensweisen konstruiert sei, sondern daß Konstruktion als materieller
Prozeß zu verstehen sei, der auch die geschlechtlichen Körper als
materielle Basis erst herstellt. Sowohl biologisches, als auch soziales Geschlecht
ist demnach als geschlechtliche Identität sozial hergestellt und somit auch
potentiell veränderbar beziehungsweise anders thematisierbar als in den
bislang hegemonialen Kategorien.
Im Gegensatz zum 'Befreiungsmythos der 68er
konnte in der feministischen Debatte ein differenziertes Verständnis von
gesellschaftlicher Herrschaft entwickelt werden. Die feministische ist eine der
wenigen, wenn nicht sogar die einzige politische Bewegung, die genau das vollzieht,
was von Geronimo eingefordert wird: die Thematisierung von und Auseinandersetzung
mit Identitätskategorien und den verschiedenen
Unterdrückungsverhältnissen. Aber dennoch oder vielleicht gerade wegen
dieser Bereitschaft zur Infragestellung eigener politischer Positionen, werden
feministische Gruppen beziehungsweise Spielarten des Feminismus immer wieder
Gegenstand einer harschen Kritik aus der radikalen und autonomen Linken.
Benimmregeln rules o.k.?
Je mehr sich Geronimo durch eine
angebliche feministische Hegemonie bedroht sieht, umso stärker versucht er
das Thema Benimmregeln in den Mittelpunkt zu stellen, wohl wissend, daß
wirksame Verbote nur eine mit Macht ausgestattete Institution aussprechen kann.
Begriffe wie 'Zensur, 'Kontrolle oder 'repressives Regelwerk werden
bezeichnenderweise häufig im Kontext der Kritik an feministischen Gruppen
eingeführt, dienen diese doch immer wieder als Paradebeispiel für
repressive 'Benimmregel-Politik'. Eine berechtigte Kritik an der mehr als
verklemmten und durch die Herkunft vieler Bewegter aus dem Mittelstand
maßgeblich beeinflußten Thematisierung von Sexualität innerhalb
der Reste der autonomen Szene - angeführt seien hier nur die diversen
Sexualitätdebatten in der interim - sollte sich allerdings nicht in
antifeministische Auswege flüchten. Indem immer und immer wieder feministische
Gruppen für das gescholten werden, was sie einer angeblich so befreiten Szene
angetan haben, wird der Zusammenhang zwischen Macht und Begehren ausgeblendet und
einer freien sexuellen Lust und Begierde gehuldigt, die genauso wenig frei ist wie
die private Sphäre eine Trutzburg gesellschaftlicher Härten.
Daß die Durchführung von Verboten in szenemäßig
organisierten Kulturen nahezu unmöglich ist und somit Verbote, Boykottaufrufe
und "Zensur"-Aktionen zu einem hohen Grad symbolisch codiert sind,
darauf verweist Diedrich Diederichsen (1996: 162f). Er betont, daß die
Thematisierung vermeintlicher Verbote vielmehr der De-Thematisierung des angeblich
Verbotenen dient. Die Chimäre des "lustfeindlichen Feminismus" oder
der "repressiven Moral" dient demnach der Negativ-Codierung
feministischer Positionen im Kampf um die Hegemonie auch innerhalb der autonomen
Szene. Wenn Geronimo davon spricht, daß die "Entgrenzung" der
Politik es unmöglich mache, politisch zu agieren, so ist davon auszugehen,
daß es zuallererst für ihn als Individuum angesichts feministischer
Interventionen unmöglich scheint, innerhalb autonomer Zusammenhänge
weiterhin unhinterfragt hegemoniale Positionen einnehmen zu können.
Auch die
attestierte Politikunfähigkeit der Autonomen ist in diesem Kontext zu
entschlüsseln. Ein Begriff aus der Realpolitik, der in der Regel dazu dient,
den politischen Gegner zu desavouieren, soll hier dazu herhalten, Feministinnen
einer Identitätspolitik zu schelten, die nicht mehr auf dem
dekonstruktivistischen Stand der Dinge sei. Diese Kritik, sozusagen aus dem
Althusser-Seminar frisch auf den Tisch, fällt angesichts des oben
beschriebenen Standes der Diskussion in feministischen Zusammenhängen eher
auf die theoretisierenden Kritiker zurück, bleibt sie doch gänzlich
abstrakt und somit für einen politischen Kontext unbrauchbar. Wenn Geronimo
an diesem Punkt den "Bankrott der feministischen Kritik" (164)
erklärt und davon spricht, daß eine "getrennte
Geschlechter-Organisierung" (ebd.) nur als "Notwehrorganisierung"
(ebd.) zu verstehen sei, sonst münde sie "in eine in jeder Hinsicht
antiemanzipatorische Identitätspolitik" (ebd.), so bringt er den
abstrakten Charakter dieser Art Dekonstruktivismus auf den Punkt. Welche Art der
Organisierung ist denn eine "Notwehrorganisierung"? Wann ist eine solche
zu beenden? Ist jegliche Identität ein "Notopfer" in harten Zeiten,
dann ist doch auch die "autonome" Identität" eine in Frage zu
stellende Organisierung vermeintlich oder tatsächlich Marginalisierter? Was
Geronimo als Identitätskritik präsentiert, beantwortet die Frage, wie
sich Identitätskritik und eine zwangsläufig auf Identitäten
zurückgeworfene Praxis verbinden läßt, nicht.
Kathederdekonstruktivismus
Geronimo versteht demnach seine
Feminismuskritik als Kritik an totalitären Identitätskategorien. Er
spricht von der "faszinierenden Vision einer revolutionären Einheit
zwischen Leben, Politik, Theorie, Kultur, Alltag und Handeln-Können"
(Geronimo 1997: 179), die allzu schnell umschlage in Begriffe wie
Glaubwürdigkeit und Verhalten, die aufgrund ihres hochgradig ideologischen
Charakters im politischen Diskurs als "politische Kategorien" (ebd.)
unbrauchbar seien. "Wer in der Politik wessen Privatleben auch immer
öffentlich und damit in diesem Zusammenhang 'politisch machen kann, hat die
Macht inne. Und vor so einem muß man sich unbedingt in Acht nehmen!"
(Ebd: 181) So stellt Geronimo schließlich selbst die Verbindung zwischen
Identitätspolitik und dem Streben nach Hegemonie her und verweist somit auf
das grundlegende Dilemma: Eine Chance auf hegemoniale Positionen haben letzlich
nur identitätspolitisch abgesicherte Interventionen; die geschilderte Abwehr
gegen feministische Positionen innerhalb der Autonomen Szene zeigt dies nur zu
deutlich. Abstrakte Kritiken an Identität berücksichtigen nicht das
politische Feld, innerhalb dessen diese in die bestehenden Strukturen eingepasst
werden. Wenn sich eine solche Kritik auch noch in die klassischen Argumente
neokonservativer Anti-PC Strategen kleidet, dann kann der antifeministische Kontext
nicht mehr von der Hand gewiesen werden.
Es kann hier jedoch nicht darum gehen, jegliche Kritik an feministischen Positionen
zu verbieten und in einer Art Trotzreaktion den Benimmregel-Vorwurf
nachträglich wahr werden zu lassen. Aber Identitätskritik beziehungsweise
Dekonstruktion als theoretische Position, die es erlaubt gesellschaftliche
Konstruktionen von vermeintlich vorgängigen Identitäten offenzulegen,
muß berücksichtigen, daß es ihr lediglich gelingen kann, diese
Dekonstruktion zunächst auf einer beschreibenden Ebene zu vollziehen. Nicht
zuletzt verweisen dekonstruktivistische und antiessentialistische Theoretikerinnen
wie Gayatri Chakravorty Spivak deshalb darauf, daß diese Art der Kritik nicht
ohne Übersetzungsschwierigkeiten in die Praxis umzusetzen ist, sondern
lediglich den Unterschied zwischen abstrakter Identitätskritik und einer auf
Identitäten aufbauenden Politik markieren kann: "Dekonstruktion ist nicht
die Offenlegung von Irrtümern, sondern eine Wachsamkeit angesichts der
Tatsache, daß wir ständig genötigt werden, Wahrheiten zu
produzieren." (Spivak, zitiert nach Diederichsen: 139)
Gottfried Oy
Superdanke an Astrid, Malou und Micha
für Diskussion und Material.
Literatur
Adolphs, Stephan / Serhat Karakayali
(1998). "PC-Terror
in Campus-World". diskus
1+2, 19-23.
Diederichsen, Diedrich (1996). Politische Korrekturen. Köln.
Frank, Karsta (1996). "PC-Diskurs und neuer Antifeminismus in der
Bundesrepublik". Das Argument 213, 25-38.
Geronimo (1997). Glut & Asche: Reflexionen zur Politik der Autonomen Bewegung.
Münster. |