Für die Einen ist es ein tag

für die Anderen die größte Provokation der Welt



Nach den Übergriffen in der Au gegen Leute aus dem antideutschen Spektrum und Leuten, die schlichten wollten Mitte April traf sich knapp zwei Wochen später ein bunt gemischter Haufen von Gruppen und Einzelpersonen, die ganz klar Position gegen die Übergriffe beziehen. Daraus entstand ein regelmäßiges Treffen mit dem Ziel, sich in die Diskussion in der Frankfurter Linken einzumischen und in vielfältiger Form wieder politische Auseinandersetzungen zu führen. Einen ersten Beitrag versuchen wir mit dieser Stellungnahme zu liefern. Diese Erklärung soll die Vorfälle nicht noch einmal aufrollen - dies ist nun zur Genüge getan worden und kann im Internet nachgelesen werden:

www.copyriot.com/sinistra
http://antifa.frankfurt.org

Für uns ist jedoch klar: Nach vielen Gesprächen mit den Betroffenen, dem Lesen und diskutieren der Stellungnahme der „Au-Veranstaltungsgruppe“ und dem Besuch des Plenums am 12.5. im Exzess, sehen wir die Beschreibung der Angegriffenen als diejenige an, die dem Geschehenen am Nächsten kommt.

Dennoch sei kurz auf das für uns Wesentliche des Vorfalls eingegangen: Der Anlass für die prügelnden Personen war der Schriftzug („tag“) „Save Israel“, geschrieben an eine Wand des Konzertraums der Au. Die anderen Erklärungen, wie die generelle Ablehnung von Wandmalereien in der „Au“ oder wie auch immer geartete Verweise auf das Sinistra-Forum, halten wir vielmehr für die nachgelieferte Erklärung, Rechtfertigung und Begrüßung der Schläge.

Die Angegriffenen wurden nicht einfach rausgeschmissen, sie wurden massiv angegriffen, teilweise mit einer Brutalität, die schwere Verletzungen in Kauf nahm - z.B. ein Tritt an den Hals einer sich am Boden befindenden Person. An den Angriffen war wiederum die Person beteiligt, die bereits im April 2002 auf einen Genossen im Café Exzess einschlug - es ist bezeichnend für die Deckung der Angriffe und den Umgang mit als antideutsch identifizierten, dass sich der gleiche Übergriff mit der gleichen Begründung in einer verschärften Form wiederholen kann.

Diese beiden Aspekte, der „tag“ und der auf diesen folgende Gewaltausbruch, machen den Vorfall für uns zu einem politischen, wobei besonders die Rechtfertigungen im Nachhinein der jüngsten Vorfälle die politische Dimension der Angriffe zeigen.

Im Folgenden wollen wir versuchen, die rechtfertigenden Argumentationslinien nach-zuzeichnen und zu kritisieren und beziehen uns dabei auf das Papier der „Au-Veranstaltungs-gruppe“ und das Plenum am 12.5.2003 im Café Exzess.


Das Hausrecht

„Bei unseren Veranstaltungen behalten wir und selbstverständlich (…) vor, Leute, die versuchen, uns, unsere Bands oder unser Publikum zu provozieren, von dieser Veranstaltung auszuschließen.“ („Au-Veranstaltungsgruppe“)

Natürlich sollte es in linken Räumen der Fall sein, dass Personen aufgrund von rassistischen, sexistischen oder faschistischen Aussagen rausgeworfen werden. Das allerdings linke Positionen und diejenigen, die sie vertreten, aus diesen Räumen rausdefiniert werden sollen, kann und darf nicht passieren. Liest man das Flugblatt der „Au-Veranstaltungsgruppe“, war das offenbar entscheidende Kriterium für den Rauswurf und die Schläge nicht eine konkrete, bestimmten Personen zurechenbare Handlung oder Aussage (das Existenzrecht Israels behaupten sie selbst auch zu unterstützen), sondern die vermutete Zugehörigkeit des Schreibers des tags zu einer politischen Gruppe die mit „einer äußerst umstrittenen Politik“ („Au-Veranstaltungsgruppe“) in Verbindung gebracht wird. Weder auf dem besagten Plenum noch in dem Flugblatt hielt man es jedoch für nötig, anzugeben, um welche Politik dieser Person es sich genau handelt, was daran genau problematisch und wie sie mit den betroffenen Personen verbunden sein soll. Die Veranstaltungsgruppe verlegt damit ihre Konzerte in ein undefiniertes „gangland“, in dem anmaßende Zuschreibungen und Verallgemeine-rungen über die persönliche Unversehrtheit von Personen entscheiden. Eins dürfte klar sein: Es handelte sich nicht um einen legitimen Rauswurf einer Person, die ein wie auch immer emanzipatorisches Projekt Au gefährdet hätte, sondern um eine letztlich willkürliche Gewaltaktion gegen eine „spezifische Linie aggressiver Politik“ („Au-Veranstaltungsgruppe“).


Das tag

Die Rechtfertigungen bzw. Erklärungen für die Schläge sind sowohl auf dem Plenum am 12.5. als auch in der Erklärung der „Au-Veranstaltungs-gruppe“ teilweise unklar. Wir versuchen, die verschiedenen Stränge der Argumentation einmal nachzuzeichnen. Zum einen wird gesagt, die Schläge hätten nichts mit der Parole zu tun und niemand sei deshalb aus der Au geflogen, geschweige denn verprügelt worden. In diesem Fall wird sich lediglich auf eine generell gefühlte Provokation, oder auf die Tatsache, dass Wandmalereien unerwünscht seien, beschränkt. Diese Version wird jedoch am seltensten geäußert. Dominant ist die folgende Sicht: Die An-gegriffenen seien nicht wegen des Spruchs „Save Israel“ angegriffen worden, sondern wegen des vermeintlichen Subtextes der Parole. Dieser entsteht dadurch, dass einige der Betroffenen von den SchlägerInnen zum antideutschen Spektrum gezählt werden und somit scheinbar per se bestimmte Positionen vertreten - aus Sicht der AngreiferInnen die der Zeitschrift „Bahamas“. In diesem Fall wird die Parole „Save Israel“ als für Bush, für Nationalismus, für Rassismus, für Täterschützer, für Sharon und vor allem gegen die Linke gelesen. Und um diese Positionen sei es gegangen, nicht um den alleinigen Inhalt von „Save Israel“, wie die Veranstaltungsgruppe schreibt. Von dieser Argumentation nicht getrennt werden kann die Äußerung, gegen Nationalismus, egal welcher Art zu sein. Deshalb könne man nicht - und schon gar nicht als LinkeR - für Israel sein. Dass in der Au jedoch z.B. der baskische Befreiungsnationalismus ein gerne propagierter ist (ob nun auf T-Shirts mit Baskenland-Fahne oder durch Sprüche), lässt die Devise „Gegen jeden Nationalismus“ unglaubwürdig erscheinen.

Wenn aber auf dem Plenum im Exzess eine Person zum Thema Nationalismus und Israel äußert, dass Israel „für Kapitalismus und Völkermord“ stehe, muss dieser Argumentationsstrang als eindeutig antisemitisch angesehen werden. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens werden mit der Wortwahl „Völkermord“ die Verbrechen des national-sozialistischen Deutschland den in Israel lebenden Jüdinnen und Juden zugeschrieben. Damit wird wohlwissend die Shoah relativiert und als Kampfbegriff gegen Israel gewendet. Zweitens steht Israel genauso für Kapitalismus, wie es (fast) jedes andere Land auf der Welt auch tut - allerdings würde wahrscheinlich niemand auf die Idee kommen, z.B. Belgien zu kritisieren, weil es für Kapitalismus stehe. Dass hier Israel und Kapitalismus in dieser Verbindung genannt werden, hat ebenfalls eine strukturell antisemitische Grundlage, die nämlich Israel / Jüdinnen und Juden mit der kapitalistischen Geldwirtschaft identifiziert.

Von Seiten der AngreiferInnen und deren UnterstützerInnen wird immer wieder geäußert, die Auseinandersetzung habe nicht direkt etwas mit Israel bzw. dem Nahost-Konflikt zu tun - dabei geht es ständig darum. Ergänzt wird diese Fixierung auf Israel durch den Tages-ordnungspunkt „Umgang mit nationaler / religiöser Symbolik“, der für den 12.5 formuliert wurde. Um was es hier gehen sollte, war schon vorher klar. Nicht darum, dass ein Kreuz an einer Halskette oder irgendwelche buddhistischen Symbole nicht geduldet werden, sondern dass keine Davidsterne / Israelfahnen o.ä. gezeigt werden sollen. Wenn die Ablehnung religiöser und nationalistischer Symbolik so energisch betrieben werden soll, wie sich das einige scheinbar vorstellen, erscheint es merkwürdig, dass ein Pfarrer auf Plena im Ex anwesend ist, oder dass Leute mit z.B. England-Jacken sich ungestört bewegen können. In Hinsicht auf Israel werden einige nicht müde, anzuprangern, dass der Davidstern auch ein religiöses Symbol ist und man/frau als LinkeR generell gegen jede Religion sei – ein weiterer Grund, zu schließen, dass israelsolidarische Personen keine Linken sind.

Dass sich der linke Antisemitismus, den auf dem Plenum im Ex nicht wenige als nicht existent bezeichnet haben, in den vergangenen Monaten wieder einmal offen gezeigt hat, muss Konsequenzen in Frankfurt haben. Wenn Leute jede Auseinandersetzung unter dem Verweis auf ihre Politikgeschichte verweigern, verweigern sie ebenso eine emanzipatorische Auseinandersetzung, welche die eigene Verinnerlichung bestehender Herrschaftsverhältnisse thematisiert.


Die Provokation

Redet man von den Vorfällen in der Au, stößt man spätestens nach drei Sätzen auf das Wort Provokation. Genau benannt wird allerdings nie, was nun eine bzw. die Provokation war oder ist. Mal ist lediglich das Schreiben einer Parole an die saubere Wand die Provokation, dann die Parole „Save Israel“, dann, wie eben beschrieben, der Subtext der Parole und nicht sie selbst. Die Schläge werden dennoch immer wieder als die Reaktion auf eine Provokation bezeichnet. Vollkommen unreflektiert bleibt bei dieser Argumentation, dass diese die Opfer der Angriffe zu den eigentlichen Tätern macht. Möglicherweise steckte auch die Absicht hinter dem tag, zu provozieren - na und? Als Linke provozieren wir dauernd, auch das Rufen der Parole „Deutsche Polizisten – Mörder und Faschisten“ ist letzt-endlich mehr Provokation als eine tiefschürfende inhaltliche Aussage. Und aus anderen Zusammen-hängen wissen wir, dass sich Täter oft darauf berufen, die Tat sei durch Provokationen (z.B. aufreizende Kleidung) förmlich herausgefordert worden. Diese zwei Beispiele dürften genügen, um klarzumachen, dass wir die „Provokations-Argu-mentation“ nicht akzeptieren. Vielmehr sind wir der Auffassung, dass bei den Schlägen die durch den tag bekundete Solidarität mit Israel als Provokation empfunden wurde. Doch nicht nur in der Situation selbst wurden die Angegriffenen zu Tätern gemacht, auch in den Diskussionen / Flugblättern wurde das Benennen der Reaktionen auf den Spruch „Save Israel“ und des Zustandes der (Frankfurter) radikalen Linken als Dif-famierung bzw. gleich als ganze Diffamierungs-kampagne angesehen.


Die Kampagne

Die Au-Konzertgruppe macht in ihrem Flugblatt aus der Stellungnahme der Gruppe „AU tut weh“ und ihrer Verbreitung eine Diffamierungs-kampagne der sinistra! gegen ihr Projekt des besetzten Hauses in der Au. Denn - so wurde auf dem Plenum am 12.5 erklärt – der Vorfall hat eigentlich so gar nicht stattgefunden. Und wenn er so stattgefunden hätte, dann sei er bewusst geplant und provoziert worden um dritte zu einer Solidarisierung mit ihrer Politik zu bewegen. Diese Logik scheint nicht sehr verständlich und zeugt zudem von einem gehörigen Maß an Ver-schwörungsfantasien. Darüber hinaus werden die Opfer von Gewalt zu Tätern und die eigentlichen Täter zu Opfern einer ominösen Kampagne.

Offensichtlich wollte die Veranstaltungsgruppe diese Form der Gewalt auf ihrem Konzert nicht verhindern (auch wenn ihr das Aggressions-potential mindestens einer Person mehr als bekannt sein müsste). Wenn sich die Geschlagenen mit einer Stellungnahme deswegen an eine breitere Öffentlichkeit wenden und die sinistra!, wissend um den letzten gewaltsamen Übergriff, diese mitverbreitet, dann wird dies zu einer breit angelegten Diffamierungskampagne stilisiert. Liest man dagegen das Flugblatt der Veranstaltungs-gruppe genau, wird deutlich, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Auf dem Plenum am 12.5. wurde noch darüber hinausgegangen, indem Personen und Gruppen eine Distanzierung von nie vertretenen Positionen (die der Zeitung Bahamas / eine Stellungnahme zu einer Veranstaltung im Exzess) abverlangt wurde, bevor man bereit sei, mit ihnen zu reden. Es ist eine Unterstellung, wenn Leute mit Gruppen gleich gesetzt werden und diese wiederum mit einer nicht spezifizierten „aggressiven Politik“ (Au-Veranstaltungsgruppe) identifiziert wird, für die auf Nachfrage im Plenum anonyme Postings im Internet und die Politik einer mit den Betroffenen in keiner Weise verbundenen bundesweiten Zeitung genannt werden.

Sowohl in der Erklärung der Au- Veran-staltungsgruppe als auch auf dem Plenum am 12.05. im Exzess wurde suggeriert, die Betrof-fenen hätten die Schläge verdient, wenn nicht gar durch ihre Provokationen intendiert. Die Schläge werden zur Notwehr gegen eine Kraft, die feige im Hintergrund agiert. Dieser Sichtweise liegt nicht nur ein patriarchales Weltbild zugrunde, sie bedient außerdem altbekannte Verschwörungs-theorien.


Das Au-Fest

Die schon fast penetrante Weigerung, sich mit linkem Antisemitismus auseinander zusetzen bzw. ihn überhaupt erst einmal als existent zu betrachten, setzte sich im Zusammenhang mit der Band „Banda Bassotti“ aus Italien, fort. Einige Tage vor dem diesjährigen Au-Fest wurde im Internet (Indymedia und sinistra!) in einem längeren Artikel (der auch einige falsche Informationen zu einer Diskussion um das Au-Fest vor zwei Jahren enthielt) auf einen Text der Band hingewiesen, der in einer besonders ekelhaften Form von Antisemitismus nur so strotzte. Z.B. heißt es darin, dass die SS die Schule des Mossad gewesen sei und „die Zionisten“ es ja in Dachau gelernt hätten, wie man tötet. Wir verlangen nicht, dass sämtliche Texte von Bands gelesen werden, bevor man mit ihnen ein Konzert veranstaltet. Wenn aber vor dem Konzert ein solcher Text bekannt wird, muss der Auftritt abgesagt werden. Dass ist - wohlwissend - nicht geschehen. Im Gegensatz zu den VeranstalterInnen beweist die deutsche Konzertagentur mehr politisches Ver-ständnis, ist sie doch laut eigenen Aussagen gerade dabei, die Zusammenarbeit mit der Band zu überprüfen.


Die Diskussion

Die Angriffe in der AU werden von großen Teilen der Frankfurter Szene als ein legitimer Raus-schmiss von Personen angesehen, die sich nicht an die allgemeinen Regeln des besetzten Hauses gehalten hätten. Nicht selten heißt es, sie hätten sich mit ihrer israelsolidarischen Position sowieso aus der Linken verabschiedet und seien ebenso zu behandeln. Mit diesem Verhalten und der Rechtfertigung der Vorfälle im Nachhinein wird allerdings im Gegensatz zu dieser Behauptung kein Ort progressiver linker Praxis geschützt, sondern die Au und ihre Konzerte werden in einen Bereich katapultiert, in dem die Macht des Stärkeren gilt.

War im April 2002 die Verurteilung der Schläge schon eher eine formelle, trifft das Recht des Stärkeren diesmal anscheinend auch im Café Exzess weitgehend auf Unterstützung. Dies wollen wir jedoch nicht hinnehmen. Deshalb werden wir dieses Papier im Rahmen einer Veranstaltung zur Diskussion stellen. Dabei ist für uns das Ziel, eine Auseinandersetzung zu führen, die sich jenseits jeder Rechtfertigung der Schläge und jenseits vorschneller Beschuldigungen von Personen oder Gruppen bewegt. Links sein heißt Debatte und Streit. Auf alles andere haben wir keinen Bock mehr.





Diese Erklärung wird unterstützt von:



* diskus

* unlike - unabhängige linke

* plattenbau

* Innenstadt-Gruppe

* antifa.org

* einigen BewohnerInnen der K-Schön (in der Au)

* einigen Leuten aus dem Exzess

* Gruppe p.a.n.k.

* K21

* sinistra!

* sozialistische studienvereinigung – theorie|praxis|lokal

* einigen Leuten aus der Ex-Antifa (G)