Pressemitteilung der Gruppe sinistra! 16.01.04

Riefenstahl-Aufführung im Filmmuseum:

Sinistra! spricht von "Skandal" und fordert Rücktritt der Programmverantwortlichen

Die Frankfurter Rundschau berichtete in ihrer gestrigen Ausgabe vom 15.1.2004 unter der Überschrift "Protest im Filmmuseum" über die Blockade der Aufführung des Olympia-Films der verstorbenen Nazi-Regisseurin Helene Riefenstahl seitens des Foedervereins Roma. Die Gruppe sinistra! korrigiert und ergänzt diesen Bericht in der vorliegenden Pressemitteilung.

Zunächst ist der im Artikel erweckte Eindruck, es habe sich bei den Protestierenden lediglich um "fünf Roma" gehalten, falsch. Neben den Genannten waren knapp 30 weitere Personen aus linken, antifaschistischen und antideutschen Zusammenhängen vor Ort, die sich gegen eine kritiklose Vorführung des NS-Propagandafilms stellten.

Die Befürchtung, es handele sich um einen völlig unkritischen Bezug auf Riefenstahl, wurde bereits im Vorfeld durch die wenig distanzierte Betitelung der Reihe als "In memoriam Leni Riefenstahl" ausgelöst und erhielt zusätzliche Nahrung durch die in begeistertem Ton gehaltenen Vorankündigungen im Programmheft des Filmmuseums. Sinistra-Sprecher Arne Langbehn kommentiert: "In den Ankündigungen war von "visuellen Gedichten" und einem "sinfonischen Ganzen" die Rede, während die aktive Beteiligung Riefenstahls am NS-System unerwähnt blieb. Ebenso wenig wurde die faschistische Ästhetik, die das Werk der Regisseurin bis zu ihrem Tode durchzog, thematisiert."

Langbehn fährt fort: "Es ist ein Skandal, wenn ein halbes Jahrhundert nach den von Deutschen begangenen Massenmorden ein Nazi-Film mit Polizeigewalt gegen den berechtigten Protest von Roma durchgesetzt wird.".

Die auf Nachfrage der FR getätigte Aussage der Programmverantwortlichen, Ulrike Stiefelmayer, wonach nur die beiden Filme "Triumph des Willens" und "Tiefland" "inkriminiert" seien, muss zurückgewiesen werden. Der gezeigte Olympia-Film "Fest der Völker" war eine Auftragsarbeit des Goebbels unterstehenden Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda und stellt demzufolge eine einzige Verherrlichung des Nationalsozialismus bzw. der dazugehörigen Philosophie der Stärke und Opferbereitschaft dar.

Schon am Abend der Filmvorführung hatte sich erwähnte Frau Stiefelmayer als inkompetent erwiesen, als sie zugeben musste, erst durch die Pressemitteilung des Förderverein Roma zwei Tage vor der Olympia-Aufführung vom Einsatz der zwangsverpflichteten und später vergasten Sinti und Roma im Riefenstahl-Film "Tiefland" erfahren zu haben, obwohl dieser Skandal vor wenigen Jahren dank eines Gerichtsprozesses in Frankfurt a. M. noch einmal breite öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hatte.

Vor einigen Monaten bereits wurde im Filmmuseum die angebliche Dokumentation "Jenin, Jenin" aufgeführt, die die Lüge von einem brutalen Massaker der israelischen Armee in einem palästinensischen Flüchtlingslager transportiert. Die Verbreitung dieses Gerüchts unter anderem durch den genannten Film trägt wesentlich zur immer agressiveren antisemitischen Stimmungsmache gegen Israel, den jüdischen Staat der Holocaustüberlebenden, bei.

Die Gruppe Sinistra! hält Stiefelmayer als Programmverantwortliche nicht mehr für tragbar, Arne Langbehn fasst zusammen: "Frau Stiefelmayer hat ihre Unwissenheit eindrucksvoll unter Beweis gestellt und sich als völlig unsensibel gegenüber Fragen der deutschen Vergangenheit und Gegenwart gezeigt. Wir fordern darum den sofortigen Rücktritt der Programmverantwortlichen des Filmmuseums. Zudem muss nun eine Debatte einsetzen, wie in Zukunft solch unkritische Bezugnahmen auf nationalsozialistische und antisemitische Inhalte in öffentlichen Räumen verhindert werden kann."

Arne Langbehn für die Gruppe Sinistra!



Riefenstahl-Film

Kritiker fordern Rücktritt der Programmchefin

Frankfurt · 16. Januar · loi · Die linke Hochschulgruppe Sinistra hält Ulrike Stiefelmayer als Programmverantwortliche des Kinos im Deutschen Filmmuseum "nicht mehr für tragbar". Hintergrund ist die Vorführung von Leni Riefenstahls "Olympia"-Film aus dem Jahr 1938. Mitglieder des Fördervereins Roma und von Sinistra protestierten gegen die Vorführung. Einige blockierten den Eingang, bis Stiefelmayer und ein Kollege die Polizei riefen (die FR berichtete).

Die Vorführung "mit Polizeigewalt gegen den berechtigten Protest von Roma durchgesetzt" zu haben, sei, so Sinistra-Sprecher Arne Langbehn, ein "Skandal". Langbehn widerspricht der Aussage Stiefelmayers in der FR, "Olympia" sei anders als die Riefenstahl-Filme "Triumph des Willens" oder "Tiefland" nicht inkriminiert. Der Film sei im Auftrag des NS-Reichspropagandaministers entstanden. Arne Langbehn und Sinistra empfinden die Programmverantwortliche Stiefelmayer "als völlig unsensibel gegenüber Fragen der deutschen Vergangenheit und Gegenwart". Sie fordern, dass sie von ihrem Posten zurücktritt. Sie halten außerdem "eine Debatte" für nötig, "wie in Zukunft solch unkritische Bezugnahmen auf nationalsozialistische Inhalte in öffentlichen Räumen verhindert werden können".

aus: Frankfurter Rundschau 16. Januar 2004



nicht abgedruckter LeserInnenbrief

Betrifft: Replik auf den Leserinnenbrief vom 31.01. 2004 bezüglich der Rücktrittsforderung gegen die Programmchefin des Filmmuseums wegen der affirmativen Vorführung von Riefenstahl-Filmen

Vorwürfe zurückgewiesen - Rücktrittsforderung aufrechterhalten

In ihrem Leserinnenbrief vom 31.01. widersprechen Barbara Chatelan und Renate Feyerbacher der Darstellung unserer Gruppe bezüglich des Ablaufs der Polizeiaktion gegen die Blockade eines Riefenstahl-Films und setzen sich vehement für das Verbleiben der Programmverantwortlichen des Filmmuseums, Ulrike Stiefelmayer, ein.

Dabei stellen sie den Ablauf des Abends falsch dar und ziehen inakzeptable Schlüsse. Tatsächlich postierten sich die Blockierer schlicht und einfach vor dem Eingang zum Kinosaal, übten darüber hinaus keinerlei Aggressionen aus, während sich die anwesenden Riefenstahl-Fans erheblich gereizter zeigten. Einige besonders Engagierte, die Zivilcourage offensichtlich im Bismarckschen Sinne, also als Agieren zum Wohle des Staates verstehen, begannen gar die Blockierer herumzuschubsen oder an ihnen zu zerren.

Der vom Museumspersonal getätigte Ruf nach der Polizei, bekanntermaßen keine pazifistische Vereinigung sondern die bewaffnete Staatsgewalt, lag ganz im Interesse derjenigen, die ihre Lust auf faschistische Kultur auch gegen den berechtigten Protest von Vertretern der NS-Opfer mit allen Mitteln durchsetzen wollten. Es handelte sich keineswegs um die letzte Option einer in die Enge getriebenen Stiefelmayer, sondern um den Höhepunkt einer Demonstration der sich hinter naive Unwissenheit verbergenden Ignoranz und Kaltschnäuzigkeit einer deutschen Bürokratin.

Das Desinteresse, aus der Perspektive der Sieger herauszutreten, sich mit der Sichtweise der Opfer auseinanderzusetzen, die Vergangenheit und ihre gegenwärtigen Implikationen kritisch zu analysieren, eint Stiefelmayer mit den Leserbriefschreiberinnen Chatelan und Feyerbacher. Für die beiden Letzteren ist das Wissen um den Nationalsozialismus allein gut genug, um den Faschismusverdacht ausgerechnet jenen unterzuschieben, die einer zunehmenden Akzeptanz brauner Positionen entgegenarbeiten. Indem Chatelan und Feyerbacher ausgerechnet den Blockierern Nazi-Methoden anlügen, erheben sie nicht nur sich selbst ungerechtfertigterweise in den Rang von Opfern, vor allem verharmlosen sie in nicht zu ermessender Weise die präzedenzlosen und bisher einmaligen Verbrechen, die von Deutschen an Juden, Sinti, Roma und anderen begangen wurden. Diese bestanden im Kern eben nicht aus der Verhinderung von unkritischen Aufführungen faschistischem Filmguts, sondern in der Entrechtung, Entwürdigung, Deportation und Auslöschung von Millionen von Menschen in einem sinnlosen Amoklauf der Vernichtung. Der von Charletan/Feyerbacher gewählte Vergleich stellt sich somit nicht nur als völlig falsch und deplaziert dar, er fügt sich in eine generelle Tendenz der Entkonkretisierung der NS-Taten ein, die darauf abzielt, das historische Geschehen in einem Meer des Bösen aufgehen zu lassen und damit die deutschen Spezifika zu leugnen. Während man gemeinhin nichts mehr von der eigenen Vergangenheit wissen will, werden ausgerechnet AntifaschistInnen und die ehemaligen Opfer zu den "neuen Nazis" stilisiert, wie es andersweitig in den unzähligen Sharon-Hitler-Gleichsetzungen formuliert wird.

Wir werden derweil weiterhin unseren bescheidenen Beitrag im Kampf gegen den um sich greifenden Revisionismus zu leisten versuchen und halten deshalb die Forderung nach einem Rücktritt von Ulrike Stiefelmayer aufrecht.


Arne Langbehn für die Gruppe Sinistra!