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"Die
Bundestagswahl ist zwar superwichtig, aber Fußball ist unterhaltsamer und
wird nicht über den Intellekt verstanden - was ich positiv meine."
Guildo Horn
Erinnert sich noch jemand an Peter
Angerer? Ein Mann mit diesem Namen holte bei
den olympischen Winterspielen 1984 die erste Goldmedaille für die BRD im
Biathlon. Der Jubel war groß, doch kurz. Die großen Erfolge nationaler
EinzelsportlerInnen sind schnell nur noch Archivmaterial, zumal nach Olympiaden,
wo am Ende nur der Medaillenspiegel zählt.
Unvergleichlich bedeutsamer für die nationale Selbstschau erscheinen dagegen
die Legenden und Geschichten, die sich um den Fußball ranken. Welt- und
Europameisterschaften sind regelmäßig Projektionsflächen von
nationalem Größenwahn und kollektiven Kränkungen. Für die
Deutschen wurde das Wunder, von dem einst Zarah Leander prophetisch zu singen
vermochte, im Sommer 1954 wahr, als eine scheinbar chancenlose Elf die bis dahin
beste Mannschaft der Welt, Ungarn, im Finale in Bern mit drei zu zwei Toren
besiegte und Weltmeister wurde.
Kein Fußballereignis nach 1954 hatte auch nur annähernd dieselben
Auswirkungen wie die WM in Bern. Der Titelgewinn 1974 im eigenen Land oder 1990 in
Italien war hart erarbeitet, wenig souverän und von viel Glück
begünstigt; zum nationalen Mythos reichte das alles nicht. (Zumal es eben nur
Wiederholungen waren.) Torschützen und Ergebnisse sind vergessen. Allenfalls
erinnert sich manche/r an diverse nationale Traumata wie zum Beispiel die bittere
Niederlage in Cordoba 1978 ausgerechnet gegen Österreich oder das Wembleytor
von 1966.
Wie aber entsteht so ein Sportmythos wie 54?
Die Bilder der Wochenschau und der O-Ton der Radioübertragung damals bildeten
das Material, mit dem das Ereignis inszeniert wurde und immer noch wird. Obwohl
das Spiel live im Fernsehen übertragen wurde, konnten es nur wenige sehen,
da Fernsehapparate fast ausschließlich in Kneipen vorhanden waren. In
Erinnerung geblieben sind deswegen meist nur die wenigen Schwarzweißszenen
im Kino: Das dritte Tor von Helmut Rahn und die Jubelszenen nach dem
Schlußpfiff. Die markante Stimme des Sportreporters Herbert Zimmermann, der
mit dem Jargon des Kriegsberichts überschwenglich und mit zittriger Stimme
den deutschen Sieg für das Radio schilderte, läßt noch heute
vielen einen wohligen Schauer durch die Adern fahren (..."aus dem Hintergrund
müßte Rahn schießen, Rahn schießt - Toor, Toor, Toor
...".)
Der Mythos ist kein Produkt des Augenblicks, nicht allein der nationale
Freudentaumel im Sommer 1954 erzeugte seine Bedeutung. Zu gegebenen Anlässen
wurde durch Bild und Ton in den Jahrzehnten das Ereignis scheinbar nochmals
vergegenwärtigt. Diese permanente mediale Reinszenierung anhand von
Jahrestagen ist der eigentliche Kern, aus dem sich der Mythos reproduziert. So
geschehen zuletzt im Jahr 1997, als der 100. Geburtstag des legendären
Wundertrainers Sepp Herberger in allerlei Feuilletons und Sportecken gefeiert
wurde. Die Verklärung zum Mythos knüpft sich dann immer wieder an
altbekannte Klischees: daß die erhoffte Rettung nah sei, daß das
Unmögliche wahr werde.
Wie Phönix aus der Asche
Das Mythische daran ist nichts
Geheimnisvolles. In jedem zweitklassigen Hollywoodfilm, wo Menschen Sportmenschen
sind, läßt sich die übliche Dramaturgie verfolgen, nach der die
sportlichen Wunder in Mannschaftsspielen zelebriert werden: Ein nach rationalen
Maßstäben aussichtsloses und vermeintlich schwaches Team holt durch
Kampfgeist einen großen Rückstand auf und feiert einen völlig
unerwarteten Sieg.
1950 hatten die Deutschen an der WM nicht mal teilgenommen, und plötzlich
standen sie im Endspiel gegen Ungarn, die stärkste und spieltechnisch
überragende Mannschaft zu dieser Zeit. In der Vorrunde besiegten sie
Herbergers Truppe mit acht zu drei und führten auch schon im Endspiel nach
acht Spielminuten mit zwei zu null. "Eine wichtige Voraussetzung zur
Mythisierung hatte der Fußballsieg allerdings erfüllt. Er erwuchs aus
kargem Anfangsgrund, aus dem ein Mythos überhaupt erst hervorgehen kann.
Phönix muß aus der Asche aufsteigen. Und Herberger und seine Mannen
stiegen aus der Asche auf."1
Nach einem 0:2 ein 3:2, dieses Kippen eines
Spiels ist im Fußball keineswegs selten. Es entspricht dem Klischee des
Wettkampfs, in der der bereits am Boden Liegende plötzlich
zurückschlägt. 1942 hatte der damalige Reichstrainer Herberger als
choreographischer Berater genau diesen Spielverlauf für den Kinofilm
"Das große Spiel" vorgesehen und mit aktuellen aktiven Spielern
die entsprechenden Szenen einstudiert. 1954 war es das deutsche Nationalteam, das
dieses Wunder in einem wirklichen Endspiel fertig brachte.
Gefeiert wird aber dann nicht ein sportlicher Erfolg (welchen Sinn sollte es
nämlich haben einem Drei zu Zwei-Sieg mehr als vierzig Jahre nachzufeiern?)
Gefeiert wird ein Mythos, der sich in einem einzigen Tag im Sommer 1954
kristallisieren soll und der gleichzeitig als Symbol für eine ganze Epoche
fungiert: Als der Ball noch rund war gilt als Synonym für die fünfziger
Jahre als die Welt wieder heil und die BRD drauf und dran war, der
wirtschaftlichen nun auch die moralische Rehabilitation durch ein Wunder folgen zu
lassen. Wir sind wieder wer!, Fußballweltmeister und
Wirtschaftswunderfachleute. Den Deutschen werden aber Wunder nicht von
Glücksfeen geschenkt. Immer muß das Wunder hart erarbeitet werden,
weshalb es auch verdient ist. So wie die deutschen Kicker von ganz unten sich
hochspielten, so hat sich das deutsche Volk durch Leistung und Fleiß aus
Sack und Asche hochgearbeitet. Diesem Mythos diente und dient die Verklärung
der WM 1954.
Der Weise von Bern
Zum Wunder von Bern
gehört ein
Wundertrainer. Sepp Herberger, der über seine taktischen Konzepte nie in der
Öffentlichkeit sprach oder schrieb, trug plötzlich schamanenhafte
Züge. Der Fußballpriester, der seine Tricks nicht preisgab, wurde zum
Fußballfuchs erkoren. Als Person repräsentierte er den Prototyp des
sich über den Zusammenbruch geretteten fleißigen Arbeiters, der mit
der Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln und verinnerlichter Tugenden ja immer
nur eins wollte: Fußball spielen und lehren. In seiner Karriere als Reichs-
und Bundestrainer mußte er sich dafür seit 1936 in den
Verhältnissen einrichten und mit den Mächtigen arrangieren. In dieser
Haltung war er der ideale Repräsentant der herrschenden Lebensvorstellung
vor allem in der Nachkriegszeit. "Das unerhörte Tempo und die
Geschäftigkeit, mit der man sich nach dem Krieg daran machte, die
Fußballvereine wieder zum Leben zu erwecken und am Spielbetrieb teilnehmen
zu lassen, zeugen von einem großen Drang, nach allem, was passiert war,
einfach weiterzumachen. Eine Durcharbeitung des Erlebten fand nicht statt. Wie
vieles andere auch, waren Fußballspiele die überstürzte
Aktivität von Noch-einmal-Davongekommenen."2
Fußball wurde ein Stück Alltag, in den man sich künftig
zurückzog. Scheinbar politisch unverdächtig, war aber die deutsche
Fußballnationalmannschaft plötzlich willkommene Projektionsfläche,
auf der alle kollektiven Ressentiments und narzißtischen Kränkungen
ausgelebt werden konnten. ...nachgeholter Sieg!...und Absingen der ersten
Strophe......Und das hatte unser Bundessepp geschafft. Was mochte wohl in
seinem klugen Köpfchen vorgehen? Und als der Weise nur Banalitäten
hören ließ wie Der Ball ist rund oder Ein Spiel dauert 90 Minuten,
tat das dem Wunder keinen Abbruch. Im Gegenteil: Zur Fußballphilosophie
erhoben fanden sie Einzug in den Sprachschatz ganzer Reportergenerationen, die
immer dann, wenn ihnen nichts Besseres einfiel, eben jene Sätze zitierten.
In seiner Trainerpraxis setzte Herberger die soldatischen Tugenden durch, wie er
sie von früher gewohnt war und die er dann auch von seinen Spielern verlangte:
Disziplin, Gehorsam gegenüber seinen Anweisungen, Unterordnung unter das Ganze
usw. Ehrfurchtsvoll wurde er von seinen Spielern nur "der Chef" genannt:
Der strenge aber gerechte und fürsorgliche Vater. Die bedingungslose
Anerkennung der väterlichen Autorität des Trainers war bei Herberger und
seinen Männern zum Idealfall geworden. Fritz Walter war sein
verlängerter Arm in der Mannschaft. Deren Vater-Sohn-Beziehung war
symptomatisch für Mannschaft und Trainer insgesamt: Gehorsam und Unterordnung
hier, Fürsorge da. In diesem paternalistischen Verhältnis
repräsentiert der Trainer den Chef eines Kleinunternehmens, der alle seine
Untergebenen mit Namen und in der Seele kennt: Der 'Babba Hesselbach des
Fußballs. Die vertrauten militärischen Tugenden und der entsprechende
Jargon sind im Fußball säkularisiert aber deswegen nicht weniger
wirkungsvoll. Die Disziplin der Mannschaft ist das Resultat des unbedingten
Gehorsams gegenüber der Autorität des Trainers und der
regelmäßigen Selbstdisziplinierung im Sinne dieser Autorität und
des Zwecks.
Was Herberger sagte war Gesetz. Und das beruhte auf seiner umfassenden Kenntnis
der privaten Lebensverhältnisse der Spieler. Keine individuelle Marotte
durfte dem gemeinsamen Ziel im Wege stehen. Seinen ganzen Perfektionsdrang
richtete er auf die Kontrolle des Lebenswandels seiner Spieler, sobald sie unter
seiner Obhut standen. Es waren eben seine Jungs. Wie der Firmenchef
kümmerte er sich um seine Spieler aus Interesse an ihrer
Leistungsbereitschaft. Dies betraf auch die Art und Weise der Unterbringung und
des Umgangs während der WM in der Schweiz.
Der Geist von Spiez oder Elf Freunde müßt ihr sein
Ohne große Hoffnungen fuhren die
deutschen Kicker also in die Schweiz; in den heimischen Gazetten wurden die
Erfolgschancen vorab als minimal eingestuft. Je mehr allerdings der sportliche
Erfolg sich abzeichnete, desto heftiger wurden die Begeisterungshymnen in der
Heimat. Der Identifikationsgrad mit dem "Nationalteam" in der
Bevölkerung wuchs proportional mit dem Prestigegewinn verheißenden
Vorankommen im Turnier. Und der unerwartete Erfolg konnte doch nur (wenn man
schon nicht über technische Finessen verfügte) durch eine
kämpferische Mannschaftsleistung zu erklären sein.
Herberger hatte sich mit seiner Truppe in dem kleinen Schweizer Städtchen
Spiez in einem abgeschiedenen Hotel einquartieren lassen. Abgeschnitten von allen
äußeren Einflüssen sollte sich so etwas wie ein
Gemeinschaftsgefühl einstellen, das alle Mannschaftsmitglieder aneinander
kittet. "Elf Freunde müßt ihr sein!" So lautete die Losung,
die durch den Imperativ ihre Wahrheit verrät: Die Freundschaft muß im
enthaltsamen Zwangsaufenthalt erzwungen werden. Aus dem bunten Haufen
Einzelspieler soll nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Alltag jedem sozialen
Unterschied zum Trotz ein unterschiedsloses Kollektiv entstehen, in dem sich jeder
dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen hat. Diese Methode der Bildung einer
verschworenen Gemeinschaft ist Bestandteil in der Trainigsstrategie bei jedem
Mannschaftsturnier. Was bei Profispielern in solchen Ausnahmesituationen wie
Weltmeisterschaften erzwungen werden muß, ist der immer unterschwellige
sozialisatorische Zweck von Mannschaftssportvereinen von Kindheit an. Erlernt
werden soll das Sich-Zurücknehmen für ein übergeordnetes Ziel.
Allerdings ist der Erfolg nicht immer automatisch garantiert. Immer wenn der
Turnierweg der Nationalmannschaft in ein Debakel führte, war dies scheinbar
ein Zeichen für fehlenden Mannschaftsgeist und für die egoistischen
Einzelinteressen der arroganten Spieler.
Nach dem Gewinn der WM 54 war die Frage nach dem Erfolgsrezept schnell beantwortet.
Es entsprach exakt der erwünschten Selbstzuschreibung: Eine gemeinsame
Anstrengung, der Fleiß jedes Einzelnen, ein kollektives sich
durchbeißen sind die optimalen Tugenden sowohl auf dem Sportplatz als auch
in der Nachkriegsgesellschaft Deutschlands. Seitdem kennt man den deutschen
Fußball kaum anders. Eigensinnige Spieler waren die Ausnahme und nicht
besonders angesehen. "Das Team ist der Star." (Berti Vogts zur EM 1996)
Fußballmannschaften hierzulande konnten noch nie etwas anfangen mit
Spielwitz, Ballzauberei usw. Das waren immer Mentalitäten der
südlichen Länder und entsprechend war deren Spiel: Individualistisch,
verspielt eben undeutsch und selbstverständlich uneffektiv. Diese
Naturalisierung von Spielsystemen, deren Kern immer rassistisch ist (man denke an
die afrikanische Gazellenhaftigkeit schwarzer Spieler in der Bundesliga), ist
ebenso manifest wie die bekannten Klischees über Nationalcharaktere.
"Grob gesagt, gibt diese Mannshaft schon etwas wieder vom Nationalcharakter
unseres Volkes. Sie hat gekämpft, nie aufgegeben und war immer mit vollem
Einsatz dabei." (Helmut Kohl, 1986, Mexiko)
Der Sieg über Ungarn war für die Deutschen ein kollektiver
Befreiungsschlag von der schmählichen Vergangenheit. Durch den Pathos des
Herbert Zimmermann, seine sich überschlagene Stimme, wird der Zuschauer/ die
Zuhörerin adäquat vertreten. Der Kommentator weiß zu jedem
Zeitpunkt den Ton zu treffen, der, zwar moderat, die aggressive, euphorische oder
depressive Stimmung auf der Tribüne, vor dem Bildschirm, wiedergibt. Wenn es
sein muß knüpft der Kommentar das nationale Band, wo es auf dem ersten
Blick nur EinzelsportlerInnen zu geben scheint. Dann entscheidet sich das Wohl und
Wehe der Nation eben am Medaillenspiegel, in der Konkurrenz mit den anderen
großen Sportnationen. Jeder Einzelsieg zählt nur insofern, als er im
Gesamtklassement verwertbar ist. Was die ZuschauerInnen sehen wollen, wollen die
BerichterstatterInnen ebenso, denn beide sind Teil einer Gemeinschaft. Und wie
Herbert Zimmermann prototypisch zeigte, sind KommentatorInnen wie die
ZuschauerInnen am Bildschirm, am Radiogerät oder im Stadion mit den gleichen
Affekten ausgestattet:
Zum Endspiel hatten sich, wie auch zuvor schon, Zehntausende deutsche
Schlachtenbummler aufgemacht, um ihre Mannschaft anzufeuern. Als tatsächlich
der Sieg zu feiern war und die obligatorische Nationalhymne gespielt wurde, hatten
sie instinktsicher den richtigen Text parat: "Deutschland, Deutschland,
über alles! Über alles .." usw. Es war selbstverständlich,
daß die erste Strophe zu singen war:...Jetzt haben wirs denen mal wieder
gezeigt. Das was da auf dem Berner Rasen spielte war - entgegen aller
Beteuerungen - die Verkörperung des von der Welt verachteten Vaterlandes.
Das Wir sind wieder wer konstituierte sich über die Unterlegenheit der
anderen, daß die anderen niemand seien. Der Argwohn, dem es vor allem in der
ausländischen Presse ausgesetzt war, galt immer als Angriff: Der Erfolg wird
einem geneidet, und vor allem den Deutschen.
Bertis Buben - auf dem Spielfeld: ratlos.
Herberger hatte noch richtige
Männer aufs Spielfeld geschickt. Bei Vogts waren es Buben. Die
rechtzeitig zur WM erschienene Comic-Satire Bertis Buben war für alle
Sportredakteure Vorlage für Witzkolumnen, die hauptsächlich die Figur
Vogts lächerlich machten. Die gleichzeitige Infantilisierung der Spieler
drückt einerseits das geringe Maß an Autorität des Trainers aus,
dem man eigentlich nur zutraut, Kinder zu trainieren. Andererseits ermöglicht
sie eine doppelte Identifikation der deutschen Fans. Als erstes die positive:
Bertis Buben sind die Söhne der Nation und damit auch unsere Buben.
Sollten die sich nicht bewähren, erfolgt die prompte Abgrenzung: Die Buben
sind Bertis Jammerlappen, verweichlicht und unmannhaft und peinlich für die
Nation. Hilfreich bei dieser negativen Identifikation war zudem ihr
unrühmlicher Abgang nach dem Ausscheiden im Viertelfinale gegen Kroatien.
Allen voran aber sprang der Bundestrainer in die Schußlinie seiner Buben, um
mit einem Urinstinkt des Nationalfußballers der Öffentlichkeit die
wahren Gründe seiner Niederlage zu offenbaren: "....Ich suche auch nicht
die Schuld bei einem Schiedsrichter. Nur, wenn man alle Spiele gesehen hat,
muß man schon die eine oder andere Schiedsrichterentscheidung noch einmal
sich vor Augen halten. Das war schon in England so, vielleicht ist der deutsche
Fußball zu erfolgreich, das weiß ich nicht, aber es waren schon
seltsame Entscheidungen, die da von einigen Herren getroffen worden sind. Ob es da
eine Anordnung gab, das weiß ich nicht."
Anordnung von oben? Da war er wieder, der betrogene Deutsche. Nein, nicht von
einem kleinem Schiedsrichter, von einer unfaßbaren, tabuisierten Instanz. In
schöner Regelmäßigkeit erklären deutsche Fußballer den
Anderen die Welt. "Aber es hätte durchaus sein können, daß
der Schiedsrichter das Tor anerkannt hätte und es dann zu einer
Verlängerung gekommen wäre..." (Herberger, 1954), "..ohne den
Platzverweis des Schiedsrichters und meine Verletzung hätten wir es bestimmt
in die Verlängerung geschafft." (Fritz Walter, 1958), "... nur wir
haben 66 und hier gegen Italien das ganz große Ziel verpaßt durch
vielleicht nicht ganz glückliche Entscheidungen der Schiedsrichter, aber man
muß es als Sportler hinnehmen,.." (Uwe Seeler, 1970). Die permanente
Verschwörung der Welt gegen die Deutschen wird selten so offensichtlich wie
im Fußball, wo es nie die Unfähigkeit der eigenen Spieler, sondern
immer die "seltsame Entscheidung" von außen ist, die schuldig
ist.
Da hat also ein deutscher Bundestrainer als solcher seine Pflicht getan und die
Verschwörung gegen Deutschland mal wieder aufgedeckt und doch erntet er nur
Undank in der öffentlichen Meinung. Herberger, Fritz Walter und Uwe Seeler
lagen bei den Deutschen immer richtig, die sich eh auf ewig vom Schicksal
verfolgt sehen, die selbst bei siegreichen Spielen noch mit grimmiger Visage
Ausschau halten nach Neidern, denen sie eins dreinschlagen können. Aber Berti
Vogts ist keine Lichtgestalt wie Beckenbauer, sondern der notorische Looser, dem
man nicht mehr glaubt, wenn er zweimal verliert. Er mußte sich sogar bei der
FIFA entschuldigen. Das wird ihm nicht verziehen. Berti ist kein Kaiser Franz
und schon gar nicht ein Sepp Herberger, der als Denkmal der deutschen
Fußballgeschichte dem geteilten Volk den normalen nationalen
Größenwahn bescherte.
Norbert Kresse
1
aus: "Als der Ball noch rund war: Sepp Herberger - ein deutsches
Fußballeben" Lothar Mikos/ Harry Nutt; Campus-Verlag, 1997
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