Neues vom Dauerzustand

Zur inneren Mobilisierung

Mensch sollte meinen, wenn Menschen durch Terrorismus ihrer Lebensgrundlage beraubt werden, wenn sie in Knäste gesperrt, verfolgt und zum Abschuß freigegeben werden, hätten sie ein "Problem". Nicht so wenn sie KurdInnen sind - dann sind sie ein Problem. Auch und vor allem in der BRD. Sie ist betroffen von kurdischer "Gewaltbereitschaft" wenn sie ihre Staatsschergen in Bewegung setzt, um Flüchtlinge zusammen zuschlagen, einzuknasten oder zu erschießen. Die AgentInnen der deutschen Staatsgewalt finden immer wieder auf "unerträgliche Weise das Gastrecht mißbraucht", wenn Migran tInnen aus Kurdistan auf den Ver nichtungskrieg des NATO-Partners Türkei im Südosten des Landes öffentlich aufmerksam machen wollen.

So auch letzten Donnerstag in Frankfurt/Main, als nach dem Urteil von Oberbürgermeisterin Roth und ihrem Polizeichef ein öffentlicher kurdischer Hungerstreik, das Zeigen von Fähnchen und Fotos sowie das Skandieren von Sprechchören die "Ruhe und Ordnung" der Stadt soweit in Frage stellten, daß nurmehr ein brutales Zusammenschlagen der KurdInnen und einiger SympathisantInnen und darauffolgende Massenverhaftungen die öffentliche Sicherheit zu bewahren vermochten.

Wessen Friede

Die Aktion wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie sich der "innere Friede" anno '95 für Nichtdeutsche in der BRD buchstabiert. Diejenigen, die aus so "niederen Beweggründen" wie Hunger, Flucht vor Bürgerkriegen und Folter in die BRD zu flüchten suchen, finden sich als "Wirtschaftsflüchtlinge" in Sammellager interniert und unterhalb des Sozialhilfesatzes bis zur schnellstmöglichen Abschiebung "durchgezogen". Der staatliche Rassismus gibt ganz prinzipiell zu Protokoll, daß sie gar nicht erst in irgendeiner Weise einen Anspruch auf "normale" Staatsbürgerlichkeit haben, und daß das letzte, was der deutsche Souverän bei seinem kalkulierenden Umgang mit ihnen in Betracht zieht, die Bedürfnisse und Interessen der Flüchtlinge selbst sind. Ob Flüchtlinge politisch verfolgt werden oder Not leiden, entscheiden zuallerletzt die Betroffenen selbst, sondern die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Nation an ihren jeweiligen Herkunftsländern.

Da sowohl der ordnungspolitische Aufbruchswille der Türkei in Richtung der GUS als auch ihre geostrategische Relevanz als NATO-Basis gen Naher Osten eng genug an die bundesrepublikanischen Interessen in den Regionen gekoppelt sind, wird die türkische Staatraison auch in puncto "Kurdenproblem" akkreditiert. Soweit, daß sie hierzulande sogar als Verbot der PKK und 35 weiterer Organisationen in Rechtsform gegossen wurde. Im Gegensatz zu Flüchtlingen aus dem ehemaligen Ostblock, Dissidenten, bei denen noch jede öffentliche Denunziation ihres Herkunftslandes unterstützt wurde und in allen Medien breitgetreten wurde, heißt es damit für die KurdInnen, denen tatsächlich noch Asyl gewährt wird, daß sie sich voll und ganz den radikalisierten Maßstäben im bundesdeutschen Umgang mit AusländerInnnen anzudienen haben. Da sich der kurdische Nutzen darauf beschränkt, Manövriermasse der BRD für eventuelle Unbotmäßigkeiten der Türkei zu sein, ist "Klappe halten!" für sie die "erste Asylantenpflicht". Solange die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland "gutnachbarschaftlich" sind, handelt sich jede Betätigung der KurdInnen, die sich dagegen abgrenzt, Manövriermasse des türkischen Staates zu sein, die Feindschaft des bundesdeutschen ein. Ganz gleich ob es sich dabei um Kulturvereine oder eine andere Form der "Identitätspflege" handelt - solange sie darauf beharren, aus welchen Gründen auch immer sich nicht über die Staatsraison der Türkei zu definieren, vollstreckt der deutsche Staat das Urteil: "Eine Gefahr für die innere Sicherheit, die müssen raus!" Dabei wird völlig offensichtlich, daß nicht die dem Staatsterror ausgesetzten Menschen definieren, wo die Grenze zwischen Folklore und Politik liegt. Das besorgen die deutschen Polizeiminister, OberbürgermeisterInnen und ähnliches Pack.

Nötige Polizei

PolizistInnen erweisen sich auch und gerade hier als StaatsbürgerInnen in Uniform. Ihnen ist die staatliche Maßgabe nicht verborgen geblieben, die die Medien pflichteifrig immer wieder hochkochen: "Das Kurdenproblem ist noch nicht gelöst!", "Etliche Tarn- und Nachfolgeorganisationen der PKK existieren noch im Untergrund." So und ähnlich ist's Woche für Woche im Blätterwald und auf allen Kanälen zu hören und zu lesen. Die "innere Sicherheit" wird nach wie vor von den KurdInnen untergraben. Und so sorgt der Staat stets selbst für die Beweise, die er bei diesen Menschen finden möchte. Jeder kurdischen Veranstaltung wohnen Polizeihundertschaften bei, um zu demonstrieren, daß sie nötig sind. Jede noch so ohnmächtige Äußerung des Protests - und sei's ein Hungerstreik! - wird ihnen verboten oder unter Bedingungen gestellt, die das kurdische Anliegen vorab ad absurdum führen, so daß die kalkulierte Übertretung der staatlichen Maßgaben den Staatsschergen das angenehme Gefühl vermittelt, jetzt und hier Deutschland vor diesen zu allem fähigen Monstern schützen zu müssen. Und dabei kennt die Gewaltbereitschaft der PolizistInnen keine Grenzen. Sie haben verstanden, was AusländerInnen und vor allem KurdInnen in der BRD '95 sind, und daß ihnen jedes Mittel recht sein darf. War bis vor kurzem noch die PKK als "terroristische Organisation" verfolgt, dies die Form der Kriminalisierung der StaatsgegnerInnen eines NATO-Partners auf deutschem Boden, so ist es jetzt das pure Bekenntnis dazu, Kurde/Kurdin zu sein, das einen Angriff auf die öffentliche Sicherheit darstellt.

Am 30.7., Sonntag schützten deutsche Polizisten die Sicherheit der Stadt mit dem Auftrag, Personen zu kontrollieren und festzunehmen, die "nach Augenschein Kurden" waren (FR 31.7.). Mittels eines biologistischen Kriteriums wird darüber entschieden, wer zum Sicherheitsrisiko wird: Wer nicht so aussieht, als könne er zur "deutschen Rasse" gehören, stellt nach dieser Logik offensichtlich eine Gefahr für den Frieden in der Stadt dar.

Hungerterror

Der Zusammenhang zwischen Anschlägen auf türkische Gemischtwarenhändler, von denen niemand weiß, wer sie wirklich verübt hat (FR 28.7.) und dem Hungerstreik vor der Katharinenkirche wird allein dadurch hergestellt, daß der Polizeiangriff auf die Kurden damit gerechtfertigt wurde und daß die Presse diese Ereignisse in einem Aufwasch aufbereitete. Die Anschläge könnten von Kurden verübt worden sein und die Hungerstreikenden an der Katharinenkirche waren auch Kurden, so wird aus einem Hungerstreik "menschenverachtender Terrorismus".

Die Transformation von Kurden zu "Volksschädlingen" verläuft nach bekannten Stereotypen, dabei bedarf es überhaupt keiner Bezugnahme auf das dritte Reich. Die Debatte um die Grundgesetzänderung 1992 liefert hier genug aktuelle Anknüpfungspunkte. Damals wurden die Pogrome in Rostock, Hoyerswerda und anderswo als Ausdruck der Überfremdung des "deutschen Volkes" dargestellt und so die faktische Abschaffung des Asylrechts begründet. Damit wurde nicht nur die Gewalttätigkeit und der Rassismus des deutschen Mobs verharmlost, ihm sogar nachträglich Recht gegeben, sondern auch die Flüchtlinge für die Pogrome verantwortlich gemacht. In einem Kommentar der FR vom 28.7. 1995 ließt sich derselbe Gedanke so:

"Die Bilder von der Hauptwache werden der Sache der Kurden nicht nutzen; wer die zynischen, ausländerfeindlichen Sprüche aus den Reihen der zahlreichen Augenzeugen hören konnte, weiß, wessen Mühlen wieder bewässert wurden."
Fragt sich nur von wem...

Im Fernsehen

Das Bild der Kurden in der deutschen Öffentlichkeit war schon einmal anders. Während des zweiten Golfkrieges 1992 richtete die UNO eine Schutzzone im Norden des Iraks "für Kurden" ein. Dort wurden sogar deutsche Hilfsgüter auf hungernde Kurden abgeworfen. Im Fernsehen wurde von den Giftgaseinsätzen Saddam Husseins berichtet und viele leidende Menschen der deutschen Betroffenheitsöffentlichkeit präsentiert.

Irakische KurdInnen bekamen einen anderen Status als KurdInnen aus der Türkei, weil die Protektion der KurdInnen im Nordirak gerade den ordnungspolitischen Eingriff der BRD in den Golfkrieg darstellte.

Nach gewonnenem Golfkrieg wurden diese Bilder wieder in die Archive verbannt. Über die Offensive der türkischen Armee gegen die kurdische Zivilbevölkerung (auch in der UN-Schutzzone) wurde kaum noch berichtet. Man ließ sich von der Türkei versichern, daß dorthin exportierte deutsche Waffen nicht gegen die Kurden eingesetzt würden - was offensichtlich aber keinerlei praktische Bedeutung hatte. Daraufhin war von deutscher Seite am Krieg nichts mehr auszusetzen.

Während also in der Türkei mit deutschen Waffen Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung geführt wird, werden die Kurden hierzulande zu einer Bedrohung für das deutsche Volk stilisiert. Sie werden beschuldigt, ihr "Gastrecht" zu mißbrauchen, um einen Konflikt zu importieren, mit dem das deutsche Volk nichts zu schaffen haben will. Weil sie bedroht und angegriffen werden, scheinen sie bedrohlich.

Inzwischen scheint Recht und Ordnung in Frankfurt zunächst wieder erknüppelt worden zu sein, aber die Bedrohung ist geblieben, ja sogar gewachsen. Schon warnt der Innenminister davor, die Kurden könnten zum Angriff auf "deutsche Einrichtungen" übergehen und Stoiber will das Demonstrationsrecht für Ausländer abschaffen (FR 4.7.).

Ist es beim deutschen Demonstranten gerade noch recht, wenn er sich zum Idioten macht für bundesdeutsche Innen- und Außenpolitik, sei es als Mob in Hoyerswerda oder als guteR DeutscheR im Lichterketten-Meer, so gilt für Nicht-Deutsche jetzt die Parole "Arbeiten und Schnauze halten!".

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