Im Übrigen sind wir der Ansicht: Kathargo muss zerstört werden.

Notizen zu einer Vergewaltigungsdebatte in der radikalen Linken


Im Institut für vergleichende Irrelevanz (ivi) in Frankfurt hat es eine Vergewaltigungsdebatte gegeben. Zunächst ging es unmittelbar um den Ausschluss eines Mannes von einer ivi-Party, der nach eigener Aussage eine Frau aus der linken Szene vergewaltigt hatte und später in einem zweiten Fall sexuell übergriffig wurde. Auf den darauf folgenden Plena wurde ein generelles Hausverbot für den Beschuldigten beschlossen und über den generellen Umgang im ivi mit szeneinternen Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen diskutiert. In dieser Debatte wurden verschiedene, zum Teil kontroverse Positionen bezogen. Eine dieser Positionen war die, die ich in dieser Reflexion teilweise noch einmal etwas allgemeiner ausformulieren möchte. Andere Positionen haben m.E. Argumentationsmuster reproduziert, die zum Teil aus bürgerlich-liberalen oder juristischen Diskursen stammen und die sich in ähnlicher Form auch in anderen Debatten über den Umgang mit Vergewaltigungen in der radikalen Linken gefunden haben und vermutlich auch weiterhin finden werden.

Zu nennen wäre etwa die Diskussion um eine szeneinterne Vergewaltigung in Berlin und um die relativierenden Ausfälle in der Bahamas vor 4 Jahren, die relativ breit rezipiert worden sein dürfte. Wie unterschiedlich die beiden Fälle auch sein mögen, es lohnt, sich die damalige Debatte, zu der es viele Beiträge gegeben hat, zu vergegenwärtigen. Die Bahamas hatte jene Vergewaltigung als „schlechten Sex“ bezeichnet und mit psychoanalytischer Begriffsmeierei die wesenhafte Grenzüberschreitung jeder Sexualität behauptet. Dass diese Position nicht nur sexistisch ist, sondern auf eine geradeheraus aggressive Weise sexualisierte Gewalt verharmlost, dürfte Konsens sein. Dennoch finden sich ähnliche Argumentationsfiguren auch innerhalb der verbliebenen radikalen Linken, wenn es um szeneinterne Übergriffe geht. Ich will hier einige verallgemeinerbare Topoi und Argumentationsweisen aus der Diskussion im ivi aufgreifen, deren Kritik ich auch für andere Zusammenhänge für relevant halte; deshalb werde ich hier von der konkreten Kontroverse abstrahieren und mich damit ein Stück weit von ihr entfernen, wobei ich versuche, einen Beitrag zur Klärung von Angelegenheiten zu leisten, die eigentlich klar sein müssten.

Bien sûr, ...

Wenn es in solchen Diskussionen um den Ausschluss eines Mannes geht, der vergewaltigt oder einen sexuellen Übergriff begangen hat, wird noch immer gerne die Perspektive des Täters eingenommen. Wenn der Täter etwa von einer Party verwiesen werden soll, weil es nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für andere Anwesende anderenfalls bedeuten könnte, dass diese den Raum oder den Zusammenhang oder die Party verlassen müssen, stellen sich manche auf den Standpunkt des bürgerlichen Rechts und fordern von der Betroffenen Beweise und für den Täter Verfahrensgarantien sowie quasi-rechtsstaatliche Grundlagen für eine Entscheidung wie beispielsweise ein Hausverbot. Dabei wird bewusst oder unbewusst unterschlagen, dass ein Verhalten, das unter Hinweis auf die rechtstheoretischen Abgründe einer Gruppenentscheidung eine solche vorgeblich vermeidet, immer auch eine Entscheidung darstellt, und zwar eine gegen das Opfer. Keine Frage: Für Hausverbote oder Gruppenausschlüsse müssen vernünftige Verfahrensweisen entwickelt werden, aber ob sich solche Verfahren nach den Prinzipien eines bürgerlich-parlamentarischen Rechtsstaates richten sollten, muss diskutiert werden.

Kleiner Exkurs: Die bürgerliche Rechtsform

Historisch stellt die Verrechtlichung sozialer Verhältnisse einen Fortschritt gegenüber despotischer Willkürherrschaft dar. So geben die kodifizierten allgemeinen Menschenrechte, darunter das Recht auf körperliche Unversehrtheit, und die Integration der Frauen in die bürgerliche Gesellschaft als Rechtssubjekte diesen überhaupt erst die Möglichkeit, eine Klage gegen den Täter anzustrengen und ihn zu belangen. Ich richte mich nicht gegen staatliche Verfolgung von Sexualstraftätern oder gegen rechtsstaatliche Verfahrensweisen, die der Idee nach ja Integrität von Opfern und (mutmaßlichen) Tätern schützen sollen. Selbstverständlich ist unter kapitalistisch-patriarchalen Verhältnissen „funktionierende“ Rechtsstaatlichkeit einer Staatlichkeit vorzuziehen, die ihr Gewaltmonopol willkürlich und ohne juristische Begrenzungen wahrnimmt. Ich bezweifle aber, dass es besonders weit führt, dieses Modell für den Kontext sexualisierter Gewalt auf die linksradikale Szene zu übertragen. Ein bemerkenswertes Manko des bürgerlichen Rechts ist ja gerade seine Positivität, seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Inhalt der Rechtsform und damit die Herrschaft der Legalität über die Legitimität. Für Vergewaltigungen heißt das oft, dass der Natur der Sache gemäß vor Gericht Aussage gegen Aussage steht, weitere Zeuginnen fehlen und der Angeklagte aus Mangel an Beweisen frei gesprochen wird. Dieser Mechanismus darf in der Linken, soweit die Analogie überhaupt greift, nicht wiederholt werden. Vielleicht kann oder sollte in linksradikalen Zusammenhängen, wenn es um politische Entscheidungen geht, nicht so einfach Recht von Moral getrennt werden.

... c’est la structure

Außerdem wird manchmal das individuelle Verhalten einzelner Männer als strukturell sexistisch verstanden und die patriarchale Strukturierung der Gesellschaft oder die heterosexistische Matrix als dem Handeln der Subjekte vorgängig und nicht als dialektisch mit diesem vermittelt konzipiert. So kann die Thematisierung von struktureller Gewalt und von objektivierten sozialen Verhältnissen, die das Handeln der Subjekte zwar präformieren und sich ein Stück weit diesem gegenüber verselbstständigen, aber auch erst durch dieses hervorgebracht und reproduziert werden, zur Ausrede für konkrete physische Gewalt verkommen. Dabei dürfte der Unterschied zwischen einer Vergewaltigung und denjenigen sexistischen Phänomenen, die gemeinhin mit dem Begriff der strukturellen Gewalt gefasst werden – struktureller Ausschluss zum Beispiel von entscheidenden Führungspositionen oder strukturelle Unterbezahlung von Frauen gegenüber Männern bei gleicher Arbeit –, jeder sofort klar sein. Es ist eben nicht derselbe Mechanismus, der die Individuen zur täglichen Wiederholung der Realabstraktion des Warentausches zwingt und durch diese das notwendig falsche Bewusstsein, das zugleich richtiges Bewusstsein eines falschen Zustandes ist, Waren- und Geldfetischismus, hervorbringt, wie der, der sie zu vergeschlechtlichten und in der Regel sexistischen Subjekten macht. Plausibel erscheint die Analogie noch, wenn es darum geht die Konstruktion des warenfetischistischen Bewusstseins durch die permanente Wiederholung des Tauschaktes mit der Konstruktion von geschlechtlicher Identität durch die permanente Wiederholung von Sprachspielen und performativen Akten zu vergleichen, und damit so etwas wie einen „Geschlechtsfetischismus“ zu entwerfen, der als objektivierter und quasi-natürlicher Schein, als reale Imagination von bestimmten Geschlechteridealen, systemische Herrschaft über die Menschen ausüben kann. In dieser Perspektive geht es nicht primär um die Kritik des Patriarchats, einer von Männern dominierten Gesellschaft, sondern um die Kritik der Kategorie Geschlecht selbst, so wie die Kritik der kapitalistischen Klassenherrschaft zum Teil der kategorialen Kritik an Ware, Wert und Arbeit gewichen ist. Dieser dekonstruktivistische Ansatz, der von einer für alle verbindlichen, zur zweiten oder Quasi-Natur gewordenen heterosexistischen Matrix ausgeht, wird jedoch ad Absurdum geführt, wenn er gegen den Ausschluss von einzelnen Männern bemüht wird, von denen ganz konkret Gewalt gegen Frauen ausgegangen ist. So gerät man leicht in Argumentationen, die einerseits Vergewaltigung in konkreten Fällen als bloßen Ausdruck des strukturellen Sexismus verharmlosen und andererseits alle Männer als potenzielle Vergewaltiger mit den Tätern vergemeinschaften. Der Hinweis auf die strukturellen Bedingungen einer Tat darf nicht zur Entschuldigung für den Täter werden, genau so wenig wie in Fällen rassistischer oder antisemitischer Gewalt. Eine Vergewaltigung bleibt eine Vergewaltigung: eine der menschenverachtendsten und verletzendsten Formen der Gewalt überhaupt.

Die sehr berechtigte Forderung, es dürfe nicht beim Ausschluss einzelner bekannter Täter bleiben, man müsse vielmehr seine oder ihre eigene Eingebundenheit in die sexistischen Verhältnisse reflektieren, wird zur leeren Geste, wenn sie dazu dient, die wenigen bekannt gewordenen Vorfälle zu verharmlosen, die Täter zu rehabilitieren oder die Glaubwürdigkeit der betroffenen Frauen in Frage zu stellen. Denn um diese muss es in jedem Fall gehen, und es muss Ziel sein linksradikale Räume für sie und nicht für die Täter zu öffnen.

Definition Power

Eng verknüpft mit solchen Debatten sind oft Kontroversen über den Begriff der Definitionsmacht oder des Definitionsrechts. In der radikalen Linken gibt es eine Tradition der Definitionsmacht der betroffenen Frauen in Fällen sexualisierter Gewalt, gerade um der bürgerlichen Strafjustiz, die eine Vergewaltigung als objektives Vorgehen versteht und die Opfer im Prinzip als Dinge behandelt, die sofort von allerlei Ärzten, Psychologen und anderen Expertinnen begutachtet werden, einen Ansatz entgegen zu setzen, der die Betroffene als politisches Subjekt anerkennt und ihr die Möglichkeit lässt, einen bestimmten Vorfall politisch, das heißt öffentlich, in linken Zusammenhängen oder Räumen als sexualisierte Gewalt so zu thematisieren, dass sie weiterhin diese Räume nutzen kann, der gewalttätige Mann also nicht, ohne dass sie wie vor Gericht die Beweislast trägt oder irgendwelche Einzelheiten des Übergriffs beschreiben muss, was ihre Verletzung wiederholen würde. Genau deshalb ist so falsch sich an den Prinzipien der bürgerlichen Jurisprudenz zu orientieren und deshalb ist es richtiger von Definitionsmacht als von Definitionsrecht zu sprechen, weil es innerhalb der sogenannten linken Szene wohl nicht um Rechtsverhältnisse gehen kann, sondern eher um Anerkennungsverhältnisse. Um den Einzelnen Rechte zu gewähren, müssten linke Strukturen über Gesetzgebung, Rechtsprechung und Gewaltmonopol verfügen. Wenn ich die Definitionsmacht der betroffenen Frau anerkenne, so erkenne ich an, dass die Frau selbst bestimmen kann, wann sie einen Vorfall als Vergewaltigung oder wann als sexuellen Übergriff verhandelt wissen will, und dass ich mich auch danach richte und mich entsprechend verhalte.

Bedenkt man die Hemmschwelle für die Öffentlichmachung und die riesige Dunkelziffer sexualisierter Gewalt, so ist in so gut wie allen Fällen vernünftigerweise davon auszugehen, dass nicht böse, rufmörderische Absicht oder Unzurechnungsfähigkeit eine Bekanntmachung motivieren. Die übertriebenen Ängste vor Frauen, die nach einvernehmlichem Sex einen falschen Vergewaltigungsvorwurf erheben könnten, sind Ausdruck einer verzerrenden androzentrischen Perspektive. Solche Geschichten kennen wir am ehesten zum Beispiel aus TV-Gerichtsshows, in denen der der Vergewaltigung beschuldigte Mann am Ende als das Opfer erscheint, das von der Frau verführt worden sei, ihren Fängen naturgemäß nicht entkommen konnte und so in ihre planvoll gestellte Falle tappte, was ihn schließlich zu Unrecht vor Gericht brachte. Solche Vorstellungen verkennen die Lage der betroffenen Frauen grundlegend. Niemand heftet sich den Status einer ‚Vergewaltigten’ ohne weiteres freiwillig an; die Stigmatisierung, der Schmerz des öffentlichen Diskurses über die die eigene Persönlichkeit verletzende Gewalt, der damit einhergeht, verhindern ja bei den meisten tatsächlichen Vergewaltigungen schon die Thematisierung im engsten Bekanntenkreis. Im Prinzip sind jene Ängste größtenteils unbegründet und lenken von der Problemlage ab: De facto sind die meisten Politgruppen, Infoläden, Autonomen Zentren und Besetzten Häuser ziemlich männlich dominierte Veranstaltungen und oft werden die Zumutungen der Männergesellschaft Frauen gegenüber hier wiederholt. Besonders zeigt sich das im Umgang mit Vergewaltigungen, wenn unter Linken auf Äquidistanz und Sachlichkeit bestanden wird – und wenn Aussage gegen Aussage steht, dann könne man halt jetzt nicht wissen – und damit die Betroffenen in der Konsequenz ausgeschlossen werden. Nein, diese passive Haltung gegenüber dem Täter zu Lasten des Opfers kann keine Alternative für die Definitionsmacht der betroffenen Frau sein.

Mais c’est l’acte, aussi

Eine Entscheidung für den Ausschluss eines Mannes aufgrund der Aussage des Opfers zu dem Zweck, dass eine weitere Nutzung von Räumen oder Tätigkeit in Gruppen für dieses nicht verunmöglicht wird, hat nichts mit einer Verurteilung im bürgerlich-juristischen Sinne zu tun. Über den Vorfall selbst wurde nicht geurteilt, niemand kommt ins Gefängnis. Die Verhandlung des Vorfalls als Vergewaltigung oder andere Form sexualisierter Gewalt durch die Betroffene – und in den meisten Fällen ja auch durch das Umfeld – aber wird ernst genommen und anerkannt, wenn ich mir in ungeschmälertem Bewusstsein meiner eigenen sexistischen Konstitution innerhalb einer strukturell patriarchalen Gesellschaft (bzw. der heterosexistischen Matrix), die noch weiterer Untersuchung und Kritik bedarf, klar mache, dass es dennoch immer konkrete Menschen sind, die handeln und von denen physische Gewalt ausgehen kann. Und dass es deshalb eine antisexistische Basisbanalität zu sein hätte, bekannte Täter in Fällen von Vergewaltigung oder sexualisierter Gewalt aus linksradikalen Zusammenhängen und Räumen auszuschließen, wie es auch in Fällen rassistischer oder antisemitischer Gewalt zu geschehen hat, wenn keine glaubhaften Manifestationen eines Lernprozesses, einer kritischen Auseinandersetzung, Reflexion und Bearbeitung der eigenen Tat(en) vorliegen, die auch die tatsächlichen oder möglichen Betroffenen solcher Gewalt überzeugen können. Vorrang aber müssen immer deren Perspektive und deren Handlungsoptionen innerhalb der radikalen Linken haben. Bei einer Vergewaltigung sind alle betroffen. Sie ist keine Privatangelegenheit, sondern muss als politische, nämlich sexistische Gewalt politisch geächtet werden. Eine Linke mit radikalem Anspruch darf dahinter nicht zurück fallen.

Jakob Apfelböck