An die ehemals bunten Aktionärinnen und zukünftigen Fachidiotinnen

„Hört auf zu studieren, fangt an zu denken!“: In der vorangestellten Aufforderung scheint noch durch, was heute undenkbar ist: dass die Fähigkeit des Denkens in Resten noch vorhanden sei und dass dieses Denken auch zu Erkenntnis führt, deren erste Einsicht doch immer sein muss, dass „das Ganze einfach zum kotzen“ ist. Im Streik hat sich wieder einmal gezeigt, wie nötig das eine, wie selten das andere ist.

Wer wie Ihr - selbst bei genuin studentischen Themen wie der Einführung von NC`s und Studiengebühren oder der Modularisierung von Studienfächern, die das Lernen verschult - sich einen Dreck interessiert und lieber unter jeden Stiefel der Autorität kriecht, der sich Euch anbietet, somit das Denken komplett eingestellt hat und nur auf einen blödsinnigen Beruf hinarbeitet, braucht keine offene und gebührenfreie Universität, braucht keine Kritische Theorie, kein autonomes, selbstbestimmtes Studium und der/dem kann auch sonst am Allerwertesten vorbeigehen, wie sich die Universität endgültig umbaut zur bloßen Verwertungsproduktionsanlage von Herrschaftswissen.

Ihr freut euch über sterile Cafés, gestrichene Wände und das Einpauken von schmackhaft in Häppchen verpackten, völlig nutzlosen Unsinn. Das was Ihr lest, lest Ihr weil es von der Autorität befohlen wurde, etwas anderes kann einfach nicht eurer Aufmerksamkeit wert sein. Wegen eurer Verachtung für Reflexion und Emanzipation freut Ihr euch über den freien Eintritt im Palmengarten, den der informativ-nützliche AStA Euch ermöglicht, ohne das Grauen der grün-schwarz-braunen Koalition des Schreckens überhaupt nur wahrzunehmen.

Schnell studieren, schnell alle Scheine machen und nichts, aber auch gar nichts hinterfragen, die Bedingungen und Verhältnisse so hinnehmen wie sie sind, lautet eure Maxime. Leute wie Ihr gucken auch dann noch weg - oder klatschen sogar Beifall - wenn der AStA in vorauseilendem Gehorsam das Ordnungsamt zur täglichen Patrouille anfordert, die Uni von Obdachlosen ‚gereinigt’ oder die Nazi-Vergangenheit des IG Farben-Hauses entsorgt wird. Dass Ihr Euch damit als Faschismus-kompatibel erweist ist Euch wahrscheinlich egal. Mir nicht.

Wenn Ich demnächst dank der Zwangsgebühren mein Studium beenden oder vorzeitig abbrechen muss, werde Ich wenigstens dem Umstand, mit Euch keine Zeit mehr verbringen zu müssen, keine Träne nachweinen. Dass es Euch noch nicht einmal gelingt, den Kopf auch nur über den Tellerrand Eurer Privatexistenz zu heben, geschweige denn das ganze alte Geschirr Eurer deutschen Eltern und Nazi-Großeltern vom Tisch zu fegen, ist schon lange klar. Weder Rassismus, Sexismus noch Antisemitismus, weder national befreite Zonen, noch die Zweigeschlechtlichkeit, noch die MölleHohmannWalserbanden können Euch zu mehr motivieren als zu einem sanften Gewissensbekenntnis für Toleranz. Wen wundert`s – Ihr seid ja schließlich nicht betroffen: eingeschlechtlich, weiß, hetero, mit deutschem Pass könnt Ihr ja immer darauf hoffen, noch an den größten Verbrechen, von der ausgebliebenen Entschädigung für NS-Sklavenarbeiterinnen bis zum Jugoslawienkrieg wenn nicht direkt zu partizipieren, so zumindest ideell noch profitieren zu dürfen. Uninformiert, desinteressiert, borniert und empathielos – so kennt mensch Euch.

Wenigstens Einige von Euch regten sich dann doch, als die hessische Landesregierung beschloss, Euch pro Semester 50 - 1500 Euro mehr abzuknöpfen. Da habt Ihr Euch zur Vollversammlung geschleppt und – als Ihr gefragt wurdet – brav die Hand gehoben. Dann seid Ihr wieder ins Seminar gegangen und habt in eurer grenzenlosen Dienst- und Dienstleistungsmentalität gedacht, dass der AStA schon einen Streik für Euch organisieren wird. Die Seminare habt Ihr erst dann verlassen, als die Profs es Euch händeringend befohlen haben – um nach Hause zu gehen. Vielleicht hättet Ihr einfach dort bleiben sollen, dann wäre uns, Euch und der Öffentlichkeit euer demütiges und demütigendes Gebaren erspart geblieben, als Ihr mit „lustigen Aktionsformen“ eure politische Unbedarftheit und schrankenlose Naivität kund tun musstet. All die „kreativen und bunten Aktionen“ – mir wird es schon schlecht, wenn Ich das Wort nur höre – vom Sankt Rolands-Umzug über das Trockenschwimmen bis zum Studikarneval haben nur bewiesen, wie lächerlich euer Protest war. Während vergleichbare Zumutungen in Frankreich oder Italien Generalstreiks auslösen, war eure Parole: „Streik ja – aber nur in der Mittagspause.“

Die smarten Smile-Aktiönchen hatten vor allem den Zweck, der geneigten Öffentlichkeit zu versichern dass Ihr die besten Absichten habt, fleißig seid, mitmachen wollt. Dass Ihr es Euch mit niemanden verscherzen, verderben und gerne mit allen zusammen, mit Professorinnen, Unileitung und am besten noch mit Roland Koch persönlich in einem Boot sitzen, an einem Strang ziehen würdet. Eure beschissen friedfertige Konstruktivität konnte es selbst nicht erschüttern, dass Euch die Medien geradezu darum anbettelten, endlich etwas zu tun, über das zu berichten sich lohnen würde. Irgendetwas Spektakuläres, dass wenigstens eine Sondersendung gerechtfertigt hätte, einen Live-Bericht, ein bisschen Reality-TV. Ihr aber habt Euch zufrieden in die Bussessel gelehnt, als ihr aus Wiesbaden zurückfuhrt und drei Stunden lang auf einer vorgegeben Route trillernd „marschiert“ wart, um bei einer Kundgebung mit der Polizeigewerkschaft ein „Dialogangebot“ zu unterbreiten und ein Protestwürstchen zu mampfen: „Heute ham wir´s denen aber gegeben!“. Habt Ihr das wirklich gedacht, habt Ihr wirklich geglaubt, es würde Koch und Co. jucken, dass Ihr für eine Minute in der Hessenschau erscheint, habt Ihr wirklich gedacht, sie würden verängstigt im Landtag hocken und zittern vor eurem Mut? Nein, das habt Ihr nicht gedacht, so blöd seid selbst Ihr nicht. Das hättet Ihr auch gar nicht gewollt.

Wut – davon war bei Euch nichts zu spüren. Ihr wolltet ja niemanden weh tun, nicht den Verkehr aufhalten, keinen ökonomischen Schaden anrichten. Selbst auf der Demo habt ihr an den roten Ampeln gehalten, seid nie über die Gleise gelaufen. Vor allem aber wolltet Ihr den Standort Deutschland nicht schwächen. Ihr wolltet nicht zeigen, dass Ihr Geld vom Staat braucht, dass es eine Selbstverständlichkeit wäre, ausreichend Finanzmittel einzufordern; vielmehr wolltet Ihr demonstrieren, dass der Staat Euch braucht, dass Ihr dem Land nutzt.

Aber Ihr habt da etwas nicht mitbekommen: Die Zeit der Zugeständnisse, der sozialen Kompromisse zwecks Erhaltung der Gemeinschaft, ist vorbei. Der Burgfrieden ist aufgekündigt, schon lange im Gange ist der Klassenkampf – von oben. Ihr könnt es täglich aus den Zeitungen erfahren: Ihr werdet zum großen Teil schon zu den Sozialschmarotzerinnen gezählt, Ihr seid überzählig, überflüssige Kosten, die gesenkt werden müssen. Es wird gespart an Euch, selbst Eure Zähne müsst Ihr künftig selbst bezahlen. Aber das ist Euch egal. Ihr nehmt selig alles hin. Wie furchtbar groß muss eure Angst sein, nicht mehr dazugehören zu dürfen. Wie furchtbar groß muss eure Angst sein, dass ihr Euch an alle ideologischen Lappen klammert, die Euch hingeworfen werden; dass ihr so viel Wert darauf legt, zumindest symbolisch, ideell dabei zu sein: „Komme was wolle, ich bin ein Teil der Nation.“. Und ganz Unrecht habt Ihr ja auch nicht: Zumindest zum Gürtel-enger-schnallen werdet Ihr gebraucht. Es ist bitter, aber wahr: jetzt seid Ihr Studis, bald seid Ihr vielleicht alleinerziehend, arbeitslos, sozialhilfempfangend, arbeitnehmend - aber als aller Erstes bleibt Ihr „verdammte Deutsche“ (The Big Lebowski).

Etwas besseres als Studiengebühren habt ihr wirklich nicht verdient!