onkel adolfs bunker

Knapp 60 Jahre nach dem Ende der Nazi-Barbarei schreitet die Umschreibung der Geschichte, das Verdrehen von TäterInnen und Opfern immer schneller voran. Zugegebenermaßen haben die Deutschen in ihrer Mehrheit noch nie einen Zweifel daran gehegt, dass sie die eigentlichen Opfer von Krieg und Hitler gewesen sind. Wer kennt sie nicht die anrührenden Geschichten aus dem Luftschutzkeller, dem frierenden Opa an der Ostfront, die Kriegsgefangenschaft beim fiesen Russen, die aufopferungsvollen Trümmerfrauen, das vierzig Jahre grausam geteilte Land, usw., usf.? In der veröffentlichten Meinung musste aber dennoch bis zu einem gewissen GradeRücksicht auf die Sieger des Krieges genommen werden: Allzu offene Beweihräucherung der deutschen "Helden" und ein allzu dreiste Infragestellen der Alleinschuld Deutschlands an allen Kriegshandlungen und -folgen erschien der west- wie ostdeutschen Politik und den seit über hundertdreißig Jahren fleißig strammstehenden deutschen Intellektuellen und "Kulturschaffenden" lange Zeit wenig opportun.

Nachdem Deutschland durch den Anschluss der DDR wieder Schritt um Schritt zur voll souveränen Regionalmacht aufsteigen konnte, ist die Zeit nun anscheinend reif, auch einen ideologischen und kulturellen Paradigmenwechsel im Umgang mit der deutschen Vergangenheit einzuleiten: Bereits in der Debatte um die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" wurde deutlich wie sehr man hierzulande daran interessiert ist, zu leugnen, was außerhalb dieses Landes jedeR weiß: Die Deutsche Wehrmacht hat in Osteuropa einen Vernichtungskrieg geführt, Millionen PolInnen und SowjetbürgerInnen wurden von ihr ermordert, zur Zwangsarbeit verschleppt oder als Kriegsgefangene verhungern gelassen, so wie die Wehrmacht auch an der Erfassung, Erschießung und Deportation der jüdischen Bevölkerung Osteuropas in die Vernichtungslager maßgeblich beteiligt war. Und es waren natürlich auch nicht bloß SS und Wehrmacht, die diese schrecklichen Verbrechen verübten, auch die große Mehrheit der deutschen Zivilbevölkerung war auf die eine oder andere Weise an diesen beteiligt: Viele nahmen an Pogromen und tätlichen Angriffen auf ihre jüdischen MitbürgerInnen teil oder denunzierten ihnen bekannte Jüdinnen und Juden bei Gestapo oder SS, andere erfreuten sich "nur" an den Schnäppchen, die man nach dem Abtransport der jüdischen NachbarInnen in den Tod machen konnte: Schmuck und Hausrat zu Spottpreisen, Einzug in die freigewordene Wohnung oder Übernahme eines Ladengeschäftes.

Alles natürlich Umstände, von denen unsere gefeierten Intellektuellen nichts wissen wollen. Lieber schon verkündet Martin Walser (stellvertretend für Millionen) bei seiner berühmten Paulskirchenrede, dass man ihn doch bitteschön mit dieser Vergangenheit endlich einmal in Ruhe lassen möge, von "Auschwitzkeulen" spricht der Literat und erntet dafür im Saal minutenlange stehende Ovationen. Die einzige Person, die diese Aufwallung deutschen Wesens nicht zum Mitklatschen und Aufstehen bewegt ist der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis. Auch der sich noch immer völlig unbegründet irgendwie links dünkende Autor Grass möchte da nicht länger Abseits stehen und veröffentlicht mit dem das Leiden der deutschen "Vertriebenen" anprangernden Buch "Im Krebsgang" sein ganz persönliches Bekenntnis zum deutschen Revisionismus. Jörg Friedrichs Bestseller "Der Brand" versucht wiederum den deutschen Opfermythos durch die Beschreibung der Bombardierung der deutschen Städte zu reaktualisieren. Nirgendwo in diesen schmalzigen Ausflüssen deutschen Selbstmitleids findet sich indes ein Hinweis darauf, dass das "deutsche Leid" in keinerlei Relation zu dem Leid steht, das die Deutschen 1933 bis 1945 über die Welt brachten und nirgendwo wird die einfache Beziehung von Ursache und Wirkung erwähnt, erwähnt, dass all die Häuschen noch stehen könnten und all die SchlesierInnen, Pommern und wie sie alle heißen, noch heute friedlich jenseits der Oder leben könnten, hätten sie sich nicht 1933 mehrheitlich bewusst und freiwillig für Nationalsozialismus, die Ermordung der europäischen JüdInnen und einen "totalen Krieg" der "arischen Herrenrasse"gegen die "Untermenschen" dieser Welt entschieden.

Das sind natürlich alles Dinge, die man in diesem Lande nicht gerne hört. Die Debatten über die Entschädigung derZwangsarbeiterInnen, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil, so sie nicht unterdessen schon längst verstorben sind, noch heute, 60 Jahre nach Kriegsende, keine Entschädigung erhalten haben, stören viele genauso wie 69,9 Prozent der Befragten Deutschen nach einer im Herbst 2004 vom Bielefelder Sozialwissenschaftler Heitmeyer vorgelegten Studie der Aussage "Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Judenvorgehalten werden" bereitwillig zustimmen.

Wenn Walser also ein Ende Debatte, einen sogenannten"Schlussstrich", fordert oder wenn Friedrich und Grass die deutsche Geschichte durch Fokussierung auf "deutsche Bombenopfer" und "deutsche Vertriebene" zu einem deutschen Leidensweg umlügen, kommen sie damit natürlich einem hierzulande weit verbreiteten Bedürfnis entgegen. Ein populäres Bedürfnis, das auch schon in Guido Knopps reaktionären Fernseh-Geschichtsstündchen bestens bedient wurde: Bis hinein in die Spitze der NSDAP sollen demnach die Deutschen primär eines gewesen sein: Opfer. Opfer tragischer Entwicklungen, die niemand steuern konnte und vor allem Opfer von Hitler und Goebbels, die das (eigentlich anständige) deutsche Volk mit allerhand fiesen manipulativen und massenpsychologischen Tricks verführt haben sollen.

Bernd Eichinger schließflich verschmilzt im "Untergang" die Quintessenz des deutschen Opfermythos zu einem eingängigen und- gemessen an den niedrigen Standards des Genres- vergleichsweise spannenden Kinofilm. Auf die Memoiren der Hitler-Sekretärin Traudel Junge gestützt, die in Vor- und Abspann im Original zu hören ist, versteht es Eichinger in Anlehnung an Knopp seinem Spielfilm durch die Zeitzeugin einen Anschein von Authentizität und Dokumentarcharakter zu verleihen.

Der Film beginnt in einem nebelumwaberten Gebäudekomplex, der durch den Kamerazoom als das sogenannte "Führerhauptquartier Wolfsschanze" zu identifizieren ist. Hier, in der in Ostpreußen gelegenen Kommandozentrale des Feldzuges gegen die Sowjetunion wurde der Vernichtungskrieg im Osten, d.h. der Mord an über zwanzig Millionen Menschen, militärisch geleitet. Doch das ist selbstredend nicht Thema des Films. Thema des Films sind die letzten Tage Adolf Hitlers und seiner Getreuen. Gezeigt wird Hitler als Mensch, das sichere Ende vor Augen; eingenommen die Perspektive der Täter. Der "Führer", wie Hitler im Film liebevoll genannt wird, hat ein halbes Dutzend junger, etwas naiv wirkender Damen zum Vorstellungsgespräch in seine "Wolfsschanze" geladen. Gesucht wird eine neue Sekretärin. Der Protagonistin ist ihre Aufregung anzumerken."Ein Gespräch mit dem Führer!" Doch die Aufregung ist völlig unbegründet. Hitler ist nämlich nicht bloß der ehrfurchtgebietende "Führer"des deutschen Volkes, nein, er erweist sich auch schnell als vollendeter Gentleman. Nach dem ersten Probediktat steht er hinter ihrem Stuhl, dreht das Papier lässig aus der Schreibmaschine, sieht die unzähligen Tippfehler und meint, dass "wir das wohl einfach noch einmal versuchen sollten." Traudel Junge hat es geschafft, sie wird Hitlers Sekretärin.

Bereits in der nächsten Einstellung wird ein paar Jahre weiter nach Berlin gezappt: in den "Führerbunker" Ende April 1945 - ein Komplex direkt unter der Reichskanzlei, dem Amtssitz Adolf Hitlers. Zu hören ist ein beständiges dumpfes Grollen und Donnern, die Bunkerwände zittern, die Beleuchtung flackert. Die durch "feindliche" Bombeneinschläge und schweren Beschuss der sowjetischen Artillerie hervorgerufene Geräuschkulisse wird den/die ZuschauerIn unaufhörlich bis ans Ende des Filmes begleiten. Die bedrohliche Situation der eingeschlossenen Nazi-Führer -"der Russ" steht bereits sengend und brennend wenige Kilometer vor der Stadt- wird so auch lautmalerisch permanent in Erinnerung gehalten.

Nach und nach wird die gesamte Elite des Nationalsozialismus auf der Bühne präsentiert: Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler, Albert Speer, Martin Bormann, Hermann Fegelein, Wilhelm Keitel, Alfred Jodel, Hermann Göring, Eva Braun uvm.

Und hier beginnt die subtile Perfidie des Films: Von einigen Werken des Experimentalkinos einmal abgesehen, bietet jeder Spielfilm eineN oder mehrere ProtagonistInnen an, mit denen sich der/die ZuschauerIn identifizieren und mitfiebern kann. Eine filmische Basisstruktur, der sich der/die ZuschauerIn im Grunde nur durch Verlassen des Kinosaales, Abschalten des Fernsehers oder Einschlafen entziehen kann.

JedeR kennt dieses Phänomen: Man betrachtet sich im wirklichen Leben sagen wir einmal nicht gerade als die beste Freundin der Polizei und doch identifiziert man sich sonntagabends beim Tatort unwillkürlich mit den ermitteltenden KommissarInnen und hofft wie selbstverständlich, sie mögen den Fall lösen und die Verbrecher überführen.

Wenn nun aber wie im "Untergang" neben Hitlers Sekretärin und einem fanatischen Hitlerjungen, der am allerletzten Tag seinen Fehler "einsieht", ausnahmslos erklärte NationalsozialistInnen,Massenmörder und Kriegsverbrecher die einzigen handlungstragenden Charaktere bilden, wird die Ungeheuerlichkeit dieses filmischen Projektes klar: Kein/e Gegner/in des NS steht als Identifikationsfigur zur Verfügung. Dem/der nicht selbst offen faschistischen ZuschauerIn (in dutzenden Fällen besuchten auch Nazis diesen Film und konnten in ihrer freudigen Erregung offenbar nicht anders als spontan vom Kinosessel aus den Hitlergruß zu entbieten) bleibt in diesem Setting eigentlich nur noch die Möglichkeit, für etwas "moderatere" Nazis Partei zu ergreifen.

Diese bitten beispielsweise den im Angesicht des aus seiner Sicht unvorteilhaften Kriegsverlaufes stur gewordenen Hitler, die "Reichshauptstadt" zu verlassen, bevor die Rote Armee den Belagerungsring endgültig schließen kann, bestürmen ihn, doch an die "Zukunft des deutschen Volkes" zu denken, seinen Befehl zur Zerstörung aller deutschen Industrieanlagen zurückzunehmen und geben zu Bedenken, dass das letzte Aufgebot zur Verteidigung Berlins, der "Volkssturm", größtenteils aus Kindern und Greisen bestehe und mahnen ihren "F'ührer", diese militärisch nutzlosen Kämpfer nicht sinnlos zu opfern. Der Typus "vernünftiger Nazi" der hier stellvertretend für die große Mehrheit der Deutschen - vorgeführt wird, hatte nichts einzuwenden gegen die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden, war mit dem Krieg einverstanden, jedenfalls solange, wie Deutschland ihn zu gewinnen schien, jetzt aber, die Russen sind da, der Ami hat den Rhein überquert, sieht er, nicht zuletzt um seine eigene Haut zu retten, realistischerweise ein, dass die Sache endgütig verloren ist, leider, weitere deutsche Opfer jetzt keinen Sinn mehr machen und stattdessen in geordneten Kapitulationsverhandlungen versucht werden sollte, zu retten, was noch zu retten ist.

Dem gegenüber steht Hitler. Keineswegs dämonisiert, vielmehr ein gebrochener alter Mann, der den Tod vor Augen Tag um Tag mehr dem Wahnsinn und Nihilismus verfällt. Zwar kommt es, wenn er beispielsweise wieder einmal erfahren muss, dass eine seiner Armeen, die er bis zuletzt auf seinem Kartentisch umherschiebt, nicht mehr existent ist oder er seine Generäle mit schnarrrenderrr Stimme als Feiglinge beschimpft, das ein oder andere Mal zu einem seiner gefürchteten Wutausbrüche, doch wird der "Führer" ansonsten fast mitleiderweckend präsentiert: Wenn er etwa sein letztes vegetarisches Gericht verspeist oder er sich- die Rote Armee steht bereits wenige hundert Meter vor seinem Bunker - in einem Ohrensessel sitzend unter dem Licht einer Schirmlampe im Atlas die rumänischen Ölfelder betrachtet und etwas davon murmelt, man müsse bloß diese Felder zurückeroben und der Krieg könne doch noch gewonnen werden, denkt sich vermutlich der/die einE oder andere: 'Der arme Führer!'

Der gesamte Film nimmt auch sonst ausschließlich die Perspektive der TäterInnen ein. Selbst da wo das Handlungszentrum 'Führerbunker' kurzzeitig verlassen wird, ist immer nur das lichterloh brennende Berlin, der ohrenbetäubende Lärm der russischen Artillerie und eine Unzahl verwundeter oder toter Deutscher auf den Straßen der Hauptstadt zu sehen. Eine Einstellung im Inneren eines Lazaretbunkers gleicht dabei einer Splatter-Movie-Sequenz: schwer verwundeten deutschen Soldaten werden von einem Militärarzt in blutüberströmtem Kittel die Gliedmaßen abgesägt. Deutsches Leid wohin man schaut; von den Opfern des Naziterrors - den Millionen toten Juden und Jüdinnen, RussInnen, PolInnen, Roma, KommunistInnen- ist hingegen nichts zu sehen und nichts zu erfahren. Wüsste man es nicht besser, könnte man denken, die Deutschen seien Opfer eines bösartigen Überfalls geworden. Nur einmal kurz wird die Exekution von Desserteuren gezeigt, die in den letzten Tagen und Stunden des Nationalsozialismus, wohl aufgrund der doch zu offensichtlichen Sinnlosigkeit dieses Unterfangens dem "Endkampf um Berlin" den Rücken kehren. Ob es sich bei diesen Leuten um Antifaschisten handelt oder um Nazis, die im Zusammenbruch nur ihr eigenes Leben retten wollten, erfährt der Zuschauer allerdings nicht.

Die Belegschaft des 'F'ührerbunkers' lässt sich dabei in verschiedene Gruppen einteilen: Einmal die 'verantwortungsbewussten Nazis' um den in den Nürnberger Prozessen verurteilten Kriegsverbrecher Albert Speer, der die sich vorausschauend um die Zukunft des 'deutschen Volkes' nach Kriegsende sorgt und den sich aufopfernd um die verwundeten Soldaten kümmernden SS Standartenführer und 'Arzt' Ernst Günther Schenck, der, was man im Film natürlich nicht erfährt, zahlose Gefangene im Konzentrationslager Dachau durch medizinische Experimente ermordete. Zum anderen die sich apathisch betrinkenden, das nahe Ende resigniert abwartenden SS-Wachmannschaften, die dem Wahn- und Schwachsinn verfallenen, angeführt von einer den Ernst der Lage bis zum Ende nicht begreifenden Eva Braun. Und zuletzt die unbeirrbaren Nazi-Führer Hitler und das Ehepaar Goebbels, die bis zum Schluss am 'Endsieg' festhalten. Echte Schuld auf sich geladen hat am Ende eigentlich kaum noch jemand: Da selbst der nach und nach von allen Getreuen verlassene Hitler (hinter seinem Rücken führen seine engsten Mitstreiter bereits geheime Kapitulationsverhandlungen) als im Grunde tragischer Charakter vorgeführt wird, kommt eigentlich nur das Ehepaar Goebbels richtig schlecht weg. Dies insbesondere aufgrund der unverzeihlichen Tatsache, dass Frau Goebbels vor ihrem eigenen Selbstmord ihre engelsgleichen und selbstverständlich blonden Kinder, die sich Tage zuvor noch wahnsinnig auf 'Onkel Hitler' freuten, mit Giftkapseln eigenhändig umbringt. Und das ohne eine Regung des Mitgefühls, wo selbst noch dem 'Führer' beim Töten seines geliebten Schäferhundes 'Goldie' (ebenfalls mit Giftkapsel) Tränen über die Wangen fließen. Ironischerweise ist es aber ausgerechnet Goebbels, der den einzigen vern'fcnftigen Satz des ganzen Filmes ausspricht: Gefragt, warum er denn jetzt am Ende nicht wenigstens die unschuldigen Zivilisten Berlins schone, sagt er, dass es in diesem Krieg keine Zivilisten gäbe, das deutsche Volk vielmehr den Nationalsozialismus gewollt habe und nun eben auch die Konsequenzen tragen müsse.

Unfassbar wie der gesamte Film dann auch sein Ende: Nachdem ihr der Wunsch mit dem 'Führer' gemeinsam in den Tod zu gehen durch diesen höchstselbst abgeschlagen wurde, muss die Sekretärin Traudel aus dem Bunker fliehen. Sie irrt mit ihren SS-Begleitern durch das brennende Berlin bis sie schließflich von den Soldaten der Roten Armee umzingelt sind. Ein SS-Mann rät ihr, einfach an den Russen vorbeizulaufen, als Frau könne sie das vielleicht schaffen, aber, so seine Warnung, sie düfe den Russen nie in die Augen schauen. So taumelt sie den 'reuigen' Hitlerjungen an der Hand zwischen stockbetrunkenen und in den Trümmern des darniederliegenden Berlins Kasatschok tanzenden russischen Soldaten umher, den Blick immer nach unten gewandt, bis sie dann aber schließlich doch hinauf in die fiese Visage eines betrunkenen Soldaten blickt. So hatte sich der NS-Propagandafilm und mit ihm Millionen Deutsche den russischen Untermenschen ja schon immer vorgestellt: als brutalen, kulturlosen, brandschatzenden und deutsche Frauen vergewaltigenden asiatischen Barbar. Eine Vorstellung die sich über die Zeit des Nationalsozialismus hinüberretten konnte, im familiären Narrativ die Nachkriegsjahre überdauerte, an die folgenden Generationen weitergegeben wurde um nun endlich, pünktlich zu den Wahlerfolgen der NPD, auch wieder in deutschen Kinosälen bestaunt werden zu können.

Doch Traudel hat Glück, sie kommt unbeschadet aus der Stadt und fährt in der letzten Einstellung mit dem Jungen auf dem Fahrrad durch eine friedliche Frühlingslandschaft der Sonne entgegen. Ende gut, alles gut. Im Abspann dann noch die Stimme der echten Traudel Jung, die davon faselt, von nichts gewusst zu haben. Ja, und wenn noch nicht einmal die Hitler-Sekretärin von Auschwitz wusste, wie sollten es dann erst die Millionen einfacher VolksgenossInnen gewusst haben?

Der Nationalsozialismus inszeniert als unbegreifliche Tragödie eines unwissenden und verführten Volkes, aufrechter SS-Männer und ehrenhafter Generäe, die das Schlimmste verhindern wollten aber nichts tun konnten und eines dem Wahnsinn verfallenen, einsamen und bemitleidenswerten Hitlers. Niemand trägt letztlich Verantwortung. Geschichte gerinnt zu einem Opfer- und Leidensmythos der Deutschen. Täter werden zu Opfern und deutsche Verbrechen zu deutschem Leid.


Georgij Schukow