Heft 4/98 »Ein runder Tisch, der so eckig ist,
daß er mitspricht«
»Tatsache« ist doch,
»daß die Erkenntnisse der Molekulargenetik und die
Techniken der neuen Biotechnologie schon jetzt Bestandteile unseres
Lebens sind und in kommenden Jahren weit größere Areale
unserer Lebenswelt erobern werden.« Und »sich
gegenüber dem Neuen zu verschließen, wäre«
sicherlich »eine ebenso falsche Reaktion wie alles Neue
ungefragt zu übernehmen.«1 Es gilt, das Unvermeidliche
mit kritischem Anstand zu begleiten und »für die weiteren
Forschungswege« als »Gesellschaft, die ja letztlich
immer betroffen ist, eine aktive Rolle« einzunehmen. Die
Gesellschaft aber sind »wir« - die
»mündigen Bürgerinnen und Bürger«. Und so
haben »wir« zunächst einmal die Aufgabe, uns eine
»eigene fundierte Meinung« zu bilden. Schön, wenn
wir bereit sind, uns dabei helfen zu lassen, wenn uns dabei jemand
hilft. Gegenwärtig finden - parallel in
fünf Städten (Bonn, Dresden, Mannheim, München,
Vevey/Schweiz) - unter dem gemeinsamen Titel
»Gen-Welten« verschiedene Ausstellungen zum Thema
Genetik und Gentechnik statt.2 »Wir« haben die Chance
genutzt und uns die Bonner Ausstellung näher angesehen. Sie trägt den nach klassischer Bildung
schreienden Titel »Prometheus im Labor«. Wer? Ein Griff
zum Lexikon tut Not: Er, der den Göttern das Feuer entriß
und es dem Menschen brachte - eine Art Initialzündung jeglicher
Technologieentwicklung? Oder er, der der Sage nach den ersten
Menschen nach dem Ebenbild der Götter aus Lehm erschuf? Nun,
wie auch immer. Im Eingangsbereich der Ausstellung
führen zwei an gegenüberliegenden Wänden angebrachte
Leuchtdioden-Lauftexte einen stummen Dialog miteinander: Eine
Schöpfungsgeschichte nach der griechischen Mythologie und eine
UNESCO-Deklaration, die zum verantwortungsvollen Umgang mit dem
menschlichen Genom aufruft. Beherrscht aber wird der Raum insgesamt
von einer Evolutions-Uhr, die verdeutlicht, wann - gerechnet auf
einen 24 Stunden Tag - die einzelnen Arten der Lebewesen auf der
Erde entstanden sind - der Mensch erschien erst zwei Sekunden vor
Mitternacht. Da haben wir’s: der Mensch, einerseits extreme
Spätgeburt in der Naturgeschichte, andererseits ein
Geschöpf, das sich promethisch (äh ja) zum gottgleichen
Schöpfer aufzuschwingen sucht und versucht ist: Der
Ausstellungsabschnitt Natur - Schöpfung - Evolution umspielt
diese Thematik. Ihr sollen wir uns stellen. Im Ausstellungsabschnitt Biologische
Grundlagen begegnen wir dem »Chromosomensatz« einiger
Tiere, der in Form von effektvoll angestrahlten,
überdimensionierten Stahlnachbildungen zu Kegeln geformt von
dem jeweils zugehörigen Tier an der Spitze gekrönt wird.
Der Informationswert - kleine Tiere (Schmetterling) können mehr
Chromosomen haben als große Tiere (Mensch) - steht in
auffälligem Gegensatz zum recht monumentalen Aufbau dieser
Skulpturen. Dafür aber gewinnen Chromosomen hier den Anschein
von Solidität, ja von tatsächlichem Baumaterial: Ich kann
mir mit Chromosomen einen Kegel bauen; die Assoziation, mittels
Chromosomen auch Leben zu »bauen«, ist davon nicht weit
entfernt. Sehr viel anspruchsvoller zur Sache geht es
dann auf Stellwänden, die die Vorgänge in einer Zelle
erklären sollen. Dabei erscheint die DNA als Hauptakteur; sie
zeichnet verantwortlich für Prozesse des Stoffwechsels, der
Fortpflanzung und der Zellteilung. Wer hier jedoch nicht schon
vorher Bescheid wußte, weiß nachher auch nicht viel
mehr. Ein spektakulär gemachter 3-D Trickfilm (Rot-Grün
Brillenzwang), der uns in das Innere einer Zelle entführt,
hilft da auch nicht weiter. Daß im übrigen auf den Fotos
zunächst gar nichts und erst nach längerem Rätseln
über die beschreibenden Texte manchmal etwas zu erkennen ist,
hätte Anlaß geben können, ein paar Worte
darüber zu verlieren, daß es sich bei den sichtbaren
Gebilden gewiß nicht um schlichte photorealistische
Abbildungen von etwas handelt, das einfach so da ist. Vielmehr
handelt es sich um Erzeugnisse, die überhaupt nur aufgrund
spezifischer Visualisierungstechniken (z.B. Rastertunnelmikroskop,
spezielle Einfärbungsmethoden) gegeben sind. Auskunft über
das Dasein irgendwelcher Objekte geben die sichtbaren Gebilde nur im
Zusammenhang mit der Interpretation der so erzeugten Bilder, die
wiederum auf ein Wissen um die Funktionsweise der verwendeten
Visualisierungstechniken und um die Eigenschaften der dem Verfahren
unterzogenen Substrate angewiesen ist. Derlei Vertiefungen und
Überlegungen sollen dem Publikum aber offenbar nicht zugemutet
werden. Eine eher unauffällige Tafel zur
Wissenschaftsgeschichte präsentiert eine chronologische Abfolge
verschiedener Definitionen des »Gen«-Begriffs.
Mittlerweile gibt es sogar Vorschläge, diesen Begriff wieder
fallenzulassen.3 Wissenschaftliche Verunsicherungen, die Anlaß
zu wissenschaftstheoretischer Reflexion geben? Im Rahmen der
Ausstellung wohl kaum. Doch genug der Theorie - auf ins LABOR! Beruhigen, daß frau der potentiellen
Gefahr der im Labor verwendeten Substanzen Rechnung zu tragen
weiß, soll uns ein Blick durch 4 Labortüren, die den
Sicherheitsstufen S1 - S4 für gentechnische Labors entsprechend
ausgestattet sind. Während Stufe S1 noch von
»Jedermann« in Laborkleidung betreten werden darf, sind
Substanzen in Labors der Stufe S4 (in Deutschland gar nicht
vertreten) hermetisch abgeriegelt nur noch von außen mit
hineinreichenden Sicherheitshandschuhen zu bearbeiten. Alles im
Griff, oder? Informationen darüber, welche Gremien nach welchen
Kriterien die Klassifizierung der Labors gemäß dieser
Stufen festlegen - eminent politische Entscheidungen darüber,
wer unter welchen Auflagen was herstellen darf - fehlen aber. Und so gelangen wir, schon
einigermaßen erschöpft, schließlich zu den
Anwendungsfeldern der Gentechnologie. In noch stärkerem Maße gilt dies
für den großen Bereich der multifaktoriellen Krankheiten,
also solchen Krankheiten, die aus vielfältigen Ursachen
resultieren. Eine überdimensionierte Roulette-Scheibe soll dies
veranschaulichen. Gleich auf Feld 1 erfahren wir, daß Krebs -
als prominentes Beispiel für diese Krankheiten - höchstens
zu 10% erblich bedingt ist. Warum manche Krebs bekommen und andere
nicht, ist bis heute völlig unklar. Glücksspiel!? Im
folgenden wird dennoch fast ausschließlich die
molekularbiologische Seite dieser Krankheiten erläutert.
Umweltfaktoren, die gerade hier eine entscheidende Rolle spielen,
tauchen demgegenüber nur andeutungsweise auf einem der 20
Roulette-Felder auf. Dem zweiten großen Anwendungsfeld, der
sogenannten »grünen Gentechnologie«, begegnen wir
im nächsten Bereich, überschrieben mit Züchtung,
Ressourcen und Biotechnologie. Hier geht es vor allem um
Freisetzungsversuche und den Anbau transgener Pflanzen, um Genbanken
und Biodiversität. Besonders dem zuletzt genannten Aspekt kommt
dabei größere Aufmerksamkeit zu: Die globale Vielfalt des
Lebens ebenso wie deren Bedrohung wird mittels einer
überdimensionalen Weltkarte veranschaulicht. Dem Rückgang
der Vielfalt, insbesondere an Kulturpflanzen, werden dann aber in
Form der Genbanken Maßnahmen gegenübergestellt, die das
Bedenkliche dieser Entwicklung wieder abmildern: Nichts geht
wirklich verloren, solange dafür Sorge getragen wird, einige
wenige Exemplare einer bestimmten Art zu bewahren. Deutlich gemacht
wird auch, daß die Bewahrung bzw. die genetische Erforschung
der »Natur« als zukunftsträchtige Investitionen
angesehen werden: Neben den Bodenschätzen stellt nun die
biologische Vielfalt eine zentrale Ressource dar. In beiden Bereichen zur Anwendung werden die
Präsentationen ergänzt durch kurze Videoszenen:
DarstellerInnen aus der Lindenstraße diskutieren in
persönlichen Zwiegesprächen Pros und Kontras verschiedener
Anwendungsfelder der Gentechnologie. Die neuen Beimers setzen sich
beispielsweise im Zuge ihrer Nachwuchsplanung mit Fragen der
pränatalen Diagnostik auseinander. Auffällig ist dabei,
daß die Dialoge im Bereich Gesundheit und Krankheit vor allem
von Fragen der individuellen Haltung gegenüber den
»Angeboten« der Gentechnologie bestimmt sind.
Demgegenüber erörtern die ProtagonistInnen im Bereich
Züchtung, Ressourcen und Biotechnologie solche Probleme und
Chancen, die für sie offenbar eher von öffentlichem
Interesse sind. Um gesellschaftspolitische Dimensionen geht es, wenn
der Neffe mit seinem Onkel, einem Mitarbeiter eines
Industriekonzerns, über Biotechnologie und Patente
diskutiert. Eine weitere Polarisierung läßt
sich auch in bezug auf die (oftmals nicht nur implizite) Bewertung
der verschiedenen Anwendungsfelder feststellen, die u.E. einen
durchaus verbreiteten Konsens widerspiegelt. Während die rote
Gentechnologie, also der Bereich der Anwendungen in der Medizin,
fast durchweg positiv und mit Hoffnungen besetzt wird, finden sich
auf Seiten der grünen Gentechnologie schon sehr viel eher
kritische Stimmen - ja, zuweilen werden selbst ökonomische
Interessen erwähnt! Der eigentliche Ort der Kritik ist jedoch
ausdrücklich dem letzten Bereich der Ausstellung vorbehalten,
der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Ah ja, ein
Turm Pappkartons mit Aufdrucken von Käfern, huch, ein
Hybridwesen - ein »Straußenschaf«, und da: mit
Drähten gespickte Schweinsköpfe schweben über dem
großflächigen Bild eines Rudels von
MarathonläuferInnen. Die Arbeiten, so erfahren wir später,
sollen wir als Äußerungen verstehen, die »frei von
Sachzwängen zur Diskussion auffordern sollen«. Das
läßt uns aufhorchen. Sachzwänge? Es gibt also
andernorts - etwa an Orten der genetischen Forschungen oder der
gentechnologischen Entwicklungen und Anwendungen? - offenbar
Sachzwänge. Doch warum erfahren wir erst jetzt davon? Immerhin,
auch wir verstehen die Botschaft: Uniformität,
Produktförmigkeit und Massengesellschaft, wollen wir das, soll
das unsere Zukunft sein? Doch bevor wir uns in diese und andere
Überlegungen so richtig vertiefen können, werden wir vom
Aufsichtspersonal freundlich, aber bestimmt zum Verlassen der
heiligen Hallen aufgefordert. Ende der Vorstellung. Auf der Seite des
»Natur-Wissenschafts-Labor«- Blocks stehen dabei erstens
die grundlegenden biologischen Erkenntnisse, die »uns«
über die Natur der (belebten) Natur, der Evolution etc.
Aufklären; stehen zweitens die Labor-Techniken und
Labor-Substrate, vermittels derer die »Fakten« über
die Natur der Natur im Labor »entdeckt« und
»gesichert« werden; steht drittens aber auch die
»Natur selbst«: insofern die erkannte und entdeckte
Natur der Natur nämlich in der wahren Natur der Natur
gründet, die so ist, wie sie ist, und die, eben weil sie so
ist, wie sie ist, sich schließlich auch im Labor hat
herauspräparieren und erkennen lassen. Gentechnik ist
gewissermaßen die Fortsetzung der Natur mit ihren eigenen
Mitteln und insofern ein schönes Beispiel dafür, daß
es wieder einmal gelungen ist, »in der Natur vorhandene
Prinzipien«, »Ideen der Natur zu begreifen und in den
Bereich der Technik zu übersetzen«.4 Zwar wird in der Ausstellung gelegentlich
durchaus darauf hingewiesen, daß, was diese basalen
Erkenntnisse und Techniken und ihre Quasi-Symbiose mit der Natur der
Natur selbst anbelangt, manches noch ungewiß, umstritten, im
Fluß ist und manches immer wieder in Fluß gerät.
Aber dies entspricht eben dem eigenlogischen Gang der
Natur-Wissenschaften, die gerade qua stetiger Verbesserung und
Selbst-Korrektur ihrer Erkenntnisse und Erkenntnismittel zu einer
immer wahreren Wirklichkeit der Natur vordringen, von der sie sich
zugleich mindestens in the long run leiten lassen. Auf der anderen Seite steht dann »die
Gesellschaft«, die Bürger und Bürgerinnen,
jedenfalls aber »verschiedene Bereiche unseres Alltags«,
die als »Anwendungsfelder« der
(natur-)wissenschaftlichen Erkenntnisse und Techniken
präsentiert werden. In der Gesellschaft geht es jetzt um
»unsere« Gesundheit, »unsere«
Ernährung, »unseren« Nachwuchs. »Die
Gesellschaft« wird dabei bevorzugt in einer Art
»Lindenstraßen-Gestalt« vorgeführt: in
Gestalt verschiedener role-models, die von Angesicht zu Angesicht
die Probleme und Chancen erörtern, die die »neuen
Biotechnologien« mit sich bringen. Gewiß gibt es da
»in« der Gesellschaft auch die »Konzerne«
mit ihren ökonomischen Interessen, wer wüßte es
nicht, aber schließlich arbeitet da auch »unser«
Onkel mit, dem wir einmal »unsere« Meinung sagen
können und dessen gutes Recht es ist, die seinige zu vertreten.
Auch nur Menschen eben. Diese Lindenstraßen-Gesellschaft also
»begegnet« nun gleichsam der »neuen
Biotechnologie«. Die Stunde der »Anwendung« hat
geschlagen. Der Zeitpunkt ist gekommen, da »Begegnungen«
der (Lindenstraßen-) Gesellschaft mit dem
Natur-Wissenschafts-Labor-Block und seinen Errungenschaften
unvermeidlich geworden sind, und hierbei zu vermitteln, ist eines
der Anliegen der AusstellungsmacherInnen. Denn solche
»Begegnungen« sind für »die Gesellschaft, die
ja letztlich immer betroffen ist«, gewiß nicht leicht,
und verheerend wär’s, wenn sie am Ende sich allzusehr
übergangen und überrumpelt fühlt und ihr Vertrauen in
den Natur-Wissenschafts-Block, auf den sie doch angewiesen ist,
schwindet. Schön also wär’s, wenn die beiden
darüber einmal reden könnten. »Wenn diese
Ausstellung nur einen kleinen Anstoß zu einem Dialog oder gar
einem Bündnis von Wissenschaft und Gesellschaft geben
könnte, wäre schon viel erreicht.« Dann könnte
vielleicht auch »die Gesellschaft« »für die
weiteren Forschungswege (...) eine aktive Rolle
einnehmen.« Angesichts der in der Ausstellung
favorisierten Modellierung der Dialogpartner und der damit
einhergehenden Quasi-Naturalisierung des
Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks will das aber wohl nicht viel mehr
heißen, als daß sonntags gelegentlich ein paar mehr
»runde Tische« aufgestellt werden sollten. Um diese
herum gruppiert VertreterInnen des Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks
und der räsonnierenden Öffentlichkeit, geladen zur
Diskussion über Verantwortungen und Verantwortbares im Umgang
mit der neuen Biotechnologie und ihren Anwendungen. Wohlgemerkt,
eine klitzekleine Prämisse werden die DiskutantInnen beachten
wollen: Daß die Natur der Natur so ist, wie sie ist und also
im Großen und Ganzen so ist, wie sie von den dazu Berufenen
erkannt und bekannt gemacht worden ist, dafür kann niemand
etwas. Jedenfalls nicht am Sonntag. Es sei denn der Schöpfer
der Schöpfung. Der NWL-Block in der Gesellschaft und seine GesellschafterInnen Ein Labor ist ein Ort, in dem zumeist Leute,
die eine spezifische Ausbildung durchlaufen und damit zugleich einen
spezifischen gesellschaftlichen Selektionsprozeß
»überstanden« haben, als
wissenschaftliches/technisches Personal arbeiten. Sie sind
eingebunden in einen mehr oder minder hierarchisch organisierten,
arbeitsteiligen Prozeß, bei dem es darum geht, unter
Rückgriff auf die lokal verfügbaren oder akquirierbaren
Ressourcen (Geräteausstattung, Substrate, Personal mit
spezifischem Erfahrungswissen, Kompetenzen etc.) ein
»Projekt« zum Laufen zu bringen, das als
erfolgversprechend wahrgenommen wird - etwa ein neues Verfahren zur
Messung, Reinigung, Isolierung, Darstellung von X zu
»entwickeln«, zum »Funktionieren« zu bringen
etc. Im Zuge eines solchen Projekts sind die Werktätigen vor
Ort damit befaßt, Kombinationen materieller Agenten und
Re-Agenzien herzustellen, (Verlaufs- und Beobachtungs-) Protokolle
anzufertigen, über die Signifikanz und Zuverlässigkeit von
hergestellten Kombinationen, Beobachtungen etc. zu disputieren und
brauchbare Ergebnisse in eine
»öffentlichkeitstaugliche« Darstellungs-Form zu
bringen. Wie und aufgrund welcher Kriterien »Projekte«
zustandekommen und durchgeführt werden, hängt dabei von
der akkumulierten Ressourcenbasis und der sozialen Mikroorganisation
des Labors (formelle und informelle Kommunikationskanäle,
Hierarchien etc.), den sozialisatorischen Vorprägungen und
(Karriere-)Ambitionen der ForscherInnen und nicht zuletzt von den
übergreifenden institutionellen Kontexten ab, in die das Labor
eingebunden ist - im Falle von Uni-Labors etwa
Forschungsförderungsinstitutionen (z.B. DFG) oder andere
Drittmittelgeber; im Falle von Industrielabors das Unternehmen, dem
das Labor gehört und/oder die (industriellen) Kunden, in deren
Auftrag geforscht wird etc. Der »Erfolg« eines Projekts
- im Sinne eines als gelungen gewerteten Nachweises der
Funktionsfähigkeit eines Verfahrens/Artefakts etc. - ist dabei
zunächst immer eine »lokale Errungenschaft«. Ob aus
einer solchen lokalen Errungenschaft ein »Fakt«, ein
»Standardverfahren/-artefakt« wird, hängt dann zum
einen davon ab, ob sie von »relevanten AdressatInnen«
(Fachzeitschriften, ForscherInnen mit gleichem Arbeitsgebiet,
AuftraggeberInnen etc.) als prinzipiell verallgemeinerbare, d.h.
entkontextualisierbare Errungenschaft akzeptiert wird. Zum anderen
aber davon, ob sie faktisch zum Ausgangspunkt weiterer
erfolgversprechender bzw. schließlich erfolgreicher Projekte
avanciert oder taugt, was wiederum von den oben genannten Faktoren
abhängt. Bezogen auf diese Prozesse entspricht die
Natur der Natur gleichsam am ehesten dem Set der
entkontextualisierten Fakten und
Faktenzusammenhangsinterpretationen, die als von der komplexen
Dynamik ihrer Genese und Härtung gereinigter Rückstand der
Forschung etwa in die Standardlehrbücher Eingang finden. Kurz:
Insofern gentechnische Verfahren und Erkenntnisse
»gehärtet« worden sind und in kanonisierter Form
tradiert werden, wird die Natur wirklich immer schon Gentechniker
gewesen sein. Im Lichte solcher Überlegungen spricht nun wenig
dafür, daß die »Erkenntnisse der Molekulargenetik
und die Techniken der neuen Biotechnologie« sich
»Forschungswegen« verdanken, die bislang von der wahren
Natur der Natur geleitet »außerhalb« einer davon
nunmehr letztlich passiv betroffenen »Gesellschaft«
verlaufen wären. Vielmehr ist auch in diesem Fall von
»Forschungswegen« und »-bewegungen«
auszugehen, die von wechselnden und heterogenen, jedenfalls
durchwegs gesellschaftlichen Akteuren aktiv gestaltet worden sind.
Das gilt für die in den 30er/40er
Jahren einsetzende Molekularbiologisierung biologischer
Forschungsinhalte, -methoden und die damit einhergehende
Neuformierung von Forschungsdomänen und -kapazitäten. Es
gilt für die im Rahmen dieser Vorstrukturierungen einsetzende
Gen-Technisierung biologischer Forschungsanliegen in den 70er Jahren
und die daran anschließende partielle Ökonomisierung von
Forschungskapazitäten. Und es gilt schließlich - in einer
kaum mehr verkennbaren Weise - für die in den 80er Jahren
einsetzende infrastrukturelle Polit-Ökonomisierung des sich um
diese Vor-Focussierungen herum erweiternden
Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks. Während dabei anfänglich vor allem
private und staatliche Geldgeber und ForscherInnengruppen des
akademischen Forschungsbetriebs mit ihren - mehr oder minder
deutlich von gesellschaftspolitischen Beweggründen infizierten
- wissenschaftspolitischen Zielsetzungen die Forschungslandschaft
prägen, erweitert und verändert sich mit der
gentechnischen Wende alsbald auch die Akteurskonstellation. Zum
einen treten ökonomische Akteure mit eigenen
Forschungskapazitäten in die Konstellation ein, wobei es sich
zunächst um von akademischen ForscherInnen
(mit-)gegründete kleine Bio-Tech-Firmen handelt, die von
Wagniskapital leben, das sie im Handel mit schönen
ökonomischen Zukunftsaussichten auf den Finanzmärkten
akquirieren. Stabilisiert und strukturell geprägt wird das von
diesen in Angriff genommene Projekt einer ökonomischen
Auswertung und Ausrichtung der (Arte-)Faktenproduktion im
molekularbiologisch-gentechnischen Einzugsfeld dann aber vor allem
durch das verstärkte Engagement von großen Chemie- und
Agrokonzernen. Deren Dominanz im Zusammenhang mit der damit
einhergehenden infrastrukturellen Polit-Ökonomisierung weiter
Teile des molekularbiologisch-gentechnisch orientierten
Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks gründet dabei nicht nur darin,
daß sie riesige eigene Forschungskapazitäten aufgebaut
haben - z.T. durch die Übernahme von kleineren Bio-Tech-Firmen.
Sie manifestiert sich etwa auch in Gestalt von Kooperationen mit
kleinen BiotechFirmen, die - insofern sie nicht über die
nötigen Ressourcen/Kompetenzen verfügen, um
Forschungsergebnisse in Produktentwicklungen zu überführen
- darauf angewiesen sind, sich als Forschungsdienstleister für
die großen Unternehmen zu behaupten. Und sie artikuliert sich
ebensogut in Gestalt von formellen und informellen Kooperationen mit
akademischen Einrichtungen, die, insofern sie auf
»private« Drittmittel angewiesen sind, sich in einer
ähnlichen Position befinden. Zum anderen aber treten neben und
mit den ökonomischen Akteuren des weiteren auch verstärkt
nationale und supranationale staatliche Akteure hinzu, die mit der
politischen und juristischen (De-)Regulierung sowohl von Aspekten
des Forschungsbetriebs (z.B. Sicherheits-/Genehmigungsvorschriften)
als auch von institutionellen Rahmenbedingungen befaßt sind.
Diese sind nicht zuletzt für die Art und Reichweite der
gesellschaftlichen Implementation gentechnischer Errungenschaften
gewiß von einiger Bedeutung (z.B. Patentgesetzgebung,
Kennzeichnungs- und Produktzulassungsvorschriften/-kriterien).6 In diesem hier nur angedeuteten Zusammenhang
sind die sukzessive hervorgebrachten, gehärteten und
verbreiteten »Erkenntnisse der Molekulargenetik und Techniken
der neuen Biotechnologie« als sozial verortbare historische
Errungenschaften zu verstehen. Sie verdanken sich einer Reihe von
selektiv aneinander anschließenden Einzel-Projekten, die
eingebunden sind in übergreifende Forschungsbewegungen. Sie
sind Resultat und Bestandteil von Forschungswegen, die sich im Zuge
der Auseinandersetzung interessierter Akteure herauskristallisiert
haben und durch den selektiven Ausbau von Ausbildungs- und
Forschungskapazitäten in ein befestigtes Netz von
Forschungsstraßen überführt worden sind. Als
Verkehrsknotenpunkte und einstweilen unverzichtbares Pflaster dieses
Forschungsstraßennetzes haben die in der Ausstellung
vorgeführten Erkenntnisse und Techniken ihren Status als
quasi-naturale Garanten einer erweiterten Akkumulation von
Erkenntnissen und Techniken erlangt. Kurz: Aus der hier skizzierten Perspektive
heraus existieren die »Erkenntnisse der Molekulargenetik und
die Techniken der neuen Biotechnologie« in ihrer spezifischen
historischen Gestalt und Wertigkeit jeweils nur mit den von
durchsetzungsfähigen Akteuren getragenen und infrastrukturell
befestigten hegemonialen Forschungs(aus)richtungen, die in der
werktäglichen Produktion von Fakten und Artefakten ihren
Niederschlag finden und in Gestalt der produzierten Fakten und
Artefakten ihrerseits zusehends »realer« werden. Arte-Fakten schaffen Insofern frau die Gesellschaft und die
GesellschafterInnen des Natur-Wissenschafts-Labor-Blocks nicht
hinter den (Arte-)Fakten bzw. einer wahren Natur der Natur
verschwinden läßt, ergibt sich auch ein etwas anderes
Bild der Problematik, die den AusstellungsmacherInnen als
Aufhänger für ihr Vermittlungsanliegen dient. Als
»passiv« Betroffene innerhalb der Gesellschaft lassen
sich dann nämlich in der Tat jeweils diejenigen ausmachen, die
zum einen keinen nennenswerten Einfluß auf die Formierung des
Natur-Wissenschafts-Blocks, die angelegten und ausgebauten
Forschungswege und die daraus hervorgehenden Fakten und Artefakte
haben und denen zum anderen wenig Chancen gelassen werden, sich dem
Part, den sie als PatientInnen, KonsumentInnen etc. im Rahmen der
mit Fakten und Artefakten bewehrten hegemonialen sozialen Projekte
zuletzt doch noch zu spielen haben, zu entziehen. Schon möglich
also, daß ein großer Teil der dialogisierenden
Lindenstraßen-GesellschafterInnen in diesem Sinne letztlich
wieder einmal passiv betroffen sein wird. Passiv betroffen aber sind
die passiv Betroffenen eben nicht von am Ende in der wahren Natur
der Natur gründenden »Erkenntnissen und Techniken der
neuen Biotechnologie«, sondern von Erkenntnissen und
Techniken, die Resultat und Bestandteil gesellschaftlicher Prozesse
sind, in und mit denen realitätsmächtige gesellschaftliche
Akteursverbünde Arte-Faktizitäten schaffen. Daß und
wie vor diesem Hintergrund die passiv Betroffenen zukünftig
eine aktive Rolle spielen sollen, das wäre in der Tat ein
interessantes, aber eben doch ein wenig anders gelagertes Thema.
Eine solche Re-Interpretation der
Themenstellung hängt mit der sozialwissenschaftlichen
(Re-)Konstruktion der Ist-Zustände und herrschenden
Verhältnisse in Sachen »Gen-Welten/-technik«, die
im vorstehenden skizziert worden ist, aufs engste zusammen. Zum
einen nämlich verdeutlicht diese (Re-)Konstruktion, daß
generell im Hinblick auf die Art und Reichweite der
gesellschaftlichen Produktion und Implementation von Gen-Welten
allemal die gesellschaftlichen Er- und
Entmächtigungsverhältnisse ausschlaggebend dafür
sind, wer in welcher Weise an welcher Stelle und in bezug auf was
einen Einfluß auf deren Durchsetzung hat bzw. haben kann.
Statt, wie in der Ausstellung, die diesbezüglich relevanten
Akteurs- und Interessenkonstellationen nicht allzu deutlich zu
benennen, wäre in dieser Hinsicht eine Informationspolitik zu
favorisieren, die ein »Wissen« um und über die
gesellschaftlichen Er- und Entmächtigungsverhältnisse
sowohl in den Vordergrund rückt als auch zu vermitteln
versucht. Zum anderen macht sie deutlich, daß es
dabei im besonderen darauf ankommt, auch den
Natur-Wissenschafts-Labor-Block als sozialen Komplex und als
Bestandteil gesellschaftlicher Er- und
Entmächtigungsverhältnisse auszuweisen. Die Ausstellung
»Gen-Welten« präsentiert die
naturwissenschaftlichen und technischen Artefakte schlicht als
»objektiv« gegebene Fakten, die gleichsam als
Abkömmlinge der wahren Natur der Natur nur von sich und
für sich selbst sprechen und daher nicht Gegenstand einer
gesellschaftlichen Debatte sein können und sollen. Im Gegensatz
dazu sollte kenntlich gemacht werden, daß es sich hier um ein
gesellschaftliches Terrain handelt, in und mit dem im Zuge der
Produktion und Härtung von (Arte)Fakten eine mehr oder minder
vielgestaltige, -gesichtige Natur der Natur (her-)ausgearbeitet
wird. Diese fügt sich zwar gewiß nicht umstandslos
beliebigen wissenschafts-, und gesellschaftspolitischen
Zielsetzungen und Interessen. Gleichwohl aber ist sie das Resultat
spezifischer wissenschafts- und gesellschaftspolitischer
Gestaltungsbestrebungen, die sich haben »umsetzen«
lassen. Eine solche Kenntlichmachung wäre Teil einer
Informationspolitik, die die »Gestaltbarkeit« und
historische Variabilität der Natur der Natur - der Fakten und
Artefakte - betont und sie zu einem Politikum macht. Ex-Post-SIfKI (25
Aufgußbeutel) |