der auftrag zum mitmachen

kulturindustrielle propaganda für das flexibilisierte arbeitssubjekt



Es gibt kein Entrinnen. Wird der Fernseher eingeschaltet sind sie da. Ein Haufen junger Menschen, die qua mehr oder weniger vorhandener Sanges- und Tanzfähigkeiten ihre Arbeitskraft für den Markt der Popmusik anbieten. Deutschland sucht den Superstar, Deutsche Stimme, Fame Academy oder Popstars-Das Duell heißen die extrem erfolgreichen Formate, die an der Oberfläche nur neue Gesichter für den Arbeitsplatz als Popstar suchen und dabei jede ernsthafte MusikerIn zum erneuten Schmecken des vorher Gegessenen bringen.

Im folgenden soll die pro7-show Popstars-Das Duell in Hinblick auf die in ihrem Subtext vermittelten Verhaltensdirektiven analysiert werden. Die bei diesen Formaten offensichtliche Stereotypisierung kulturindustrieller Inhalte lässt die Wahl der konkreten show einerseits zu einem Akt der Willkür werden, andererseits tritt das zu Untersuchende in der Gewählten am deutlichsten hervor. So widerspricht es nicht der Gleichheit der Sendungen, dass es doch kleine Differenzen im Detail gibt, denn so können die verschiedenen Bedürfnisse der Konsumierenden am besten befriedigt werden. „Für alle ist etwas vorgesehen, damit keiner ausweichen kann, die Unterschiede werden eingeschliffen und propagiert“ (DdA 147).

Zunächst wird daher zu zeigen versucht, dass auf subtile Art und Weise in der show das flexible Arbeitssubjekt des 21. Jahrhunderts in Reinform dargestellt wird. Die an die KandidatInnen gestellten Anforderungen sind exemplarisch für jene, welche in zunehmenden Maße ‚normale’ Lohnarbeitsverhältnisse prägen. Das Modell des weißen, männlichen Lohnarbeiters mit festem, lebenslangen Job an ein und demselben Arbeitsplatz ist verschwunden und wird ersetzt durch das flexible, mit allen Techniken des Selbstmanagements ausgestattete Arbeitssubjekt, dessen Idealbild in dem „Unternehmer seiner Selbst“ (Bröckling) oder, geläufiger, in dem der „Ich-AG“ kulminiert. Daher ist diese show, die sich als reine Unterhaltung gibt , als eminent gesellschaftlich zu betrachten, in dem Sinne, dass kulturindustrielle Unterhaltung ein bestimmender Faktor in der Bildung und Aufrechterhaltung des (notwendig falschen) Bewusstseins ist. Andersherum lässt der Erfolg der angesprochenen shows darauf schließen, dass ein breites Bedürfnis nach diesen und dem in ihnen gezeigten Vorexerzieren der Verhaltensweisen des angepassten Arbeitssubjektes existiert. Diese Entwicklung ist allerdings nur die aktuelle, eventuell verschärfte Ausprägung eines alt-bekannten Phänomens: In der kulturindustriellen Produktion selbst liegt die Struktur, das Bestehende zu verdoppeln und in stereotypen Formaten dem Massenpublikum vorzusetzen. Dass dies jedoch nicht einseitig als Manipulation zu verstehen ist, wird im zweiten Teil des Artikels zu zeigen sein. Abschließend wird darauf eingegangen, was dies für das Subjekt und die Bewahrung der letzten Reste von Autonomie zu bedeuten hat.

I. „lebe deinen traum“
über die sendung popstars – das duell und den traum des hochflexiblen arbeitssubjektes

„Wer hat nicht schon mal davon geträumt, die Popstars über seinem Bett hängen zu haben?“

(Aus einer Internet-Rezension des Popstar-Kalenders)

„Die von den Talentjägern aufgespürten und dann vom Studio groß herausgebrachten Figuren sind Idealtypen des neuen abhängigen Mittelstands. Das weibliche starlet soll die Angestellte symbolisieren, so freilich, daß ihm zum Unterschied von der wirklichen der große Abendmantel schon zubestimmt scheint. So hält es nicht nur für die Zuschauerin die Möglichkeit fest, daß sie selber auf der Leinwand gezeigt werden könnte, sondern eindringlicher noch die Distanz. Nur eine kann das große Los ziehen, nur einer ist prominent, und haben selbst mathematisch alle gleiche Aussicht, so ist sie doch für jeden Einzelnen so minimal, daß er sie am besten gleich abschreibt und sich am Glück des anderen freut, der er ebensogut selber sein könnte und dennoch niemals selber ist.“

Horkheimer/ Adorno (DdA 171)

Zunächst wird der Modus sowie der Verlauf der Sendung grob skizziert. Es soll ein ungefährer Eindruck entstehen, wie sie funktioniert. Gleichzeitig wird analysiert, warum die KandidatInnen, es sei dahingestellt ob bewusst oder unbewusst, genau jene Eigenschaften und Fähigkeiten an den Tag legen müssen, welche in der ‚postindustriellen’ Produktion von jedem und jeder Einzelnen gefordert werden. Dabei wird das Hauptaugenmerk auf den workshop gelegt, in dem sich die letzten 27 KandidatInnen in Konkurrenz zueinander um die Plätze in den beiden Gruppen stritten, welche sich danach duellierten.

part I – casting

Am Beginn des Spektakels standen fünf castings in verschiedenen deutschen Großstädten an. Diese waren für alle offen, so dass sich insgesamt über 10.000 Menschen dort als neues, zu entdeckendes Talent versuchten. „28 Grad, über 2.000 Teilnehmer, drei Jurymitglieder und unzählige schwere Entscheidungen. Eine der größten nationalen Castingshows hat begonnen: "Popstars-Das Duell". Die Jury macht sich auf die knallharte Suche nach Gesangs- und Tanztalenten” . Die Jury, bestehend aus Sabrina Setlur, dem ehemaligen Nena-Songwriter und Keyboarder Uwe Fahrenkrog-Petersen und dem Choreograph Detlef „D!“ Soost, hatte bei jedem dieser castings die Aufgabe, eine relativ kleine Anzahl von KandidatInnen, in Stuttgart z.B. 52 aus über 2000, auszuwählen, die zu einem weiteren Auswahltreffen eingeladen wurden. So wurden in einem mehrere Stufen durchlaufenden Entscheidungsprozess eine kleine Anzahl von KandidatInnen ausgesucht, die zu einem vierwöchigen workshop nach Orlando (Florida) reisen durften, um sich dort der weiteren Auswahl zu stellen. Mit solchen Massencastings wird der Eindruck geweckt, jede und jeder hätte eine reelle Chance, d.h. das bürgerliche Versprechen der Gleichheit aller wird so hergestellt und andererseits gemäß der Logik der Verwertung sofort wieder gebrochen, da nämlich nur eine verschwindend geringe Anzahl der KandidatInnen überhaupt die nächste Runde erreicht, geschweige denn in die zu bildende Gruppe aufgenommen wird. In dieser Struktur liegt die Affirmation des Herausfallens derer, die es nicht geschafft haben – sie haben halt zu wenig Talent oder zu wenig an sich gearbeitet. Es ist die Affirmation der gesellschaftlichen Realität, dass ein Großteil der Menschen für den Verwertungsprozess schlicht überflüssig sind. Gleichzeitig wird die ‚Schuld’ am Herausfallen den Individuen selbst zugeschrieben, da sie „nicht gut genug“, d.h. nicht ausreichend an die Anforderungen angepasst waren. Es ist die Darstellung und Propagierung der totalen Konkurrenz, des Hobbesschen „Aller gegen Alle“, welche allerdings nicht nur nach dem den Subjekten relativ äußerlichen Leviathan schreit, sondern nach der ‚Leviathanisierung’ der Subjekte selbst.

part II – workshop

Hier beginnt der eigentliche Teil der show, in dem über vier Wochen lang die KandidatInnen unter ständiger Beobachtung ein umfangreiches Trainingsprogramm zu absolvieren hatten, d.h. nicht nur Tanztraining und Gesangsstunden, sondern vor allem ein militärisch konnotiertes Sport- oder eher Drillprogramm - so „absolvieren die Girls mal eben 200 Situps und 60 Liegestütze“.

Grundsätzlich, bevor nun genauer auf den Tagesablauf eingegangen wird, ist festzustellen, dass die KandidatInnen einen extrem langen Arbeitstag haben, d.h. jeder Tag beginnt um 9h morgens und der letzte Arbeitsschritt wird meist um 21h abends getan; es wird daher ein Arbeitstag von mindestens 13/14 Stunden vorexerziert (die „Kandidaten sind guter Dinge. Warum? Sie durften heute mal bis 9:30 Uhr schlafen“.) und nach ‚Feierabend’ trainieren die KandidatInnen häufig noch alleine weiter. Die vom Trainingsplan bestimmte Freizeit wird nicht als solche genutzt; kann sie auch nicht, da die flexibilisierten, für ihr Fortkommen selbst verantwortlichen Popstarsubjekte unabhängig von äußeren Umständen das von ihnen Verlangte können müssen, wollen sie im Wettbewerb verbleiben, i.e. sich ihren Arbeitsplatz sichern. In der Konkurrenzsituation sind sie gezwungen durch optimale Leistung, besser zu sein als die anderen; ein probates Mittel dazu ist das individuelle Training nach Feierabend . Die Freizeit ist so keinesfalls als freie Zeit zu verstehen. „Das Ich kann sich nicht entlassen; die Geschäftsführung des eigenen Lebens erlischt erst mit diesem selbst. Aus dem gleichen Grund greift die Selbstverwaltung des individuellen Humankapitals auch weit über das Berufsleben hinaus und kennt weder Feierabend noch Privatsphäre“ (Bröckling 2000, 155).

Die einstmals durch den Takt der Maschinen bestimmte Freizeit, in die das Vergnügen gelegt wurde, wird durch das tendenzielle in eins fallen von Arbeit und Vergnügen, welches bei den Popstars schon geschehen ist, aufgelöst. D.h. Arbeit fällt mit Vergnügen in eins. Das flexibilisierte Arbeitssubjekt kennt kein Vergnügen mehr jenseits der Arbeit. „Vergnügtsein heißt einverstandensein“ (DdA 170), der Satz aus der Dialektik der Aufklärung bekommt so eine völlig neue Bedeutung. War er gedacht als Kritik am Amusement als verlängertem Arm der Arbeit und somit der Herrschaft, welches aber immer noch außerhalb der konkreten Produktion lag, d.h. in der Reproduktionssphäre, so ist Vergnügtsein in unserem Fall in der Sphäre der Produktion angesiedelt und damit ganz klar kein verlängerter Arm mehr, sondern die Herrschaft selbst.

Entscheidendes Merkmal des Ablaufs eines Arbeitstages ist, dass eine Vielzahl verschiedener Tätigkeiten abgeleistet werden muss, d.h. jeden Tag gibt es jeweils Sportdrill, Tanztraining, Gesangsunterricht, Fotoshootings etc. Diese unterschiedlichen Tätigkeiten werden aber nicht einheitlich von allen, sondern getrennt nach Geschlechtszugehörigkeit verrichtet. Selbstverständlich haben die ‚boys und girls’ keinen Einfluss darauf, was sie den Tag über tun müssen, ihnen wird ein Tagesplan vorgelegt, der zu erfüllen ist, wobei sie sich morgens teilweise noch im Unklaren darüber befinden, was denn am Nachmittag anstehen wird. D.h. die KandidatInnen sind ständiger Beobachtung und ständigem Drill ausgesetzt und müssen zudem die Fähigkeit haben, permanent neuen Anforderungen flexibel begegnen zu können. Körperliche Leistungsfähigkeit, Anpassungsbereitschaft und extreme Flexibilität sind entscheidende Eigenschaften sowohl der „Talente“ als auch derer, die sie unterrichten. Die verlangte Leistungsfähigkeit wird gepaart mit absoluter Rücksichtslosigkeit gegenüber der körperlichen Unversehrtheit. Ist einE KandidatIn krank oder verletzt, wird sie nicht krankgeschrieben und ihr wird keine Pause gegönnt. Eine solche „Schwäche“ wird als persönliches Problem angesehen, das individuell überwunden gehört. Die Tanzschritte müssen auch mit gebrochenen Knochen oder sonstigen schmerzhaften Verletzungen funktionieren. Tun sie dies nicht, hat die KandidatIn Pech und fliegt raus. Bei der Überwindung von körperlichen Gebrechen geht mal wieder Chef D! mit gutem Beispiel voran: auch mit einem gebrochenen Daumen leitet er das Training der Popstars weiter, gönnt sich keine Pause .

Die Trainierenden befinden sich unter ständiger Beobachtung und Begutachtung seitens der ExpertInnen, der Mitstreitenden und der FernsehzuschauerInnen. Sie werden immer prompt auf Fehler aufmerksam gemacht und aufgefordert, diese unter allen Umständen auszumerzen. Hier kommt ein Feedbacksystem in Perfektion zum Einsatz. Solche Feedbacksysteme, in der betrieblichen Organisation als ‚Total Quality Management’ (TQM) bekannt, haben mehrere Funktionen. Auch wenn es Unterschiede des TQM zu den Bewertungen der Popstars gibt, so wird dennoch ein Bewertungssystem vorgeführt, welches mit den Anforderungen der Produktionssphäre konform geht. Die sogenannte 360°-Bewertung des TQM, bei der alle alle zu bewerten haben, dabei als Bewertende aber unsichtbar bleiben, gibt es bei den Popstars nicht. Der bewertende Blick unter den KandidatInnen ist also nicht als Teil der Bewertung offiziell festgelegt, aber dennoch wirksam. Die KandidatInnen stehen unter permanenter Beobachtung, werden permanent von den TrainerInnen bewertet und stehen somit unter ständiger Kontrolle. Es ist allerdings nicht nur die Kontrolle und Disziplinierung durch Beobachtung und Sichtbarkeit, sondern durch das Feedbacksystem findet eine verstärkte Selbstunterwerfung unter die gestellten Anforderungen statt. Anders als etwa im Big-Brother-Haus, welches als Modell eines Arbeitshaus des 21.Jahrhunderts gelten kann (vgl. Engemann 2002), ist hier der Produktionsprozess und die permanente Anpassung des/ der Einzelnen an denselben ohne die Produktionsstätte, das Haus/ die Fabrik, zu betrachten. Verstärkt wird die Disziplinierung qua Selbsttechnologien durch die wöchentlich stattfindenden Entscheidungsshows, in denen jeweils einige KandidatInnen ausgeschlossen werden und die Heimreise antreten dürfen. Es ergibt sich daher eine komplexe Situation: Die KandidatInnen arbeiten in Kleingruppen zusammen und gleichzeitig für sich selbst gegen alle anderen. In kürzester Zeit muss sich jede Einzelne kontinuierlich verbessern, um nicht am Ende der Woche rauszufliegen, d.h. jede muss sich in den Zustand der besten Verwertbarkeit für das Kapital bringen. Es ist die gleiche Situation wie in der postindustriellen Produktion, die durch „flache Hierarchien“ und Teamwork von zueinander in Konkurrenz stehenden sich auszeichnet. In der show wird nun vorexerzeirt, dass die sich in extrem prekären Verhältnissen Befindenden zurecht rausfliegen, da sie sich nicht genügend verbessert oder angepasst haben. „Der >>Betrieb<<, der auf diese Weise konkurrenzfähig gemacht oder erhalten werden soll, ist die Firma >>Ich&Co.<<“ (Bröckling 2000, 154). Nur wer sich als extrem flexibel, anpassungsfähig sowie fähig und willens erweist, an sich selbst zu arbeiten hat überhaupt eine Chance. „Der Innerlichkeit des modernen Arbeitssubjektes wird mehr abverlangt, es muss, bei Strafe des Statusverlustes, beständig die Marktentwicklung antizipieren, und sich und seine Ressourcen gewinnbringend einsetzen“ (Engemann 2002, 615). Darin zeigt sich, dass Popstars-Das Duell eine Propagandashow für das flexibilisierte Arbeitssubjekt des 21. Jahrhunderts darstellt. Weiteres Anzeichen ist die andauernde Ungewissheit, in der sich die KandidatInnen befinden. Dies ist die im Zeitraffer vorgeführte Prekarität von kurzfristigen, nicht abgesicherten Arbeitsverhältnissen, welche immer mehr die Sphäre der Lohnarbeit bestimmen. Nicht nur dass jede Woche einige KandidatInnen rausgeschmissen werden zeigt dies an, sondern auch die Zusammenstellung der beiden Gruppen, die dann im Duell gegeneinander anzutreten hatten. Nachdem jeweils vier für die Girl- und die Boygroup ausgewählt wurden und die Ausgewählten sich ihres Platzes sicher waren, wurde jeweils noch einE KandidatIn nachnominiert. Am Ende des Duells stand damit die Entscheidung, dass nach dem Duell wieder jede und jeder potentiell aus den Gruppen fliegen konnte. Damit wurde die Situation, in der alle mit allen in Konkurrenz standen und die Ungewissheit der Einzelnen aufrechterhalten. So wird nochmals drastisch die Auswechselbarkeit der/des Einzelnen offen zur Schau gestellt.

In der dritten Phase der show, der Duell-Phase gaben die beiden Gruppen dann noch zusätzlich eine als Streiche und Späße verschleierte Anleitung zum mobbing, indem sie sich gegenseitig sabotierten, wo es nur ging. In Zeiten, in denen ein Großteil der Menschen schlicht und einfach überflüssig für die Verwertung des Kapitals ist, wird so kulturindustriell der Kampf um die letzten verbliebenen Lohnarbeitsplätze als Spaßaktion dargestellt.

So kann festgestellt werden, dass die show Popstars-Das Duell auf mehr oder weniger subtile Art und Weise Propaganda für das flexible Arbeitssubjekt betreibt.


die produktion des traums
kulturindustrie und die verunmöglichung des nicht-identischen

Doch ist die Präsentation von den ökonomischen Verhältnissen angepassten Verhaltensweisen kein neues Phänomen der Kulturindustrie. Auch wenn Techniken und Möglichkeiten der Kulturindustrie sich im Laufe der Jahrzehnte massiv verändert haben (Man denke nur daran, dass zur Zeit, in der die Dialektik der Aufklärung entstand, kaum jemand über einen Fernseher verfügte und von einem Programm rund um die Uhr nicht die Rede sein konnte. Kulturindustrie heute ist allgegenwärtig, kaum ein Café, das nicht beschallt wird, und selbst in U-Bahn Stationen und an Bahnhöfe laufen (Reklame-) Filmchen auf Großbildleinwänden.) so hat sich doch am Prinzip wenig verändert. Kulturindustrie heißt nach wie vor: „kapitalistische Massenproduktion von Ideen und ihre Verbreitung durch Massenmedien für einen Massenmarkt“ (Ritsert 2002; 166). Kulturindustrie ist noch immer den gleichen Gesetzten der Marktförmigkeit und Verwertbarkeit unterworfen, wie in den 1950er Jahren. Lediglich bei ihren Strategien des Verkaufs sind Neuerungen zu beobachten. Seit Ende der 60er Jahre wird Widerständiges, Aufsässiges, solange es keine zu radikale Kritik am Ganzen formuliert, nicht mehr ausgeschlossen, sondern vereinnahmt, verwertet und damit gleichgemacht. Kleine Unterschiede innerhalb der bestehenden Verhältnisse können so geduldet und damit der Eindruck erweckt werden, es gäbe Vielfalt, es gäbe Neues, es gäbe Individuelles. Ein zum vorliegenden Text passendes Beispiel hierfür wäre der exzentrische aber doch brave Superstar Daniel Kübelböck. Doch Kulturindustrie verdoppelt das Sein wie eh und je, stellt das Leben der Menschen in den vorhandenen gesellschaftlichen Verhältnissen nochmals dar, setzt diese als wahr ohne sie kritisch zu hinterfragen. Der „gesellschaftlich wirksame Geist (...) beschränkt“ sich, so Adorno 1954, nur darauf, „den Menschen nur noch einmal vor Augen zu stellen, was ohnehin die Bedingung ihrer Existenz ausmacht“, und „dies Dasein (wird) zugleich als seine eigene Norm proklamiert“ (Adorno GS 8, 476f.). „Kulturindustrie bietet als Paradies denselben Alltag wieder an“ (DdA 167). Sie verschleiert dabei, dass auch diese Verhältnisse, dass sogar die Wahrheit ein „im Sinne der gesellschaftlichen Kontrolle Vorgeformtes“ (Adorno GS8; 476) Gewordenes und damit Änderbares sind. Die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse erscheinen so als die richtigen und einzig denkbaren. Außerdem wird Gerechtigkeit vorgegaukelt, wo definitiv keine vorhanden ist. Nach der hegemonialen Ideologie bekommt jede das, was ihr zusteht, das ihrer für die Gesellschaft erbrachten Leistung äquivalente . Und: jedeR kann es schaffen bis ganz nach oben. Theoretisch kann es jedeN treffen, doch ist dabei ebenfalls klar, dass es nicht allen gelingen kann, dass fast alle diese Chance nie bekommen werden und sich mit ihrem tristen Leben abfinden müssen. Sie sollen sich dann eben am Glück des Filmhelden oder des Popstars erfreuen. „Die Ideologie steckt in der Wahrscheinlichkeit,“ „nur einer kann das große Los ziehen“ (DdA 171). Hierin steckt die Ideologie noch verstärkt. Denn es ist immer ein ganz besonderer Typ, der „es schafft“, immer jemand absolut konformes, angepasstes. Dieser Mechanismus lässt sich bei den Popstars besonders gut beobachten. Es ist von Anfang an klar, dass nur eine Band gewinnen kann, dass sich der Traum vom großen Erfolg nur für eine Handvoll der über 10.000 TeilnehmerInnen erfüllen kann. Durch das angebotene professionelle Gesangs- und Tanztraining und die damit verbundene ständige Betreuung durch ExpertInnen sowie deren an das interessierte Fernsehpublikum gerichteten Urteile über die Probanden wird der Eindruck vermittelt, dass es wirklich die Besten sind, die nicht rausfliegen. Durch die Auswahl der SiegerInnen per Ted wird gewährleistet, dass niemand, die oder der allzu sehr aus dem vorgegebenen Rahmen des mainstreams fällt, auf lange Sicht dabeibleiben kann. Gerade bei den deutschen Ausführungen dieser shows fällt auf, dass es die aller langweiligsten, alltäglichsten Charaktere sind, die „Erfolg“ haben. Menschen, die man kaum von anderen unterscheiden, Menschen, die nicht aus der Masse herausragen: der Durchschnitt setzt sich durch.

Allerdings wäre es grundfalsch ob des gezeigten Vorexerzierens dessen, was das neue, flexible Arbeitssubjekt ausmacht anzunehmen, die MacherInnen der show wollten die ZuschauerInnen gegen deren Willen manipulieren, damit sich diese ebenfalls die von der Ökonomie geforderten Eigenschaften aneignen mögen. Eine solche Kritik greift viel zu kurz. Zwar trägt die Kulturindustrie zweifelsohne auch außerhalb der Reklamesendungen und –seiten zu Manipulationsversuchen bei, zeigt den ZuschauerInnen, wie sich zu verhalten haben usf. Doch funktioniert Kulturindustrie, wie der Reproduktionsprozess insgesamt, als ein Kreislauf, ein Zirkel, in dem diverse Momente wirken. Die Manipulation ist nur einer davon. Weitere Momente sind das Bedürfnis der Menschen, welches auf andere Teile des Zirkels zurückwirken kann und die kulturindustrielle Warenfertigung als solche.

Eine besondere Rolle erlangt die Kulturindustrie dadurch, dass ihre Produkte sowohl solche der Basis – sie werden durch Verausgabung von menschlicher Arbeitskraft hergestellt und sind abhängig vom jeweiligen Stand der Produktivkräfte – als auch solche des Überbaus sind. Schließlich handelt es sich bei Kunstwerken um geistige Gebilde, worunter auch die der Kulturindustrie unter der Kategorie niedere Kunst fallen. Diese bergen Ideologie in sich, tragen also zur Manipulation bei und schaffen Bedürfnisse, die sie dann befriedigen können. So rechtfertigen VertreterInnen der Kulturindustrie „das niedrige Niveau ihrer Produkte mit dem niedrigen Rezeptions- und Bildungsniveau der Konsumenten und mit dem ökonomisch- technologischen Bedingungen der Produktion, die es erforderlich machten, allgemein verständliche Massenprodukte zu erzeugen“ (Demirovic 1999; 91). Doch damit trägt sie selbst dazu bei, dieses niedrige Niveau zu festigen. Die Produzierenden stellen genauso wenig autonome Subjekte dar wie die lediglich Konsumierenden. Auch sie müssen sich dem Subjekt Kapital unterordnen, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sein wollen. Auch die ProduzentInnen müssen sich den Verhältnissen anpassen, können nicht im luftleeren und voraussetzungslosen Raum einfach tun, was sie wollen, einfach irgendetwas produzieren. Die auf die Verkäuflichkeit ihrer Waren Angewiesenen müssen sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten, welche ihre Waren kaufen sollen. Kulturindustrie könnte nicht existieren, „wofern sie nicht den Massen sich anpasste“ (Adorno GS10.1; 337). Dies zeigt sich an der Quote der Endrunden-Staffel von Popstars-Das Duell, die bei 39,2% bei den jungen ZuschauerInnen (14-29jährig)lag (http://www.partywelt.de).

Die Bedürfnisse der Menschen sind nicht einfach vorhanden, gottgegeben oder ähnliches. Auch sie werden produziert, sind gesellschaftliche Kategorien, sind gesellschaftlich vermittelt – schließlich bestimmt in letzter Instanz das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein. Kulturindustrie muss sich nach ihnen richten. So antworten die oben aufgeführten Sendeformate auf gesellschaftliche Bedürfnisse und sind deshalb so erfolgreich. Massenkultur insgesamt ist Adaption an den Konsumenten (Adorno GS3; 303). Sie muss ihren Tribut an die Zeit entrichten, als Teil der Basis muss sie die jeweiligen Produktionsverhältnisse berücksichtigen, als Teil des Überbaus muss sie sich nach der je herrschenden Ideologie richten. Jedoch beeinflusst die Kulturindustrie, wie oben bereits kurz angedeutet wurde, die Entstehung dieses Bedürfnisses massiv, versucht die Herrschaft darüber zu gewinnen . Sie schafft also Verhältnisse, welche auf sie zurückwirken, nach denen sie sich schlussendlich selber richten muss.

Viele KonsumentInnen bestehen unbeirrbar auf die „Ideologie, durch die man sie versklavt“, wie „freilich die Beherrschten die Moral, die ihnen von den Herrschenden kam, stets ernster nahmen als diese selbst“ (DdA 158). Verhält die Kulturindustrie sich einmal anders als gewohnt, werden die KonsumentInnen misstrauisch, beschweren sich (ebd.173). Adorno kommt daher zu dem Schluss, dass die Welt betrogen werden will von der Lüge, die sie eigentlich durchschaut (Adorno GS10.1; 344).

Die einzelnen Momente der Kulturindustrie tragen dazu bei, den Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis immer dichter werden zu lassen, wodurch es immer schwieriger wird, kritisches, nonkonformistisches Gedankengut, gar Nicht-Identisches durch das Mittel Kulturindustrie zu verbreiten. Kulturindustrie, die, dies sollte immer beachtet werden, nur ein Teil, und noch dazu ein relativ kleiner der Gesamtökonomie ist und in diesem Kontext ihre Rolle erfüllt, scheint ihren kategorischen Imperativ fast verwirklicht zu haben: „du sollst dich fügen, ohne Angabe worein; fügen in das, was ohnehin ist, und in das, was, als Reflex auf dessen Macht und Allgegenwart, alle ohnehin denken“ (Adorno GS10.1; 343). Die Stereotypisierung ihrer Inhalte schreitet scheinbar unaufhaltsam voran, da die Kulturindustrie ihre Waren an möglichst viele Menschen bringen, ihre Güter verwerten muss. Zur Aufrechterhaltung und Steigerung der Verwertbarkeit werden die Güter nach bestimmten Schemata produziert und gleichen sich somit tendenziell an. „Alle Massenkultur unterm Monopol ist identisch, und ihr Skelett, das von jenem fabrizierte begriffliche Gerippe, beginnt sich abzuzeichnen“ (DdA 145). Doch die Stereotypisierung vollzieht sich nicht nur in den kulturindustriellen Produkten. Auch die Menschen gleichen sich immer mehr an. Sie werden vor dem Fernseher zu Objekten gemacht, der bereits geschlagene Feind: das denkende Subjekt (Vgl. DdA 176), Vorstellungskraft und Eigensinn wird ihnen durch den immer sich wiederholenden Konsum des Immergleichen ausgetrieben, ihre eigene Durchschnittlichkeit, ihr eigener Konformismus erscheint so als Verdienst und zu erreichendes Ziel. Wer nicht mitreden kann beim belanglosen small-talk über die gestrige Popstarausgabe ist schnell als „Dummchen oder Intellektueller verdächtig“ (Adorno GS3; 331) und hat es schwer in der Arbeitsvolksgemeinschaft akzeptiert zu werden.

„fun ist ein stahlbad“ (dda)

Kulturindustrie trägt dazu bei, die katastrophalen Verhältnisse zu verschleiern und die Menschen den ökonomischen Erfordernissen anzupassen. Es findet sich in solchen kulturindustriellen Formaten die ‚zeitgemäße’ Entsprechung des Grades der Vergesellschaftung des Subjektes, also des Anteils des Objekts im Subjekt. Analog zur Bewegung innerhalb der organischen Zusammensetzung des Kapitals schreibt Adorno über den Prozess der Vergesellschaftung des Subjektes: „Es wächst die organische Zusammensetzung des Menschen an. Das, wodurch die Subjekte in sich selber als Produktionsmittel und nicht als lebende Zwecke bestimmt sind, steigt wie der Anteil der Maschinen gegenüber dem variablen Kapital“ (Adorno GS4; 261). Diese Bewegung ist allerdings nicht als Totalisierung der Totalität zu fassen, sondern als Bewegung innerhalb der Totalität. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch immer, analog zur Bewegung im Kapital, Gegentendenzen zur Entsubjektivierung einsetzen können. Das Subjekt als widersprüchlich konstituiertes, d.h. einerseits unterworfenes andererseits autonomes, trägt immer beides zumindest als Möglichkeit in sich. „Das Individuum verdankt seine Kristallisation den Formen der politischen Ökonomie, insbesondere dem städtischen Marktwesen. Noch als Opponent des Drucks der Vergesellschaftung bleibt es deren eigenstes Produkt und ihr ähnlich. Was ihm den Widerstand erlaubt, jeder Zug von Unabhängigkeit, entspringt im monadologischen Einzelinteresse und dessen Niederschlag als Charakter“ (Adorno GS4, 169).

Um in der tendenziell entsubjektivierten Gesellschaft überleben oder gar „Erfolg“ haben zu können, ist unbedingtes mitmachen unumgänglich. Kulturindustrie ist, wie die kapitalistische Gesellschaft insgesamt „zur Katastrophe angewachsen und in Totalität umgeschlagen“ (Metzger 2003). So haben z.B. die das moderne Arbeitssubjekt vorlebenden Popstar-KandidatInnen, die nicht perfekt nach den gegebenen Vorgaben sich verhalten und sich einen Rest Individualität in ihren Gesangs- oder Tanzstil bewahren, keine Chance auf ein weiterkommen. Nicht perfekt nach Maßgabe sich verhalten zu können, nicht perfekt zu funktionieren für einen anderen, außerhalb seiner selbst stehenden Zweck erscheint so als Schwäche / Fehler des Subjekts. Doch gerade in dem Zwecklosen läge die Subversion der bestehenden Verhältnisse. Die show zeigt nun zweierlei an. Erstens: das flexibilisierte Arbeitssubjekt ist eines, dem jegliche Autonomie ausgetrieben wurde. Die Popstar-KandidatInnen sind die kulturindustrielle Darstellung des Menschen, der zum reinen Produktionsmittel geworden ist, indem alle Bereiche des Lebens dem betriebswirtschaftlichen Selbstmanagement und damit der Verwertung unterworfen sind. Es wird deutlich, dass hier qua Unterhaltung das unbedingte Mitmachen als Erfüllung propagiert wird. Die so als Spaß propagierte komplette Unterwerfung endet zwangsläufig im nationalen Kollektiv und damit im Stahlbad. Angezeigt wird dies z.B. durch die Kampagne der Bundesregierung für „Ich-AGs“ „Arbeiten für Deutschland“. Das flexibilisierte Arbeitssubjekt ist seiner Individualität und Autonomie vollständig entledigt und findet sie als falsches wieder als Teil des Subjektes Nation. Zweitens: Popmusik hat einen solchen Grad der Warenförmigkeit erreicht, in dem das Subversive aufgehört hat zu existieren, sollte es denn überhaupt jemals existiert haben. Popmusik könnte einzig und allein dort noch Subversion sein, wo sie aufhört Popmusik zu sein.

In einer dem Verwertungsprinzip total unterworfenen Gesellschaft, in der auch das, was sich einst als subversives Potential der Popmusik gerierte durch die integrative Macht der Kulturindustrie selbst zur Ware durch und durch geworden ist, kann dieses kein Feld (mehr) sein, auf dem nach Autonomie und dem unaufgelösten Rest des Individuums zu suchen wäre, auch wenn einige PoptheoretikerInnen anderes behaupten mögen.

In der steten Wiederholung des Immergleichen, das sich aber unterschiedlich und immer neu gibt, zeigt sich, dass es neues nicht geben kann, anderes nicht geduldet wird. „Die inzwischen universale Diktatur der Popindustrie ist Verfügung über das Bewusstsein derer, die ihr unterworfen sind“ (ebenda). Und daraus scheint es derzeit kein Entrinnen zu geben.

gruppe frankfurter kranz