"dem ist ein menschenleben völlig egal - uns darf es nicht egal sein"

(rudolf über slobodan)

der krieg mag schon fast vergessen sein, hat aber als endgültiger schlussstrich unter die nachkriegsordnung schwerwiegende konsequenzen für die beziehungen (nicht nur) der europäischen staaten zueinander. er zeigt die verschiebung der machtpolitischen koordinaten an und verweist zugleich auf die zunehmend blutiger werdende ethnisierung sozialer konflikte im immer ungemütlicher werdenden "global village".

die neuordnung europas schreitet voran. hielten sich vor wenigen jahren noch die größten mächte der welt gegenseitig in schach und etablierten so (zumindest in europa) eine knapp fünfzigjährige periode relativer stabilität unter verzicht auf gewaltsame austragung politischer differenzen, so sind diese zeiten nun endgültig vorbei: unter dem namen nato sind die wichtigsten industrieländer europas unter führung amerikas dazu übergegangen allen übrigen ländern dieser welt ihre vorstellungen von freiheit, demokratie und 'marktwirtschaft' zu diktieren und sie ihnen notfalls unter anwendung militärischer gewalt aufzuzwingen. da die unmittelbare durchsetzung nationaler interessen durch militärische gewalt in der öffentlichkeit wohl noch immer auf eine gewisse ablehnung stoßen würde, werden diese interessen durch anrufung höherer instanzen (menschenrechte, demokratie, selbstbestimmungsrecht usw.) geadelt und somit goutierbar gemacht.

bereits im krieg gegen den irak konnten die vereinigten staaten ihren führungsanspruch in der welt unter beweis stellen. legte man hier noch wert auf die formale zustimmung der ständigen mitglieder des un-sicherheitsrates, wurden die mitglieder russland und china im krieg gegen jugoslawien erst gar nicht mehr gefragt. die missachtung des 'völkerrechts', der institutionen der vereinten nationen und der offene bruch des grundgesetzes sind zwar offensichtlich, doch wäre es reichlich naiv darüber empört zu sein. die zwischenstaatlichen beziehungen gründeten sich schon immer wesentlich auf gewalt und nicht auf irgendwelchen verträgen und konventionen. wenn eine institution wie der weltsicherheitsrat eine zeitlang von bedeutung war, dann nur deshalb, weil in dieser institution der wechselseitige gewaltverzicht derjenigen staaten zum ausdruck kam, die militärisch in der lage waren, den gesamten planeten durch ihr nukleares waffenarsenal mehrfach in schutt und asche zu legen. man nannte diesen zustand auch 'gleichgewicht des schreckens'. die missachtung russlands und chinas heißt in diesem zusammenhang, dass diese länder vom westen nicht länger als ernstzunehmende weltmächte angesehen werden, eine, angesichts der nach wie vor vorhandenen nuklearen kapazitäten, gewagte einschätzung.

die begründung für die bombardierung jugoslawiens, das kein anderes land angegriffen hatte, lag wesentlich in der weigerung der jugoslawischen regierung, die im vertrag von rambouillet vorgesehene faktische sezession des kosovo zu akzeptieren. die heuchelei des selbstbestimmungsdiskurses zeigt sich in der durchaus unterschiedlichen bewertung verschiedener 'nationaler befreiungsbewegungen': noch vor wenigen monaten wurde der chef der kurdischen pkk öcalan von den usa als "terrorist" an die türkische folterregierung ausgeliefert, nach wie vor exportiert deutschland waffen in die türkei, die als nato-mitglied sogar am krieg gegen jugoslawien beteiligt war. das messen mit zweierlei maß hat aber methode: so hat man verständnis für die "schwierigkeiten" der nato-partner in kurdistan, baskenland, nordirland oder korsika, sieht aber im bestreben der jugoslawischen regierung, die einheit ihres landes zu bewahren einen kriegsgrund - und der bock hat sich zum gärtner gemacht.

die zunehmende hegemonie nationalistischer und völkischer diskurse macht die denkfigur der prinzipiellen unmöglichkeit des zusammenlebens von menschen verschiedener sprache, religion oder herkunft zum unhinterfragten axiom. soziale konflikte erscheinen so als ethnisch bestimmte. das gilt keineswegs nur für den balkan, dessen völker angeblich noch nie miteinander leben konnten: vielmehr scheinen weltweit, aber auch und gerade in deutschland, nationale und völkische gedanken zum bestimmenden referenzpunkt des politischen denkens zu werden. ob faschisten asylbewerberheime abfackeln oder unterschriften gegen ausländerinnen sammeln - nichts scheint heute ferner zu liegen als universalismus und internationalismus.

dass vor diesem hintergrund die mehrheit der deutschen bevölkerung im krieg plötzlich ihr herz für die notleidenden kosovarinnen entdeckt haben soll, erscheint doch etwas merkwürdig: vor dem krieg wurden menschen albanischer/kosovarischer herkunft in erster linie mit "hütchenspielern", der "organisierten kriminalität" oder einer europa überrollenden "flüchtlingsflut" (spiegel) in verbindung gebracht und bild-leserinnen gruselten sich vor ihnen nicht weniger als vor der sogenannten "russenmafia" und den sich in deutschen wäldern versteckenden "rumänischen tresorknackern". die schonfrist währte aber nur kurz. kaum ist der krieg vorbei, fängt die rassistische hetze gegen jene "volksgruppen", die gerade noch als "freiheitskämpfer" inszeniert wurden schon wieder an (man beachte nur die rede von den "albanerbanden", etwa im 'spiegel' 31/99). dass die rot-grüne bundesregierung die abschiebung von kosovarinnen, die während des krieges kurzfristig ausgesetzt werden musste, wieder voll in gang gesetzt hat, wie überhaupt die parole "grenzen dicht!" hierzulande allseits geteilt wird, rundet das bild ab und lässt nur einen schluss zu: das leid der menschen aus dem kosovo interessierte nicht wirklich, sondern diente lediglich als billiger vorwand, den kampf der beteiligten nato-länder mit russland um die politische hegemonie in ost- und südosteuropa als moralischen handlungsimperativ zugunsten eines notleidenden volkes erscheinen zu lassen. dass die seit "beendigung" des krieges von der uck begonnene vertreibung der roma und serben aus dem kosovo nicht genauso als "humanitäre katastrophe" verhandelt wird, wie seinerzeit die vertreibung der albanerinnen, zeigt den vollständig instrumentellen umgang mit dem elend der menschen in der kriegsregion.

überhaupt wäre es vielleicht ganz lohnenswert, die art und weise der kriegsführung, ihre propagandistische aufbereitung und vor allem ihre mediale inszenierung einmal etwas genauer zu betrachten. die hundertfach überlegene kriegsmaschinerie der nato konnte militärisch so wichtige ziele, wie donaubrücken, wasserwerke und tabakfabriken mit ihren neusten präzisionsraketen beschießen und rücksichtslos die wohnviertel jugoslawischer städte zerbomben, ohne dass es nennenswerte proteste dagegen gegeben hätte. der fernsehzuschauer und die fernsehzuschauerin sind berechenbar, sie regen sich nur dann über etwas auf, wenn man ihnen sagt, dass sie es tun sollen. im übrigen wurde ihnen wiedereinmal allerhand geboten: brennende hochhäuser und raffinerien, unsere jungs mit rudi im zeltlager, high-tech-raketenflugsimulationen, futuristisch gestylte tarnkappenbomber, alles ziemlich klasse - einzig die grafikauflösung von "yugo-war" ließ noch ein wenig zu wünschen übrig - aber auf das nächste update sind wir schon gespannt.

nationen, seien sie nun serbisch, albanisch, deutsch oder was auch immer, subsumieren die unterschiedlichsten menschen unter ein zunächst fiktives kollektiv, das durch nichts außer der wahnhaften idee eines gemeinsamen schicksals und einer gemeinsamen geschichte (und liege diese auch tausend jahre zurück) zusammengehalten wird, dann aber für diejenigen, die nicht dazugehören sollen oder wollen sehr real werden kann. wenn die aus diesem kollektiv hinausdefinierten "anderen" erst einmal als sündenböcke für die eigene miserable lage präpariert sind, ist mit jeder barbarei zu rechnen. verhindern lassen sich rassistische pogrome und kriege zwischen sogenannten "völkern" nur durch radikale dekonstruktion der kategorien "volk", "rasse" und "nation". diese kategorien sind keine überhistorischen, quasi-naturhaften erscheinungen, sondern durch menschen gesetzte formen der vergesellschaftung, die sich, den willen dazu vorausgesetzt, jederzeit wieder auflösen ließen.

 

es gibt etwas besseres als die nation!

(sinistra! januar 2000)