30. Mai 2002   <Gast>
ForenHelp
ständig aktualisierte Nachrichten, Analysen, Dossiers, AudiosHier geht´s zur gedruckten Ausgabeständig aktualisierte WM2002 Nachrichtenu.a. 28 Börsen, 29 Branchen, Standard & Poor´s-Analysenmit Suchmaschine für über 15.000 Buchrezensionenmit Gastro-Guide, Routenplaner, Staumelder, WetterTrendsport, Entspannungstipps und persönlicher Fitness-Coach
Feuilleton heute
Feuilleton
Stil
Medien
Meinung
Veranstaltungen im Juni
Lieber Martin Walser, Ihr Buch werden wir nicht drucken
 
Der neue Roman von Martin Walser: Kein Vorabdruck in der F.A.Z.

Lieber Herr Walser,

Ihr neuer Roman wird behandelt wie ein Staatsgeheimnis. Nur ein kleiner Zirkel von Eingeweihten kannte bisher den Inhalt. Mittlerweile kenne auch ich ihn. Nicht weil Rechercheure die Panzerschränke im Suhrkamp-Haus geknackt hätten. Sie selbst haben uns, unspektakulär genug, die Fahnen gegeben. Sie wünschen, daß Ihr neuer Roman, "Tod eines Kritikers", in dieser Zeitung vorabgedruckt wird. Sie legen Wert darauf, daß er hier und gerade hier erscheint.

Ich muß Ihnen mitteilen, daß Ihr Roman nicht in dieser Zeitung erscheinen wird. Die Kritiker mögen entscheiden, wie gut oder wie schlecht dieses Buch unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit ist. "Auch ein schlechter Walser ist ein Ereignis", sagte einmal ein bekannter Redakteur.

Ihr Roman ist eine Exekution. Eine Abrechnung - lassen wir das Versteckspiel mit den fiktiven Namen gleich von Anfang an beiseite! - mit Marcel Reich-Ranicki. Es geht um die Ermordung des Starkritikers. Ein Schriftsteller wird als Täter verdächtigt. Ein anderer, der Erzähler, recherchiert. Später erfährt man, daß beide ein und diesselbe Person sind. Am Ende die Aufklärung: Der Kritiker ist nicht tot, er hat nur tot gespielt, um sich mit seiner Geliebten zu vergnügen. Dazwischen eine Art Gesamtanalyse des Starkritikers, des literarischen Lebens unter Aufbietung halbverschlüsselter Figuren wie Joachim Kaiser und Siegfried Unseld. In Wahrheit aber: die Beschreibung eines Verhängnisses, das sich in André Ehrl-König alias Marcel Reich-Ranicki über die Literatur in Deutschland legt.

Ehe Sie, lieber Herr Walser, mit den Begriffen Fiktion, Rollenprosa, Perspektivwechsel antworten - ich bin durchaus im Bilde. Ich bin imstande, das literarische Reden vom nichtliterarischen zu unterscheiden. Man hat mich unterrichtet, wie oft und wo überall in der modernen Literatur Kritiker gemordet werden.

Doch die Burgtore des Normativen, der literarischen Tradition und Technik stehen Ihnen als Zuflucht nicht offen. Denn das alles wären ja nur Kategorien für ein "schlechtes" oder "gutes" Buch. Ich aber halte Ihr Buch für ein Dokument des Hasses. Und ich weiß nicht, was ich befremdlicher finden soll: die Zwanghaftigkeit, mit der Sie Ihr Thema durchführen, oder den Versuch, den sogenannten Tabubruch als Travestie und Komödie zu tarnen. Nicht wahr, Sie haben das "Schlagt ihn tot, den Hund, er ist ein Rezensent" nur wörtlich genommen?

Werden Sie mir glauben, daß ich umgekehrt nun beginne, Sie wörtlich zu nehmen? Ihr Buch ist nichts anderes als eine Mordphantasie. Daß der Mord keiner ist, macht die wonnevolle Spekulation unangreifbar. "Habe allerdings keinen, der für mich tötet", sagt der Erzähler beispielsweise einmal. Und mehr als einmal fällt der Satz: "Eine Figur, deren Tod man für vollkommen gerechtfertigt hält, das wäre Realismus." Sie haben sich eine Art mechanisches Theater aufgebaut, in dem es möglich ist, den Mord auszukosten, ohne ihn zu begehen. Doch es geht hier nicht um die Ermordung des Kritikers als Kritiker, wie es etwa bei Tom Stoppard geschieht. Es geht um den Mord an einem Juden.

Die Signale sind unübersehbar, und sie sind unheimlich. "Das Thema war jetzt", heißt es, "daß Hans Lach einen Juden getötet hatte." Das kommt so nebenbei, aber es ist Ihr Thema, es ist das Thema dieses Buches. Sie denken sich die Sache so richtig durch. Was würde das große Nachrichtenmagazin schreiben? "Wolfgang Leder erklärte scharf und genau, daß es von nichts als Antisemitismus zeuge, wenn die Ermordung eines Juden, wenn er denn einer gewesen sei, moralisch schlimmer geahndet werde als die Ermordung eines Nichtjuden. Philosemiten seien eben, wie bekannt, Antisemiten, die die Juden liebten." Wie kamen Sie auf die Idee, Ihren Verdächtigen dadurch besonders verdächtig zu machen, daß der in höchster Wut dem Starkritiker in Hitler-Sprache droht, "ab 0.00 Uhr wird zurückgeschlagen", worauf der Kritiker tatsächlich wie vom Erdboden verschwindet. Welch ein Spaß, wenn man erfährt, daß diese Kriegserklärung an den Kritiker von einem Unschuldigen stammt! Natürlich kann Ihr Kritikerpapst nicht richtig Deutsch. Ihr Reich-Ranicki sagt nicht "deutsch" sondern "doitsch", nicht Literatur, sondern "Literatür", und er hat einen kapitalen Messiaskomplex: "Aber in einer Hinsicht sei jeder, der sich im keritischen Dienst verzehre, in der Nachfolge des Nazareners: der habe gelitten für die Sünden der Menschheit, der Keritiker leidet unter den Sünden der Schschscheriftstellerrr." Sie, lieber Martin Walser, wissen, was Sie hier tun. Und wer es literarhistorisch nicht weiß, lese die Parodien des Juden Karl Kraus auf den Juden Alfred Kerr.

Die "Herabsetzungslust", die "Verneinungskraft", das Repertoire antisemitischer Klischees ist leider unübersehbar, und wenn "André Ehrl-König zu seinen Vorfahren auch Juden zähle, darunter auch Opfer des Holocaust", dann ist Ihr "darunter" besonders hervorhebenswert, als wäre die große Mehrheit der europäischen Juden eben nicht Opfer gewesen. Das sind so Kleinigkeiten, die mich stutzig machen und hinter denen ich schließlich zu meiner eigenen Überraschung Methode vermute. Gut, Ihr Kritiker hat einen Sprachfehler, und er trainiert sogar seine sprachliche Eigenheit. Und dann, weil Sie glauben, Sie seien nun salviert, schreiben Sie diesen Satz, den man im Schriftbild vor sich sehen muß, um die Verballhornung des Jiddischen heraushören zu können: "Denken Sie nur an den Ehrl-König-Sound, wenn er über doitsche Scheriftsteller spericht und über die Sperache, die sie schereiben und wie scherecklich es ist, sein Leben geweiht zu haben einer Literatür, die zu mehr als noinzig Perozent langeweilig ist" und so weiter und so weiter.

Aber das alles ist nichts gegen den Clou dieses Buches. Mord, Mordkommission, das alles spielt hier immer mit der Erinnerung an den Massenmord der Nazis. Doch der Kritiker ist nicht tot. Seine Frau, die kettenrauchend, kaum deutsch, sondern französisch sprechend, unter ihm leidet, weiß es die ganze Zeit. Warum? Sie sagt es, ein Champagnerglas in der Hand: "Umgebracht zu werden paßt doch nicht zu André Ehrl-König."

Es ist dieser Satz, der mich vollends sprachlos macht. Er ist Ihnen so wichtig, daß er zweimal in dem Roman vorkommt. Auf dem Hintergrund der Tatsache, daß Marcel Reich-Ranicki der einzige Überlebende seiner Familie ist, halte ich den Satz, der das Getötetwerden oder Überleben zu einer Charaktereigenschaft macht, für ungeheuerlich.

Ich habe, lieber Herr Walser, in meiner Laudatio in der Paulskirche eine Summe ihres Werkes und Wirkens gezogen. Ebenso klar sage ich, daß ich fatal finde, was Sie jetzt zu tun im Begriff sind. Als Adolf Hitler seine Kriegserklärung gegen Polen formulierte, die Sie in Ihrem Roman so irrwitzig parodieren, war dies auch eine Kriegserklärung an den damals in Polen lebenden Marcel Reich und seine Familie. Nicht viele europäische Juden haben diesen Satz von Adolf Hitler überlebt. "Darunter", um Sie zu zitieren, noch weniger das Warschauer Ghetto. Und noch mal viel, viel weniger haben den Aufstand im Warschauer Ghetto überlebt. Und noch viel weniger konnten dann in einem Kellerloch in Polen überdauern. Und von all denen, die das überlebt haben, gibt es nur noch einen Bruchteil eines Bruchteils, der heute noch lebt. Zwei davon, lebend also wider jede Wahrscheinlichkeit, sind der heute zweiundachtzigjährige Marcel Reich-Ranicki und seine Frau Teofila. Verstehen Sie, daß wir keinen Roman drucken werden, der damit spielt, daß dieser Mord fiktiv nachgeholt wird? Verstehen Sie, daß wir der hier verbrämt wiederkehrenden These, der ewige Jude sei unverletzlich, kein Forum bieten werden?

Ich muß diese Absage öffentlich machen. Sie haben bereits vorauseilend die Vermutung geäußert, eine Absage wäre nur auf den undurchschaubaren Einfluß Marcel Reich-Ranickis zurückzuführen. Doch die reale Hauptfigur Ihres Romans weiß nichts von diesen Vorgängen. Es gibt keine Verschwörung.

Sie, lieber Herr Walser, haben oft genug gesagt, Sie wollten sich befreit fühlen. Ich glaube heute: Ihre Freiheit ist unsere Niederlage. Mit bestem Gruß

FRANK SCHIRRMACHER
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.05.2002, Nr. 122 / Seite 49
 nach oben  Impressum  Drucken  Sitemap  Media-Daten
© Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH