Erst das Geld - dann die Arbeit

lautet ein Grundsatz einer Sexarbeiterin aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel. Sie ist eine von den Sexarbeiterinnen, die die gesellschaftlichen Vorstellungen von „Zwangsprostitution“, „Zuhälterei“ oder „Frauenhandel“ nicht bestätigen können. Das Thema Sexarbeit ist spätestens seit der ersten Frauenbewegung ein Aspekt kontroverser feministischer Debatten um Emanzipation. Die Bezeichnung „Prostituierte“ geht mit einer gesellschaftlichen Stigmatisierung der betroffenen Frauen und vorherrschenden negativen Ressentiments einher, weshalb es ratsam ist den Begriff „Sexarbeiterinnen“ zu benutzen. Entgegen vorherrschender Meinungen gibt es durchaus Frauen, die sich bewusst und freiwillig für diese Art von Arbeit/ sexueller Dienstleistung entscheiden oder die Sexarbeit anderen Jobs wie z.B. Putzen/ Haushaltsarbeit vorziehen. Dabei darf keineswegs verharmlost werden, dass es Formen von Zwangsprostitution gibt, wenn Frauen z.B. keine Alternative sehen und diesen Job als letzte Möglichkeit heranziehen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Im Extremfall werden Frauen von außen stehenden Personen dazu gezwungen. Für Frankfurt kann mensch aber diesen Fall weitgehend ausschließen. Dass Zwangsverhältnisse abgeschafft gehören, ist selbstverständlich. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zur Lohnarbeit in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, stellt auch die „freiwillige“ Sexarbeit ein Zwangsverhältnis dar, dann aber kein gesondertes. Von der staatlichen und städtischen Politik der Absonderung abgesehen ist sie ein Zwangsverhältnis wie jede andere Arbeit auch, die das materielle Überleben gewährleisten soll. Durch die staatliche und soziale Nicht-Anerkennung wird die Sexarbeit erst zu einem gesonderten Arbeitsfeld gemacht. Sichtbar wird die Ausgrenzung auch durch die räumliche Situation. In Städten wird die Prostitution vor allem aus dem Innenstadtbereich verdrängt. Toleriert wird sie in Randbezirken, wodurch das „Rotlichtviertel“ entsteht. Für einen großen Teil der neuen Frauenbewegung war das Thema Sexarbeit auch schon vorbelastet, viele Feministinnen sahen darin keine Arbeit wie jede andere. Ganz zu schweigen von der alten bürgerlichen Frauenbewegung, die mehrheitlich, (wenn nicht gänzlich) in der Prostitution ein Phänomen der patriarchalen Gesellschaft sah und sie bekämpfte. Dies zu einer Zeit in der bürgerliche Ehen nicht zuletzt aufgrund finanzieller Erwägungen geschlossen wurden. Mensch heiratete nicht unbedingt aus Liebe, sondern weil man/frau sich davon eine ökonomische Sicherheit erhoffte und als Gegenleistung bestimmte „Verpflichtungen“ (z.B. Treue, Sex, Kinder) einging. Aus dieser Perspektive ist die auf Grund ökonomischer Aspekte entstandene bürgerliche Ehe mit der offen verhandelten Prostitution vergleichbar. Die Sexarbeiterinnen waren selbst nie Teil der alten Frauenbewegung. Die marxistisch ausgerichtete proletarische Frauenbewegung war sich in dieser Hinsicht nicht einig, wie eine neue sozialistische Sexualmoral auszusehen hatte. Während einige proletarische Feministinnen wie Clara Zetkin lediglich die „wirtschaftliche“ Ehe und Familie kritisierten, forderten radikalere Positionen die Aufhebung der Ehe zugunsten freier Liebesverhältnisse, so beispielsweise Alexandra Kollantei. In der neuen Frauenbewegung standen sich zwei dominierende konträre Theorien bezüglich der Sexarbeit gegenüber. Für „Radikalfeministinnen“ wie Alice Schwarzer waren Feminismus und Prostitution ein Widerspruch, in der Prostitution sahen sie eine Fortsetzung der patriarchalen Herrschaftsverhältnisse, eine Herabwürdigung der Sexualität zu einer Ware und eine Verfügbarkeit der männlichen Kundschaft über die Frauen. Diesen Positionen stellten sich Sexarbeiterinnen-Kampagnen entgegen, die auch Teil der neuen Frauenbewegung waren. Die Initiative “Wir sind Frauen wie andere auch“ wurde beispielsweise von „Lohn für Hausarbeit“-Feministinnen unterstützt. Diese dehnten den Arbeitsbegriff auf den Bereich der Reproduktion aus (Kindererziehung, Geburt, Schwangerschaft, Liebe, Sexualität). Diesen Überlegungen nach stellte die offen bezahlte Sexarbeit eine emanzipative Verweigerung der traditionellen Frauenrollen dar. Ein Aspekt dabei war die ökonomische Unabhängigkeit der Frauen. Sexarbeiterinnenprojekte, die damals gegründet wurden, existieren teilweise heute noch, z.B. das autonome Projekt „Hydra“, das 1980 in Berlin ins Leben gerufen wurde. Die Beratungsstelle Dona Carmen gibt es seit Juli 1998 in Frankfurt/M. Sie tritt für die politischen und sozialen Rechte von Sexarbeiterinnen ein und versucht außerdem einen gesellschaftlichen Diskurs über verschiedene Formen gelebter Sexualität anzuregen. Die Forderung nach gesellschaftlicher Akzeptanz und Tolerierung der selbst gewählten sexuellen Praktiken sowie eine Kritik der Monogamie zweier heterosexuell orientierter Personen, insbesondere im Rahmen der bürgerlichen Kleinfamilie taucht u.a. in den „Neun Thesen zu einer Neubestimmung des herrschenden Verständnisses von sexueller Selbstbestimmung“ auf.


§§

Frauen, die ohne Papiere, bzw. zunächst mit einem Touristinnenvisum nach Deutschland kommen, können ihren Aufenthalt einmalig um drei weitere Monate verlängern. Zum einen werden Sexarbeiterinnen aus Nicht-EU-Staaten durch die bundesdeutsche Gesetzgebung insofern illegalisiert als dass es TouristInnen nicht gestattet ist einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Obwohl Sexarbeit als „Erwerbstätigkeit“ gesellschaftlich und rechtlich nicht anerkannt ist, wird paradoxerweise bei Abschiebungen der Grund vorgebracht, die Frauen würden unerlaubt einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Zum anderen werden sie spätestens dann illegalisiert, wenn sie länger als sechs Monate in Deutschland bleiben. Allein die Tatsache, dass staatliche Vorschriften die Sexarbeit betreffend im Strafgesetzbuch zu finden sind, markiert die Kriminalisierung derselben. Dies betrifft dann auch die „legalen“ Sexarbeiterinnen. Im Januar 2002 wurden zwei Paragraphen im Strafgesetzbuch zu Gunsten der Sexarbeiterinnen geändert.

§ 180 a StGB regelte die „Förderung der Prostitution“. Im Gesetzestext stand in Absatz 1:

„Wer gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält oder leitet, in dem Personen der Prostitution nachgehen und in dem

1) diese in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden oder

2) die Prostitutionsausübung durch Maßnahmen gefördert wird, welche über das bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt und die damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen hinausgehen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Dieser Absatz wurde geändert. Das Bemühen der BordellbetreiberInnen um bessere Arbeitsbedingungen ist seitdem z.B. nicht mehr strafbar, Sexarbeit ist offiziell nicht mehr „sittenwidrig“.

Die andere Änderung betrifft Paragraph 181 a („Zuhälterei“). Dieser lautete im Absatz 2:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer gewerbsmäßig die Prostitutionsausübung eines anderen durch Vermittlung sexuellen Verkehrs fördert und im Hinblick darauf Beziehungen zu dem anderen unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen.“

An dieser Stelle ist die „Vermittlung“ durch einen Zusatz im Gesetzestext nicht mehr strafbar.

Dennoch sind die Änderungen für Sexarbeiterinnenprojekte wie beispielsweise „Hydra“ (Berlin) oder die Bratungsstelle Dona Carmen (Frankfurt) nicht ausreichend. Nach wie vor sind viele andere Gesetze in Kraft, die dem Verbot oder der Kontrolle der Prostitution dienen. So beispielsweise im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB), das in Artikel 297 („Verbot der Prostitution“) den Landesregierungen das Recht einräumt, bei Gemeinden bis zu 50.000 EinwohnerInnen für das gesamte Gebiet ein Prostitutionsverbot aussprechen zu können. Weiterhin wird Sexarbeit nicht als selbstständige Tätigkeit oder Beruf anerkannt. Ein Widerspruch dazu ist, dass Sexarbeiterinnen trotzdem Steuern zahlen müssen, obwohl sie rechtlich kein Gewerbe betreiben, ihre Einkünfte fallen unter „sonstige Leistungen“.



Sexarbeit und Illegalisierung in Frankfurt/M

Juanita Henning vom Verein Dona Carmen hat dazu eine empirische Studie veröffentlicht, die erstmalig zu dem Themenkomplex Migrantinnen, Sexarbeit und Illegalisierung einen Beitrag liefert(e). Nach Angaben von Judith Rosner von agisra e.V. sind ca. 1400 Frauen in der Frankfurter Bordellprostitution beschäftigt, davon sind ca. 95% Migrantinnen . Über Straßenprostitution und Call Girls wird hier allerdings keine Aussage getroffen. In der Studie von J. Henning geht es um Frauen aus Kolumbien, welche zahlenmäßig in der Zeit von 1993-1995 die größte Gruppe in Frankfurt/M darstellten. Von den 50 interviewten Frauen aus Kolumbien gaben zwölf an, Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus und der Arbeitserlaubnis zu haben , 46 von 50 Frauen waren mit einem Touristinnenvisum nach Deutschland gekommen mit dem sie bis zu drei Monaten in Deutschland bleiben können. Ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sind diese Frauen praktisch rechtlos. Im Falle von Krankheit ist medizinische Versorgung nicht gewährleistet, Kinder von Illegalisierten können weder Kindergarten noch Schule besuchen, die eine Meldepflicht voraussetzen. Zu dem kommt, dass die Frauen für ein Bordellzimmer in Frankfurt täglich zwischen 220 € und 270 € Miete zahlen müssen, was bedeutet dass ein Großteil ihres Lohns für die Miete aufgewendet wird. Einige Frauen wohnen in diesen Zimmern, während andere sich halbtags dort aufhalten und nach der Arbeit das Bordell verlassen. Auch kommt es vor, dass sich zwei Frauen die Miete teilen, indem die eine tagsüber, die andere nachts arbeitet. Es gibt allerdings auch andere Formen von sexueller Dienstleistung in Eros-Centern oder (Table-Dance)Bars, in denen die Frauen z.B. anteilig an den konsumierten Getränken beteiligt sind. Hier sind meistens TürsteherInnen im Eingangsbereich anzutreffen, die entweder Kunden reinlocken, oder aber bestimmten Personen den Eintritt verwehren sollen. Die Bordellprostitution auf Basis von Zimmervermietung ist in Frankfurt häufiger anzutreffen. Solche Bordelle haben oftmals mehrere Etagen, die Frauen stehen in der Tür oder warten in ihren Zimmern. Die Zimmer sind dabei unterschiedlich ausgestattet, während einige Dusche und Toilette haben, gibt es auch solche, die keine Waschmöglichkeit bieten. In dem Fall müssen die Frauen ihre Zimmer verlassen, um den von mehreren Sexarbeiterinnen genutzten Etagen-Waschraum aufzusuchen. Essen ist auf den Zimmern aus hygienischen Gründen meistens nicht gestattet. Einigen sich zwei Personen in Bezug auf Dauer, Art der sexuellen Dienstleistung und Preis, wird die Zimmertür geschlossen. Oder auch nicht. Prinzipiell ist es nämlich möglich, dass Besucher- und in den seltensten Fällen Besucherinnen-, die noch keine Kunden sind, sich alles kostenlos anzuschauen und dann mit den gewonnenen optischen Eindrücken wieder gehen. Im Eingangsbereich dieser Bordelle ist draußen oftmals ein Schild angebracht, das Frauen (die dort nicht arbeiten) den Zugang verbieten will. Die Kunden müssen hier in der Regel nicht an TürsteherInnen vorbei, dafür aber an diversen Kameras. Dass Frauen Kundinnen von Frauen sein oder werden könnten wird als Möglichkeit ausgeschlossen. Für Mitarbeiterinnin von Dona Carmen ist es jedoch kein Problem die Sexarbeiterinnen an ihrem Arbeitsort zu besuchen. Das Büro der jeweiligen ZimmervermieterInnen, bzw. auch BordellbetreiberInnen oder WirtschafterInnen genannt, wird aufgesucht und eine „Erlaubnis“ eingeholt. Dieses Büro ist auch in Notfällen, wenn Sexarbeiterinnen Konflikte mit Kunden haben (Nicht-Einhaltung der Vereinbarungen, Gewalt, Drohungen, Lohnvorenthaltung) anrufbar. Allerdings kostet es in einigen Bordellen 50 €, wenn der Notruf-Knopf gedrückt wird. Kostenlose Hilfe ist somit nicht gewährleistet, wenn sie gebraucht wird, höchstens von Zimmernachbarinnen. Als besonders gewinnbringend werden in der Bordellprostitution die heterosexuellen Dienstleistungen eingestuft. Es gibt aber auch die männliche Prostitution, die allerdings nicht in den Bordellen stattfindet. Die Frankfurter „Callboy Connection“ ist eine Vernetzung von männlichen Sexarbeitern. Dies ist wichtig zu erwähnen, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, als gäbe es ausschließlich von Frauen praktizierte und heterosexuell ausgerichtete Sexarbeit. Inwieweit es sich bei den männlichen Sexarbeitern um illegalisierte Personen handelt und ob dort sowohl hetero- also auch homosexuelle Dienstleistungen angeboten werden, kann hier zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesagt werden.



Razzien im Bahnhofsviertel


Zum Jahresende 1999 und im Verlaufe des Jahres 2000 und 2001 wurden verstärkt Razzien durch die Polizei nicht nur Frankfurt, sondern auch in vielen anderen Städten durchgeführt. Im Frankfurter Bahnhofsviertel wurden dabei die Zimmer der Sexarbeiterinnen durchsucht, Geld und persönliche Gegenstände beschlagnahmt, mehr als 600 Frauen wurden festgenommen und ca. 100 von ihnen im Anschluss abgeschoben. Laut Henning (1997) gibt es insgesamt 21 Bordelle im Bahnhofsviertel, die auf drei Straßen verteilt sind (Mosel-, Taunus- und Elbestraße). Fünf weitere Bordelle befinden sich in der Breite Gasse und eins im Frankfurter Ostend. Dona Carmen wird als Frauen-Beratungsstelle vom Frankfurter Frauendezernat finanziell nicht unterstützt, weil der Verein keine Kooperation mit der Polizei und den Behörden eingeht. Als Gespräche im Stadtparlament über die Razzien und Sexarbeit geführt wurden, wurde Dona Carmen u.a. mit der Begründung „Differenzen bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit“ von diesen ausgeschlossen. Neben autonomen Protesten seitens der Sexarbeiterinnen gegen diesen Ausschluss gab es lediglich Bemühungen der PDS um eine Wiederaufnahme Dona Carmens an den sogenannten „Runden Tisch Prostitution“. Im Frühjahr 2000 wurde ein Aufruf von 208 Frauen unterzeichnet, der die Razzienpolitik als „schlechte und menschenunwürdige Behandlung“ angreift. „So leben wir in ständiger Angst vor Polizeikontrollen und Razzien. Oftmals getrauen wir uns tagelang nicht auf die Straße, denn wir können jederzeit verhaftet und von heute auf morgen abgeschoben werden. Damit beraubt Ihr uns unserer Existenzgrundlage und unserer Lebensperspektiven.“ Der Aufruf wurde in der taz und der Frankfurter Rundschau veröffentlicht. Weiterhin ist jedoch nicht gewährleistet, dass keine rassistischen Razzien mehr stattfinden, die in erster Linie das Ziel der Abschiebung von Migrantinnen ohne Aufenthaltsstatus verfolgen.

"So geht man nicht mit Menschen um, deren Dienste man ansonsten gerne in Anspruch nimmt. (..) - Legalisierung statt Kriminalisierung!"



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