Tausend Tanzflächen. Ein Diskurs

»Ethno/Weltmusik« und die Kulturalisierung des Urbanen


Die Stadt tanzt. In In-Clubs, Off-Spaces, auf der Strasse, in Abrisshäusern. Pop-, club-, street-Kultur verschieben ständig die Koordinaten des urbanen kulturellen Systems. Das kulturalisierte Subjekt, der kulturalisierte Raum. Heisst das nun endlich die Glücksversprechen der Postmoderne zu geniessen. Wohl kaum, denn erstens heisst der übergreifende, bedrohliche Rahmen Deutschland und zweitens die Gesellschaftsformation nicht Kommunismus. Damit ihr euch da draussen besser zurechtfindet, zu durchschauen das nicht überall wo Kunst stattfindet, auch Kunst passiert, und zu sehen das nicht alles was sich weltoffen gebahrt es auch ist, dafür ist dieser Text. Im Zweifel muss das natürlich jede von euch selbst zum jeweiligen Zeitpunkt, am jeweiligen Ort selbst entscheiden.

Die Kulturalisierung des Urbanen verläuft nicht ohne die Diskurse, sondern nur durch sie vermittelt. Welche Setzungen die Kulturbegriffe mittels ihnen erfahren und wie sie in die rassistische und antisemitische deutsche Realität rückgewendet werden soll dieser Text anhand der popkulturellen Formate Bucovina-Club und Russendisko zeigen.


_Kunst, electronica, off-spacing – die Stadt als Beute: Identitäre Fixierung und Subjektivität im (de)konstruierten urbanen Raum

Identität, beim Subjekt Ich-Authentizität, ist immer Moment zugleich des Ein- und Ausschlusses. Ein Krisenmoment postmoderner Subjektivität erhellt das zentrale, Identität ist sowohl ich-identisch wie multipel, die identitäre Fixierung des Subjekt kommt in Fluss, es wird substanzlos. So haben wir wenigstens die Möglichkeit das Nichtidentische festzuhalten. Dieser Substanzlosigkeit kann aber auch ein kollektives Subjekt entgegengesetzt und wieder mit sich identisch gemacht werden.

Vielmehr ist es nötig, durch erneutes Befragen postmoderner ökonomischer Verhältnisse auf die Kulturindustriethesen popkulturelle Verhältnisse neu zu fassen und einer fundierteren Analyse zu unterziehen. Hier muss die politische Praxis sich den Widersprüchen stellen und den Standpunkt immanenter Kritik in politischer Praxis beziehen, über eine öffentliche Club-Culture in den Diskurs intervenieren und die Kritik im Zentrum popkultureller Identitätsstiftung plazieren. Schafft, eins, zwei, viele illegale Parties. Tanzflächen überall und zur gleichen Zeit. Kunsthistorisch heisst diese Praxis, eine fundamentale Kritik exhibitionistischer Kunst und radikales Hinterfragen des Rahmenwerks, indem Kunstpraktiken koherieren. Denn wenn irgendwo Kunst stattfindet, lokalisierbar ist, muss sie wieder identisch sein. Die Subversion liegt aber in einer Performanz, die sich nicht greifen lässt, die verwirrt, sich dem Stillstand des Gedankens verweigert und die die eine Negative Dialektik formuliert. Die Performanz ist eine Praxis eben der (Zer)störung identitärer Fixierung.

Die in den progressiven Kunstmilieus disskutierten Konzepte decken sich mit denen der hedonistischen Linken der Neunziger, art run space und temporäre autonome Zone scheinen gleichwertige Termini zu sein. Die direkt an den polit-ökonomischen Prozess der global city rückgebundene Dialektik von Ort und Un- oder Nichtort, entspricht der zwischen Identität und Nichtidentität.

Eine Kunst, die sich den technischen Möglichkeiten iher Produktionsbedingungen zum jeweiligen Zeitpunkt verweigert, ist reaktionär, sie vermag die Komplexität des Bestehenden nicht zu fassen und auch nicht zu kritisieren. Derartige Kritk verlässt den transzendenten Standpunkt nicht und macht gekoppelt mit verkürzter Kulturindustrie/Spektakelrezeption die Ewiggestrigen zu den Guten. Das Ewiggestrige feiert seinen romantizistischen roll-back im Bewusstseinsloop. Der kunsthistorische Bewusstseinsloop* und das Retrophänomen decken sich mit Debords Festellung des Endes der Kunst und der ewigen Wiederkehr des Immergleichen bei Adorno.

Projekte wie Bucovina, Rockngo und Russendisko verweisen nun auf eine falsche Kulturindustrierezeption, die sich mit dem klassischen linken Antiamerikanismus verbindet.

Die Indeterminanten einer offenen Form der vocal-free-operierenden Technostile werden mittels der Signifikantenmatrix klar hör/tanz/zuordnenbarer Zeichen gefüllt. Die Indeterminanten sind aber gerade das Nichtidentische, da sie sich der Form/Inhalttrennung entziehen. Der neoberlinistische Elektropunk kommt also nicht ohne identitäre Fixierung aus, er reformuliert sie nur. Vor diesem Hintergrund ist die Identitätsfindungsdebatte von Mia folgerichtig und keineswegs Widerspruch. Die Verortung in einer Szene, die Authentizität gemahnt, diese aber nur ene vermittelte ist, zeigt die Fashion-Elektro-Punkesse oder die Neo_hfg_lerin eindrucksvoll. Das ist dann die Warenförmigkeit der Dissidenz. Diese Warenförmigkeit ist aber nur Begriff der spektakulären Matrizen. In seiner Sache selbst, und Begriff und Sache sind ja nicht das gleiche, liegt, dass das partizipierende Subjekt ja seine Szene, auf die es sich identitär bezieht, nur marginal bis gar nicht selbstbestimmt ausgestalten zu vermag. Somit ist nur die Unterwerfung unter die festgefügten ästhetischen Formierungen des styles, liebevoll auch Mode genannt, möglich. Die fehlende Möglichkeit kommunikativen Handelns verrät aber geradezu das situationistische Element der Performanz, dass sich ja Punk anheftet. Im perpetuierenden Austausch dieser Moden allerdings »besteht der grosse Stil der Epoche stets in dem, was durch die offensichtliche und geheime Notwendigkeit der Revolution geleitet wird«. Es geht darum Erfahrung zu machen. Das erfordert das bewusste Sichbegeben in/die Kontruktion von Situationen, die nicht notwendig sich qua Subjektposition ergeben. Diese Erfahrung ist notwendig, da sich bestimmte Verständnisse nicht direkt aus der Theorirezeption erschliessen. Diese Erfahrungen, die im Bewusstsein aufgehoben sind, sind immer auch Voraussetzung für die Interprtations- und damit Kritikleistung der Rezipientinnen einer ästhetischen Form, die idealerweise einer Rezeptionstotalität* nahe kommt. Die Symole und Zeichen einer Signifikantenmatrix im dekonstruierten urbanen Raum entfalten im Bewusstsein ihre Wirksamkeit. Ein Rückfall in das allgemeine Leid des ennui wird mittels dieser Erfahrungen abgewehrt. Das unterscheidet die Subkultur vom ennui, in dem die Leute zwar nicht an Hunger, so doch an Langeweile zugrunde gehen . Der dissidente style wird entwendet, in der Populärkultur aufgelöst, identisch gemacht: hier treffen sich Identität und Warenform. Ennui und Alltag(skultur) sind zugleich die objektive Wahrheit des styles, in der die Herrschaft durchscheint, und dennoch der Schein, die Ideologie der Verblendung, die die Totalisierung mittels der Verdummungsmittel ständig neu generiert (Adorno). Der Alltag ist die Herrschaft in der das Bewusstsein seine verdinglichteste Form zeigt. Die Postulierung einer Beliebigkeit als das Wahrheitsregime, ist der Schein, sie entspricht ihrem Begriff nicht. Hier offenbart sich das Spannungsfeld von »spleen et ideal« und die Dialektik von substream und mainstream in den Pariser Bildern der Postmoderne.


_Antinomien kulturindustrieller Praktiken

In dem kulturellen Ambiente der Metropolen, des Urbanen, lösen sich die postmodern reformulierten Motive des fugitif/Flüchtigen wie transitoire/Temporären ab. Hype und Style ersetzen sie in der Kulturindustrie.

Die Krise des popkulturindustriellen Sektors erzwingt Veränderung ihrer Praktiken. Die Branche ist gezwungen die entstehenden Hypes in der kurzen Zeit ihrer Blüte bestmöglichst auszubeuten, sie selbst zu entwerfen und längstmöglichst zu hypen. Das krisenresistente Starlett zur Absicherung gibt es ja lange schon nicht mehr. Es muss erstens ein transzendentales Multimedia-Spektakel inszeniert werden, also die totalere Inklusion verschiedenster Technologien und Stilvorgaben in einer allumfassenden Warenform verwirklicht werden. Sowie etwaige stilistische Indeterminanten, oder Leerstellen, neu besetzt werden, bevor vollends die Definitionsmacht flöten geht.

Der postmoderne Differenzkapitalismus löst ständig Identitäten auf und setzt sie neu zusammen. Symbole und Codes sind die Folien auf denen diese Identitäten projeziert werden und die sie selber ständig neu generieren. Da das flexibilisierte Subjekt die Kraft der Negation einbüßt, gewinnen Kategorien wie Dissidenz neue Bedeutungsrahmen. Das Produktionsverhältnis generiert also ständig neue Identitäten aus dem Nichtidentischen. Eine Trennung von Subkultur und Mainstream ist unter diesen Aspekten stetiger Verwohlfeilerung der Distinktionsmittel kaum mehr aufrechtzuerhalten. Sie löst sich in der vollständigen Dialektik von Mainstream und sich subkulturell inszenierender Milieus auf. Mittels der Warenform, wird Dissidenz/Differenz marktförmig zugerichtet, ihre Codes enteignet und gegen sie gewendet. Mit dem Verlust des paradigmatischen Negativen in der Kulturkritik im Sinne von Adornos Kulturpessimismus, müssen die Bedeutungsrahmen neu gesetzt werden, die Werkzeuge sind die axiomatisch gesetzten Pole, Adornos Kulturindustriethesen und Benjamins These von der Entmythifizierung kulturindustriell inszenierter Artefakte als bloße Waren.

Das diskursive Feld der Popkultur wird ideologischer Staatsapparat, Ort von politischer Auseinandersetzung und sozialen Kämpfen.

Represent, represent: Zentral innerhalb der Club-Culture ist die Möglichkeit der in kulturindustrielle Praktiken verschränkten Subjekte, zumindest temporär die Bedingungen zu beeinflussen, unter denen die Anteile symbolischer Macht (Gramsci) verteilt werden. Daher ist die Frage der Repräsentation wesentlich, da die ProtagonistInnen den RezipientInnen nicht nur als reine Charaktermasken gegenüber treten und da innerhalb dieser Repräsentation wie ihrer Bedingungen die Dissidenz als Nichtidentisches, somit außerhalb der Warenform, neu erörtert werden muss. Die Frage der Repräsentation wird umso wirkmächtiger, umso diskursiv hegemonialer der Rollback in die Barbarei ansteht


_Zum Begriff der Kultur

Der Alltags/Populärkultur werden als Differenzideologeme sogenannte andere Kulturen entgegengesetzt, denen in wechselseitigem Verhältnis Verachtung (Rassismus) und Bewunderung (Exotismus) entgegengebracht, das Andere markiert wird. Dieser Begriff der Kultur ist nun aber kein Klassenbegriff sondern nichts anderes als ein postmoderner Euphemismus des Volksbegriffs, des Konstrukts der Ethnie und in letzter Konsequenz Platzhalter für die »Rasse«.

Kultur wird als Naturverhältnis fetischisiert, und das ist wieder ein Motiv der Romantik.

Der rassistische Diskurs transformiert sich nun aber auch dort, wo er erstmal nicht vermutet würde, bei den linken »Weltbürgerinnen«. Lehnten diese in den Achtzigern noch das Gerede von Kulturen ab, da sich daraus wieder nur neue Stigmatisierungen und Ausschlüsse entwickeln, und festgeschrieben, würden, wird heute bei den Antiimps der Globalisierungsgegenerinnen offen von Völkern schwadroniert.

Der Ethnopluralismus, der vor Benoist schon seine cinematographische Vorlage in Leni Riefenstahls »Meisterwerk« Fest der Völker hatte, in dem der Multikulturalismus in Deutschland immer gedacht werden muss rekuriert auf den Kampfbegriff der Toleranz. Diese Toleranz, [die Sozialpädagoginnen zu akzeptierender Sozialarbeit mit Neonazis veranlasst,] verweist bereits darauf das das zu tolerierende das andere ist, das gefälligst anzuerkennen ist.

Inwieweit sich Sub-/Teilkulturen Progressivität oder Regressivität verschreiben, die identitäre Fixierung mal aussen vor, hängt nun nicht mehr von der Klassenlage ab, sondern von ihrer dialektischen Vermittlung durch das ennui hindurch. Es kommt auf die jeweilige Setzung an, also ist Ethno/Weltmusik in ihrer Sache ein popkultureller Stil (clubmusic), oder in ihrem Begriff das Gegeneinander, oder meinetwegen auch Miteinander, verschiedener Kulturen (Volksmusik).

Das rekuriert wiederum auf den Multikulturalismus, dier eigentlich nie so gedacht war, Mentalität und Kultur mit »Volk« oder »Rasse« zu transhistorisieren. Die Wendung ist aber nicht verwunderlich, es gäbe ein Nebeneinander der Kulturen, sprich diese seien voneinander getrennt und jede von ihnen ist eine Grenze. Der kulturelle Diskurs wird rassifiziert. Das wird daran deutlich, dass dieser kulturelle Unterschied im Hiphop, Punk, Techno, in den Platten- und Klamottenläden, den Clubs nicht auszumachen ist : es muss also doch wieder die Hautfarbe, die Herkunft der Eltern herhalten um die Differenz von Eigenem und Fremdem neu zu kontruieren. Der Kulturbegriff der angesichts politischer Unlösbarkeit sich ständig neu formiert, erhält nun in Jugoslavien, spätestens aber nach 9/11 eine neue Konnotation, die Religiöse. Die »Entmischung« und ethnifizierende und religiöse Reorganisierung der jugoslavischen Gesellschaft, verbindet Religion und Volk; serbisch/othodox, bosniakisch/muslimisch, kroatisch/katholisch. Das ist denk ich doch mal der schlechteste Ausbruch aus der sozialistischen Einheitskultur.

Ich sass irgendwann mal in einer Bockenheimer Kneipe, plötzlich fing die Band an zu spielen, irgendsoein Folklorekram, na ja. Innerhalb kürzester Zeit tanzten die Leute, an den Händen gefasst und über die Tische hinweg. Eine Bekannte rief mich auf doch mitzutanzen und ich erwiderte, das ich ja auch nicht im Bierzelt zum Schuplattler tanzen würde. Daraufhin bekam ich dann zu hören, dass das hier ja eine andere Kultur sei. Eine Andere also. Ich war schon darüber erschreckt, das deutsche Antiimps einen Kulturbegriff haben, die gleichermassen die Begriffe Volk und »Rasse« mitausspricht. Es wundert mich aber auch nicht sonderlich.

Beim gehen fallen mir noch Plakate auf, auf einerm: »auf die Strasse – erster Mai mobilisiert« auf Katalanisch, und »der Zionismus ist der Hund des Imperialismus – für ein freies Palästina« auf toskanisch. Projekte in denen Klasse durch »Rasse« ersetzt wurde gab es ja in Deutschland auch schon einmal.

Besonders widerwärtig wird es, wenn sich diskursmüde und debattenverdrossene globalisierungskritische Linke zu Apologetinnen der Ethno/Weltmusik aufschwingen. Klaus Walter hat das mal als Diskurspoprevisionismus bezeichnet.

Da der Affirmation der »anderen« Kultur ihre realen gesellschaftlichen Bedingungen äusserlich, unverstanden bleiben, ist es egal, ob diese andere Kultur das Ganzkörpervermummungsgebot für Frauen oder »nur« Blutrache propagiert, dann ist es auch egal ob ich zu den kroatischen egotronic oder den kurdischen Böhsen Onkelz mich in Pogromstimmung tanze. Es wird abgefeiert. Die spektakuläre Inszenierung der scheinbaren Weltoffenheit wiederholt sich, was Fest der Völker ist, heisst jetzt Karneval der Kulturen, und die Ereignisse auf dem letztjährigen KdK in Berlin gemahnen an die Apologeten des Totschlags. Egal, Hauptsache: lülülü, die Bergschalmei.

Der Völker-abfeier-hype der Ethno/Weltmusikantinnen verläuft parallel zu den Strassenschlachten von Seattle und Genua, den Welt-Sozialforen von Porto Allegre und London. Auch die Stimme des »eine andere Welt ist möglich« Geplärres, Manu Chao, hat mittlerweile seine galizischen Wurzeln wiedergefunden. Die wursthaarigen Palituchhippies, die im (immer noch andauernden) Ragga-hype zu den homophoben »Klassikern« eines Buju Banton abgingen, weil das ja so schöne Musik ist, rocken zur Volksmusik. Als seien Punk und Hardcore, Drum’n’Bass und Goa nie gewesen. Beim Konzert der, ja eigentlich us-amerikanischen, Band »Kulturshock«, die nie müde wurde zu sagen: unser Bassist kommt aus Bosnien, der Drummer aus Bulgarien, and so on, in einem Frankfurter autonomen Zentrum, war die Tanzfläche zu den angevolkten Stücken wesentlich belebter, als zu den Punkliedern, die diese Band auch im Repertoire hat.

_Loveparadizing Fest der Völker

Die Kulturalisierung des Urbanen verläuft entlang verschiedener Linien, die die Unterscheidung Pop- und populäre Kultur voraussetzen. Es werden einerseits folkloristisch-karnevalistische Verdummungsspektakel, wie Karneval/Parade der Kulturen, organisiert. Andererseits werden die Ideologeme kultureller Sinnstiftung in den popkulturellen Praktiken selbst plaziert. Beide rekurieren auf eine romantizistisch melancholische Verklärung. Handgemachte Gitarrenriffs vs. programmierte Beatz. Diese Motive, auch wenn hier mehrfach gebrochen, finden sich auch schon in der Aversion gegen den Einbruch repetitiver elektronischer Musik/electronica in die Flora et al. in den Neunzigern. Das emanzipatorische ästhetische Formen der Rezeptionstotälität derartiger Binaritäten nicht bedürfen, fällt den Leuten nicht ein. Diese Technologiefeindlichkeit kulminiert in einem falschen Kulturindustrieverständnis, einer falschen Kapitalismuskritik, die mit dem antiamerikanischen Ressentiment gefüllt wird, was ich im Kaminer-Teil noch ausführen werde.

Im Ambiente des Urbanen, in dem es zwar die kulturelle Ungleichzeitigkeit (Brecht) gibt, diese aber bis auf Ausnahmen in der Alltags-/Populärkultur aufgelöst ist, seien reaktionäre Tradierungen überholte Antagonismen. Die deutsche Realität reaktiviert sie über die Markierung des Anderen, so verschiebt sich die migrantische Klassenidentität in eine kulturell-völkische, sie adaptieren das »die habbe halt e anner Mentalität«. Im kulturellen Hegemoniediskurs wird kurzerhand der politische Raum des Urbanen kulturalisiert. Karnevale/Paraden der Kulturen offenbaren die Selbstdegradierung/Inszenierung auf Ethnie, Kultur. Sie sind nur der reale Abklatsch ihres cinematographischen Vorbilds. Versuche des Ausbruchs aus der kosmischen Langeweile (Benjamin) urbaner Tristesse, einer Spielart des ennui, selbstverständlich nicht die Richtigen.

VolksTanzTrachtenMummenschanz-Gruppen aus Transylvanien, der Krajina und der Bukovina sind mit Sicherheit keine Linken, vielleicht tanzen ja im nächsten Jahr auch die aus Pommern, Schlesien und dem Sudetenland mit.

Von der Antinomie Tradition/Moderne ist zu lesen, obgleich die Tradition um die es hier geht nur in der Moderne/Postmoderne existiert, wie gesagt bestärkt der deutsche Alltag gerade den Rückfall in »kulturelle Eigenarten« und Retraditionalisierungen. Es ist die postmoderne Reformulierung des Rimbaud’schen Totalitätspostulats das für die Subjekte »il faut être absolument [post]modern«, postmodern einerseits und im Widerspruch dazu. Wenn das Frankfurter DJ-Kollektiv Volkstanzkomitee »pravda muzikiji«, die Wahrheit der Musiken, für sich proklamiert, haben sie am Wahrheitsregime teil, »eben weil sie [...] die harmonischen und instrumentatorischen Funde iher Periode sich zugeeignet haben; was sie als Ewiges möchten, wird substantiell bloß als Modernes und in seinem Widerspruch zur Moderne« (Adorno, Ästhetische Theorie, 286).

Anders als Kaminer, der immer wieder zurecht auf die Kleinbürgerlichkeit des Realsoz hinweist, wird beim Volkstanzkommitee das Ganze romantizistisch verklärt. Die Retundanz des Pioniergrusses »Freundschaft«, »panslavisch« »družba«, im Zentralorgan des Volkstanzkomitees ist nostalgischer Kitsch, eine Ästhetik der Geschmacklosigkeit, die sich nur wieder dem ennui andient. Bezüge zum Realsoz finden sich oft in diesen Formaten, so wird immer auch die Fröhlichkeit der Volkstanzmusik betont, im Sozialismus musste ja niemensch leiden. Mir fallen auch keine traurigen Lieder aus dem Realsoz ein, Melancholie war verpönt, Larmoyanz nahezu verboten, es war halt auch nicht alles schlecht beim Stalin.

Brasilianische Musik wird von den Rezeptionszusammenhängen fast auschliesslich mit Sambatrommeln identifiziert, wo bleiben da »Sepultura« und »ratos de porão«, um nur zwei zu nennen. Warum heisst Balkan Trompetenklänge aus Vukovar und Niš und nie DrumnBass aus Priština oder Belgrad? Begriff und Sache von Ethno/Weltmusik sind immer mehr und weniger. So ist die Sache, popkultureller Stil, ob ich m-cee-ing mache oder Sambarythmen in drumnbass-Stücke sample scheint egal, scheint eine Frage des Geschmacks zu sein. So ganz egal aber doch nicht, da der Grund warum das so oder so passiert ja wieder via Diskurs vermittelt ist, also der Begriff ist .

Ein Cocktail in der Frankfurter Favela-Bar kostet 8 €, wie lang wohl ein Mensch in den Favelas von São Paulo oder Rio damit auskommen muss, ich weiss es nicht. Aber wie romantisch ist doch die Authentizität der Armut, die quasi als Naturverhältnis erscheint..


_Formate Bucovina Club und Russendisko

Wie die Verquickung popkultureller Sinnstiftung mit den rassistischen Diskursen funktionieren, zeigen die Formate von Stefan Hantels Bucovina Club [Ffm] und der Russendiskokrams [Berlin] Wladimir Kaminers. Unter dem Spartenbegriff »Ethno« finden sich derartige Spektakel in den einschlägigen urbanen Hochglanzpostillen. Sind Bands wie Mia, and friends, innerhalb der Linken isoliert, erfreuen sich diese von völkischer Attitüde getragene, Pop-Varianten innerhalb des linksalternativen Kunst- und Politmilieus großer Beliebtheit. Dabei sind Bucovina-Club und Russendisko mehr als kulturindustrielle Formate, sie verbinden das Ewiggestrige des Romantizismus mit der kollektiven Sehnsucht nach der eigenen kulturellen Identität. Der romantizistische roll-back verläuft auf verschiedenen Ebenen, die im antiamerikanischen Resentiment kulminieren und sich im Falle von Ethno/Weltmusik untrennbar mit der Ideologie des Ethnopluralismus verschränken: Romantik ist Faschismus.

Das urbane Motiv wird durch ein romantizistisches überlagert: dérive und bohemienne mit dem differenzkapitalistischen Nomadentum prekarisierter Arbeitssubjekte identifiziert. Das ist ein fataler Fehlschluss: denn diese Form des Umherschweifens ist eine erzwungene qua Selbsterhalt durch Lohnarbeit. Das ist das Gute. Das Böse ist das des Müssiggangs, des selbstbestimmten Umherschweifens. Im Diskurs kann es nun in das mit der Entschädigungsdebatte verwobene antizigane und antisemitische Stereotyp gewendet werden: da wird die Leidenschaft der verführerischen »Zigeunerin« besungen, die im Tanz ihre Reize spielen lässt. Und wenn auch noch der »Zigeunerjunge« musiziert, ist die Idylle perfekt. Die Vorstellung vom umherschweifenden Leben der Sinti und Roma als »Nomaden« konnte romantisch aufgeladen und idealisiert werden. Der Traum eines Lebens ohne Mühe und Plackerei wurde und wird auf das »fahrende Volk« pro-jiziert, das dann um so mehr gehasst werden kann. Dieser psychische Mechanismus funktioniert ähnlich im Antisemitismus; Max Horkheimer und Theodor W. Adorno haben in ihrer Antisemitismusforschung diese Projektionen herausgearbeitet: Für die Antisemiten repräsentieren die Juden den Traum vom Glück ohne Macht, und dafür werden sie gehasst .

Die Musik war für viele Roma die einzige Möglichkeit ihre alltäglichen Diskriminierungen zu verarbeiten. Das war im jugoslavischen Projekt Titos noch möglich, obgleich sie ansonsten keine, z. B. politische Repräsentanz besassen. Nachdem dieses Projekt an jahrzehntelanger nationaler Selbstüberschätzung und der kollektiven narzisstischen Kränkung vieler Jugoslavinnen schliesslich kollabierte, war für sie dort genausowenig Platz wie vorher schon in Rumänien et al. – viele mussten fliehen. Welche behauptet wegen Kosturicas Filmen oder Bregovićs Musik haben sie »den Weg aus ihren Dörfern auf die Konzertbühnen der Welt gefunden«, mit »verbeulten, oft mit Patina beschlagenen Trompeten, Posaunen und Klarinetten«, ist zynisch. »Die reizvoll schräge, manchmal absichtsvoll falsch erscheinende Intonation ihrer Gipsy-Gassenhauer« lässt sie als Bierzeltschunkelkapelle dastehn . Diese romantische Abfeierei hat mit den realen deutschen Projektionen natürlich nichts zu tun, sie sind selbstverständlich weiterhin »Untermenschen«. In der Ethno/Weltmusik ist ihre »Andersartigkeit« das Gute. Rassistisch konotierte Begriffe wie »Zigeunerin« werden diskursiv neu besetzt: die Präfixe Gipsy- und Balkan- sind eine nur lexikalische Kaschierung, welche die Semantik der »Rasse« beibehält.

Es muss sich vielleicht doch noch mal eingänglicher gefragt werden, wie es sein kann das Wladimir Kaminer von der Russendisko die Nationalbolschewistische Partei Russlands NBP in der taz verteidigt, darauf hinweisen dass sich keine Sau von den Bucovina-Clubabenden zu den Gedenkveranstaltungen des Förderverein Roma bewegt oder gegen die Abschiebungen aus dem Kindergarten interveniert.

Bucovina Club: Den Balkan-Hype hat nicht Shantel ausgelöst, das Multimediale Spektakel hat andere Protagonisten. Shantel, der sich damals, Mitte der Neunziger, noch Stefan Hantel nannte, hat noch mit seinen Jungs vom Guerilla Soundsystem aufgelegt, so DubSambaHouse-kram. Im Lissania, und wie die ganzen Läden da im Kiez hiessen. Von dort aus ist es lokal gesehen auch nur ein weisser Kater/schwarze Katzensprung ins Schauspiel. Shantel ist ein Kind der Technokultur, sein Bucovina-Club hat eher auch den Charakter einer Party denn eines Konzertes, ein DJ geht auch immer besser mit seinem Publikum um als eine Band. Laut Veranstaltungsbeschreibung des Schauspiel: »2001 machte er sich auf in die Landschaft seiner Vorväter, nach Czernowitz in die Ukraïne, und von dort aus weiter nach Rumänien. Auf Wochenmärkten und den ungeteerten Straßen der Region begegnete er dabei wieder jenem Sound des Balkans, der sich dort bis heute gehalten hat, und der ihn erneut gefangen nahm. [...] So kam es zum Bucovina Club, der seitdem das Foyer des altehrwürdigen Theaters (was ja ein Neubau ist. die_zk) schon mehr als einmal in ein regelrechtes Tollhaus verwandelt hat. [...] Und dass die bevorzugte Droge nicht Ecstasy heißt, sondern [na?] Vodka« .

Vla Kaminers Russendisko: Kaminer selbst hat als Autor von dérive-Literatur seinem Buch Russendisko das gleichnamige Partykonzept folgen lassen. Seit dem rockt die Russendisko mit Blasmusik und Pop als Repräsentantin russischer Kultur, denn »die westeuropäische Musik ist hochmütig, geldgierig und verschlossen, [...] seit Elvis haben sich Europäer und Amerikaner darüber geeinigt, was in der zivilisierten Welt Musik ist« . Kaminer hat die beiden Nationalbolschewisten und Antisemiten, den Schriftsteller Eduard Limonow und den Nazipunk Jegor Letow, öffentlich verteidigt. Die Verteidigungen Limonows sind eher dem Subtext der zeilenweisen Relativierungen zu entnehmen: eine Partei wie eine Rockband. Limonow gründete 1994 die NBP, und gab die seit Juli 2002 verbotene Zeitung Limonka heraus. Darin heisst es unter anderem, das die »semitischen Völker« den Kapitalismus erfunden hätten. Kaminer musste, seine Karriere im Auge, vorsichtiger werden. Für die taz wirbt Kaminer derzeit mit »Erlesenes erhalten«.

Wie erlesen sein Musikgeschmack ist, bewies er zuvor. Da fand nämlich in der Russendisko Homebase Kaffee Burger in Berlin-Mitte ein Konzert mit Jegor Letow statt. Letow ist Frontmann der Band »Graždanskaja Oborona« (russisch: zivile Verteidigung) und ebenfalls Mitglied der NBP. In Interviews fordert er einen »notfalls bewaffneten« Kampf gegen den »amerikanisch-europäischen Zivilisationsschund« , der Russland überschwemme oder rief dazu auf, Schwule und Lesben »gleich ins Gefängnis zu schicken, weil diese absurde Vorliebe den Traditionen unseres Volkes total fremd ist« . Ausserdem schlägt er vor, man solle die Tschetschenen »an den Eiern aufhängen« , und erklärt, »wen wir unterstützen: Lukaschenko! (belarussischer Präsident und Protofaschist. die_zk) Unterstützen werden wir ihn mit der Waffe!« Zu Hitler und Stalin bemerkt der Querfrontler Letow: »Man hätte sich vereinigen müssen und gemeinsam gegen den Westen ziehen. Denn es waren zwei Kulturen, soziale Formationen, die absolut richtig waren ... Man hätte natürlich ganz Europa erobern müssen und Schluß!« Kaminer pfichtet bei: »Man kann Jegor nicht einen Nazi nennen, nur weil Begriffe wie Stolz und Würde dem russischen Volk eben noch was bedeuten. Hier im Westen gibt es keine wahren Werte mehr. Jeder echte Russe ist für den Krieg in Tschetschenien. Die Tschetschenen sind ein Kriegervolk. Die bauen nicht, die säen nicht. Die werden sich nicht mit Tschetschenien begnügen. Die kämpfen, rauben und ziehen weiter. Ein Räubervolk!« Scheinbar hat ihn bislang einfach niemand danach gefragt. Seiner Meinung nach verbiete die »Kosakenehre« den Rückzug aus Tschetschenien, und die Welt sei sowieso vor dem »kaukasischen Pack« zu schützen. Mein guter Freund Jegor also.

Die werten Rezipientinnen vom »guccibebrillten Studi-Publikums« sind derlei Reaktionartäten gleich. Sie haben ein zwar gängiges, aber bestimmtes Bild von der Russendisko, i. e. vom Russ: war das schön »als der Wodka schon literweise floss und Mobiliar anstelle von Rauch durch den Raum flog« . Als ob dass nicht auch für jede beliebige Punkrockpaty zuträfe.

Sind beide Spektakel schwer vergleichbar, lassen sich doch in den Rezeptionen die gleichen Stereotypisierungen herausarbeiten, mit denen auch Nazi-Trash-Produktionen wie der Führerfilm Untergang operieren.

_Transzendente Kritik, Antiamerikanismus, Romantizismus

Wenn von Authentizität und Wurzeln/ Ver-/Entwurzelung/kulturellem Erbe und Werten schwadroniert wird, in letzter Konsequenz melancholische Schlagworte einer Blut- und Bodenideologie, geht es immer auch um die verkürzte Kulturindustrierezeption. Die Kultur wird gegen die in Anschlag gebracht, die angeblich keine haben – die Amis. Hier ergibt sich bereits der Widerspruch, dass diese Ethno/Weltmusik selber entwurzelt sich darstellt, sie wird weltweit produziert, distribuiert, mit modernsten Technologien bearbeitet, gemixt und gesamplelt was das Zeug hält. Dass heisst, sie ist selber integraler Teil der kulturindustriellen Pop-Produktion. Ethno/Weltmusik in der Sache ist auch nur Produkt einer Warenvergesellschaftung, nicht mehr, aber auch nicht weniger – und das weiss auch ein Stefan Hantel sehr gut, denn dass im Bucovina Club »der Rhythmus und die Melodien nicht programmiert sind, sondern von Pauken und Posaunen stammen« verneint er ja selbst: die selbstverständliche Verbindung von Volksmusik und electronica wird im Osten »nicht als exotisch wahrgenommen. [...] Es zählt nur, ob es rockt«. Dennoch archaisch: »Wir pumpen das auf, um der Musik die Kraft zu geben, die ihr gebührt«

Andere realistische Einschätzungen: Die Violinistin Sophie Solomon von der Klezmer Band »Oi Va Voi« erklärt ganz ohne Authentizitätspathos: »Klezmer war ein Einfluss unter vielen. Aber wir sehen uns eher in der urbanen Tradition von London«. Sie verweist auch darauf das viele Jüdinnen und Juden ein Unbehagen empfinden, wenn deutsche Linke allzu klezmophil daherkommen .

Zwar versteht Shantel sein Bucovina »auch als Kritik an einer Clubkultur«, die ihm »zu eindimensional und inhaltsleer geworden ist«. Aber vor der Kulturindustrie hat er keine Angst.

Allein die Deutschen (Linken) scheinen es mal wieder nicht verstanden zu haben, gehen ihre vereinfachten Kulturindustriethesen doch davon aus, böse Monopole würden die unbedarfte Kultur nachträglich einer Verwertungslogik unterwerfen. Das hat aus Betreiberinnen von Indielabels gute Menschen gemacht. Die Idee vom kapitalistischen Missbrauch der Kultur ist eine besonders einfältige Weise der Ideologiekritik. Der Kapitalismus ist den Subjekten nicht äusserlich, es gibt keinen unberührten Naturzustand des Lebens, der nun von fremden Mächten kolonisiert, identisch gemacht wird. Es wird so wiederum ein Eigenes konstruiert, das zu befreien wäre. Um die Idee der Authentizität und des zentrierten Subjekts herum aufgebaut, das im Kampf gegen die äusseren Mächte zu einem sich im Inneren entfaltenden Ich werden soll erscheint ebenso dem Konflikt zwischen Verwertungsinteressen und den Lebensentwürfen der Kapitalismus äusserlich. Gute Gemeinschaft vs. böser Markt. Indem ich nun Mainstream und Monopolkapital ausgemacht habe kann ich von meiner Verstrickung in das Produktionsverhältnis getrost absehen. Aber: Die Subjekte sind dem Wert unterworfen. Im Wertverhältnis ist die Gesellschaftlichkeit der Arbeit nicht unmittelbar, hier macht eben die Konkurenz die Gesellschaftlichkeit von Produktion und Konsum aus, und den Wert zur Struktur, der die Subjekte mittels der Konkurrenz als Verblendungszusammenhang unterworfen sind (irgendwie so bei Marx). Kapitalismuskritik als Gesellschaftskritik handelt daher nicht von Monopolen und Majorlabels sondern von Verhältnissen zwischen (konkurrierenden) Subjekten. Die styles, mit denen wir operieren, sind allesamt Kinder der Popkultur, einer Kultur also, die nie eine andere Erscheinungsweise kannte als die der Warenform. Der Kulturbegriff ist also auch Ausdruck kapitalistischer Vergesellschaftung. Kulturkritik ist also Gesellschaftskritik. Und: Der Kapitalismus kolonialisiert unsere Lebensentwürfe eben deshalb, weil wir ihn in den Knochen haben. Kritik daran handelt somit auch von uns selbst, und das ist die immanente Kritik. Die Subjektivität ist dem Individuum der Wert, Subjektivität ist das was nur im Austausch, der Kommunikation und Interaktion, der Voneinanderabgrenzung der Subjekte erscheint und Gehalt hat. Die Warenform als Ausdruck, zentrale Konsistenz, gesellschaftlicher Beziehungen, derer zwischen konkurrierenden Subjekten, ist immer Teil der Subjektivität. Sie ist die Handlungsanweisung des Zwangs zum Immergleichen. Der Alltag ist sein Absolutiv. Alltag und Kosmos sind die Pole der Raumzeit, die das falsche Ganze im Hier und jetzt fortschreiben und in denen die subjektkonsituierenden Kategorien Wert und Geschlecht fortwesen. Nur durch die Unvermittelbarkeit der Binaritäten entstehen Geschlechter und Klassen. Binäres Denken ist antidialektisch, konterrevolutionär, es ist die Unfreiheit des Gedankens, der unter dem Gesetz des Tauschs nur diesem folgen kann.

In Frankfurt scheint bereits eine achtlos auf den Gehweg geschnickte Kippe diesem Alltag zu drohen, die Grenzen sichtbar zu machen die das Brimborium des Warentauschs setzt und zugleich hinter dem Rücken verschleiert. Die Dispersivität der Identität schreibt das Drehbuch für die Situation, in der die Performanz zu einer Praxis der Zerstörung identitärer Fixierung wird.

Der Rekurs auf die Scholle, die kulturelle Reethnifizierung ist eine weit verbreitete Reaktion auf die ökonomische Globalisierung. Deutschquote oder der Kampf gegen den »amerikanisch-europäischen Zivilisationsschund« sind hilfreich den Klassenhass antisemitisch zu kodieren. Das rekuriert instinktsicher auf phobische Reflexe und pathische Projektionen eines sich bedroht wähnenden Mittelstandes, wie auf die sich aus ihnen speisenden Neidressentiments deklassierter ModernisierungsverliererInnen; in Deutschland, Russland.

Daraus lässt sich aber auch das Bedürfnis nach einem volksgemeinschaftlichen Kollektiv ableiten, also die Kollektivierung dessen was bei Stanislav Grof das Geburtstrauma ist. Die Dialektik des Verschmelzens mit der Trauer über den Verlust der Symbiose, vom warmen Schoss der Nation hinausgestossen in die böse weite Welt des Neoliberalismus. Gut, Grof ist auch ein Druffi. Dennoch ist das hier als Trauer bezeichnete Element eigentlich ein melancholisches. Die Einschreibung der Melancholie, die allzuoft in Larmoyanz umschlägt, ist dann die Maskierung, die Sublimierung des verlorenen Begehrens.

Volkstümelei ist reaktionär, ein falscher Ausbruch, er verrät die Ideale, hinter die Pop nicht zurückfallen darf: Pop ist gerade die »Bastardisierung« musikalischer stilistischer Repräsentanzen, Pop ist entwurzelt, kosmopolitisch, universell, er ist die Möglichkeit der quasi-selbstmodelierbaren und »selbstbestimmbaren« identitären Fixierung, immerhin quasi-selbstbestimmt.

[Der Subtext der als Ethno/Weltmusik verstandenen Volksmusik formuliert die Rückbesinnung auf kulturell-nationale Identität.] Wie dieser Subtext verstanden wird, zeigt eine Rezension des Shantel-Albums Bucovina-Club bei amazon.de: »Die Zigeuner Trompeten verführen zu excesivem Feiern. Egal ob man glücklich, traurig oder was auch immer ist, wird man beim hören dieser CD zu einem ausgelassenen Partylöwen. Phylosophische Schlussfolgerung: Die Zigeuner mit goldenen Zähnen haben ein Stück Herz für uns alle«. Das lässt die diskursive Stellung zu mehr werden als einem beliebigen Marktsegment im Verwertungsprozess.

Das also Verschwörungstheorien bezüglich der Kultur-/Medienindustrie, das antiamerikanische und antisemitische Stereotypisierungen der Zersetzung authentischer Kultur, und rückwärtsgewandte Debatten um realness und Verwurzelung keineswegs nur bei neonationalsozialistischen regressiven Subkulturen vorkommen, sondern dass auch die progressiven Subkulturen an der kulturellen Querfront basteln ist nichts Neues, es zeigt nur dass die Subkulturen durch das ennui hindurch miteinander verbunden sind. Die rein transzendente Kritik der kulturindustriellen Verhältnisse schleppt sich fort. Dieser Standpunkt der Kritik, »der transzendente Angriff auf die Kultur spricht regelmäßig die Sprache des falschen Ausbruchs, die des Naturburschen« (Adorno, Prismen, 26). Wie den Neonazis in der Gothicszene kreisen ethnopluralistische zugerichtete »Moden« um Authentizität, Verwurzelung. Roots sind hier nicht wie etwa im Hiphop als Verweis auf eine Klassenlage zu lesen, sondern sind direkt an das Territorium gebunden. Das Ewiggewstrige erlebt auch hier seine romantizistischen Roll-Back im Bewusstseinsloop. Der nächste Hype ist schon am Start: »finest oriental beatz«, zu deren Tonleitern den Leuten zunächst einmal Bauchtanz einfallen wird. Allen diesen Dingen nach Salsa und »rassigen« Samba-Rhytmen scheint gemein ihre Einbettung in den Diskurs, und während heute Nacht das PartyVolk »nice« im bucovinen »Tollhaus« vodkatrunken, wie es halt beim »Russ« so ist, zum »gipsy-style« rockt, haben die überlebenden Sinti und Roma der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager nie einen Cent Entschädigung erhalten.

Das postfaschistische Deutschland ist ja auch nur die Replik des nationalsozialistischen Volksstaats, und Geschichte wird gemacht, denn so sagt schon im Hollywoodfilm Blade Runner, die Replikantin Priss zu Roy: »Wir werden sterben, weil wir dumm sind«. »Nein«, sagt Roy »das werden wir nicht.«

Don't believe the hype. Spam the matrix - Getting rid of Germany!


Zora Krasnova