Heft 3/99 garip dünya Beuten der StadtIm Juni 1997 setzte die Innenstadtkampagne in Parks, Einkaufsmeilen, Kinos, Veranstaltungsräumen und anderen : gefährlichen9 Orten zahlreicher Städte Zeichen gegen die Ausschlüsse und rassistischen Ausgrenzungen, die die neuen städtischen Politiken produzieren. Im darauf folgenden Jahr konzentrierte sich die Kampagne vielerorts auf die Bahnhöfe, deren Service/Sichheits/Sauberkeits-Programme als Prototyp cleaner und kontrollierter Urbanität kritisiert wurden (»Eure Sauberkeit kotzt uns an«). Auch wenn die Kampagnen wenig Spuren in den Städten hinterlassen haben, so haben sie innerhalb der linken Szene für die Thematik des städtischen Raums als Brennpunkt der Inneren-Sicherheits- Mobilisierung und Modernisierung erfolgreich sensibilisiert. Mittlerweile ist man wieder runter von den Straßen und Plätzen; dennoch gibt es sie noch, die Auseinandersetzung mit den städtischen Verdrängungskämpfen; man könnte jedoch sagen, daß sich ihre Formen »kultiviert« haben: Die Berliner Ausstellung der AG Baustop Randstadt vom vergangenen Herbst erschien mittlerweile beim b_books Verlag im Foto-Text-Bildchen-Collagen-Format. Die Zeichnungen Andreas Siekmanns waren im Frankfurter Portikus zu sehen (siehe Jeans-Job). Und nun liegt das Buch Die Stadt als Beute vor, in dem sich vieles von dem findet, was im Kontext der Kampagne diskutiert und auf die Tagesordnung gesetzt wurde: Die drei Autoren Ronneberger/Lanz/Jahn alias space-lab zeichnen nach, wie angesichts des Niedergangs traditioneller städtischer Ökonomien und eines forcierten Wettbewerbs zwischen Städten und Regionen nahezu allerorts städtische Managements das neue Credo kommunaler Politik durchgesetzt haben: Um der »Zukunftsfähigkeit« willen müsse die Stadt als wirtschaftliches Unternehmen geführt werden und sich auf die Anforderungen der neuen Ökonomie einstellen. So werden die Teppiche ausgerollt, also Gewerbeflächen ausgewiesen, Genehmigungen eilig erteilt und kommunale Gremien ausgehebelt, um Investoren und Konzernspitzen davon zu überzeugen, daß jeweils vor Ort die kapitalfreundlichste Zone eingerichtet wurde und die schnelle (Spekulations-)Mark zu machen sei. Die Autoren legen ihr Augenmerk dabei auf die Bereitschaft der Städte, ordnungspolitisch all diejenigen wegzupolieren, die als Kratzer im neuen städtischen Hochglanzlack ausgemacht werden. Während die gegenwärtige Stadtentwicklung die städtischen Bevölkerungen mit gravierenden Einschnitten in kommunale Versorgungs- und Sozialleistungen, gesteigerten Mietpreisen oder dem Verschwinden der alteingesessenen Eckkneipe konfrontiert, fungiert markige law&order Politik als neue Form der Integration des urbanen »Volkes«: Mögen sich andere Gegensätze auch noch so sehr zuspitzen . unter dem Banner der Gefahrenabwehr finden sich die verschiedenen Klassen der Mehrheitsgesellschaft als gemeinsam Bedrohte ein; publicityträchtig inszenierte Sicherheitspavillions und ein Heer von Uniformierten signalisieren, daß die Städte mit harter Hand gegen die als »gefährliche Klassen« Stigmatisierten vorgehen. Der space-lab Crew zufolge zeichnet sich die gegenwärtige StadtalsStandort-Modernisierung gerade dadurch aus, daß sie das Modell gleichlaufender räumlicher Entwicklungen aufbricht und ein »Regime der Differenz«, d.h. ein hierarchisiertes Städtesystem und polarisierte Stadträume im Inneren entfaltet. Dies fängt das Buch dadurch ein, daß es als plastischer Streifzug durch eine sich rasant verändernde städtische Geographie geschrieben ist: Der Blick wandert von Stadt zu Stadt . und endlich einmal auch zu ostdeutschen Städten . und zeigt anhand zahlreicher konkreter Beispiele, wie sich der neue Stadttyp durch lokale Unterschiede hindurch formiert. Gerade aufgrund dessen ist es jedoch schwierig, die Entwicklungen einem allgemeinen Topos zu unterstellen, da es in den einzelnen Städten nicht nur sehr unterschiedliche Startbedingungen und Lobbies (den Sozi-Gewerkschafts-Filz im Pott, den Finanzkomplex in FFM, die Rüstungsindustrie in und um München) für den »Neuanfang« gibt, sondern eben auch durchaus unterschiedliche Strategien desselben. So zeigte sich bereits während der Innenstadtkampagne, daß von der neoliberalen Restrukturierung der Städte zu sprechen zwar schön und gut und nötig war, die Situation von Ort zu Ort aber sehr variiert. Während Hamburg, die Krisenstadt der . 80er, durch frühzeitige Weichenstellung auf private-public-partnership längst wieder zur erfolgreichen Handels- und Unternehmensstadt avanciert, verpflichten sich andere Städte der trüben Aussicht, durch die Umwandlung ihrer kahlgeschlagenen Produktionsstandorte in kontrollierte Konsum- und Spektakelparks nicht völlig ins Abseits zu geraten. Was Oberhausen sein CentrO, ist Bremen sein Space Park. So bleibt die Suche nach einem Generalbegriff des neuen Stadttyps auch der Punkt, an dem die Autoren ins Lavieren geraten. »Neofeudale« Stadt, »ständische Bürger«-Stadt? Treffend scheint die These von der »revanchistischen« Stadt, macht diese darauf aufmerksam, wie stark die gegenwärtige Offensive als Attacke gegen die Arrangements der vorausgehenden Jahrzehnte vorgetragen wird (oh ja, die fordistische Stadt war häßlich und mittelmäßig). »Revanchistisch« beschreibt den Gestus von Rückeroberung, in dem von überstrapazierter Toleranz schwadroniert wird und sich nun die Kontrolle über Räume zurückgenommen werden soll, die angeblich vom Ganoventum, der Unmoral und dem Elend in Besitz genommen wurden. So gelungen das Buch auch ist . bezieht man es auf die Innenstadtkampagne repräsentiert es gemeinsam mit den oben genannten Projekten der vergangenen Zeit doch irgendwie die einseitige Verlagerung der Auseinandersetzung mit der Stadt zwischen Buchdeckel und in Bilderrahmen. Feister stadtsoziologischer Nachschlag? Ob dies tatsächlich so ist, bleibt, bleiben muss, ist nun aber wahrlich nicht Sache des Buches. Die Stadt als Beute . es kommt drauf an, was man draus macht. Christian Sälzer ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die Jeanshose war in ihrer Geschichte eine Arbeitshose und ist heute ein Symbol für Jugend, Freizeit und Mode. Nur was ist, wenn die Jeans keinen Job findet. Hanna Handy und Valie Wartebein warten ständig auf ein Angebot, Charly Chance nimmt gleich eine Zeitung zur Hand, nur Theo Tunix genießt die Zeit. Harry Habenichts will protestieren und Eva Ebbe steht mal wieder vergeblich am Bankautomat. Ria Runde will es ebenso machen wie in der Werbung, während Quirin Quote sich ständig im Fernsehen bei den Nachrichten bestaunt. Für Paula Prekär zeichnet sich vielleicht ein Weg als Kellnerin ab. Dieter Daheim guckt lieber in die Ferne in den Wald aus lauter Kränen und weiß, bald wird auch diese Aussicht sich verschließen. Alle im Jeans Job wollen bald eine Perspektive. Die »Fremdfiguren für Ferrero« (aus Knetgummi, signiert und numeriert) sind der Portikus-Edition von Andreas Siekmann entnommen. Diese war von August bis September diesen Jahres im Frankfurter Portikus in der Ausstellung »aus: Gesellschaft mit beschränkter Haftung« zu sehen. Zu den dort ebenfalls ausgestellten Zeichnungen Siekmanns unter den Titeln : Ware-Person-Ware9 , : Arbeitskampf-Revue9 , :Falsche Freiheit Frankfurt9 u.a. siehe com.une.farce no.3. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Und tatsächlich: Ein paar »Youngsters«, wie sich manche Jung-MdBs der SPD neuerdings nennen, haben eine neue Zeitschrift gegründet. Mit »Ber-liner Republik« ist ihnen wohl die großkotzigste Namensgebung der letzten Zeit gelungen. Hans-Peter Bartels, Mitherausgeber und ebenfalls »Jung-Star«, liefert in Die Zeit (40/99) einen kleinen Vorgeschmack. G-E-N-E-R-A-T-I-O-N B-E-R-L-I-N heißt sein Artikel und bereits im ersten Satz läßt Bartels die Sau raus: »Wir sind brav, nett, korrekt und pünktlich, strebhaft, staatstragend, milde, spießig, so langweilig wie ein Volkswagen: unsere praktische : Generation Golf9 eben.« Hat er natürlich nur Spaß gemacht, der kleine Schröderracker. Doch wieder zurück zu(r) Bude, wo es eher soziologisch zugeht. Also seinen Jungs, die selbst noch nicht genau zu wissen scheinen, was die »Gene-ration Berlin« eigentlich sein soll, hat er das im Willy Brandt-Haus (richtig: mitten in Berlin) klipp und klar gesagt. Um dem wissenschaftlichen Bemühen, dem Kanzler Jugendlichkeit zu schenken, gebührend zu begegnen, wird die zentrale Kategorie im folgenden hochachtungsvoll »das GB« genannt. Um . 65 geboren ist das GB unter den Knappheitspostulaten und dem »Weiter so« der 70er/80er aufgewachsen. Seine besten Jahre verbrachte es entweder mit Dekonstruktivismus oder aber »populär« orientiert mit Punk-rock. Jobmässig gibt. s für das GB auch nix zu meckern, denn gesicherte Arbeitsverhältnisse kennt es ohnehin nicht. »Risikokompetenz« ist sein Gütesiegel. Seinen 68er-Chefs hat es genau auf die Finger geschaut. Und weil man als AngestellteR ja nicht übermäßig das Maul aufreißen kann, spürt man in »skeptischer Abgeklärtheit« die »blinden Flecken des Unternehmens der Gesellschaftskritik« auf: Selbstbefreiung, Gleichheit der Förderung, das Dagegensein. : Alles Selbstbetrug9 , ereifert sich das zur Revolte zu spät gekommene Persönchen. Daraus ist doch nur Selbstzwang, Ungleichheit der Leistung und ein Dabeisein geworden. Ein wohlwollendes Lächeln vom Chef läßt sich damit allemal ergattern. Aber wo bleibt denn da das Positive? Am Ende der 80er drohte das GB, an der Nadel des Skeptizismus hängend, »die Bereitschaft zur Gegenwart« zu verlieren. Doch da kam die Rettung: »das Revolutionsjahr von 1989 . die Wiederkehr der Geschichte«. Man erinnert sich: Da waren welche, die verbrachten ihre Adoleszenz mit der Konservativen Revolution (die intellektuellen Totengräber der Weimarer Republik) oder aber populär orientiert mit Pogromen gegen Flüchtlinge und MigrantInnen. Erstere, die Salonfaschisten von der Jungen Freiheit, ließen keine Gelegenheit aus, sich das »Wir 89er!«-Etikett ans Revers zu heften. Dennoch, so recht klappen wollte es bis heute nicht mit dem persönlichen Ticket nach Mitte. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß Karl Heinz Weissmann, der Geschichtslehrer mit dem 50er-Jahre-Charme, sich begeistert Budes GB annimmt (vgl. JF 33/98). Nach seinem Geschmack muß das GB »realistisch, hart und apollinisch« sein und wird in der »Auflehnung gegen die allgemeine Verschlampung« entstehen, die die »Libido-Revolution« von 68 zu verantworten hat; denn es herrscht eine allgemeine »Beunruhigung über das Wegbrechen der moralischen Dämme«. So angepaßt die 68er gottseidank mittlerweile sind . im Stahlbad der (nationalen) Zukunft werden sie sich nur verbrühen. Der Ekel vor der Republik, die zur erotischen und deshalb bedrohlichen Frau phantasiert wird, und das nationale Erweckungsgebet : Mein Reich wird kommen9 , die so typisch für Männerphantasien im Deutschland der 20er waren . Heinz Weissmann hat sie drauf. In Budes politisch-soziologischer Puppenkiste für die SPD geht tatsächlich alles ein wenig gemäßigter zu. Püppchen Bartels (»Unsere Themen sind nicht so charmant wie freie Liebe und Klassenkampf.«) bevorzugt die weichen Töne, die es an Zackigkeit dennoch nicht fehlen lassen: »große Lösungen« sind gefragt und dafür »muß allerdings Schluß gemacht werden mit einigen politischen Korrektheiten, die das Umdenken behindern.« Zum Beispiel: Migration. Falls eine »aufgeklärte« Sozialpolitik nicht genügend Manpower aus »unserer Geburtenrate« rausholen kann, wären noch ein paar Plätze frei in Berlin Mitte. Die »Integrationskräfte« müssen gestärkt werden, Schluß mit der »Multikulti-Tanzfolklore«, stattdessen »erstens, zweitens, drittens:« Die AnwärterInnen haben ge- fälligst fließend deutsch zu sprechen und solcherlei Bildungdienstleistungen gibt. s auch nicht zum Nulltarif. »Denn Leistung, nicht Herkunft, soll den Unterschied machen.« Wer sich im Assimilationswettlauf nicht an den vorderen Plätzen halten kann, erhält den Stempel »gefährlich fremd« (Der Spiegel) und wird von freundlichen BGS-BeamtInnen abgeschoben. Ähnlich sportiv geht es beim finalen Subjektentwurf des GBs zu . dem »unternehmerischen Einzelnen«. GB beschreibt letztendlich darin doch weniger eine geschlossene Altersgruppe als vielmehr eine »Gemeinschaft der Haltung«: . 89 endlich vom lästigen Suchen nach Alternativen zur kapitalistischen Vergesellschaftung befreit, ist »transzendentale Nüchternheit« angesagt. Sie steht für die Abkehr von der Kritik der bestehenden Verhältnisse, »ohne der puren Affirmation das Wort zu reden.« Es handelt sich dabei um eine wirklich brandneue Erkenntnisse hervorbringende Haltung, die nämlich »keine Position außerhalb des Spiels von Macht, Wissen und Geld vorsieht. Wer mitspielen will, muß um Verbündete für seine Definition der Wirklichkeit werben.« Ja, so funktioniert bürgerliche Gesellschaft wohl. Um das zu erkennen, brauchte Antonio Gramsci, fünfzig Jahre vor dem Crash des Realsozialismus, allerdings nicht die vorgebliche Einsicht, daß außer Kapitalismus nix mehr geht. Ganz im Gegenteil: Ihm ging es darum, nach einem neuen Modus zu suchen, mit dem die Subalternen in die-ser Gesellschaft sich selbst befreien können. Aber damit hat Budes unternehmerisches Subjekt denkbar wenig zu schaffen. Kooperativer Smalltalk mit den Wirtschaftsbossen findet es selbstverständlich prima, und deshalb ist für Bartels nicht klassen-, sondern »gemeinwohlorientierte Reformpolitik« die Zukunft der Sozialdemokratie. Damit kann sich das superkreative GB auch morgen noch kraftvoll auf dem »offenen Feld der Möglichkeit« vermarkten. Und wenn die Ideen mal ausgehenoder sie leider keinen Geldsack interessieren und die Rente mit 70 immer noch auf sich warten läßt? Na ja, lange genug in Berlin-Mitte gehockt, die anderen wollen schließlich auch mal rein . . . Übrigens, Gramsci hat den Beat gefunden. Er heißt Stellungskrieg, also der Kampf um die Definition der Wirklichkeit. Er läßt sich vortrefflich gegen soziologische Erfindungen führen, die den Subalternen vermitteln sollen auch zur bürgerlichen Mitte zu gehören. Und das gilt ganz besonders für das GB. Denn die Vorstellung als lebenslänglicher »Universal Tellerwäscher« ein oder zwei mal big in Berlin zu sein und schön einen auf Kleinfamilie zu machen, ist nicht nur »bescheiden« (Bartels) sondern offensichtlich zum kotzen. Die Neue Mitte ist eine viel zu enge Bude. Denjenigen, die hier mit mir davor Schlange stehen, sei zugeflüstert: Just kick it. Was fetteres bringen wir allemal an den Start! Lenino D. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Insgesamt hatte man mehr auf Repräsentation denn auf Reflexion gesetzt: Prominente Gäste wie Zygmunt Baumann, Chantal Mouffe, Richard Sennet, Iris Young u.a. aus dem westlichen Denk-Ge-werbe waren geladen, der Kritischen Theorie ihre Aufwartung zu machen. Die Podiumsbeiträge waren allerdings zumeist bis zur Peinlichkeit schlecht aufeinander abgestimmt. Während etwa Iris Young sich im amerikanischen Kontext der gender-studies um eine Aufwertung der Arbeitskategorie gegenüber entfremdeten und schlecht bezahlten Jobs bemühte, sprach Stephan Leibfried über den Zusammenhang von Wohlfahrtsstaat und Weltmarkt. Klar, als Sozialwissenschaftler bringt man auch das zusammen, nur eine Diskussion entsteht dabei kaum. Im Grunde lief also eine typische Jubelveranstaltung ab, bei der jede und jeder sich sein Theoriebröckchen herauspicken konnte. Ein Zusammenhang zwischen den verschiedenen : Panels9 stiftete allenfalls die von IfS-Theorie-Kronprinz Axel Honneth angezettelte Diskussion um die einer Kritischen Theorie der Gesellschaft adäquaten Maßstäbe. Die Anerkennungstheorie, in ihrer von Honneth entwickelten Variante, schließt an die Habermas. sche Kommunikationstheorie an, versucht aber, das sprachliche Vernunftpotential mittels sozialisatorisch erworbener Identitätsansprüche zu fundieren, ohne dabei die explizit normative Grundlegung der Theorie aufzugeben. So soll eine erneuerte kritische Gesellschaftstheorie zu ihren positiven Maßstäben kommen. Die Auseinandersetzung ging nun nur noch um die Tragweite der Normen, kontextualistische versus universalistische Ethik also. Dazu hatte man den Kommunitaristen Michael Walzer geladen, der schon in seinen : Spähren der Gerechtigkeit9 mit so brillianten Gedanken, wie der wechselseitigen Irreduzibilität von Bereichen wie Geld und Kirche auf sich aufmerksam gemacht hatte. Ein leichtes Opfer, dachten die Sozialforscher im IfS vielleicht und hatten recht. Diskussionsleiter Habermas resümierte, daß die von Walzer vorgenomme Trennung von Sozialtheorie und Kritik nicht zu halten ist und leitete zum Problem der »Ohnmacht des Sollens« . also zum Desinteresse an den : richtigen9 Maßstäben . über. Was sich wie eine abgehobene sozialphilo-sophische Erörterung ausnimmt, zielt auf den politischen Kern der Debatte; nämlich der Verankerung und Durchsetzung einer : starken Normativität9 . Letzteres ist die Antwort der neuen Kritschen TheoretikerInnen auf den deregulierten Nationalstaat. Wenn Joseph Fischer fast zeitgleich auf der UN-Vollversammlung für die Ausdünnung nationalstaatlicher Souveränität im Namen der Menschenrechte plädiert, ist das ein Konnex, dessen Thematisierung einer : Kritik der Gesellschaft9 besser zu Gesicht gestanden hätte, den man . mit Rücksicht auf den Jubilar . aber sorgsam aussparte. Zu erwarten ist freilich, daß man sich der von Habermas schon im Kosovo-Krieg vertretenen Interventionsposition anschließt und die Neue Mitte so ihre Hausphilosophen erhält. Michael Elm ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Im Frühjahr 1999 erschien nach vierjähriger
Produktionszeit endlich die erste Anthologie von Frauen / Queers of color in Deutschland. Die Herausgeberinnen
Beldan Sezen und Olumide Popoola hatten beim
Versuch, das Werk bei einem Verlag unterzubringen, im Grunde noch einmal
die Mechanismen erlebt, um die es auch im Buch selbst die ganze Zeit geht:
die Unsichtbarmachung von Lesben of Color in Deutschland; den starken
Assimilationszwang an dominante Diskurse und Benimmregeln. Vor allem
dominierte jedoch das paradoxe Bestreben1, Abweichungen von der
herrschenden Norm als kuriose und appetitliche Objekte der Theorie zu
favorisieren. Allerdings nur solange die ebenso rassistischen wie
heterosexistischen Hierarchien im politischen und diskursiven Feld
unangetastet bleiben und Queers of Color dort weiterhin schamlos ausgegrenzt
werden. Entstanden ist mit Talking Home, trotz aller
Schwierigkeiten, eine Sammlung aus Lyrik, Bildern und Texten, die
verschiedene Facetten der Erfahrungen von queer women of color umfaßt. Es
geht um Alltag, Assimilation, und immer wieder um überschüssige oder
verfehlte Kommunikationen, Bilder scheiternder Ankunft, multipler
Anwesenheiten und rauschender Liebe. Liebe allerdings, die immer wieder
von Auslöschung bedroht ist: »Lesben? Die Gibt Es Bei Uns Nicht!«
überschreiben Selmin Caliskan und Modjgan Hamzhei ein Kapitel ihres Textes über Lesben of Color.
Lesbische Migrantinnen in Deutschland sehen sich sowohl den Homophobien
ihrer Communities ausgesetzt, als auch einer vorwiegend weißen
Lesbenszene, die heftigen Assimilationsdruck ausübt. Die Überschneidung verschiedener Modi der Ausgrenzung,
in diesem Fall Rassismus und He-terosexismus, gilt zwar gemeinhin als
besonders spannendes Demonstrationsbeispiel heterogener Identitäten.
Caliskan und Hamzhei weisen jedoch daraufhin, daß diese überschwengliche
Einschätzung aber regelmäßig versagt, sobald tatsächlich Lesben of Color
ins Spiel kommen. Lesbischsein wird in der deutschen Lesbenszene als
westlichprogressiv gesehen, Women of Color als »unterdrückt«
bemitleidet. Identitäten auf der Ebene der Geschlechterkonstruktion in
Frage zu stellen, kann Borniertheiten, wenn es um Rassismus geht
offensichtlich nicht verhindern, geschweige denn aufheben. Mit solcher Kritik halten sich die Autorinnen der
Anthologie allerdings nicht lang auf. Statt dessen wird der Fokus auf die
Erschreibung von Schwesterlichkeit, Sinnlichkeit und Stärke gelegt. Durch
das Lob der Zunge etwa, die sich zwischen (physischer) Liebe und mehreren
Sprachen bewegt (Kader Ko-nuk). Mit dieser Vielsprachigkeit, teilweise
drei Sprachen in einem Text, wird allerdings keineswegs
kosmopolitische Kompetenz abgefeiert. Barbara Laehrmann weist daraufhin, wie wichtig andere Sprachen
sein können, um Rassismuserfahrungen zu artikulieren, für die das Deutsche
nur ein dumpfes Schweigen parat hat. Englisch funktioniert in diesem Fall
als Schutzraum, als distanzierende Versprachlichung des Traumas, als
»Mittel der Befreiung von altbekannten, unbenannten Kreisläufen.« Die alltägliche Tilgung aus Sprache und Bild
thematisiert auch Beldan Sezen: Deutschland reduziert das Ich zum
»nICHts«. Und »nichts wird gesehen/ nichts wird gehört/ nichts/ rennt
gegen wände/nichts wird vernichtet«. Sezen verspottet allerdings auch die
hauptberuflichen Opfer. Auch dies sei eine Falle: in zugeschriebener
Hilflosigkeit zu verharren, und Un-terdrücktheitswettbewerbe zu
veranstalten. Vom »nICHts« zum »Ich«: die Rekonstruktion eines Subjekts
ohne Fülle, einer Geschichte gefährdeter Anwesenheit, die Heraus-forderung
des Begriffs der Autorin in einem Land, das eine solche Position für
Wo-men of Color nicht vorsieht, bilden deutliche Einsprüche gegen
populistische Variante der Dekonstruktion, die sich unterschiedslos aller
Identitäten bemächtigt, egal welche gesellschaftliche Position sie
innehaben. Gerade queer theory ist in den Neunzigern zum Paradigma der
Infragestellung von Identität überhaupt avanciert und wurde auf alle
möglichen Formen von Subjektbildung angewandt. Wenn jedoch dabei die
gesellschaftlichen Machtgefälle aus dem Blick geraten, verwandelt sie sich
in einen leeren Universalismus, der die Fortführung der Unsichtbarmachung
und Unterdrük-kung von Lesben of color reproduziert. Hito Steyerl ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Das besondere an dieser filmischen Erzählung ist ihre ausdrücklich ostjüdische Erzählweise. Der
Autor Radu Mihaileanus, ein nach Frankreich aus-gewanderter ungarischer
Jude, verwendet nicht nur Zitate aus der kulturellen Substanz des Stetls,
er bemüht sich um eine filmische Form des jiddischen
Theaters. Dies wird durch die Zusammenarbeit mit dem jiddischen Theater
Bukarest bei der Produktion noch verstärkt. Die Geschichte entwickelt sich aus der Genreschilderung
eines südosteuropäischen Stetl mit allen Klischees von Aussehen der
Menschen bis zur Musik und den Formen der Debatten. Die Ankündigung,
daß die Wehrmacht sich dem Ort nähert, bringt zugleich Gerüchte über den
Massenmord zu den Dorfältesten. Wir kennen die Situation aus Elie Wiesels
»Nacht«. Der Dorfdepp ist zugleich der Hellseher, er warnt die Juden und
hat auch einen Vorschlag: Sie sollen einen eigenen Deportationszug auf die
Schienen bringen und auch selbst die SS-Mannschaften spielen. Die
Umsetzung des Planes erfolgt in chaotischen Szenen, die immer die
Unmöglichkeit des Gelingens dieses Projektes deutlich machen. Neben der
»künstlichen « Spaltung der Gemeinschaft in »deportierte Juden« und
»Deutsche«, die Uniformen und Drill nebst deutschem Sprachunterricht
erhalten, entwickelt die Erzählung auch die Spaltungen der realen
osteuropäischen Judenheit vor 1939. Es gibt die kommunistische
Kadergruppe, die im Zug während der scheinbar ziellosen Reise agitiert und
zum Widerstand gegen diejenigen aufruft, die SS-Männer spielen. Es gibt
alle Spielarten von Lebensentwürfen in der Gemeinschaft der Dörfler
zwischen Assimilation an das imaginierte westeuropäische Bürgertum und dem
traditionellen frommen Judentum. Die rasante Zugfahrt enthält neben einer Unzahl an
Beinahe-Katastrophen eine Liebesgeschichte viele andere rührende Episoden. Das Bild der SS-Männer,
die auf dem Feld neben dem Zug beim Gottesdienst zum Beginn des Sabbat
beten, bringt die Aggression der Erzählung gegen die festen Bilder vom Holocaust zum klarsten Ausdruck: Die Opfer
und die Täter sind nicht so einfach von einander zu unterscheiden. Immer
wieder wird die Rotation des Vexierspiels beschleunigt: Die SS-Männer sind
fromme Juden, die größte Bedrohung der Juden sind die Kommunisten, die
SS-Männer sind aber auch Zigeuner und sie sind die eigentlichen
Hoffnungsträger . aber am Ende ist das alles nicht wahr. Dieser komplexe und hoch gespannte Bogen der Erzählung
kann von der gewählten Form des Films nicht gehalten werden. Das lustig-
volkstümliche des chargierenden Schauspielens, die Heimatfilmkulisse
des Dorfes, die immer an Klischees der jiddischen Musik entlang
komponierte Filmmusik . das alles läßt Differenzierungen nicht zu. So
entsteht mit dem Fortgang der Erzählung eine gewisse Ermüdung, die man
sich als Zuschauer gern verbieten würde. Wie Benignis »Das Leben ist schön« ist dies ein Film,
der nur mit historischem Abstand von den Erlebnissen des Mordes an den
europäischen Juden und mit dem heutigen Wissen über die historischen
Fakten verständlich ist. Es ist alles andere als ein aufklärender Film.
Seine Komik entsteht aus der Kenntnis der historischen Fakten. Wenn der
Zuschauer nicht wüßte, daß ein solches Dorf keine Chance hatte, daß all
diese Liebenswürdigkeit im industriellen Massenmord untergegangen ist,
hätte die ganze Erzählung keinen Sinn. Das Wissen um den Untergang des
kommunistischen Entwurfs ist eine zusätzliche Ebene der Rezeption, die all
die Verweise auf die Revolutionäre aus dem Judentum in den Kommunistischen
Bewegungen Osteuropas erst witzig und traurig zugleich macht. Und diese
Mischung erzeugt bekanntlich die Komödie. Der Schluß des Films, der die phantastische Konstruktion zerstört, ist dann schon zu deutlich.
Er macht deutlich, daß der Autor den Zuschauern doch
nicht traut. Gottfried Kößler ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Das Buch skizziert am Beispiel des Mikrokosmos Schmallenberg den schleichenden Prozeß
der Ausgrenzung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung seit 1933, den
Frankenthal zunächst als Kind in seinem Dorf erlebt. Nach dem Krieg trifft
er in den städtischen Ämtern nicht nur auf die Verfolger von einst,
sondern erfährt das Fortbestehen antisemitischer Ressentiments am eigenen
Leibe. Bis heute ist er mit diesem Ort und seiner Geschichte während des
Nationalsozialismus konfrontiert. Sein politisches Engagement wird durch diese
Erfahrungen entscheidend geprägt. Der erste Teil des Buches erzählt das Leben von Hans
Frankenthal und seinem zwei Jahre älteren Bruder Ernst, deren Überleben in
der Zeit im Lager eng miteinander verflochten war. Ihre Geschichte handelt
vom Verlust einer gesicherten Existenz über Zwangsarbeit in Nordhessen und im
Konzentrationslager Auschwitz bis zur Rückkehr und dem Neubeginn in
Schmallenberg, womit der zweite Teil des Buches beginnt. Frankenthals Auseinandersetzung mit der deutschen
Tätergesellschaft ist im Anschluß an seine Rückkehr geprägt von der
Restauration und der nicht vorhandenen Bereitschaft zur Auseinandersetzung
mit den NS-Verbrechen. Als Mitglied des Auschwitz-Komittees mischt sich
der Autor zunächst in Schmallenberg und später bundesweit in die
Diskussionen ein. Es ist eine persönliche Einmischung, der es gelingt, von selbst Erlebtem zu abstrahieren. Viele Autobiographien von Überlebenden des NS- Regimes enden 1945. Durch die Fokussierung auf die
Nachkriegsgeschichte gelingt dem Erzähler und seinen MitarbeiterInnen
zweierlei: Die Biographie Hans Frankenthals wird so vielfältig
beschrieben, daß die Jahre im Konzentrationslager zwar als der lebensgeschichtliche Bruch hervorgehoben
werden, die Geschichte des politischen Lebens Hans
Frankenthals nach 1945 jedoch über die Perspektive eines Opfers weit
hinausragt. Dem Buch ist außerdem die deutliche Aufforderung zu
entnehmen, sich gegen die nach wie vor revisionistischen
Entsorgungspraxen der NS-Vergangenheit in Deutschland zu wehren. Christian Kolbe ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Nein, das sollte partout keine Nachttanzdemo sein.
Manche werden sich vielleicht noch an die Sattelschlepper erinnern, die im
vergangenen Jahr inklusive Polizei-Eskorte und bestückt mit vom
Ordnungsamt geeichten Lautstärkereglern im Namen urbaner Lebensqualität
durch die Innenstadt donnerten . zugegeben schon ziemlich fett, aber
Schnee von gestern. Nach dem für die beteiligten Kleinunternehmen
publicityträchtigen Bombast-Exzess backte die subkulturelle Party-Boheme
diesmal kleinere Brötchen. Nur zwei Musikwagen wurden aufgefahren,
angemeldet war gar nix und auch die Route war eine völlig andere. Alles
begann im Untergrund: Unsicher um sich blickend schleppen gegen kurz nach
Zehn ein paar windige Gestalten mit Kapuzen über den Köpfen . da trifft
sich der gemeine Raver mit aufgeklärten Polit-AktivistInnen .
Plattenspieler und Boxen in die S-Bahn-Station Ostendstrasse. Zwei Minuten später
dröhnt der erste Beat durch die weitläufige Station. 22.37 h, eine Bahn
fährt ein, inzwischen vielleicht 400 Leute: die nehmen wir jetzt. Im
Waggon dann Gabba aus dem Ghettoblaster . und niemand traut sich zu
rauchen. 11 Minuten später: Emser Brücke, Station Messe, alle raus. Fast
im Niemandsland dann der Nacht-Umzug: Messekreisel, Platz
der Republik, Hafentunnel. Alles Gegenden, in denen die Sperrstunde kein
Thema ist und mit der einstigen Nachttanzdemo-Metaphorik des »Wir sind
laut« hatte das sowieso nichts mehr zu tun . der begehrte politische
Inhalt läßt sich nur schwer in der diesjährigen Aktion aufspüren. Auch die
Leute, die organisiert haben, weisen den weit von sich. In den Kontext der
Entwicklung der letzten drei Jahre . es hatte sich mehr als angedeutet,
daß die Veranstaltung eine deutliche Bewegung hin zu so abgelutschten
Kategorien wie Mainstream, Kommerzialisierung etc. vollzieht . paßt die Aktion
jedenfalls nicht. Wenn überhaupt, muß erstmal zur Kenntnis genommen
werden: Schön, daß die Veranstalter bewußt da (nämlich beim höha,
schnella, weida, sattelschleppiga) genau nicht anknüpfen wollten. Wir
wollen´s noch mal anders probieren, c´est tout. Sollen darauf politische
Schulnoten vergeben werden, ist das natürlich mehr als dünn. Aber irgendwie sehr sympathisch. Und was ist heute
schon fett? Bernd Seib ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Auf diesem aktuellen Album rearrangiert er diverse Tonpassagen
z.B. von der Berichterstattung der San Francisco Gay-Parade mit
verstörenden minimalen Knarzgeräuschen. Seinen musikalischen Angriff auf
die : Pink-Economy9 mit ihren marktförmigen queeren Role-Models ergänzt
er im beiliegenden Kommentar textlich und erläutert sein Projekt: »I
attempt to model a socio-material thesis of Queer sound by placing source
materials through dislocating process after dislocating process.« Als
Steinbruch dient ihm dabei zumeist Populäres von Disco bis Electro, denn,
wie er sagt, »Rock ist die Musik der Normalität und der Sound, zu dem man
zusammengeschlagen wird. Elektronische Pop-Musik gilt gerade diesen
Schlägern als weibisch und ausländisch und ist allein deswegen ein guter
Bezugspunkt.« (Spex 6/99) Beim Frankfurter Set dominierten kompliziert verschraubte Klänge, so wurde etwa der clubmäßige Deephouse
von Sloppy 42nds nur angedeutet. Leicht skurril wurde es dann, als
nach Thaemlitz. Performance von Veranstaltungsseite mit wissendem Gestus dessen : Kunst9 erklärt wurde . es
gehe um die performative Dekonstruktion sexueller Identitäten ... Die
dabei eingenommene Haltung des Kommentators korrespondierte mit dem
Hochgelobten leider reichlich wenig. Ach, laß uns nicht von sex reden. wng Terre Thaemlitz: DJ Sprinkles. deeperama presents:
Sloppy 42nds. A tribute to the 42nds Street transsexual clubs destroyed by
Walt Disneys buyout of Times Square, comatonse recordings
1998 ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Es ist die Verkopplung der Migration mit dem, was
früher einmal soziale Frage hieß, die es Dario Azzellini und Boris
Kanzleiter ermöglicht, die soziale Geographie einer Grenze zwischen erster
und dritter Welt jenseits juristisch-territorialer Definitionen zu öffnen.
Damit weitet sich der Blick bis tief in die mexikanischen und
US-amerikanischen gesellschaftlichen Arbeitsverhältnisse hinein. Ihr
Sammelband beginnt mit den Bedingungen der Binnenmigration in Mexiko, von den indigenen
Bundesstaaten rauf in den mexikanischen Norden, wo Agroindustrie und die
Maquliadores billiger Arbeitskräfte bedürfen, passiert die militarisierte
Grenze, um bei den Arbeitsverhältnissen und den Formen der sozialen
Organisation der Migrantinnen in den USA zu enden. Die Grenze(n) samt
ihren sexistischen, rassistischen und klassenkämpferischen Implikationen
spüren sie überall auf. Der soziologisierende Untertitel sollte nicht abschrecken,
denn der Sammelband vereinigt verschiedene Textarten und bricht die neoliberale Restrukturierung
aufs Alltagsgeschehen, was den Mexiko- und USA-Urlaubern in
den schönsten Wochen des Jahres den Blick schärfen und zur Revision der Reiseroute führen kann. Besonders eindrucksvoll
ist die Reportage über die Grenzstadt Tijuana
und der Bericht einer erfolgreich in die USA geflüchteten Frau. Den
absoluten Leckerbissen stellt selbstverständlich der Beitrag von Mike Davis
über die : Lateinamerikanisierung9 der US-Metropolen dar. Frieder Dittmar ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Tinky Winky, groß, lila und mit roter Handtasche, ist
der (un)heimliche Star der Gruppe – zumindest in den USA. Als Reaktion auf
die Forderung eines republikanischen Politikers, Kinder vor der Sendung zu
schützen, weil eben jener Hauptdarsteller offensichtlich gay sei, schmückten Tinky-Stoffpuppen Auslagen von
schwul-lesbischen Geschäften und wurden als neues gayproud-Symbol auf
Paraden mitgeführt. »All I know is, I was heterosexual before I saw the Teletubbies, and now
I’m queer.« wurde in der Zeitung Lesbian & Gay New York verkündet und
das outing fortgesetzt: Auch die anderen Tubbies seien in Wirklichkeit
deviante Subjekte, die grüne Dipsy etwa klarerweise eine Öko-Terroristin.
An der eindeutigen gender-Zuordnung werden allerdings vermehrt Zweifel
laut, wie auch an der Güte der Subversion. Tinky Winky genüge keineswegs
den Ansprüchen, die an eine Queen zu stellen seien, wird unter [www.cyberwolves.com/tinkywinky] gemäkelt, schließlich
fehlten ihm die high heels und überhaupt, wie könne man nur lila mit rot
kombinieren ... Die minimalistisch-redundanten Geschichten von den
Cybergören aus TubbyLand laufen nachmittags im Kinderkanal, Debatten in
Talkshows oder den einschlägigen Cafés und Kneipen vor Ort. Nach
Performance, Imitation und riot bitte Ausschau halten. wng |