Antisemitische Gewalt und linke Akzeptanz –

Dringliche Forderungen nach dem Übergriff vom Dezember 2005 in Darmstadt

 

Im Dezember 2005 wurde auf einer Antifa-Demo in Darmstadt, die unter dem Motto „Ohne Deutschland geht`s uns besser“ stand, eine Person, welche eine Fahne des Staates Israel trug, attackiert. Nachdem der Angriff zunächst auf die Fahne zielte und es auch gelang, den blau-weißen Stoff buchstäblich in den Dreck zu ziehen, kam es zu einem Gerangel, in dessen Verlauf der Hauptangreifer zu körperlicher Gewalt griff, wobei es allerdings zu keinen weiterreichenden Verletzungen kam. Während sich die OrdnerInnen passiv verhielten, zeichnete sich der Großteil der Demo-TeilnehmerInnen durch Ignoranz oder Anfeuern des Angreifers aus. Bereits zu Beginn der Demo hatten einige DemonstrantInnen „Antideutsche ha, ha, ha – sind doch nur zum Schlagen da“ gebrüllt. Als Konsequenz aus dem gewaltsamen antisemitischen Übergriff und der mehrheitlichen Entsolidarisierung verließen die Gruppen Comité Liberté sowie AK Antifa Mainz den Umzug.

 

Dieser Angriff steht in einer Tradition des linken Antisemitismus, welcher sich bundesweit wie regional seit mehreren Jahren militant ausagiert. Angefangen von Schlägen auf einer Linksruck-Veranstaltung über einen Angriff im Café Exzess hin zu einer wahren Prügelorgie in der AU, bei der auch schwerste Verletzungen in Kauf genommen wurden – ganz zu schweigen von den unzähligen anonymen und öffentlichen Drohungen wie den Versuchen, Israelfahnen in Brand zu setzen – zeigt sich im Rhein-Main-Gebiet der Drang der AntisemitInnen zu brutaler körperlicher Gewalt, der die intime Verbandelung von Judenhass, Gewaltfetisch und Reinigungsphantasien praktisch belegt. Waren die TäterInnen allerdings bisher meist abgehalfterte Alt-Autonome oder SektenspinnerInnen, handelt es sich bei dem Hauptakteur des jüngsten Übergriffes um einen langjährigen Organisierten, dessen Gruppe – die antifa [u] - auch den entsprechenden Demo-Aufruf unterstützte (1). Der Vorfall bekommt dadurch, auch wenn die Gewalt schon offener ausagiert wurde, eine neue Dimension.

 

In dem unbedingten Willen, die Israel-Fahne vom ‚eigenen Terrain’ zu verbannen, drückt sich ein Antisemitismus aus, der sich als antinationaler Antizionismus drapiert (2). Diese Form des politisch korrekten Judenhasses zieht sich wie ein roter Faden durch die meisten Strömungen der reformistischen wie radikalen Linken und lässt sich auch der Person des Hauptangreifers zurechnen. Jener altgediente Autonome ist sich etwa nicht zu schade, seine Freude über den Tod eines israelischen Astronauten lauthals mit den Worten „Hurra, ein Zionist ist gestorben“ kundzutun. Bereits Anfang des vergangenen Jahres beschimpfte er antideutsche AntifaschistInnen mit den Worten, sie seien „schlimmer als die NPD“, als diese eine antiamerikanische Demo der zivilgesellschaftlichen Anti-Nazi-Koordination mit einem Transparent „Mr. Bush, please prevent a german seat in the U.N. security council“ kritisch zu kommentieren suchten (3). 

 

Auch wenn dieser unhaltbare Zustand der Szene seit langem bekannt war, oder bei entsprechendem Interesse mühelos in Erfahrung zu bringen gewesen wäre, bestand die Reaktion vor allem in Schweigen. Eine eindeutige Gegenposition seitens der Mehrheit der radikalen Linken wurde bisher nie bezogen, und so können die Täter sich – wenn auch von manchen argwöhnisch beäugt – in der Szene weiter ungehindert tummeln und tümeln. Das Schweigen und die Passivität der Majorität bietet ihnen de facto die nötigen Rückzugsräume und erweist sich somit objektiv als Parteinahme für den Judenhass wie für die weitere Enthemmung eines sozialdarwinistisch strukturierten Zusammenhanges.

 

Die Linke muss sich endlich einer Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus stellen und darin begreifen, dass der Hass auf Israel sich mittlerweile als Kernstück dieses Phänomens etabliert hat. Der Antizionismus, der sich von den Freien Kameradschaften und der NPD über Norbert Blüm und die Grünen wie der PDS bis hin zur radikalen Linken zieht, ist als scheinbar ehrbarer Judenhass zu benennen und zu bekämpfen. Im Zuge dessen gebietet sich eine unbedingte Solidarität mit Israel, dem Zufluchtsort der Überlebenden der Shoah und Juden weltweit, dem einzig möglichen Garant gegen einen erneuten Anlauf der Judenvernichtung, welcher seit seinem Bestehen das Ziel von Zerstörungsversuchen darstellt, von selbst.

 

Des weiteren ist die offene oder latente Kumpanei mit den linken AntisemitInnen wie ihren UnterstützerInnen zu beenden. Den bekannten SchlägerInnen Hausverbote zu erteilen und jegliche Zusammenarbeit einzustellen, um sie so politisch zu isolieren und ihnen keine Gelegenheit für weitere Übergriffe wie die Verbreitung antisemitischer Hetze zu bieten, wäre hierfür ein Anfang. Diese Forderung richtet sich vor allem an die radikale Linke in Frankfurt, und hier neben dem Café Exzess und dem Infoladen vor allem an die in dieser Hinsicht bedeutendste Gruppe, die antifa [f]. Letztere hat sich bei dieser heiklen Frage bisher betont bedeckt gehalten, was nicht zuletzt wohl Ausdruck einer linken Version der Totalitarismustheorie ist, wonach sich mit Antiimps und Anti-Ds zwei gleich strukturierte Lager konträr gegenüberstehen, zwischen denen sich die [f] als über den niederen Grabenkämpfen stehende Neue Mitte der radikalen Linken etablieren möchte (4)

 

Wir stellen diese Forderungen im klaren Bewusstsein, aus der Position einer Minderheit heraus, von beinahe verlorenem Posten aus zu sprechen. Das Schielen auf die Massen und der betont männlich-aggressive Umgang mit inhaltlicher Kritik sind der praktische Ausdruck einer von der Mehrheitslinken systematisch betriebenen Selbstverdummung, die dem antisemitischen Ressentiment Vorschub leistet. Vor diesem Hintergrund sind die omnipräsenten Phrasen von Emanzipation und Solidarität längst keinen Cent mehr wert. Den Gegenbeweis anzutreten wäre seitens der regionalen Linken längst überfällig.

 

sinistra!

radikale linke

           

(1) Das wir den Schläger in diesem Papier nicht namentlich nennen, dient nicht dem Schutz des Schlägers. Es ist schlicht einer Ablehnung der deutschen Tugend des Denunziantentums geschuldet, wie sie bspw. im Veröffentlichen (vermeintlicher) Namen Frankfurter Antideutscher auf Indymedia zum Ausdruck kommt.

(2) Auch bei der Debatte auf Indymedia wurde immer wieder der Vorwurf des Nationalismus gegen die FahnenträgerInnen erhoben. Zwar wurde es schon oft gesagt, doch es sei hier noch einmal festgehalten: Nationalismus verlangt unabdinglich die Identifikation der Einzelnen mit dem Kollektiv, der Nation. Das Subjekt soll sich voll und ganz in den Dienst der angeblichen Schicksalsgemeinschaft stellen, wie es sich in der neu-alten Parole „Du bist Deutschland“ auf den Punkt gebracht findet. Eine Existenz außerhalb der Nation, ein Ich ohne Zwangsvergesellschaftung durch ein übergreifendes, Identität spendendes und Gemeinsamkeit schaffendes Wir soll es nicht mehr geben. Das antideutsche Tragen von Israelfahnen soll jedoch gerade keinen identitären Akt darstellen, findet im Gegenteil – zumindest im Idealfall – gerade im Bewusstsein der Verschiedenheit des israelischen und des kommunistischen Projekts statt. Nicht weil sich Antideutsche ein anderes Vaterland anstatt des verpönten Nazikaltlandes herbeisehnen, sondern gerade weil sie die schärfsten KritikerInnen jeglicher Art von Vaterlandsliebe sind, solidarisieren sie sich mit Israel. Denn, Geschichte und Gegenwart führen es vor Augen, beständig führt der kapitalistische Nationalismus zum Antisemitismus, welcher zumindest in seiner deutschen Variante den Drang zur Elimination in sich birgt. Ein mit entsprechenden Selbstverteidigungsmechanismen ausgerüsteter Schutzraum ist darum absolut notwendig – dessen konkrete Organisation wie Praxis ist wohl kaum von Nahost-ExpertInnen der deutschen Linken zu bestimmen. Das Schwenken der blau-weißen Fahne symbolisiert also – wie unangebracht es auch in vielen Fällen sein mag – die Solidarisierung mit der notwendig in bürgerlichen, also staatlich-militärischen Formen vor sich gehenden politischen Emanzipation der JüdInnen, deren Verlauf nicht zu romantisieren, wohl aber zu akzeptieren und zu unterstützen ist. Demgegenüber wäre der scheinbare Antinationalismus, den die Linke wie eine Monstranz vor sich herträgt, als heimlicher Nationalismus zu dechiffrieren, teilt er doch mit dem Hass auf Israel einen der Kernelemente deutscher Ideologie und findet sich darin mit der überwiegenden Mehrheit der VolksgenossInnen verbunden.

(3) Auf intersubjektiv nachprüfbare Belege müssen wir an dieser Stelle aufgrund der milieutypischen Verweigerung schriftlicher Kommunikation, die aus einem tief verwurzelten Hass auf Intellektualität und Denken im Allgemeinen resultiert, leider verzichten.

(4) antifa f, „Wort zum Sonntag – Flasschenpost an die Restvernunft“, in: Phase 2 Nr. 15.