diskus 3/99

editorial

Schon im neusten IKEA-Katalog geblättert, wer sich da so zwischen Billy und Beat rumtummelt? Die dortige Präsenz gleichgeschlechtlicher Paare mag ein Indiz dafür sein, daß die dominanten Teile der Schwulen- und Lesben-Bewegung auf dem besten Weg sind, in der Neuen Deutschland-Gemeinschaft anzukommen. Adrett, kaufkräftig und meist mit Waschbrettbauchfigur erstreiten sich mannmann und fraufrau verstärkt die Willkommenschaft im Kreise einer Gesellschaft, in der wohltemperiertes Anserssein was hermacht, Spektakel geschätzt wird und Sex als Bereich des freitügigen Experimentierens auserkoren ist. Was als neue Pluralität der Lebensstile bzw. als flexibilisierter Ein- und Ausschlußmodus dieses Land so fein modern zu machen verspricht, läßt schwul-lesbische Identitäten beim Assimilisierungs-Spiel mitmischen. Als nächstes Projekt steht denn auch die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften auf dem Programm.

Freilich ist es ziemlich billig, der Politik der Anerkennung Buh zu schreien, wenn man selbst seine Schäfchen im Trockenen hat. Debatten um Anerkennung sind noch keine Garantie derselben; auch wenn hierzulande Anderssein mitunter schick ist, bleibt es nach wie vor als anderes markiert, rechtlich bzw. als rechtlos diskriminiert, unter Offenbarungsdruck gestellt und Übergriffen ausgesetzt. So widersprüchlich Anerkennungspolitik ist, so bleiben ihre Wirkungen dennoch begrenzt: Solange Heterosexualität selbstverständlich normal ist, können so markierte Andere bestenfalls durchsetzen, als auch normal zu gelten, und die Beweislast bleibt bei ihnen. Zu kritisieren sind zudem die Ausschlüsse, die sich aus der Dominanz dessen ergeben, was da in erster Linie anerkannt wird - der weiße und mindestens mittelschichtige Maskuline. Working-class Lesben, migrierte Homos, radikale Autonome Schwule oder ungefestigte/fluide Identitäten sind diejenigen, die im Anerkennungstaumel in die unsichtbaren Bereiche der Marginalität abgedrängt sind.

Gegen solche Verkürzungen und Fallstricke werden seit den 80er Jahren queere Konzeptionen und Praktiken gesetzt. Queer stellt die Geschlechterfrage noch einmal neu und trifft sich darin auch mit feministischen Problematisierungen von Anerkennungs- und Identitätspolitik. Wie schon ältere feministische Konzepte insistiert queer darauf, daß Politik nicht nur in der öffnetlichen Arena stattfindet, sondern bis in die intimsten Bereiche (der Körper, die Beziehungsformen, der Begehren) hineinreicht - daß Macht, Ausbeutung und Gewalt weder Feierabend noch Privatsphäre als Grenze haben. Im Gegensatz zu einigen feministischen Strategien begnügt sich queer aber nicht damit, Hierarchien zwischen den Geschlechtern anzuprangern, sondern thematisiert die Hierarchie, die in der Konstruktion von und dem Zwang zu (Zwei-)Geschlechtlichkeit selbst angelegt ist. Es verfolgt also keinen Ausgleich zwischen den Geschlechtern, sondern wildert im Geschlechterdiskurs, richtet nicht zu, sondern an. Es läuft auch wenig Gefahr, sich in Anerkennungspolitik einhegen zu lassen, da es selbst keinen eigenen Ort hat, keine positive Identität (z.B. "Frau-Sein") hat. Queer ist kein Chip, der im Normalisierungsspiel eingesetzt werden könnte, sondern fälscht eher die Chips, wackelt am Tisch oder tritt dem Croupier zwischen die Beine.

Queer sind also keine Individuen (queer ist wenig coming-out-tauglich; "Du, ich muss dir was sagen: Ich bin queer..."), sondern undisziplinierte Haltungen, dissidente Lebensweisen und subversive Effekte nicht nur gegen die "straight world" im engeren Sinne, sondern gegen jede Form der Normalisierung an den Schnittpunkten von Geschlecht, Begehren und Körper im Kontext kapitalistischer Gesellschaften.

Mit diesem Heft sollen QuerVerbindungen von Diskurs und Praktiken noch einmal neu durchgemischt werden - kein Diskurs über queer, sondern entlang einnes queeren Diskurses. Entgegen den Rezeptionen, die Queer-Politics in den Akademien vertrocknen oder im beliebigen Partyspektakel aufgehen sehen, stellt dieses Heft einen Versuch dar, etwas stark zu machen und aufzugreifen, was sich als Widerständiges und Hartnäckiges im U.S. - Entstehungskontext ausgraben läßt und in letzter Zeit auch hierzulande vielerorts diskutiert und gelebt wird: queer means queerrr means angry queer.

Andere Baustelle: Es ist ein abgetragener Hut, daß die große Politik zur Medieninszenierung geworden ist, in der die Kameras draufhalten auf das aktuelle "Ereignis", schrill und vor Ort, und morgen bereits weiterziehen. So ist der Kosovo zerstört und "ethnisch clean", mit deutschen Bomben und Polizisten und der D-Mark befriedet, aber vom hiesigen öffentlichen Interesse liegen die Hügel und Bomberkrater des Balkans längst wieder fern ab. Die Schwäche der Linken zeigt sich auch daran, daß sie sich der Zirkulationsgeschwindigkeit von Bildern und dem Ereignischarakter von Politik selbst kaum mehr zu entziehen in der Lage ist. Kosovo, ein Frühlingsereignis - auch dem allzu raschen Verfallsdatum von (Kriegs-) Politik soll in diesm Heft entgegengewirkt werden.

Redaktion diskus

Zur öffentlichen Heftkritik laden wir ein am Mittwoch, den 19. Januar 00 um 20 Uhr im diskus-Büro: Raum 106 im Studierendenhaus (Eingang KOZ-Pforte).