ein wort zur radikalität

gerne wird immer mal wieder die behauptung aufgestellt, der mangelnde erfolg des „streikes“ liege in seiner radikalität begründet. diese schrecke dialogbereite landesregierung und wohlmeinde bürgerinnen ab und lasse die bravsten studierenden als „linke chaoten“, „krawallmacher“, „gewaltbereite demotouristinnen“ erscheinen. obwohl die bezeichnungen so lyrisch anspruchsvoll gewählt sind, löst die verwandlung vom hässlichen studifrosch zum schönen prinzen des riots bei jenen, die sie zu beobachten meinen, keineswegs vollkommenes entzücken aus. im gegenteil fürchten sie um ihren schlechten ruf und phantasieren, die mediale öffentlichkeit könne vor lauter halluzinierter unartigkeit ihre gutmütige aufmerksamkeit vom verhätschelten objekt abziehen.

nicht, dass je besonders viel mediale aufmerksamkeit bestanden hätte, die sich infolge einer unerwarteten radikalisierung abziehen ließe. der spiegel würde sich ja freuen, wenn er ein neues 81 oder wenigstens 68 ausrufen könnte. und die boulevardzeitungen wünschen sich nichts sehnlicher als endlich mal ein paar auflagensteigernde schlachtenfotos zu veröffentlichen. allein, es rührt sich nichts an den deutschen hochschulen und deswegen widmen sie sich doch lieber weiter dem liebesleben der talkshowprominenten. die bedeutungslosigkeit der stattfindenen proteste lässt sich sehr gut an der spaltenzahl der artikel in der faz ablesen, wo es noch keine aktion zu einer headline, geschweige denn aufs titelblatt geschafft hat. denn dass die frankfurter rundschau zwar gelangweilt aber pflichtbewusst berichterstattet, liegt alleine daran, dass sie die protestierenden als zukünftige abonnentinnen ans blatt binden will.

wenn aber weit und breit keine radikalität zu entdecken ist, dann scheint bei denen, die sie dennoch immerfort ausfindig machen wollen, eine kleine begriffsverwirrung vorzuliegen und es scheint uns an der zeit, dieses missverständnis aufzuklären. die autorinnen dieses flugblatts eignen sich dafür in besonderer weise. sie sind linksradikal und müssen es deshalb wissen. radikal – im wortsinne – heißt bekanntlich, an die wurzel (des übels) vorzudringen und das bedeutet nicht weniger, als sich auf dem weg dorthin, von keinem sachzwang, keiner staatsräson, keiner vorgeblichen naturmacht und keiner scheinbaren realität aufhalten zu lassen. diese logik ist im grunde genommen sehr einfach: wenn sich das glück der menschen nicht realisieren lässt, weil sie nicht am gesellschaftlichen luxus partizipieren können, dann brauchen sie eben mehr geld. wenn sie nicht mehr geld bekommen können, weil die unternehmen sonst pleite gehen oder abwandern, dann müssen diese unternehmen eben enteignet werden. wenn sich die unternehmen nicht enteignen lassen, weil dann die bundeswehr einschreiten würde, dann muss die bundeswehr eben abgeschafft werden. und wenn die bundeswehr nicht abgeschafft werden kann, weil ein staat ohne militär kein staat ist, dann muss deutschland halt von der karte gestrichen werden. oder andersrum und etwas kürzer: wenn sich eine minimale entschädigung (eigentlich: nachträgliche entlohnung – schmerzensgeld etc. nicht eingerechnet) von ns-zwangsarbeiterinnen auf 30 milliarden € beläuft und diese summe nur aufgebracht werden könnte durch finanzielle einbußen der erben der täter, also der deutschen bevölkerung, dann wird es eben zeit für eine neuauflage des morgenthauplans.

damit fallen als erstes all jene argumentationen weg, die behaupten, die einführung von studiengebühren wäre deshalb nicht gerechtfertigt, weil sie nicht im sinne des „allgemeinwohls“, des „bildungsstandorts hessen“ oder des „wirtschaftsstandorts deutschland“ seien. denn sie bedeuten im umkehrschluss, dass die einführung von studiengebühren gerechtfertigt wäre, wenn sie diesen übergeordneten zielen diente. radikalität, sollte sie denn in diesem sinne existieren, ist sicherlich keine linke radikalität. es mag beispielsweise im asta-umfeld das eine oder andere mal eine bewegung in die andere richtung geben, aber das zu diskutieren ist hier nicht der ort.

überhaupt ist die ablehnung von studiengebühren ganz unabhängig von ihrer begründung in keime fall radikal, sie ist noch nicht einmal progressiv, ebenso wenig wie die forderung nach einem verschwinden des sicherheitsdienstes oder einem campusverbot für die polizei. diese forderungen sind vielmehr im wahrsten sinne des wortes konservativ, weil sie alle vor noch vor einem oder maximal zehn jahren noch erfüllt waren. auch die forderung nach einer kostenlosen bildung für alle ist mitnichten radikal im sinne einer umfassenden emanzipation der menschen, denn ein grossteil der hiesigen – erst recht der weltweiten – bevölkerung könnte sich ein studium erst dann leisten, wenn es bezahlt würde.

schon gar nicht linksradikal sind politische positionen, die sich für einen ausbau des sozialstaates, für eine rückkehr zum keynesianischen wohlfahrtsstaat ausprechen. linksradikal wäre einzig die forderung danach jegliche almosen und die mit ihnen verbundenen repressionen und disziplinierungen überflüssig zu machen, den staat mithin ganz abzuschaffen. ebenso ist der uneingeschränkt zu unterstützenden protest gegen die schließung von frauenhäusern kaum mehr als ein kompromiss mit einer gruselig patriarchalen realität. wünschenswert wäre einzig ein zustand, in dem es keine frauenhäuser mehr braucht, weil es keine männer gibt; abschaffung der zweigeschlechtlichkeit, das wäre eine radikale forderung, die den namen verdiente. das gleiche gilt für alle wünsche, die sich auf kleinere klassen oder seminare, kürzere arbeitszeiten, mehr lohn richten. abschaffung der schule! diffusion der universitäten! beendigung der arbeit! recht auf faulheit! – das ließe sich radikal nennen.

vielleicht mag es der einen oder anderen auf einer inhaltlichen ebene einleuchten, dass es keinen nutzen hat mit begriffen um sich zu werfen, von deren umfassender bedeutung sie sich noch nicht einmal ein schwaches bild zu machen in der lage ist. besonderer beliebtheit erfreuen sich aber vor allem auch jene lupendetektive, die die radikalität weniger am inhalt als vielmehr an der form der proteste festmachen wollen. allein zeigt nicht nur der historische, sondern auch der internationale vergleich, dass die hiesigen protestchen an grenzenloser harmlosigkeit kaum zu überbieten sind. während in frankreich oder italien erstmal das präsidialamt, ein rathaus oder wenigstens eine parteizentrale besetzt worden wäre, um überhaupt nur über eine geeignete zentrale zur koordination des widerstands zu verfügen, ist es in frankfurt nicht einmal gelungen den maroden turm, geschweige denn die hörsaalgebäude zu blockieren. angesichts eines solchen auswuchses an unschuld überhaupt noch von streik (englisch = strike, schlag) zu reden, reicht an sprachlicher kreativität schon an die umbenennung des krieges in humanitäre intervention heran.

in diesem sinne ist – um ein anderes prominentes beispiel zu zitieren – auch die verzierung von wänden zumal der eigenen universität sicherlich kein ausdruck einer besonderen radikalität. sie wäre es auch dann nicht, wenn es dabei einzig und allein um den angeblich entstandenen sachschaden – der freilich keiner ist, denn es besteht keinerlei notwendigkeit, sinnlos in den kauf von öder grauer farbe zu investieren – gegangen wäre. radikal wäre vielleicht – sofern sie ernst gemeint wäre – die parole: „34000 € - it´s not enough!“, denn die erwarteten einnahmen aus studiengebühren belaufen sich auf ungefähr 30 millionen € und diese summe müsste der volkswirtschaftliche „schaden“ der proteste schon erreichen, wenn er wenigstens den gesetzten der freien marktwirtschaft, dem äquivalententausch also genügen wollte.

zuweilen geht die panische suche nach elemten der radikalität sogar soweit, diese schon dann am werk zu sehen, wenn das gespräch einem präsidium verweigert wird, das seine freundliche „dialogbereitschaft“ erst vor kurzem durch ein großzügiges polizeiaufgebot zu unterstreichen wusste. da nimmt es nicht wunder, wenn das werfen von rohen eiern auch dann schon als radikal bezeichnet wird, wenn auch nach dem gefährlichen angriff die beworfene cdu-parteizentrale unschwer als solche zu erkennen ist. dabei gäbe es am eierwerfen tatsächlich kritik zu äußern. schließlich formulierte schon der berühmte sprachwissenschaftler patrick: „ich bin auch gegen das werfen von eiern und faulen tomaten. mir wäre es lieber, die leute würde sektflaschen werfen. das hätte wenigstens stil.“

nur wo sinistra! radikale linke draufsteht, ist auch radikale linke drin