Neues aus der Sportredaktion

Ein Fußball-Schiedsrichter hat für Geld absichtlich in einem Pokalspiel falsche Entscheidungen getroffen und damit für den Sieg des Außenseiterteams gesorgt. Andere Menschen haben dies vorher gewusst und durch damit sichere Sportwetten selbst großen finanziellen Gewinn getätigt. Eventuell haben andere Schiedsrichter, Privatpersonen und Fußballspieler ähnliches getan (bei Redaktionsschluss waren zahlreiche weitere unbestätigte Gerüchte in Umlauf). Diese Vorgänge sind in der deutschen Öffentlichkeit derzeit Gesprächsthema Nummer eins, die Diskussionen verlaufen sehr emotional, interviewte fans sind gern den Tränen nahe, wenn sie ihre Empörung über dieses eigentlich nicht wirklich bedeutende Ereignis kundtun. „Experten“ suchen nach Möglichkeiten der Verunmöglichung von Manipulationen, werden aber nicht Müde zu betonen, dass der Schiedsrichter an sich ehrlich und obendrein notwendig sei. Außerdem sei die Situation im nicht näher definierten „Ausland“ weit schlimmer, die Drahtzieher mafiöse Kroaten und der schuldige Schiedsrichter ein zu junger, nicht gefestigter Mensch, der eventuell sogar unter Druck gesetzt wurde und damit eigentlich auch ein Opfer ist. Dazu noch ein geständiges, das „auspackt“ und sich ganz in deutscher Tradition als Denunziant betätigt. Das größte Opfer ist allerdings „unser Fußball“, der „kaputtgeht“, die „ehrliche schweißgetränkte Arbeit auf dem Platz“ und somit der fan, der der Grundlagen seiner Männergemeinschaft beraubt ist.

Da drängt sich die Frage auf: Wieso ist dieser Unsinn so wichtig? Weshalb wird dieser „Skandal“ so ernst genommen? Warum sieht man gar das Ansehen Deutschlands in Gefahr? Sport im Allgemeinen, Fußball im Besonderen bietet ein ideales Feld der Ersatzbefriedigung; die Entsagungen des auf die Anforderungen der Produktionsverhältnisse zugerichteten Lebens, die empfundene Ungerechtigkeit trotz harter Arbeit ein beschissenes Leben in Einsamkeit und relativer Armut zu führen bzw. noch nicht einmal mehr die eigene Ware Arbeitskraft veräußern zu können, kurz: die vernichtende Erfahrung der eigenen objektiven Situation findet in diesem Feld eine Kompensationsmöglichkeit. Sei es einfach nur die Spannung beim Zuschauen, die durch freiwillige Einordnung ins Kollektiv temporär überwundene Einsamkeit, das Gefühl selbst wichtig zu sein, da man den Spielern seine Meinung spontan und lautstark verkünden darf, sich als der bessere Trainer wähnt und sowieso jede Marginalie aus jedem x-beliebigen Fußballspiel von annodazumal wie ein wandelndes Archiv aufsagen, d.h. einmal richtig mit „Wissen“ prahlen kann. Der Sport ist eine Projektionsfläche für diejenigen, die sich „im wirklichen Leben“ betrogen fühlen. Hier herrscht Zucht, Ordnung, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit.

Zwar wird den Spielern ab und an vorgeworfen, übermäßig bezahlt zu sein, oder sich nicht genug anzustrengen, doch im großen und ganzen fühlt man sich mit ihnen verbunden. Sie erfüllen eine Vorbild- und Idolfunktion, zeigen, wie ein angepasstes und erfolgreiches Leben aussieht. Der fan darf sich an dessen sportlichen wie persönlichen Erfolgen, die er selbst nie erreichen kann, mitfreuen. Dem Schiedsrichter fällt dabei eine besondere Aufgabe zu. Er soll einen gerechten Ausgang garantieren. Auch wenn er tendenziell unbeliebt ist, da er immer das „eigene“ team benachteiligt, so wird ihm außerhalb der von Emotionen bestimmten Stadiontribüne doch Respekt entgegengebracht, seine Entscheidungen geachtet. Müssen die fans nun erfahren, dass sie nicht nur von „Politikern und Bonzen betrogen“ werden, sondern auch noch von den sogenannten Unparteiischen, dann funktioniert auch die Flucht in die heile Traumwelt nicht mehr, kann die Ersatzbefriedigung Sport nicht mehr greifen. Der Stadionbesuch setzt sich somit nicht mehr von der Realität ab, die Illusion, das richtige (Sport-)Leben im falschen sei möglich, wird als ebensolche enttarnt. Und auch das vielgeliebte Bild vom ordentlichen und korrekten Deutschen sieht man in Gefahr, man wähnt sich in eine „Bananenrepublik“ versetzt (Sabine Christiansen); die Grundfesten der deutschen Tugenden sind erschüttert. Worauf jetzt noch stolz sein? Die Rettung findet der fan, der Schiri und der Profi im Schulterschluss aller „ehrlichen Fußballfreunde“ und, dies ist die Kehrseite der Enttarnung, diese formieren sich potentiell zum ursprünglichen Kollektiv, welches als „Wahrer des wahren Fußballs“ gegen das als von Außen einfallendes zu Felde zieht. Der falsche Ausbruch aus dem falschen Zustand ist ein potentieller Pogrom.

Und dennoch: Gerade noch rechtzeitig vor der Fußball WM 2006 erschüttert dieser „Skandal“ das Urvertrauen, der die Sache wie immer viel zu ernst nehmenden Deutschen, in den Sport als im Grunde gerechte Instanz, in welcher die Besten sich letztendlich zwangsläufig durchsetzen würden. Es bleibt demnach nur zu hoffen, dass der nationalistische Kult um die WM dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird und die Begeisterungsfähigkeit für den Fußball etwas abnimmt. Dann wäre Herrn Hoyzer für sein ungeschicktes Vorgehen zu Danken.

Gruppe Frankfurter Kranz