Der Streik ist aus, wir geh'n nach Haus

zur Reorganisation des Privatlebens

Daß der Streik nichts gebracht habe, alles sei wie ehedem oder jedenfalls nicht besser, ist das Ondit älterer zynischer Herren im Umfeld der Frankfurt Uni. Nun stellt es sich bei näherer Betrachtung doch etwas komplizierter dar.

Nachdem der Streik mit Beginn der Weihnachtsferien unterbrochen und anschließend natürlich nicht wieder aufgenommen wurde, fand im Turm der Uni Frankfurt noch einmal eine Vollversammlung statt, die eigentlich zum Ziel hatte, die durch den Streik entstandenen neuen Strukturen und Zusammenhänge bekannt zu machen. Zum Beispiel stellte die AG Französische Verhältnisse II ihre vorläufigen Ergebnisse vor und verkündete ihre Absicht, in Zukunft als eine Art oppositionelles Gegengremium für Kritik an den bisherigen Strukturen und Inhalten am Fachbereich (und darüber hinaus) zu sorgen.

Nebenbei:Es gab viele Leute, die sich für nichts anderes zu interessieren schienen, als die Wiederaufnahme des Lehrbetriebs und die Aufhebung einer Blockade, die schon gar nicht mehr bestand und die auch kaum noch jemand wollte. Sie pöbelten herum und riefen „Abstimmen! Abstimmen!“, um sich das Faktische noch einmal bestätigen zu lassen, daß nämlich der Streik zu Ende sei. Und dann stimmten sie eben ab.

Entscheidend für das Abbröckeln der Streikbewegung und das zum Teil sehr vehemente sich Wenden gegen jede Fortführung von Blockaden ist wohl weniger reaktionäre Gesinnung, als die Tatsache, daß die große Mehrheit der Studierenden nicht bereit ist, auf die Leistungsnachweise für das Wintersemester zu verzichten. Wobei es natürlich schön und wünschenswert gewesen wäre, hätten sich nicht nur die Studierenden über diese Sorgen hinwegsetzten, sondern sich auch eine größere Zahl von Lehrenden in der Form mit dem Streik solidarisieren können, daß sie Scheine für streikrelevantes Tun in Aussicht gestellt hätten. Auch die Ausstellung von Blankoscheinen bringt keinen Prof ins Gefängnis.

Doch das ist Schnee von gestern: Für die Streikaktiven, die etliche Wochen lang oftmals rund um die Uhr in ihrem besetzten Gebäude ausharrten, diskutierten, Partys feierten, intensiv lebten, bedeutet das Ende des Streiks vor allen Dingen den Einbruch des Alltags, der für viele nahezu vollständig außer Kraft gesetzt war. Und dieser Alltag hat etwas widerliches: Abgesehen von den wieder beginnenden Seminaren und Vorlesungen, geht mit ihm ein Rückzug von der öffentlich-politischen Ebene zur Privatheit einher. Mensch beginnt mit dem Abheften der Flugblätter, dem Aufräumen des eigenen Zimmers und ist auf sich selbst zurückgeworfen.

Es gibt ein Leben nach dem Streik

Der Streikdepression, dem Absturz in das schwarze Loch, in das viele auch nach dem 93/94er Streik gefallen waren, ist vorzubeugen: Was altgediente UniaktivistInnen gern als unpolitisch, aktivistisch und nur am je individuellen „Spaß“ ausgerichtet denunzieren und für sinnlos erklären, weil die postulierten Forderungen weder den Rahmen des Bestehenden überschritten, noch von irgendwem außerhalb der Unis ernst genommen würden, hat auch eine zweite und im Angesicht der tatsächlichen Wirkungslosigkeit eines solchen Streiks vermutlich wichtigere Dimension: Die Tatsache, daß sich viele Leute über diesen Streik kennengelernt haben, daß Kontakte geknüpft und Beziehungen verschiedener Art eingegangen wurden, wird von vielen gerne als unpolitische Begleiterscheinung des Streiks abgetan. In Wirklichkeit ist sie die Bedingung für die Politisierung und Radikalisierung der Streikenden, ja überhaupt erst die Voraussetzung für politisches Agieren. Insofern kann der Streik beispielsweise am Turm durchaus als Erfolg betrachtet werden, auch wenn von einer Durchsetzung irgendwelcher Forderungen kaum die Rede sein kann, wenn man einmal von albernen Computergeschenken seitens der Börse und ähnlichen Unverschämtheiten absieht.

Es kommt nun darauf an, die Kontakte und gewonnenen Erfahrungen in Motivation für kontinuierliche politische Arbeit umzuwandeln, den Rückzug in die Privatsphäre nicht mit der gänzlichen Abkehr von politischer Artikulation gleichzusetzen. Radikale Kritik an den bestehenden Verhältnissen, auf gesamtgesellschaftlicher, wie auch auf universitärer Ebene, bleibt auch weiterhin dringend notwendig. Es gibt, entgegen der Ideologie des Sachzwangs und der Macht des Faktischen, Möglichkeiten, politisch zu agieren, das Bestehende ins Wanken zu bringen.