editorial.

how to QUEER antIdeutsch?


wir - die anderen. von dieser banalen logik (der identifikation und alterisierung), die nicht nur die diskurse von nation, geschlecht, ethnie vorstrukturiert, sondern die grundlegenden koordinaten für nahezu alle politischen artikulationen bereitstellt, ist auch die linke (debatte) nicht frei. im gegenteil: je marginaler ihre gesellschaftliche rolle, je geringer ihre politische wirkmächtigkeit, umso dringender die notwendigkeit, sich der eigenen bedrohten identität zu versichern. Eine binäre, dichotome struktur hat dabei identitäre effekte in zwei richtungen. Um im modus des freundin/feindin schemas zu operieren, muss sie beide pole homogenisierend konstruieren. Dabei wird nicht nur ein wissen darüber erlangt, wer die anderen und nur die anderen sind, sondern auch, wer „wir“ sind, wer „ich“ bin. Dies ist gewaltvoll in dem sinne, dass alles weichen muss, was sich dem identifizierenden zugriff entzieht; sowohl die graustufen und differenzierungen zwischen den polen, als auch die heterogenitäten, die widersprüche innerhalb der pole.

Diese struktur, die schutz vor der realen ohnmacht durch den ausschluss des zweifels, des bedrohlich uneindeutigen, des nichtidentischen organisiert, ist männlich. Es ist die struktur der männlichen subjektkonstitution. Deswegen überrascht es nicht, dass es sich bei den meisten und lautesten protagonistinnen der revierkämpfe (die sich als disko tarnen) um männlich konstruierte subjekte handelt. und - so möchte mensch ächzend hinzufügen: um was für welche!

Feministische fragen aber stellen sich nicht. Wie auch überhaupt relativ wenig gefragt wird. Das ist auch nicht nötig, „denn die Verdammung, die Anprangerung, die vernichtende Kritik fungieren als Arten und Weisen, sehr rasch eine ontologische Differenz zwischen Urteilendem und Beurteiltem herzustellen, ja sich selbst vom anderen zu reinigen [...] In diesem Sinne kann die Verurteilung der Selbsterkenntnis entgegenarbeiten, sofern sie ein Selbst mittels einer Verleugnung oder Nichtannerkennung moralisiert.“ Wenn die fronten geklärt und die grenzen stabil sind, dann liegt der fehler nicht nur immer bei der anderen, auch die gefahr einer infektion ist gebannt, wie das antideutsche cafe morgenland am beispiel einer anderen antideutschen gruppe erklärt: „Das Bahamas-Phänomen besteht darin, dass sie sich per definition zu Rassismus- und Antisemitismus-Gegnern ernannt haben und Basta.“ Mit jenem basta und dem daraufolgenden punkt wird der versuch unternommen, eine grenze zu ziehen, die ruhe verspricht: „was man hat, das hat man“. Eine solche linke identität, lässt sich wenn überhaupt, dann nur über zwang haben, um den preis des ausschlusses aller widersprüche und damit um den preis der selbstreflexion. Dass „man“ sie überhaupt nicht „haben» kann, ist erkennbar daran, dass erstens keine linke als linke vom himmel fällt und sie zweitens niemals eine fertige linke werden kann, weil die objektiven bedingungen, in deren kritik und bekämpfung ihre aufgabe besteht, sich nicht gleich bleiben, vielmehr in beständigem wandel begriffen sind. Wenn die gegnerin nicht schläft, und sie schläft nicht, egal ob es sich dabei um die kapitalistische akkumulation, das geschlechterregime oder den rassistischen diskurs handelt, dann sollten sich linke keinem verblödenden nickerchen hingeben (hört verdammt nochmal auf trotzki zu lesen).

Das vorliegende heft hat sich unter anderem zur aufgabe gesetzt, solch seeliges schnarchen zumindest kurz durch andere geräusche zu unterbrechen, also verschiedene dieser stabilen und stabilität gewährenden/produzierenden dichotomien zu dekonstruieren, ihre zentren zu dezentrieren. Vor allem jene von antideutsch/antiimp.

Aus dieser perspektive ist zum beispiel der text von café morgenland zu lesen, der hier nur unter der bedingung, dass er nicht „zensiert“ sprich: redigiert werden darf, abgedruckt ist. Von ganz (ultra) links kommend lässt das café unter der perspektive seiner polemik antiimp und antideutsch in eins fallen. Auch letzteres komme - zumindest bei einigen seiner prominentesten vertreterinnen - dort an, wo es aufgebrochen war: im deutschen mordkollektiv. Dass sich vertreterinnen der antideutschen strömung gegenseitig mit der gleichen vehemenz, wie in alten tagen bürgerlichkeit, den anschluss ans vaterland zu suchen, vorwerfen, ist nichts neues. Aber der text dammbrüche ist subversiv nicht durch seine persönlichen denunziationen (die eher humoristischen charakter haben), sondern dadurch, dass er kaum noch die differenz zwischen den zerstrittenen lagern anerkennen will. Was durchschlägt, wenn die selbstreflexion ausfällt, ist das unbewußte der deutschen subjektkonstitution - das böse wird ausgelagert. Was den einen dabei ihr antisemitismus, sei den anderen ihr antiarabismus. Allerdings argumentiert morgenland nicht nur auswegloser, sondern auch intelligenter als die meisten, die mit solch einfachen formeln meinen, mal flugs aus dem problem herausgesprungen zu sein. Wo solch voluntaristisch/unreflektiertes rumhüpfen endet, beschreibt der text von problem child. Hauptsächlich an der letzten zeitung der demokratischen linken lässt sich aufweisen, wie scheinheilig eine vermeintliche neutralität tatsächlich ist. Ähnlich wie auf der bukoveranstaltung mit moishe zuckermann anfang letzten jahres folgen der beteuerung, nicht position auf der seite einer partei beziehen zu wollen, fast gänzlich ungebrochene, einseitige verurteilungen israels, die sich im falle der dl nicht einmal erblöden, die deutsche bevölkerung zu ihrer zeugin zu nehmen.

Um eine fundamentalere dekonstruktion bemüht sich der text der schubladendiebin. In einer materialreichen analyse wird das überkommene links/rechts-schema einer grundlegenden kritik unterzogen. Die untersuchung von querfrontbildungen, die auch vor „dem eigenen lager“ nicht halt macht, dient freilich nicht dazu, einem radikalismus der mitte zu huldigen, sondern versucht ex negativo einen begriff von links zu konstruieren, der vor feindlichen und freundlichen übernahmen gefeit ist.

Borderlining betreibt auch der text „wie die nase eines mannes, so seine menstruation“. Der versuch, eine kritik des antisemitismus aus feministischer, queer-perverser perspektive zu unternehmen, betritt für hiesige debatten beinahe neuland und eröffnet möglichkeiten für neue bündnislinien.

Weil von selbstkritik nicht reden sollte, wer/welche, dann doch nur an den anderen des jeweiligen bündnisses herumzumeckern weiß, sei abschließend noch einmal der versuch unternommen, die konstruktion sinistra zu dekonstruieren. Wie beim begriff antideutsch und jeder politischen identität, ist auch das selbst, das gegenstand einer selbstkritik der sinistra sein könnte, keineswegs mit sich selbst identisch. - ohne behaupten zu wollen, dass es sich bei der sinistra, ihres zeichens massenpartei, um eine solche handelt, gilt: dass selbst die kleinste gruppe und bestehe sie auch nur aus zwei leuten durch inkohärenz, diskontinuität, gekennzeichnet, durch jene konstituiert ist. Selbst das individuum, das gemeinhin als ontologische entität, als kleinste soziale ein-heit, als unspaltbares atom gilt, zerfällt bei eingehender betrachtung in mannigfaltige linien widersprüchlicher determinierungen, die nur durch eine begrenzende macht zusammengehalten werden.

das subjekt (das alte, das moderne subjekt) wird subjekt - es erlangt kohärenz und festigkeit, die es nie hat, nie wirklich wird besitzen können, nur durch den prozess einer grenzziehung, einer definitorischen grenze, die das innen vom außen scheidet, das gute vom schlechten, das eigene vom fremden, das normale vom perversen. diese grenze wird nie undurchlässig sein und sie wird nie auf mauerschützen verzichten können, gegen ihren willen wird sie sich bewegen, bewegen lassen, sich biegen (vielleicht sogar brechen, die rev.), aber sie wird notwendig sein, für das subjekt zur sicherheit, für die ordnung zur ordnung.

Unter der langweiligen realität jener sozialen konstruktion, schlummern die kratzer, ist das subjekt weder indifferent gegen seine spezifischen kontextsituationen, noch kann es in der zeit das gleiche bleiben. Nicht einmal rückblickend kann ihm eine vollständige narrative rekonstruktion seiner bedingungen gelingen.

Wenn weder die einzelnen subjekte noch erst die politische gruppe mit sich selbst identisch ist, dann wird es eine anrufung, die mehr als bloße zuschreibung auch anerkennung in einem emphatischen sinne sein will, schwer haben. Einen solch glitschigen fisch fängt mensch nicht mit der groben hand. Mit solch grober hand aber arbeitet der gegenwärtige linke diskurs und er wird, da er seine polarisierenden politiken nur identifizierend führen kann, das nichtidentische mit lautem getöse verfehlen. Er verfehlt es. Die homogenisierenden konstruktionen verleugnen die heterogenität und offenheit auch von „internen“ diskussionsprozessen. Weder der begriff antideutsch noch irgend ein anderer politischer begriff kann in der sinistra abschließend oder gar konsensual definiert werden. Nicht einmal darüber, inwiefern und ob überhaupt ein solcher begriff für die politische debatte sich noch eignet, herrscht einigkeit. Ungeklärt ist ungezähltes. Ob sich auf genua noch affirmativ bezogen werden kann, wie es texte aus der sinistra taten, ob sich mit wertkritischem ansatz antisemitismus abschließend oder nur ansatzweise beikommen lässt, ob ökologie, als bedingung der reproduktion von jeglichem luxus, dem hedonismus vorgezogen werden muss, wie sich zur unterdrückung der palästinensischen minderheit in israel verhalten werden solle und wie sich die behauptung natürlich dürfe israel kritisiert werden sinnvoll füllen lässt.

Übereinstimmung lässt sich, wenn überhaupt, dann nur negativ formulieren. Zumal das, was „wir“ nicht wollen in jeden fall milliardenfach mehr ist, als das, was wir schon wollen können. In diesem sinne gilt: gegen die menschliche emanzipation ist jede oder jeder, die oder der für die deutsche fußballnationalmannschaft ist.


sinistra!_radikale k linke*, januar 2003