Bullenknüppel
für die Partysanen Frankfurts!
Die meisten Leute werden zur Nachttanzdemo
"Lärm" 97 mit der Erwartung gekommen sein, ein vergleichbares
Event wie die letztjährige Nachttanzdemo "Save our night" zu
erleben, bei der es nach einem dreistündigen Partyzug durch
die Frankfurter Innenstadt unter Polizeieskortierung (!) und
abschließender Disco am Opernplatz zu keinerlei
"Zwischenfällen" gekommen war. Doch bei "Lärm 97"
erwartete die Partywilligen etwas völlig anderes.
Das gewaltige Bullenaufgebot inklusive SEK-Einheiten und
Wasserwerfer, das in der Moselstraße und im gesamten
Bahnhofsviertel schon lange vor Partybeginn Stellung bezogen hatte,
konnte zun"chst nur Verwunderung hervorrufen. Spätestens nach
den massenweise erteilten Platzverweisen, die willkürlich
gegen "verdächtig aussehende Personen" ausgesprochen wurden,
und den mehrfach wiederholten Polizeidurchsagen, daß es sich
bei "Lärm 97" um eine verbotene Veranstaltung handele und die
Teilnahme daran eine "Ordnungswidrigkeit" darstelle, war jedoch klar,
daß die massive Formierung der Polizeitruppen
tatsächlich der gewaltsamen Verhinderung der Nachttanzdemo
dienen sollte.
Doch das Polizeikonzept der massiven
Einschüchterung ging nicht auf: Die Leute, die ins
Bahnhofsviertel gekommen waren, um von dort aus eine Party in der
Innenstadt Frankfurts zu feiern, zeigten mit einer erstaunlichen
Hartnäckigkeit, daß sie sich nicht durch die
Drohungen und später auch Gewalttätigkeiten der
Polizei vertreiben lassen wollten.
"Die Bullen stecken
mit Mc Donalds unter einer Decke, die wollen uns vom Bier fernhalten"
Kein
Bierverkauf im Mc Donalds Hbf, 0:10 h
Organisatorisches Geschick ermöglichte es, den
Partyzug trotzdem in Gang zu setzen, der am Bahnhof weit über
1000 Leute umfaßte. Eine Polizeisperre verhinderte hier
jedoch ein Weiterziehen, was zwar ärgerlich, aber nicht weiter
tragisch war, da über zehn Plattenteller rotierten und die
dazugehörigen Sounds den Bullenkessel, der sich formierte,
zumindest partiell als nebensächlich erscheinen
ließ. Mit dem, was dann jedoch folgte, hatte vermutlich kaum
jemand gerechnet: Die SEK-Einheiten srürmten zwei
Lärmwagen mit einer wüsten Prügelorgie, bei
der CS-Reizgas in rauhen Mengen gezielt in die Gesichter der Tanzenden
gespritzt wurde. Die Leute auf den Wagen wurden brutal
runtergeschmissen und die Umstehenden massiv mit Schlägen und
Tritten eingedeckt. Selbst von "Dienst nach Vorschrift" ("Die Polizei
tut nur ihre Pflicht") konnte hier keine Rede mehr sein, wie
kritikwürdig sich bereits auch schon diese Aussage darstellen
mag.
Die Polizeiübergriffe auf Kleingruppen, die
sich nach der Auflösung vor dem Hauptbahnhof ereigneten,
bildeten ebenso die logische Fortsetzung dieser "Polizeistrategie", wie
die zahlreichen Festnahmen vor dem Nachtleben (Unterstützer
des "Nachtexpress") gegen 4 Uhr, die die Türsteher des
Nachtleben mit hähmischen Bemerkungen und Verweigerung des
Zutritts zu begleiten wußten.
Wohlgemerkt, es gab keinerlei Provokationen, die die
Polizei als Erkl"rungsansatz für ein derartiges Vorgehen
hätte anführen können, die Provokation
bestand einzig und allein in der Musik, im Tanzen und
Spaßhaben der Leute auf einer "unangemeldeten"
Tanzveranstaltung.
"Habt ihr Bullen denn
keine Ahnung von Rock'n Roll?"
Hbf Vorplatz, 1:30 h
Wie läßt sich dieses Verhalten der
Polizei gerade im Hinblick auf den letztjährigen Verlauf der
Nachttanzdemo nun erklären? Wurde die Party damals
insbesondere in den Medien noch auf die Forderung nach
Verlängerung der Sperrstunde reduzierend interpretiert, so
fand das diesjährige Event im Rahmen der Aktionswoche gegen
Sicherheitswahn, (rassistische) Ausgrenzung und Privatisierung, das
heißt, in einem explizit politischen Kontext statt. Diese
Tatsache allein kann jedoch keinesfalls die Prügelexzesse
erklären, die sich in dieser Nacht abspielten, zumal
sicherlich nur ein kleiner Teil der anwesenden Leute von diesem Bezug
der Nachtdemo wußten und auch die, die sich dieses Kontextes
bewußt waren, keinesfalls die Konfrontation mit den Bullen
gesucht hatten. Auch Argumentationen, die der staatlichen Gewalt eine
Strategie von Zuckerbrot und Peitsche unterstellen, scheinen hier
ebensowenig weiterzuführen wie die klassische
ordnungspolitische Erkl"rung, die die Ruhe des schlafenden
Bürgers als oberste Priorität ausweist.
Festzustellen ist, daß der Polizeiapparat in
dieser Nacht die Party zu einem Politikum machte, für das es
selbst Linke zuvor in dieser Form nicht gehalten hatten. Der Bezug auf
das Konzept "radikaler Spaß" hat in Anbetracht der real
existierenden Partylandschaft immer zumindest ambivalenten Charakter,
und droht aus linker Perspektive heraus schnell funktionalistisch zu
werden. Zu fragen ist, inwiefern eine Party, die in einem nicht
institutionalisierten Rahmen (im Gegensatz zur Loveparade) stattfindet,
bereits in ihrer Form einen subversiv-widerständigen Gehalt in
sich birgt, der, in ihrer Überschreitung der herrschenden
Konventionen und Sphären der freien Narretei, staatliche
Organe zu einem derartigen Einschreiten nötigt.
Für etliche der Partybeteiligten schien in den
Momenten, in denen sich trotz der Anstrengungen der Bullen der Partyzug
bewegte, etwas aufzublitzen, das sich nur schwer in Worte fassen
läßt. Insbesondere als auf dem Paulsplatz ein neuer
Lärmwagen (inklusive Strobo) den Zug wieder in Bewegung
setzte, schien alles möglich und jeder Versuch der Bullen, die
Party zu verhindern nur unzulänglich und lächerlich
zu sein; eben weil wir die Guten, die Besseren und Schnelleren sind
("Wir gewinnen in jedem Fall; und wenn wir tausend Tanzflächen
bilden"). Die zehn Minuten bis zur erneuten Einkesselung waren ebenso
wie die halbe Stunde am Hauptbahnhof Momente einer Party, die es wert
war getanzt zu werden.
sinistra! radikale linke
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