Ulrich Enderwitz

Was ist Ideologie

Warum hat die Marktwirtschaft noch Befürworter?

Sowenig der Buerger, der tagtaeglich die Zwangsgesetze kapitalistischer Vergesellschaftung exekutiert, von seiner Existenzbedingung, der Oekonomie, etwas wissen will, sowenig will er sein Denken und Urteilen, das sich ganz selbstverstaendlich in den von eben dieser Vergesellschaftung gesetzten "objektiven Gedankenformen" (Marx) bewegt, dem Vorwurf ausgesetzt wissen, ideologisch zu sein. Oekonomie ist ein schmutziges Geschaeft, Geld verdirbt den Charakter, sagt er und pocht auf seine "eigene Meinung": alles ist Ansichtssache, die Wahrheit relativ und Ideologen sind diejenigen, die stattdessen immer alles so verbissen und dogmatisch sehen. Es ist das auszeichnende Charakteristikum der philosophischen "Postmoderne", dass sie diese buergerlichen Basisressentiments, theoretisch veredelt, zu ihrem Programm macht: von Oekonomie schweigen die Meisterdenker beharrlich und Ideologiekritik ist ihnen ein Greuel. Nichtsdestotrotz ueben derartige Theorien auf viele Linke nicht nur eine seltsame Attraktivitaet aus, sondern werden gar als letzter Schrei kritischer Vernunft gehandelt. Ausgemachten "adornitischen Ex-Leninisten" unter den antinationalen Linken wird allen Ernstes Foucault als Alternative zu ihrer angeblich dem "traditionellen Marxismus" verhafteten "pseudo-objektivistischen Ideologiekritik" anempfohlen. Da das pseudo-kritische Diskurs-Gewuerge heideggerisierender Ex-Maoisten und ihrer deutschen Fuersprecher uns schon seit laengerem nicht nur auf die Nerven geht, sondern als Bankrotterklaerung des Denkens erscheint, sehen wir uns eher nolens als volens veranlasst, in einer der naechsten Nummern die philosophische Postmoderne einer ausfuehrlichen Kritik zu unterziehen. Eroeffnen wollen wir den Streit mit einem Aufsatz von Ulrich Enderwitz, den dieser im letzten Jahr im Rahmen der Rote Ruhr Uni 97 in Bochum vorgetragen hat und der uns fuer eine Klaerung dessen, was materialistische Gesellschaftskritik mit dem Begriff der Ideologie intendiert und was sie selbst als Ideologiekritik auszeichnet, geeignet erscheint. (Die Red.)

Was ist Ideologie?
Wie objektive Verblendung zum allgemeinen Schicksal wird

Der klassischen Lukácsschen Definition des Begriffes zufolge ist Ideologie "notwendig falsches Bewusstsein". Falsches Bewusstsein, unmittelbar genommen, scheint jedes beim Subjekt erzeugte Bild von der Wirklichkeit, das durch subjektive Faktoren beeinflusst oder bestimmt und insofern kein einfaches Abbild der Wirklichkeit, keine adaequatio rei, nicht objektiv ist, das also, insofern Objektivitaet als Signum der Wahrheit gilt, die Wirklichkeit verfaelscht, falsch ist.

Dabei handelt es sich bei den subjektiven Faktoren allerdings um keine bloss negativen Bestimmungen, keinen reinen Mangel, keine Defizienz der Sinneswahrnehmung oder der Urteilskraft; ginge es darum, wir brauchten die Falschheit des entstehenden Bildes nicht mit dem hochgestochenen Begriff Ideologie zu belegen, es genuegte, von Versehen, Irrtum, Unverstand zu reden.

Ideologie ist weder Luege noch Taeuschung

Die subjektiven Faktoren sind vielmehr positiver Art, sind zum Wahrnehmen und Erkennen hinzutretende Bestimmungen, sind im Subjekt wirksame Absichten oder Ruecksichten. Das kann vielerlei sein: persoenlicher Vorteil, dieses oder jenes Interesse, Vorurteile, religioeser Glaube, kulturelle Tradition, soziale Abhaengigkeit, Klassenlage, usw. Aber worin auch immer die Absicht oder Ruecksicht besteht, ideologiebildend wirkt sie nur, wenn sie zwar im Subjekt, aber nicht mit Wissen des Subjektes wirkt, wenn also das Subjekt sie nicht nach Gutduenken und mit Bewusstsein geltend macht und das Bild von der Wirklichkeit verfaelschen laesst, sondern wenn sie sich quasi hinter dem Ruecken des Subjekts zur Geltung bringt und sein Bild von der Wirklichkeit, ohne dass er weiss, wie ihm geschieht, beeinflusst. Andernfalls koennten wir ja erneut auf den Ideologiebegriff verzichten und getrost von Entstellung, Taeuschung, Luege sprechen.

Falsches Bewusstsein im Sinne einer durch nichtbewusste Interessen verfaelschten Auffassung der Realitaet ist demnach Ideologie, allerdings nur - womit wir beim zweiten Moment der Lukacsschen Definition sind -, wenn die Verfaelschung "notwendig" ist. Dieser notwendige, zwingende Charakter des Falschen koennte scheinbar bereits in der Nichtbewusstheit des verfaelschenden Interesses seinen hinlaenglichen Grund zu haben scheinen, nach dem Motto: Wenn ich mir des Interesses nicht bewusst bin, das mein Bild von der Wirklichkeit verfaelscht, bin ich ihm wehrlos ausgeliefert und geschieht die Verfaelschung des Bewusstseins insofern zwangslaeufig, notwendig. Allerdings bliebe eine solche Notwendigkeit doch zugleich zufaellig, weil sie bloss erkenntnispraktisch begruendet waere; das Nichtbewusste koennte mir dank irgendeines Umstandes bewusst werden, und dann waere es mit dieser Art von Notwendigkeit vorbei.

Objektivitaet von Ideologie

Heute ist die Tendenz gross, die Notwendigkeit des falschen Bewusstseins quasi quantitativ, durch Verweis auf den kollektiven Charakter der das Bewusstsein bestimmenden Interessen zu begruenden. Nichts anderes meint die Rede von den "ideologischen Maechten", die das Zwingende gewisser als Ideologie erscheinender Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen, eben das Moment von Notwendigkeit an ihnen, darauf zurueckfuehrt, dass die Traeger der das Bewusstsein verfaelschenden Interessen nicht die Individuen, sondern Gruppen oder Klassen von Menschen, organisatorische Systeme, institutionelle oder kulturelle Zusammenhaenge sind, die den einzelnen als Teil des Ganzen durch Kommunikation, Interaktion, Erziehung, Rituale indoktrinieren und konditionieren. Das Ideologie genannte falsche Bild von der Wirklichkeit waere demnach das Ergebnis einer gesellschaftlichen Indoktrination im weitesten Sinne, seine Notwendigkeit waere die relative Notwendigkeit, fuer die eine Kollektivpsychologie einsteht. Dabei ist es sekundaer, ob es sich bei solchen kollektivpsychologischen Ideologievorstellungen um rechte Kommunikationstheorien a la Habermas oder Derrida handelt, die uns neueste reklamegesellschaftliche Entwicklungen des Kapitalismus als intellektuelles Reformprogramm verkaufen wollen, oder um linke Verschwoerungstheorien a la Althusser oder Foucault, die gesellschaftliches Bewusstsein auf eine wie immer subjektlose Indoktrination zurueckfuehren moechten.

Ich halte es dagegen fuer heuristisch angebracht, den Lukácsschen Begriff so unbedingt aufzufassen, wie er dasteht, ihn also nicht gleich kollektiv-psychologisch zu relativieren, sondern ihn in seiner objektiv-logischen Bedeutung als uneingeschraenkt gueltig anzunehmen. Objektiv-logische Notwendigkeit im Unterschied zur bloss kollektiv-psychologischen ist, wie der Begriff schon sagt, eine Notwendigkeit, die aus der Sache selbst resultiert, die sich aus der inneren Logik des Objekts ergibt. In unserem Fall bedeutet das, dass die Falschheit des Bewusstseins, die Falschheit des im Bewusstsein entstehenden Bildes von der Wirklichkeit, der objektiven Logik des Abgebildeten entspringt, Produkt der Wirklichkeit selbst ist. In diesem streng genommenen Sinne der Lukácsschen Definition waere also Ideologie notwendig falsches Bewusstsein deshalb, weil die subjektiven Interessen, die das Bild von der Wirklichkeit verfaelschen, die Objektivitaet entstellen, durch die Wirklichkeit selbst zur Geltung gebracht, vom Objekt als solchem dem Bewusstsein untergejubelt wurden. Das klingt paradox, ist aber genau das, was mit der marxistischen Ideologiedefinition gemeint ist.

Scheincharakter der Erscheinungen

Das koennen wir erkennen, wenn wir die abstrakte Interpretationsebene, auf der wir uns bislang mit der Definition beschaeftigt haben, verlassen und die Definition in den historischen Kontext stellen, in dem und im Blick auf den Marx den Ideologiebegriff aufgreift. Dieser Kontext ist eine linksliberale Reflexionstradition, die von Anfang des 19. Jahrhundcrts datiert, Leute wie die Saint-Simonisten, Comte und Feuerbach umfasst und einem antimetaphysischen Kult des sei's erkenntnistheoretisch als empirische Unmittelbarkeit, sei's lebenspraktisch als sinnliche Konkretheit vorgestellten fait positif oder tatsaechlich Gegebenen huldigt. Dieser Tradition entstammt auch der Ideologiebegriff selbst. Gepraegt wird er von einer Gruppe napoleonischer Wissenschaftler, die 1801 eine kurzlebige Gesellschaft gruenden und sich als ideologues bezeichnen. Damit wollen sie sich natuerlich nicht als Traeger eines notwendig falschen Bewusstseins brandmarken. Sie wollen damit im Gegenteil geltend machen, dass sie ueber eine privilegierte Objektivitaetserfahrung, einen durch Unmittelbarkeit, Unvoreingenommenheit, Sachhaltigkeit ausgezeichneten besonderen Zugang zur Realitaet verfuegen. Unter dem Ideologiebegriff reklamieren sie mit anderen Worten genau das realitaetsentsprechende Wissen, genau das objektive Bewusstsein, das ihnen wenig spaeter Marx durch seine Definition von Ideologie kategorisch abspricht und fuer im Gegenteil notwendig realitaetsentstellend, notwendig falsch erklaert. So, wie sie sich vorstellt, ist die Realitaet unmittelbar Gegebenes, sinnenfaellige Erscheinung. Auf dies unmittelbar Gegebene, den fait positif, berufen sich die Ideologen als auf die Realitaet sans phrase, auf diese sinnenfaellige Erscheinung gruenden sie ihr als Ideologie im positiven Sinne, als authentisches Erscheinungswissen, verstandenes Wissen von der Realitaet. Und genau dies Verhaeltnis denunziert nun Marx als Ideologie im pejorativen Sinne, weil der Gegenstand solchen Erscheinungswissens, der fait positif, truegerisch, das unmittelbar sich Gebende falsch, die sinnenfaellige Erscheinung taeuschender Schein sei.

Marx legt damit den Finger auf einen objektiven Widerspruch in unseren Gesellschaften, der, so virulent er bereits zu Marxens Zeiten war, sich doch aber heute noch ungleich entfalteter und in der Tat zum Strukturmerkmal von Erfahrung schlechthin totalisiert darbietet - den Widerspruch zwischen der systematisch-ideologischen Unvermitteltheit und der empirisch-praktischen Vermitteltheit aller Realitaet. Tatsache ist, dass in einem nie gekannten Ausmass alle Dinge dieser Welt aktuell oder potentiell, der Sache oder der Form nach, durch menschliche Arbeit hervorgebracht, Resultat praktischer oder theoretischer menschlicher Vermittlungstaetigkeit sind. Tatsache ist aber auch, dass in einem nie gekannten Ausmass all diese produzierten Dinge mit dem Anschein einer von saemtlichen Produktionsbedingungen und Produktionsprozessen abgeloesten unmittelbaren Gegebenheit und fixen Fertigkeit auftreten. Tatsache ist, dass die Welt in einem nie gekannten Ausmass Warencharakter hat oder, wie Marx im ersten Satz des "Kapital" formuliert, dass "der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, als eine ungeheure Warensammlung (erscheint)". In der Tat zeichnet sich die Ware durch diese Gleichzeitigkeit von konkreter Geschaffenheit und abstrakter Gegebenheit aus und ist in dieser ihrer unaufgeloesten Zwitterhaftigkeit allein schon wegen der Allgegenwart, die ihr mittlerweile eignet, paradigmatisch fuer die heutige Erfahrung von Realitaet ueberhaupt. Sie ist etwas von Menschenhand und Menschengeist Erzeugtes, dennoch tritt sie ihren Erzeugern als quasi Naturphaenomen entgegen.

Die Sphaere, kraft derer die Ware diesen Charakter abstrakter Gegebenheit gewinnt, ist der Markt. Weil die Produzenten nicht aus eigenem Antrieb und zum eigenen Gebrauch, sondern auf Rechnung des Marktes produzieren, treten ihnen ihre Produkte, kaum dass sie sie geschaffen haben, als Gegebenheiten dieses objektiven Zusammenhanges entgegen. Ihre Hervorbringungen bleiben nicht ihr Produkt, sondern verwandeln sich im Augenblick ihres Hervorgebrachtseins in Setzungen des Marktes. Dabei bleibt den Produzenten gar nichts anderes uebrig, als fuer den Markt zu produzieren. Allgemeine Bedingung der Kontrolle, die der Markt ueber die Produktion ausuebt, und der bestimmenden Bedeutung, die er fuer die Arbeitsprodukte gewinnt, ist die Arbeitsteilung, die Tatsache, dass die Produzenten mit ihren Produkten gar nichts oder nur partiell etwas anfangen koennen. Besondere Ursache dieser Kontrolle und bestimmenden Bedeutung des Marktes ist der spezifisch kapitalistische Faktor, die Verfuegung des Marktes ueber die Produktionsmittel.

Weil der Markt all die Subsistenzmittel hat, die sie brauchen, aber selbst nicht produzieren, und weil der Markt mehr noch im Besitz der Produktionsmittel ist, die sie brauchen, um ueberhaupt etwas produzieren zu koennen - aus diesem doppelten Grund muessen die Produzenten ihre Produkte dem Markt uebereignen und zulassen, dass diese ihnen als Setzungen des Marktes, das heisst, in der abstrakten Unmittelbarkeit gegebener Waren, entgegentreten. Sie sind dazu gezwungen, aber das bedeutet nicht unbedingt, dass sie es wider Willen tun. Schliesslich erhalten sie etwas fuer die Abtretung ihrer Produkte, bekommen dafuer ein als Lohn deklariertes Entgelt, und das eroeffnet ihnen als Kaufmittel den Zugang zu den auf dem Markt versammelten Subsistenzmitteln, die sie brauchen. Was die Produzenten dem Markt liefern und ueberlassen, ist ein bestimmtes Produktquantum, das ihren Anspruch begruendet, ein entsprechendes Quantum Waren vom Markt zurueckzuerhalten. Das Mass fuer dieses Quantum ist der Tauschwert, der unmittelbar in Produktform erscheinende, objektivierte Ausdruck der durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitszeit, die vom Produzenten jeweils fuer die Produktion aufgewandt wurde. Was die Produzenten als Gegenleistung fuer das dem Markt gelieferte Wertquantum erhalten, ihr Lohn, ist das sogenannte allgemeine Wertaequivalent, Geld, der allgemeine Warenrepraesentant, ein Passepartout fuer alle auf dem Markt in gebrauchsgegenstaendlicher Form vorhandenen Werte, eine Art Gutschein, mit dem sie auf dem Markt Waren einloesen koennen, die sie brauchen. Die Rationalitaet dieses Gutscheins besteht darin, dass er in einer arbeitsteiligen Gesellschaft schwierige oder unmoegliche Ringtauschprozeduren erspart, weil er als allgemeines Wertaequivalent unmittelbaren Zugang zu allen Waren eroeffnet.

Aber das Geld ist mehr als blosser Gutschein, allgemeines Wertaequivalent. Es hat eine wertappropriative Funktion. Indem die am Wertbildungsprozess Beteiligten fuer ihren Wertbeitrag zum Markt Wertaequivalent, Geld, erhalten, erhalten sie niemals das tatsaechliche Aequivalent, sondern stets ein um einen bestimmten Anteil, den der Markt als sein Eigentum reklamiert, gekuerztes Quantum. Der Markt behaelt beim Austausch von Wertaequivalent gegen Produkt einen Teil des im Produkt vergegenstaendlichten Wertes als seinen "Lohn", den von den Produzenten fuer den Markt geschaffenen Mehrwert, ein. Kein Markt und keine marktbestimmte Produktion ohne dieses Aneignungsprinzip! Darin bloss die subsistentielle Verguetung fuer die den Markt Betreibenden sehen zu wollen, greift zu kurz! Erstens ist der Marktanteil traditionell zu gross, um als bloss subsistentielle Verguetung gelten zu koennen. Und vor allem spricht zweitens die Verwendung dieses Marktanteils eine deutliche Sprache. Im Normalfall wird er ja von den Betreibern des Marktes nicht als Subsistenzmittel verzehrt oder konsumiert, sondern so rasch wie moeglich durch Verkauf in seinem Wert realisiert, das heisst, in allgemeines Wertaequivalent, in klingende Muenze, Geld, verwandelt, um zusammen mit dem Wertaequivalent, das als Lohn an die Produzenten ausgegeben wurde, und das diese zur Befriedigung ihrer subsistentiellen Beduerfnisse dem Markt zurueckerstatten, in neue, nach Massgabe des Zuwachses an Wertaequivalent erweiterte Produktionsprozesse gesteckt zu werden, die wiederum dem gleichen Zweck einer Aneignung von Wert durch den Markt dienen.

Vom Markt her gesehen dient also der ganze Vorgang der Ubersetzung der Arbeitsprodukte in die abstrakte Unmittelbarkeit von Waren, in fix und fertige, marktgesetzte Gegenstaendlichkeit, dessen Angelpunkt und Schaltstelle die Dazwischenkunft des als Lohn firmierenden Geldes ist, der Aneignung von Mehrwert durch den Markt. Das als Lohn firmierende Geld erfuellt aus dieser Sicht von Anfang an die Rolle von Kapital im allgemeinen, von Wert, der Wert schafft und akkumuliert. Die Produzenten arbeiten fuer Geld in dem zweideutigen Sinne, dass sie arbeiten, um Geld fuer Subsistenzmittel zu erwerben und dabei aber das Geld sie arbeiten laesst, um Mehrwert zu bekommen.

Die Produzenten muessen sich aus den genannten Gruenden der marktkonstitutiven Arbeitsteilung im allgemeinen und ihrer kapitalkonstitutiven Trennung von den Produktionsmitteln im besonderen mit diesen expropriativen Konditionen ihres Tuns, die sich im Austausch Produkt gegen Lohn, Wertmasse in Warenform gegen Wertaequivalent in Geldform zur Geltung bringen, zufriedengeben. Sie muessen die Ueberfuehrung ihrer Produkte in die Unmittelbarkeit, den fait positif, der marktgesetzten Warenwelt, in deren Gestalt sich die Mehrwertaneignung vollzieht, akzeptieren, um an das Geld zu kommen, das ihnen ihre Subsistenz verschafft. Ihr Akzeptieren faellt bereitwilliger oder widerstrebender aus - je nachdem, wie reichlich die Subsistenz bemessen ist, die ihnen ihr Lohn, das Geld, ermoeglicht.

Warum hat die Marktwirtschaft noch Befuerworter?
Ueber die Ideologen in den Anfaengen des Marktsystems

Aber da gibt es von Anfang an neben den Betreibern des Marktes und den Produzenten noch eine dritte Gruppe - diejenigen, an die die Betreiber des Marktes den durch den Austausch mit den Produzenten erworbenen Mehrwert in Warenform veraeussern, um ihn als Mehrwert sans phrase, das heisst, als Mehrwert in Geldform, zu realisieren. Weil die Betreiber des Marktes den Wert ihrer Waren einschliesslich Mehrwert nur brauchen, um neue Produktionsprozesse in Gang zu setzen und neue mehrwertige Waren produzieren zu lassen, koennen sie mit dem Mehrwert in der unmittelbaren, gebrauchsgegenstaendlichen Gestalt, die er als Ware hat, nichts anfangen und suchen jemanden, an den sie ihn verkaufen koennen. Aus der Gruppe der Produzenten koennen die Gesuchten nicht kommen - die haben ja nur den Produktwert abzueglich des in Produktform verkoerperten Mehrwerts eintauschen koennen. Die Gesuchten kommen also von ausserhalb des durch den Markt und die Produzenten gebildeten gesellschaftlichen Reproduktionssystems und sind dessen offenkundige Nutzniesser. Das einzige, was sie brauchen, ist allgemeines Wertaequivalent, Geld, das sie nicht aus marktbezogenen Lohnverhaeltnissen, sondern aus anderen Zusammenhaengen mitbringen und mit dem sie sich quasi in den Markt einkaufen. Ohne sie und ihr von ausserhalb des Systems eingeschleustes Geld ist die ueber den Mehrwert verlaufende Akkumulationsstrategie der Betreiber des Marktes unmoeglich, und insofern sind sie ein konstitutives Moment jedes auf der Aneignung und Akkumulation von Mehrwert basierenden Marktsystems.

Anders als fuer die Produzenten ist fuer diese Gruppe die Unmittelbarkeit der auf dem Markt erscheinenden Waren, die abstrakte Konkretheit, die Positivitaet der austauschvermittelten Wirklichkeit, keine bloss negative Bedingung, die sie um ihrer Subsistenz willen akzeptieren muessen, sondern im Gegenteil die positive Voraussetzung dafuer, dass sie an den Segnungen des Marktes partizipieren kann. Als Konsequenz und Ausdruck der Aneignung von Mehrwert durch den Markt ist die Unmittelbarkeit der Waren das, was der Gruppe den Einstieg in den Markt und die Teilhabe an seinen Guetern ermoeglicht und wird deshalb von der Gruppe nicht nur akzeptiert beziehungsweise toleriert, sondern affirmiert beziehungsweise als normative Wirklichkeit hochgehalten. So gewiss die Gruppe auf die Expropriationsstragegie des Marktes angewiesen ist, um an Lebensmittel und Konsumgueter zu kommen, so gewiss affirmiert sie den Mechanismus, durch den die Expropriation vor sich geht, einschliesslich seines Kernstuecks, der Ueberfuehrung der Arbeitsprodukte in marktgesetzte Waren, und haelt den resultierenden Anschein von Unmittelbarkeit, den eine durch das Phaenomen Ware gepraegte Wirklichkeit zur Schau stellt, fuer das Natuerlichste beziehungsweise Gottgewollteste von der Welt.

Die Mitglieder der Gruppe sind also im obigen Sinne Ideologen, Anhaenger des fait positif, der Naturgegebenheit der Dinge.

Allerdings sind sie in den Anfaengen des Marktsystems, etwa in der Antike oder im Spaetmittelalter und in der Renaissance, Ideologen nur erst in einem sehr allgemeinen Sinn und ganz gewiss nicht in der spezifischen Bedeutung, die der Begriff bei Marx erhaelt. Das hat mehrere Gruende. Erstens ist diese Gruppe noch relativ klein, wie ja auch der Markt selbst noch nur erst einen Bruchteil der gesamten gesellschaftlichen Reproduktion erfasst. Zweitens ist sie nur erst partiell am Markt interessiert, das heisst, sie ist zwar zur Befriedigung bestimmter Konsumbeduerfnisse auf den Markt und seinen Expropriationsmechanismus angewiesen, zieht aber den groesseren Teil ihrer Subsistenz noch aus den traditionellen herrschaftlichen Zusammenhaengen, in denen sie lebt, aus der Arbeit und den Abgaben ihrer Untertanen und Hintersassen. Drittens steht sie eben deshalb, weil sie in traditionellen Herrschaftsverhaeltnissen lebt, in gewisser Weise noch ausserhalb des Marktsystems; das Wertaequivalent, durch das sie am Markt partizipiert, bringt sie aus ihren aeusseren Zusammenhaengen (aus Bergwerken, Kriegsbeute, Kolonien) mit; sie ist zwar am Markt interessiert, aber nicht in seinem Kontext engagiert.

Das alles aendert sich aber mit Beginn der Neuzeit. Grund dafuer ist eine beispiellose Expansion des Marktes und seiner Transaktionen, die sich der Koinzidenz einer Reihe von Faktoren verdankt (technische Fortschritte in der Landwirtschaft und im Handwerk, Bevoelkerungswachstum, Edelmetalle und Waren aus den Kolonien). Diese Expansion fuehrt zu dem, was Marx als urspruengliche Akkumulation bezeichnet, zu einer noch nie dagewesenen Massierung von Handelskapital, das, weil es nicht genug Produkte findet, in denen es sich warenfoermig verkoerpern kann, sich in zunehmendem Masse in Produktionsmitteln verkoerpert, um Kontrolle ueber die Produktionsbedingungen zu erlangen und die Produktion auf das Beduerfnis des Marktes nach immer mehr Waren auszurichten und einzustellen. Die Konsequenz dieser Kapitalisierung der Produktionsmittel sind die fuer eine kapitalistische Oekonomie im engeren Sinne grundlegende Trennung der Produktionsmittel von den Produzenten und die voellig neuen Ausbeutungsmoeglichkeiten, denen die letzteren sich durch diese Trennung unterworfen sehen.

Solange die Produzenten dem Markt noch in eigener Regie und mit eigenen Mitteln gefertigte Produkte liefern, bemisst sich (wenn auch mit vielen empirischen Einschraenkungen) deren Wert und also ihr Lohn an der durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitszeit, die sie dafuer haben aufwenden muessen. Jetzt aber kauft der Markt nicht mehr die Produkte der Produzenten, sondern die Produzenten selbst, ihre Arbeitskraft. Ein Produkte schaffendes Produkt - das ist es, was der Markt mit den Produzenten bekommt. Woran bemisst sich nun aber der Wert dieses "Produkts"? Am Wert der fuer seine Herstellung beziehungsweise Wiederherstellung noetigen Produkte, sprich, am Wert der fuer die Reproduktion und Erhaltung seiner Arbeitskraft erforderlichen Subsistenzmittel. Was ein Produzent zum Leben und zur Reproduktion seiner Arbeitskraft braucht und was also sein Wert ist, ist an sich schon keine anthropologisch fixe Groesse, sondern eine Sache gesellschaftlicher Konvention und ausserordentlichen Schwankungen unterworfen. Hinzu kommt aber noch, dass wie alle Waren die Arbeitskraft jetzt nicht nur einen Wert hat, der sich an ihren Gestehungskosten bemisst, sondern auch einen Preis, ueber den Angebot und Nachfrage entscheiden. Und auf dem Markt fuer die Ware Arbeitskraft, auf dem Arbeitsmarkt, herrscht in den ersten Jahrhunderten der kapitalistischen Entwicklung ein Ueberangebot an dieser Ware, bedingt einerseits durch die uebermaechtige Konkurrenz der kapitalisierten Produktionsmittel, die die traditionelle Selbstaendigkeit der Produzenten zerstoert und letztere "freisetzt", so dass sie fuer ihre Subsistenz auf Lohnarbeit angewiesen sind, und andererseits durch das starke Bevoelkerungswachstum, fuer das neben den Fortschritten in Hygiene und Medizin vor allem auch die kapitalistische Entwurzelung und Deklassierung der Produzenten selbst schuld ist, auf die diese mit der Alterssicherungsstrategie des Kinderreichtums reagieren. Die Konsequenz dieses Ueberangebots an Arbeitskraft ist, dass die Lohnarbeit Suchenden um die Arbeitsplaetze konkurrieren und so den Repraesentanten des Marktes ermoglichen, ihren Lohn immer weiter zu druecken und ihre Arbeitsbedingungen, sowohl was die Laenge des Arbeitstages, als auch was die Intensitaet der Arbeitsleistung betrifft, immer weiter zu verschaerfen. Und beides wiederum schlaegt sich in einem unverhaeltnismaessig hohen Mehrwertanteil nieder, den die Marktrepraesentanten einheimsen. Je geringer der gezahlte Lohn und je groesser die in Warenform produzierte Wertmenge, um so groesser der Wertanteil, der nicht an die Produzenten geht, sondern in der Hand der Marktrepraesentanten bleibt und durch den Verkauf der Waren als Mehrwert realisiert werden kann.

Oekonomisch gesehen bedeutet dieser hohe Mehrwertanteil, dass der Markt expandieren und immer mehr Produktionskapazitaeten unter seine Kontrolle bringen und nach Massgabe seiner Interessen entfalten kann. Je mehr Wertmasse die Marktrepraesentanten zurueckbehalten, um so mehr koennen sie in neue Produktionsprozesse stecken. So gesehen, ist die quantitative Ausbeutung der Lohnarbeitskraft, die Ausbeutung durch Lohndrueckerei, verlaengerte Arbeitszeit und Intensivierung der Arbeit, die entscheidende Bedingung fuer die Entfaltung des kapitalistischen Systems in seiner Fruehzeit.

Aber die hohe Mehrwertproduktion hat auch eine soziale Seite, womit wir endlich wieder bei unseren Ideologen waeren. Der produzierte Mehrwert hat ja unmittelbar die Form von Waren, und ehe er in neue Produktion investiert, als Kapital genutzt werden kann, muss er als solcher, das heisst in Geldform, realisiert, sprich, er muss verkauft werden. Wer soll die Waren kaufen, wenn nicht jene Gruppen, die ueber Geld aus anderen Quellen als den Lohnarbeitszusammenhaengen des Marktes verfuegen und die kraft dieses von ausserhalb des Marktes stammenden Geldes die Hauptnutzniesser der marktspezifischen Mehrwertproduktion sind? Wer sonst soll mit anderen Worten den geschaffenen Mehrwert realisieren als die traditionellen Oberschichten mit ihrem aus landesherrlichen Bergwerken, aus den Kolonien, aus der Grundrente, aus fuerstlichen Pfruenden, aus staatlichen Steuern stammenden Geld? Sie sind die Hauptnutzniesser der auf die urspruengliche Akkumulation folgenden manufakturellen und dann industriellen Ausbeutung der Lohnarbeitskraft.

Wie sehr sie Nutzniesser sind, davon zeugen die absolutistischen Hoefe mit ihrer barocken Prachtentfaltung, zeugen die Adligen und Patrizier mit ihren Landsitzen und Stadthaeusern und ihrer galanten Lebensart. Davon zeugt auch ein frueher Politoekonom wie Bernard Mandeville, der in seiner Bienenfabel den Luxuskonsum der Oberschicht des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts zur Bedingung des Reichtums der Gesellschaften und des Wohlstandes des kleinen Mannes erklaert, der behauptet, die Beduerfnisbefriedigung der oberen Etagen der Gesellschaft liessen in den unteren Etagen "den Schornstein rauchen". Damit naehern wir uns nun in der Tat der im Sinne der klassischen Lukácsschen Definition ideologischen Sichtweise, bei der naemlich die Warenproduktion fuer den Markt bereits als fuer alle gesellschaftlichen Schichten verbindliche Wirtschaftsform akzeptiert oder vielmehr gutgeheissen und bei der so selbstverstandlich davon ausgegangen wird, dass die in Form dieser Warenproduktion praktizierte Mehrwertproduktion conditio sine qua non aller gesellschaftlichen Reproduktion ist, dass diejenigen, die den unmittelbar in Mehrproduktform erscheinenden Mehrwert zu realisieren helfen, indem sie das Mehrprodukt kaufen, als die eigentlichen Traeger und Erhalter des Wirtschaftslebens erscheinen und dass in voelliger Verkehrung der tatsaechlichen Abhaengigkeiten die ueber den Markt abgewickelte Subsistenz der Produzenten sich als blosse Folgeerscheinung, als Abfallprodukt des Konsums des Mehrprodukts durch die Nichtproduzenten praesentiert.

Der buergerliche Konsument als Ideologe

Aber moegen die Verzehrer des Mehrprodukts und Realisierer des im Mehrprodukt steckenden Mehrwerts, als die sich die traditionellen Oberschichten in der Fruehzeit der buergerlichen Entwicklung profilieren, noch so sehr an ideologischer Selbstueberschaetzung leiden - lange sind sie der ihnen von der fruehbuergerlich-absolutistischen Gesellschaft zugewiesenen Aufgabe nicht gewachsen. Was sie in Positur bringt, untergraebt schliesslich auch wieder ihre Stellung: die unaufhaltsame Vergroesserung des durch Lohnarbeit erzeugten Mehrwerts, teils relativ durch die wachsende Ausbeutung der Arbeitskraft, teils absolut durch die akkumulationsbedingte Ausdehnung der Verfuegung und Kontrolle des Marktes ueber die Arbeitsprozesse auf immer groessere Teile der Arbeitssphaere. Das Mehrprodukt, in dem dieser wachsende Mehrwert sich darstellt, ist von den traditionellen, kleinen Oberschichten, moegen diese auch noch so sehr im Luxus schwelgen, bald schon nicht mehr zu bewaeltigen. Neue, buergerliche Konsumentenschichten muessen her, um mit diesem Mehrprodukt fertigzuwerden. Und diese muessen mit Geld ausgestattet werden, um ihre konsumtive Rolle erfuellen zu koennen. Denn im Unterschied zu den traditionellen Konsumenten bringen sie kein allgemeines Wertaequivalent von ausserhalb des Marktes, von zu Hause, mit.

Hier ist m.E. ein wesentlicher Grund fuer die Entstehung des neuzeitlichen zentralen Staates mit den von ihm abhaengigen, weil direkt oder indirekt von ihm alimentierten Institutionen, Apparaten und Gruppen zu sehen: Die Produktion von Mehrwert in Gestalt von Mehrprodukt hat einen solchen Umfang angenommen, dass die Realisierung dieses Mehrwerts nicht mehr naturwuechsigen gesellschaftlichen Gruppen und ihrer Konsumfaehigkeit und Konsumbereitschaft ueberlassen bleiben kann, sondern dass von Staats wegen die noetigen Konsumentenschichten organisiert und mit Geld dotiert werden muessen. Eine wichtige Aufgabe des Staates ist es fortan, das allgemeine Wertaequivalent, das als Repraesentant des im Zuge der kapitalistischen Lohnarbeitsprozesse jeweils neugeschaffenen Mehrwerts in Warenform noetig ist, zu schoepfen beziehungsweise bereitzustellen und so unter die Leute zu bringen, dass sie per Konsum die Realisierung dieses Mehrwerts besorgen koennen. Unnoetig zu sagen, dass hier zugleich der Ursprung der modernen staatlichen Geld- und Finanzpolitik liegt.

Der Staat gibt das Geld, das er in Umlauf setzt, um den in Warengestalt geschaffenen Mehrwert durch ein entsprechendes Quantum allgemeinen Wertaequivalents repraesentiert sein zu lassen, den neuen Konsumentenschichten nicht unentgeltlich, er verschenkt es nicht an sie. Er gibt es ihnen fuer Leistungen, die entweder auch vorher schon erbracht wurden, allerdings ehrenamtlich und auf lokaler Ebene, wahrend sie jetzt in staatliche Regie uebernommen und honoriert werden, oder die im Rahmen des zentralistischen Staates und seiner veraenderten Beduerfnisse neu entstehen beziehungsweise neue Dringlichkeit und Umfaenglichkeit gewinnen. Man denke an die Verwaltung, die Rechtspflege, das Militaer, spaeter auch die Bildung und den oeffentlichen Dienst. Diese Leistungen zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass sie mit der materiellen Reproduktion der Gesellschaft direkt nichts zu tun haben, nicht als aktive Beitraege in das System der marktbezogenen gesellschaftlichen Arbeit, eingebunden sind - selbst wenn sie indirekt und auf Umwegen zur Erhaltung des Marktsystems beitragen moegen, etwa durch die Wahrung eines fuer die Arbeit noetigen Mindestniveaus an Bildung oder Gesundheit.

Wenn ich sage, dass diese Leistungen kein Beitrag zur materiellen Reproduktion der Gesellschaft sind, dann will ich sie damit nicht etwa fuer allesamt gesellschaftlich unnuetz erklaeren. Ihre gesellschaftliche Nuetzlichkeit steht hier ueberhaupt nicht zur Diskussion. Es geht mir darum, deutlich zu machen, dass unter dem Deckmantel eines kaschierenden Arbeitsleistungs- und Geldentlohnungsmechanismus zwei nach Interesse und Intention ganz verschiedene gesellschaftliche Verhaeltnisse miteinander verquickt und verschmolzen sind, ein ausbeuterisches Produktionsverhaeltnis und ein konsumtives Nutzniesserverhaeltnis. Verquickt sind beide, denn einerseits ist zwar das Produktionsverhaeltnis offenbare Voraussetzung des Nutzniesserverhaeltnisses, weil durch die Produktion ueberhaupt erst das Mehrprodukt geschaffen wird, das den Nutzniessern die konsumtive Teilhabe am Markt ermoeglicht, andererseits aber kann auch das Nutzniesserverhaeltnis als Voraussetzung des Produktionsverhaeltnisses gelten, weil ja die Realisierung des in dem Mehrprodukt steckenden Mehrwerts, das heisst, die erfolgreiche Akkumulation von weiterem Geld in der Funktion potentiellen Kapitals die Bedingung dafuer ist, dass Produktion ueberhaupt stattfindet und die daran geknuepfte, mehr oder minder karge Subsistenz der Produzenten, ihre per Arbeitslohn garantierte Beteiligung an der Nutzniessung ihres eigenen Produkts gewaehrleistet bleibt, kurz, dass das ganze System der auf die Erzeugung von Mehrwert abgestellten, marktorientierten gesellschaftlichen Reproduktion funktioniert.

In der Tat ist mit diesen quasi staatlich angestellten Konsumentengruppen der Ideologenstatus im klassischen marxistischen Sinne ueberhaupt erst perfekt. Die Ideologen, jene, die von der gesetzten Unmittelbarkeit, der positiven Faktizititaet der Warenwelt im besonderen und der durch die Warenwelt mehr und mehr gepraegten Erscheinungswelt im allgemeinen profitieren, die Nutzniesser dieses Erscheinungsmodus sind, in dem sich die kapitale Produktion und Aneignung von Mehrwert vollzieht, sind nicht mehr in anderen oekonomischen Reproduktionssystemen verankerte und am Marktsystem peripher partizipierende marginale Gruppen, sondern sind eine ins Marktsystem vollstaendig integrierte und ganz und gar von ihm abhaengige zentrale gesellschaftliche Schicht, der buergerliche Mittelstand. Das Geld dieser buergerlichen Konsumentenschicht stammt nicht mehr aus den anderen Wirtschaftszusammenhaengen, in denen die frueheren herrschaftlichen Konsumenten verankert sind, sondern wird nach Massgabe der saechlichen Wertschoepfung durch die kapitalisierte Arbeit von Staats wegen systematisch ins System eingespeist und ueber die Honorierung von nicht oder nur auf Umwegen marktrelevanten Leistungen vornehmlich dieser buergerlichen Konsumentenschicht zugewendet.

Das beste Gewissen der Welt als Ideologie

Weil sich die nichtmarktrelevanten Leistungen der buergerlichen Konsumentenschicht durch die Geldform, in der sie entlohnt werden, in ununterscheidbarer Kontinuitaet mit den durch Arbeitslohn vergueteten marktrelevanten Leistungen der Produzentenschicht befinden, verleihen sie der buergerlichen Konsumentenschicht das subjektive Bewusstsein eines begruendeten Anrechts auf das gesellschaftliche Mehrprodukt, das sie als solches zu konsumieren und damit als Mehrwert zu realisieren verdienen. Und dieses subjektive Bewusstsein des Anrechts wird nun noch durch ein quasi objektives Legitimationsbewusstsein untermauert. Die buergerliche Konsumentenschicht realisiert, dass ihr Nutzniessertum, ihr materielles Profitieren vom Mehrwerterzeugungs- und -aneignungsmechanismus des Marktes, eine fuer die Aufrechterhaltung der durch diesen Mechanismus bestimmten gesellschaftlichen Reproduktion wesentliche Bedingung ist. Sie ist kein herrschaftlicher Schmarotzer, der sich das Mehrprodukt aneignet, weil er zufaellig ueber Geld verfuegt; sie ist eine integrale gesellschaftliche Gruppe, die planmaessig mit Geld ausgestattet wird, das ihr erlaubt, sich das Mehrprodukt anzueignen, weil sie nichtmarktspezifische, aber als gesellschaftlich wichtig anerkannte Leistungen erbringt und weil sie durch die Aneignung des Mehrprodukts wesentlich zum Bestand des Gemeinwesens und zu dessen Wohlstand, die Subsistenz der Produzentenschichten eingeschlossen, beitraegt. Sie spielt ihre Nutzniesserrolle mit dem besten Gewissen der Welt und im Bewusstsein ihrer fraglosen Legitimation, vorausgesetzt nur, sie verhaelt sich ideologisch, das heisst, geht von der marktgesetzten Unmittelbarkeit und Positivitaet der Wirklichkeit als von einer unhinterfragbaren Gegebenheit aus und akzeptiert damit auch den hinter der Maske dieser Positivitaet sich vollziehenden Prozess einer Schoepfung und Aneignung von Mehrwert zu dem einzigen Zweck einer Schoepfung und Aneignung immer neuen Mehrwerts als den stillschweigenden modus vivendi aller Gesellschaft, als ebenso unverbruechlichen wie unausgesprochenen gesellschaftlichen Naturzustand.

Nutzniesser seiner Ausbeutung: der Produzent als Ideologe

Aber auch mit der Ausdehnung des Ideologenstatus auf den buergerlichen Mittelstand hat es noch nicht sein Bewenden. Das kapitalistische Wertschoepfungsunternehmen auf der Basis von Lohnarbeit, bei dem der buergerliche Mittelstand als Wertrealisierer konsumkraeftig mithilft, geht ja dank des jeweils neugeschaffenen und in neue Produktionsprozesse investierten Mehrwerts unaufhaltsam weiter und sorgt durch die Erweiterung der bereits kapitalisierten Produktion und durch die Ausdehnung auf neue, noch nicht kapitalisierte Produktionsbereiche dafuer, dass die Mehrwertmasse beziehungsweise die Masse des Mehrprodukts, als die erstere sich unmittelbar darstellt, immer gigantischer wird. Entsprechend gigantischer und zunehmend unbewaeltigbarer wird auch die Aufgabe des Konsums dieses Mehrprodukts. Jedenfalls unbewaeltigbar fuer den bisherigen Hauptkonsumenten, den buergerlichen Mittelstand. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, im sogenannten Fin de siecle, tritt eine aehnliche Situation ein wie die zu Anfang des 18. Jahrhunderts von Mandeville bezeugte. Die bisherigen Nutzniesserschichten sind dem Mehrprodukt und der Aufgabe seiner Realisierung als Mehrwert nicht mehr gewachsen; es muessen neue Gruppen her.

Diese neuen Gruppen rekrutieren sich nun in zunehmendem Masse und in wachsendem Umfang aus der Produzentenklasse selbst. Dass sich in der zweiten Haelfte des 19. Jahrhunderts die direkte Ausbeutung der Produzenten durch Lohndrueckerei und Arbeitszeitverlaengerung abschwaecht und eine ruecklaeufige Bewegung zu beschreiben beginnt und dass durch Arbeitskampf und gewerkschaftliche beziehungsweise politische Organisation eine Besserung der oekonomischen und sozialen Verhaeltnisse der arbeitenden Klasse durchgesetzt wird, hat auch und wesentlich etwas mit der Absatzkrise zu tun, in die das kapitalistische System sich durch das Zugleich von ausbeutungsbedingt gcringer Konsumkraft der Produzenten und expansionsbedingt wachsendem Mehrprodukt bringt. Um der Wertrealisierungsprobleme Herr zu werden, schlagen die kapitalistischen Gesellschaften in der zweiten Haelfte des 19. Jahrhunderts zwei Wege ein: den Weg einer imperialistischen Expansion zwecks Eroberung neuer Absatzmaerkte und den Weg einer Dotierung der arbeitenden Klasse mit einem groesseren Anteil der von ihnen produzierten Wertmasse. In beiden Faellen leistet der Staat entscheidende Hilfestellung, im einen Fall durch die militaerische und politische Absicherung der Eroberungen, im anderen Fall durch sozial- und finanzpolitische Massnahmen.

Dass die Produzenten durch Erhoehung ihrer Loehne und durch staatliche Umverteilungen und Unterstuetzungen einen groesseren Teil des von ihnen produzierten Wertes erhalten und damit denn auch ueber einen groesseren Teil des Produkts verfuegen koennen, in dem dieser Wert sich unmittelbar darstellt, macht aus ihnen noch keine Ideologen. Wenn Ideologen diejenigen sind, die von einem gesellschaftlichen Reproduktionssystem profitieren, an dem sie nicht direkt beteiligt sind, dessen Expropriationsmechanismen und expropriative Erscheinungsformen sie aber als naturgegeben affirmieren, eben weil sie darin die Basis ihrer Subsistenz finden, dann sind die Produzenten, die ja an dem Reproduktionssystem nicht nur beteiligt, sondern mehr noch diejenigen sind, zu deren Lasten es funktioniert, nicht bloss deshalb schon Ideologen, weil die Last, die sie tragen muessen, etwas geringer wird. Die Besserstellung der Produzenten im Blick auf den Mehrwert, den sie schaffen, bedeutet nur eine Veraenderung der Ausbeutungsproportion, kein neues Nutzniessungsverhaeltnis.

In Richtung auf eine Art Nutzniessungsverhaeltnis und insofern auch eine Art Ideologenstatus werden die Produzenten indes aufgrund einer anderen, mit ihrer Besserstellung Hand in Hand gehenden oekonomischen Entwicklung gedraengt. Ich meine die seit der zweiten Haelfte des 19. Jahrhunderts fuer die kapitalistische Entwicklung maBgebende Erhoehung der Produktivkraft durch Technisierung der Produktionsprozesse. Damit reagiert naemlich das Kapital auf die allmaehliche Besserstellung der Produzenten, die Erhoehung ihres Wertanteils an dem von ihnen geschaffenen Produkt. Die Technisierungstendenz ist in der Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln und der Kapitalisierung der letzteren wesentlich und von Anfang an angelegt. Aber solange noch die direkte Ausbeutung der Arbeitskraft ungehindert moeglich bleibt und das Kapital noch haupt- saechlich mit der Eroberung und Umkrempelung der Produktionssphaere und ihrer verschiedenen Bereiche befasst ist, bleibt die Steigerung der Produktivkraft durch Mechanisierung und Automatisierung, die sich als indirekte Form der Ausbeutung darstellt, noch eher ein zwar der Tendenz nach notwendiger, aber dem Verlauf nach zufaelliger und unsystematischer Vorgang. Jetzt aber, da das Elend der Produzenten und die Masse an produziertem Mehrprodukt dazu noetigen, die Produzenten starker am Konsum zu beteiligen und ihnen also durch bessere Loehne und staatliche Zuwendungen mehr von dem Wert, den sie produzieren, zu ueberlassen, wird fuer den Markt die Technisierung zu einem systematisch eingesetzten Mittel, eine Verringerung des vom Markt appropriierten Mehrwerts zu verhindern. Dadurch, dass sie mit technischen Mitteln die Produktivitaet der Arbeitskraft erhoehen, suchen sie die Einbusse an Mehrwert, die die Besserstellung der Produzenten fuer sie bedeutet, zu kompensieren. Der Produzent bekommt einen hoeheren Lohn, mehr Wert, als vorher, aber dank der Technisierung erzeugt er nun auch ein groesseres Mehrprodukt als vorher und insofern scheint der Mehrwertverlust wettgemacht.

Der Schein allerdings, dass das vergroesserte Mehrprodukt automatisch gleichbedeutend mit erhoehtem Mehrwert sei, truegt. Der Wert ist, wie wir seit Marx wissen, Ausdruck und objektivierte Funktion durchschnittlicher Arbeitszeit, und wenn dank erhoehter Produktivkraft die fuer ein Produkt aufgewendete Arbeitszeit sich verringert, dann verringert sich entsprechend auch der Wert des Produkts. Anders gesagt, wenn die gleiche Arbeitszeit eine groessere Produktmenge zeitigt, entfaellt ein geringerer Teil des gleichbleibenden Werts auf das einzelne Produkt, und insofern bleibt alles beim alten. Zwar voruebergehend, wenn die durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit fuer das Produkt noch die alte ist und sich noch nicht am neuen Produktivitaetsstand orientiert, kann von dem Kapitalisten, der diesen Produktivitaetsstand erreicht hat, das Mehrprodukt auch als Mehrwert realisiert werden und dem Betreffenden einen Akkumulationsvorteil verschaffen. Aber um nicht ins Hintertreffen zu geraten, muessen eben deshalb die anderen Kapitalisten nachziehen und den neuen Produktivitaetsstand uebernehmen, und indem sie das tun, wird die diesem neuen Stand entsprechende Arbeitszeit zur neuen durchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitszeit, und das Mehrprodukt hoert auf, Mehrwert zu bedeuten.

Diese Methode, den groesseren Wertanteil, den die Produzenten dank Arbeitskampf und staatlicher Intervention erhalten, durch Erhoehung der Produktivkraft zu kompensieren, taugt mithin zu nichts anderem als zur Entfachung eines Konkurrenzkampfes, dessen einziger Effekt eben die fortwaehrende Erhoehung der Produktivkraft ist. Und mit dieser fortlaufenden Erhoehung der Produktivkraft sind nun aber zwei gravierende und krisentraechtige Konsequenzen verknuepft, eine oekonomisch- systematische und eine sozial-pragmatische. Die systematische betrifft die sogenannte Veraenderung in der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Die produktivitaetssteigernde Technisierung der Produktionsprozesse bedeutet, dass relativ immer mehr Kapital in die Produktionsmittel und die Rohstoffe und immer weniger in die menschliche Arbeitskraft investiert wird, dass mit anderen Worten die Proportion zwischen fixem und variablem Kapital, zwischen Arbeitsmittel und Arbeitslohn sich immer mehr zugunsten des ersteren verschiebt. Das hat zur Folge, dass zwar der produzierte Mehrwert, das, was nach Abzug der Arbeitsloehne dem Kapitalisten an Produktwert verbleibt, immer groesser wird, dass gleichzeitig aber der Profit, das, was nach Abzug aller Produktionskosten, der Loehne und der Aufwendungen fuer die Arbeitsmittel, dem Kapitalisten von diesem Produktwert als sein Gewinn verbleibt, immer mehr sinkt. Unter dem Motto vom tendenziellen Fall der Profitrate wurde daraus verschiedentlich auf eine der Kapitalentwicklung inhaerente Selbstlaehmungs- und Selbstvereitelungstendenz geschlossen, eine quasi automatische Tendenz des Kapitals, sich ihres Motivs, des Profits, zunehmend zu berauben und in eine wegen der staendig groesseren Diskrepanz zwischen Investitionsaufwand und Ertrag bis zur Versteinerung wachsende Traegheit und Unbeweglichkeit zu verfallen. An diese These von einer der Kapitalentwicklung immanenten Selbstzerstoerungstendenz glaube ich aber nicht, weil ich von der Wirksamkeit rein struktureller, quasilogischer Widersprueche nichts halte. Solange ein Widerspruch bloss strukturell, nur logisch ist, auf das betreffende System selbst, sein inneres Gefuege, beschraenkt bleibt, laesst er sich funktionell, empirisch verkraften. Brisant wird ein Widerspruch erst dann, wenn er zu Funktionsstoerungen fuehrt, die Wirkungen des betreffenden Systems auf die Aussenwelt, auf sein empirisches Milieu betrifft.

Interessanter und einschlaegiger fuer das Problem, mit dem wir ja eigentlich befasst sind, das Problem der Ideologie, des Unmittelbarkeitskultes, scheint mir die zweite Konsequenz aus der Produktivkraftentwicklung durch Technisierung, die ich als sozial-pragmatische Konsequenz bezeichnet habe. Sie ergibt sich daraus, dass die Spirale der Produktivitaetsentwicklung zwar letztlich den Wert des Produkt nicht vermehrt, sehr wohl aber die Produktmenge selbst. Je produktivkraeftiger die Produktionsprozesse ablaufen, um so mehr Gebrauchsgegenstaendlichkeit schaffen sie, auf die sich der gleichbleibende produzierte Wert verteilt. Das aber bedeutet, dass auch die Produzenten von dieser produktivitaetsbedingten Vermehrung des materiellen Reichtums profitieren, weil sie sich fuer ihren als Arbeitslohn firmierenden Wertanteil nun mehr Produkt kaufen koennen als vorher. Durch eine oekonomische Entwicklung, deren Traeger sie zwar formell nach wie vor sind, die aber gleichzeitig ueber ihre Koepfe hinweg verlaeuft und sie sozusagen nichts angeht, weil das reale Subjekt dieser Entwicklung die ihrer Verfuegung entzogenen Produktionsmittel, die als fixes Kapital firmierenden Produktionsapparaturen sind, werden sie, ohne dass sich der Sache nach an ihrem Ausbeutungsverhaeltnis systematisch etwas aenderte, gleichzeitig zu Nutzniessern dieser ihrer eigenen Ausbeutung. So werden sie zu Ideologen zweiter Ordnung, zu unwillkuerlichen Beguenstigten der an sich auf ihre Kosten in kapitalistischer Form organisierten gesellschaftlichen Reproduktion. Zum ersten Mal in der Geschichte ist die Positivitaet und Unmittelbarkeit, in der die marktgesetzte Realitaet ihnen entgegentritt, auch fuer sie nicht bloss negative Bedingung, damit sie an Geld und durch das Geld an Subsistenzmittel herankommen, sondern positiver Mechanismus einer quasi aus dem Nichts der kapitalistischen Produktion hervorgehenden immer umfaenglicheren Versorgung mit Konsumguetern. Obwohl sie nach wie vor nicht am Mehrwert partizipieren, entsteht dank der staendig wachsenden Guetermenge, in der sich der produzierte Wert darstellt, auch bei ihnen jener Fuellhorneindruck, den vorher hoechstens die Nutzniesser des produzierten Mehrwerts, die Ideologen im traditionellen Sinne, mit der marktzentrierten, akkumulationsorientierten Wirtschaftsform, die in ihrer modernen Gestalt der Kapitalismus ist, verbanden.

Hinzu kommt, dass die Mehrwertproduktion ja weitergeht, wenn auch nicht in dem durch die Produktivitaetsentwicklung suggerierten Tempo, und dass dieser Mehrwert fuer seine Realisierung immer mehr Konsumenten braucht. Das hat eine Erweiterung der bereits vorhandenen staatlich dotierten Ideologenschichten um immer neue Gruppen im Bereich der Verwaltung, des Oeffentlichen Dienstes, der Medizin, des Sozialwesens usw. zur Folge, die dank der gesellschaftlichen Produktivkraft mit aehnlich geringen Wertanteilen, wie die Arbeiter sie bekommen, ein aehnlich auskoemmliches Leben fuehren koennen. Und so entsteht der Eindruck jener Kontinuitaet von - egal, ob privatwirtschaftlich oder staat- lich - abhaengigen Beschaeftigungsverhaeltnissen, von Arbeitnehmerschaft als gesellschaftlicher Grundbefindlichkeit, der seinen Niederschlag in der Rede von der Angestelltengesellschaft gefunden hat.

Absatzkrise als Dauerzustand

Das Fuellhorn, als das sich die kapitalistische Wirtschaft fuer breite Schichten erweist, hat allerdings einen grossen Haken. Es beinhaltet nicht nur die Moeglichkeit des Konsums, sondern auch die Verpflichtung dazu. Soll der produzierte Wert, der sich in der rasch wachsenden Guetermenge versteckt, als solcher realisiert werden und damit denn auch jener Teil des Wertes seine Einloesung finden, der als Mehrwert das fuer das Kapital massgebende Motiv der ganzen gesellschaftlichen Reproduktion ist, so muss die Gesamtheit der Guetermenge an den Mann und die Frau gebracht, zwecks Konsum verkauft werden. Gelingt diese Realisierung und Einloesung nicht, verliert das Kapital sein Motiv, und die gesellschaftliche Reproduktion geraet ins Stocken beziehungsweise droht stillzustehen. Wegen des produktivitaetsbedingt raschen Wachstums der Guetermenge erweist sich die konsumtive Einloesung des Wertes der Waren aber als immer schwieriger. Anders gesagt, das System beweist eine zunehmende Tendenz zur Ueberproduktion und zu daraus resultierenden Absatzproblemen, die als Ursache der heutigen chronischen Wirtschaftskrise manifest sind und die vielleicht schon frueher im Jahrhundert voll manifest geworden waeren, haetten nicht die beiden Weltkriege fuer Aufschub gesorgt.

Mit Bemuehungen, der Absatzprobleme Herr zu werden, ist das Kapital jedenfalls schon das ganze Jahrhundert hindurch zugange. Im wesentlichen stehen ihm dazu drei Wege offen. Erstens kann es versuchen, den imperialistischen Weg weiterzugehen und seine Absatzmaerkte in die Dritte Welt hinein auszudehnen. Dieser Strategie sind aber durch die wie immer unvollkommenen politischen Autonomisierungstendenzen der Dritten Welt und vor allem dadurch Grenzen gesetzt, dass die Auspluenderung der Dritten Welt durch die kapitalistischen Laender im Rahmen des Austauschverhaeltnisses zwischen Rohstoffen und Industrieguetern der ersteren gar nicht genug Kaufkraft laesst, um ihr eine ernsthafte Entlastungsfunktion im Blick auf die Ueberproduktion der kapitalistischen Laender zu erlauben.

Zweitens kann das Kapital jenen Weg beschreiten, den Begriffe wie "Innovation" und "Bedarfsschoepfung" bezeichnen. Das heisst, es kann durch die Schaffung immer neuer Beduerfnisse und die Produktion immer neuer Befriedigungsmittel versuchen, neue Absatzmoeglichkeiten zu schaffen. Aber zum einen geht das wiederum zu Lasten bereits vorhandener Formen und Mittel der Beduerfnisbefriedigung, bedeutet also auch immer oekonomische Verluste, und zum anderen stellt sich dank des hohen Produktivitaetsniveaus, auf dem diese neuen Sparten jeweils anfangen, das Uberproduktionsphaenomen rasch und in staendig erweiterter Form wieder ein.

Waehrend diese beiden Wege zur Bewaeltigung der Absatzprobleme noch eher aggressiv orientiert, auf eine Erweiterung des Marktes gerichtet sind, ist der dritte Weg, der Weg der Rationalisierung, schon rein defensiv, auf einen marktinternen Positionskampf und Verdraengungswettbewerb abgestellt. Auf diesem dritten Weg geht es um eine Senkung der Produktionskosten entweder durch eine Erhoehung der Produktivitaet der Arbeit bei gleichbleibender Lohnsumme oder aber durch eine Einsparung von Lohnkosten bei gleichbleibender Produktivitaet der Arbeit. Ziel ist dabei indes nicht mehr die Erhoehung des Mehrwerts, sondern die Senkung der Preise und damit die Verbesserung der Absatzchancen tuer das eigene Produkt im Verhaeltnis zu den Produkten der Konkurrenten. Das heisst, der Kapitalist begnuegt sich im Zweifelsfall mit der alten Gewinnspanne und gibt den relativen Mehrwert, den er durch Rationalisierung erzielt, daran, um die Ware absatzfaehiger zu machen.

Wie das 19. Jahrhundert das Zeitalter einer Erhoehung der Produktivitaet durch Technisierung ist, so ist das 20. Jahrhundert das Zeitalter einer Erhoehung der Produktivitaet durch Rationalisierung. Der Uebergang von der Technisierung zur Rationalisierung bedeutet dabei nicht etwa einen Wechsel in den Mitteln und in der Methode der kapitalistischen Akkumulation, sondern bloss eine Veraenderung ihrer Frontstellung und Stossrichtung. Die fortschreitende Technisierung und Automatisierung bleibt ein zentraler Aspekt auch der Rationalisierung. Aber waehrend sie vorher noch in der Hauptsache der Erhoehung des Mehrwerts diente und also ein Mittel im Kampf mit den lohnabhaengigen Produzenten um den jeweiligen Anteil am produzierten Wert war, dient sie im Rahmen der Rationalisierung nurmehr der Realisierung des Mehrwerts und ist insofern bloss noch ein Mittel im Kampf mit den kapitalistischen Konkurrenten um die Erhaltung der unter Ueberproduktionsbedingungen gefaehrdeten eigenen Marktposition. Die Erhoehung des Mehrwerts durch produktivitaetssteigernde Technisierung erwies sich als Illusion; das einzige, was sich vermehrte, war letztlich die den Wert verkoerpernde Produktmenge, und das ermoeglichte einerseits eine Hebung des Konsumniveaus auf breiter Front und schuf andrerseits schon bald die als Absatzkrise erscheinenden Probleme bei der Realisierung des in den Produkten verkoerperten Werts. Der Loesung dieses Wertrealisierungsproblems dient die Rationalisierung; aber auch diese Loesungsstrategie erweist sich als illusionaer. Zwar dem einzelnen Kapitalisten mag es gelingen, kurzfristig oder auch auf laengere Zeit den Kopf aus der Schlinge seiner Absatzprobleme zu ziehen, wenn er dank Rationalisierung seine Produkte verbilligen und konkurrenzfaehiger machen kann. Aufs Ganze gesehen indes verschaerft die Rationalisierung die Absatzprobleme nur immer weiter. Entweder naemlich die Rationalisierung vergroessert bei gleichbleibenden Lohnkosten die Produktivitaet, um das vermehrte Produkt billiger verkaufen zu koennen: dann sorgt sie fuer eine Vermehrung der Gesamtwarenmenge auf dem Markt und vergroessert entsprechend die Absatzprobleme. Oder aber sie vermindert bei gleichbleibender Produktivitaet die Lohnkosten; dann ist das gleichbedeutend mit Entlassungen (Freisetzung von Arbeitskraeften, sagt man heute) und das heisst, mit einer Verkleinerung beziehungsweise oekonomischen Schwaechung des Kreises derer, die durch ihren Konsum fuer die Wertrealisierung sorgen sollen. So oder so wirtschaftet sich das kapitalistische System dank seines Zwanges, die ganze gesellschaftliche Reproduktion an die Schaffung von Mehrwert zu knuepfen, immer tiefer in die Sackgasse hinein.

Aporie der Krisenloesungsstrategien: Aktueller Ausblick

Wie tief sie bereits darinsteckt, zeigt die gegenwaertige Dauerkrise. Einerseits schwatzt die sieche, an ihrer Ueberfuelle kraenkelnde Wirtschaft zwar nach wie vor von Innovation und Expansion des Exports, und greift nach wie vor unverdrossen auf das Instrument der Rationalisierung zurueck, andererseits aber blaest sie - und das ist eine entschieden neue Qualitaet in der Entwicklung - immer unverhohlener zum Sturm auf die politischen Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Geschehens - und tut das mit Unterstuetzung nicht zuletzt der Politik selbst. Unter Berufung auf die Notwendigkeit, den "Wirtschaftsstandort Deutschland zu erhalten" und "die Arbeitsplaetze zu sichern" plaediert sie fuer eine direkte Verbilligung der Arbeit durch Lohnsenkungen und durch die Befreiung des Arbeitsmarktes von gesetzlichen Restriktionen sowie fuer eine indirekte Verbilligung der Produktion durch den Abbau staatlicher Belastungen der Wirtschaft. Kurz, sie tritt fuer einen politischen Abbau sozialstaatlicher Strukturen ein.

Was erhofft sie sich davon? So, wie die Dinge liegen, das gleiche wie von ihren inneroekonomischen Rationalisierungsmassnahmen: die Moeglichkeit, ihre Produkte billiger auf den Markt zu bringen und damit in einer Situation des Ueberangebots von Produkten ihre Konkurrenzfaehigkeit zu staerken. Aber was hilft ihr das, wenn sie gleichzeitig durch diese politisch durchgesetzte Senkung der Lohnkosten, das heisst, Senkung des der Arbeit zufallenden Wertanteils, die Kaufkraft im Lande schwaecht und die Produzenten in ihrer Funktion als Konsumenten angreift? Einen Sinn gewinnt diese Strategie nur, wenn man die Sache im internationalen Massstab betrachtet und erkennt, dass die Situation bereits so verfahren ist, dass die Kapitalisten anfangen, das per Rationalisierung praktizierte "Rette sich wer kann" eines Konkurrenzkampfes zwischen einzelnen durch die Bildung von gewohnheitsmaessig an nationalen Grenzen orientierten volkswirtschaftlichen Solidargemeinschaften zu ergaenzen beziehungsweise zu ersetzen. Die Rede von der zu teuren Arbeit und die Forderung nach einer Verbesserung des Wirtschaftsstandorts durch Verbilligung der Arbeitskraft hat einen Sinn nur als Ausdruck des Versuchs, das Ueberangebot im eigenen Lande ohne Schmaelerung oder gar Verlust des Mehrwerts, der in ihm steckt, so zu verbilligen, dass es bei den auslaendischen Handelspartnern absetzbar und damit in seinem Wert auf Kosten der auslaendischen Konkurrenz realisierbar wird. Dass man damit den Konsumentenkreis im eigenen Land verkleinert oder schwaecht, erscheint angesichts der Groesse der auslaendischen Maerkte, auf denen man auf diese Weise renssiert, als das eindeutig kleinere Uebel.

Hinzu kommt, dass die billige Arbeit im eigenen Land auslaendisches Kapital anzieht und dazu ermuntert, Produktionskapazitaeten ins Land zu verlagern, so dass also auch mit der Aussicht auf neue Arbeitsplaetze gewunken werden kann. Was das deutsche Kapital schon laengst tut, naemlich Produktion in andere Laender mit niedrigem Lohnniveau und geringer Sozialstaatlichkeit zu verlagern, das macht natuerlich auch das auslaendische Kapital mit Deutschland, wenn letzteres bereit ist, sich auf politischem Wege in ein Billiglohnland zu verwandeln.

Aber wohlgemerkt, der einzige Sinn dieser Senkung der Loehne und Zuruecknahme sozialer Leistungen besteht im Kampf der einzelnen industriegesellschaftlichen Volkswirtschaften um Anteile an einem uebersaettigten Weltmarkt. Und weil dieser Kampf wesentlich in der Weise gefuehrt wird. dass man in der Hoffnung auf die Mobilisierung von Komsumkraft in anderen Laendern die Konsumkraft im eigenen Land schwaecht, kann er, selbst wenn er kurzfristig fuer die eine oder andere Volkswirtschaft Entlastung bringt, langfristig auch nur dazu fuehren, dass, aufs Gesamtsystem der konkurrierenden Volkswirtschaften gesehen, die Absatzprobleme zunehmen. Wo die kapitalakkumulative Mehrwertproduktion conditio sine qua non jeder gesellschaftlichen Reproduktion ist und wo der produzierte Wert sich aus den genannten Gruenden in einer relativ immer groesseren Produktmenge darstellt, muss sich der Konsum zwangslaeufig als die Achillesferse des Systems herausstellen und muss es zwangslaeufig zu irrenlogischen Konsequenzen wie der geschilderten kommen, dass die einzelnen Volkswirtschaften zur Sicherung ihres Wohlstandes oder vielmehr zur Sicherung des kapitalen Akkumulationsprozesses, an dem ihr Wohlstand haengt, eben diesen Wohlstand Schritt fuer Schritt demontieren muessen.

Ideologie als allgemeines Bewusstseinsschicksal

Wie reagieren die primaeren und sekundaeren Nutzniesser dieser an sich selbst erstickenden Mehrwertproduktion, wie reagieren wir, die Ideologen, auf diese verfahrene Situation? Da gibt es eine rechtsorientierte und eine linksorientierte Reaktion. Die rechtsorientierte lauft auf eine Unterstuetzung der Politik eines Sozialabbaus zwecks Verbesserung des "Wirtschaftsstandorts" hinaus. Sie findet sich bei denen, die vom Abbau nicht betroffen sind und die vom internationalen Konkurrenzkampf mit seinem staendigen Unterbieten der Preisniveaus fuer ihren Lebensstandard hoechstens profitieren. Diese Reaktion ist logisch. Unlogischer und interessanter ist die linksorientierte Reaktion. Sie gruendet in der vornehmlich fuer die sekundaeren Ideologen charakteristischen Sicht vom kapitalistischen System als einem quasi aus eigener, produktivitaetsgesaettigter Kraft Wohlstand schaffenden Produktionsautomaten und in der fest verwurzelten Ueberzeugung, dass der einzige Weg zur Teilhabe an diesem Wohlstand in gesellschaftlich nuetzlicher Arbeit und der fuer diese Leistungen zum Wohle der Gesellschaft gewaehrten monetaeren Entlohnung besteht. Durchaus im Einklang mit der Tatsache, dass die an der Produktion mitwirkenden und die vom Mehrprodukt zehrenden "Werktaetigen" praktisch ununterscheidbar geworden und in einem uebergreifenden Angestellten- oder"Arbeitnehmer"-Status zusammengeschlossen sind, erscheinen im oeffentlichen Bewusstsein Arbeit und Wertproduktion voneinander abgekoppelt. Die Warenproduktion stellt sich als ein vom Kapital, von der "Wirtschaft", ebenso automatisch wie hoechstpersoenlich exekutierter Prozess dar, waehrend die gesellschaftliche Arbeit nurmehr als der gesellschaftlich sanktionierte Weg gilt, sich einen in allgemeinem Aequivalent, in Geld, bestehenden Anspruch auf die produzierten Waren zu sichern.

Dieses Bewusstsein von der Arbeit als einer zwar nicht mehr fuer die Produktion grundlegenden, wohl aber fuer den Konsum des Produzierten massgebenden Voraussetzung findet seinen Niederschlag in der Rede vom "Arbeitsplaetze schaffen" und vollends in der griffigen Formulierung des Oberdemagogen von der SPD, wenn er vorschlaegt "statt der Arbeitslosigkeit Arbeitsplaetze zu finanzieren". Hier ist die Arbeit zynisch als die Belastung ausgesprochen, zu der sie fuer das kapitalistische System mittlerweile geworden ist. Es werden naemlich keine "Arbeitsplaetze" gebraucht, sie sind ueberfluessig. Arbeitsplaetze in der Produktion werden nicht gebraucht, da ja die Absatzprobleme ohnehin schon gross genug sind. Arbeitsplaetze in den Bereichen nichtproduktiver, "sozialer" Leistungen wuerden zwar gebraucht, wuerden aber durch ihre Finanzierung direkt oder indirekt die Produktionskosten erhoehen und verbieten sich deshalb in einer Situation des internationalen Konkurrenzkampfes, bei dem es allein darum geht, wer am preisguenstigsten produziert und deshalb sein Produkt auf Kosten der anderen absetzen kann.

Am realistischsten sind die linken Ideologen vielleicht noch da, wo sie eine Umverteilung der Vermoegen beziehungsweise der Arbeit fordern. Durch eine Umverteilung von Vermoegen auf die vom System benachteiligten oder halbwegs ausgeschlossenen Gruppen liesse sich in der Tat der Konsum ankurbeln und dadurch die Absatzkrise mildern. Und durch eine Aufteilung von Arbeit ohne Erhoehung der Lohnkosten liesse sich in der Tat die Arbeitslosigkeit verringern und damit dann wiederum durch Ankurbelung des Konsums die Absatzkrise mildern. Aber abgesehen von der Frage der Realisierungschancen, die solche Eingriffe haetten, wuerden sie nicht das mindeste an dem entscheidenden Uebel aendern - dem Uebel naemlich, dass im kapitalistischen System die gesellschaftliche Reproduktion nur statthat, wenn sie der Produktion von Mehrwert zwecks Produktion von weiterem Mehrwert dient, und dass also die Versorgung der Menschen mit Beduerfnisbefriedigungsmitteln eine abhaengige Funktion und ein blosses Vehikel der Versorgung des Kapitals mit Kapital ist, anders gesagt, der Versorgung des Kapitals mit dem, was es braucht, um die Versorgung der Menschen mit Beduerfnisbefriedigungsmitteln in immer quantitativ umfassenderer und qualitativ vielfaeltigerer Form in den Dienst seiner eigenen, stets erweiterten Reproduktion zu stellen. In der krisenhaften Entwicklung, die das heraufbeschwoert, indem es die am Versorgungssystem Beteiligten zwingt, sich immer umfassender versorgen zu lassen oder andernfalls gar nicht versorgt zu werden, und schliesslich in dem Mass, wie sie dessen, womit sie im Uebermass versorgt werden, nicht mehr Herr werden, einer Reduktion ihrer Versorgung zuzustimmen, damit die Versorgungsgueter anderen zu Dumpingpreisen angedreht werden koennen und die Beteiligten selbst wenigstens ihr erniedrigtes Versorgungsniveau halten koennen - in einer solchen krisenhaften Entwicklung haetten jene Umverteilungen hoechstens aufschiebende Wirkung.

Nimmt man diese Reaktionen speziell der linken Ideologen, so kann man mit Fug und Recht sagen, dass Ideologie in unserer Gesellschaft zu einem allgemeinen Bewusstseinsschicksal geworden ist. Wegen des beispiellosen Konsumtionsniveaus, das das als Mehrwertproduktion organisierte gesellschaftliche Reproduktionssystem aufgrund der dabei entfesselten ungeheuren Produktivitaet ermoeglicht, ist dieses System offenbar nicht mehr in seiner Grundstruktur in Frage zu stellen, selbst dort nicht, wo es Miene macht, sich durch seinen eigenen Erfolg ad absurdum zu fuehren und naemlich die Realisierung des Mehrwerts durch die Steigerung des Mehrprodukts zu vereiteln: Das einzige, wozu wir, die Ideologen, die aufs Erscheinungswissen vereidigten Beteiligten, noch imstande sind, ist, das in seinen Selbstwiderspruch verstrickte, desorientierte kapitalistische System, den grossen ebenso steuerlosen wie verselbstaendigten Beduerfnisbefriedigungsapparat, als ein seiner selbst maechtiges Subjekt hochzuhalten und zur Erfuellung der von ihm mit Ruecksicht auf uns uebernommenen Versorgungspflichten zu mahnen. Indem wir das System unserer Arbeits- und Leistungsbereitschaft versichern, meinen wir, ihm die Erfuellung seines Versorgungsversprechens abverlangen zu koennen. Nur uebersehen wir dabei, dass es ein und dieselbe, als Naturbedingung gesellschaftlicher Reproduktion akzeptierte Mechanik, die Mehrwertproduktion, ist, die bis dahin fuer die immer bessere Versorgung Sorge trug und die jetzt in der Konsequenz ihres eigenen Wirkens umgekehrt zum entscheidenden Hindernis solcher Versorgung zu werden droht.



© Ulrich Enderwitz

Quelle: bahamas 25 S.52-60