diskus 3/99 Cyborgbaustelle aus Miszellen Was versprechen die Cyborgs? Wieso, sind wir nicht alle schon Cyborgs? Du als Molch bist schon mal gar kein Cyborg! Ein Molch im Frauenkörper. In der feministischen Debatte zu gesellschaftlichen Natur- und Geschlechterverhältnissen ist das weibliche Subjekt bzw. das Subjekt des Feminismus weiterhin ein umkämpftes Gebiet. Angesichts der Situation, immer schon im Rahmen einer patriarchalischen Ordnung vergeschlechtlicht zu sein, gab es vielfältige Versuche, andere Repräsentationsformen zu finden, die diese Ordnung, die heterosexuelle Matrix, unterlaufen und verändern sollten. Daraus entstand die Frage nach den Mitteln (dem wie und ob), mit denen andere Repräsentationen verfügbar gemacht werden können. Die differenzfeministische Strategie verfes-tigte schließlich eine Form der Geschlechtsidentität, die dann Gegenstand der Dekonstruktion wurde. Mit der Dekonstruktion traditioneller Subjektformen schienen die Möglichkeiten neuer Figurierungen zu entstehen. So haben neue Figuren die Szene betreten; die wohl interessanteste entwarf Donna Haraway 1983 in ihrem Manifest für Cyborgs, das das Versprechen enthält, die Cyborgs könnten Identitäten aufbrechen und die traditionellen Dichotomien Natur/Technik, Organismus (Mensch, Tier, Pflanze)/Ma-schine, Sex/Gender, Frau/Mann, Körper/Geist verändern und verschieben. Dekonstruktive Strategien und die Ausbreitung neuer Technologien – so die Ausgangsthese – attak-kieren beide auf ihre Weise den Gegensatz von Natur und Kultur und das dichotome abendländische Denken generell. Mit dieser Erschütterung der Grenzen, der klaren Konturen des heterosexuellen Subjekts, könnten somit Brüche zwischen Bewußtsein, Körper, Handlungsfähigkeit thematisiert werden. In die Lük-ken springt die Technik ein: wird doch den Bildern des Technischen/ den technisierten Bildern die Fähigkeit zugesprochen, Verbindungen, die sowohl innerhalb als auch zwischen den Subjekten brüchig geworden sind, auf eine neue Weise zu knüpfen (Pritsch 1998). Haraways Cyborg-Beitrag hat in den unterschiedlichsten Bereichen die Vermittlung von Technologie beeinflußt. So geht die Verbindung von Technologie und feministischer Politik – in Form einer feministischen ›Selbstbeschreibung‹ als Cyborg – in erster Linie auf Haraway zurück und sie ist somit zu einer Vertreterin einer Position geworden, die neuen Technologien emanzipatorische Wirkungen beimißt. Die widersprüchliche Wirkungsweise von Technologie liegt nach Haraway zwischen Emanzipationschancen einerseits und neuen Kontrollmechanismen, die mit den techno-militärischen Apparaten verbunden sind, andererseits: das emanzipative Potential von Technologie liegt in seinem subjekt-auflösenden Charakter, in der Hervorbringung neuer ›Vielheiten‹ (Geene 1998). Steht die Cyborg demnach als Metapher für den Neuen
Menschen? Die Cyborg hat nichts mehr am Hut mit Hetero-, Homo- oder Bisexualität, mit Symbiose und Verschmelzung ebensowenig im Sinn wie mit Abgrenzung und Dualität. Aspekte von Natur und Wesenhaftigkeit, durch die Identitäten bisher bestimmt wurden, werden ersetzt durch solche von Technik und Konstruktion. Cyborgs sind Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der Fiktion, der Naturwissenschaften und der Mythen (die Golem-Erzählung wird im Science Fiction verwendet), sie entspringen gelebten Erfahrungen und der Imagination, sie sind politisches Programm und Mittel seiner Umsetzung in einem. Das sich wandelnde Verhältnis von Subjektivität und Technologie enthält neue Möglichkeiten der Konfigurationen. Ohne Technoscience keine Cyborgs und Molche »Schreiben ist die bedeutendste Technologie der Cyborgs, der geätzten Oberflächen im ausgehenden 20. Jahrhundert. Cyborg-Politik bedeutet, zugleich für eine Sprache und gegen die perfekte Kommunikation zu kämpfen, gegen das zentrale Dogma des Phallogozentrismus, den einen Code, der jede Bedeutung perfekt überträgt. Daher besteht die Cyborg-Politik auf dem Rauschen und auf der Verschmutzung und bejubelt die illegitime Verschmelzung von Tier und Maschine. Solche Verbindungen machen den Mann und die Frau problematisch, sie untergraben die Struktur des Begehrens, die imaginierte Macht, die Sprache und Gender hervorgebracht hat und unterlaufen damit die Strukturen und die Reproduktionsweisen westlicher Identität, Natur und Kultur, Spiegel und Auge, Knecht und Herr, Körper und Geist.« (Haraway 1995a) Der Bio-Techno-Text codiert alles gleich, es gibt eine Sprache für Maschine, Technik, Frau, Natur – dieser einen Codierung gilt es vielfältige, abweichende Erzählungen entgegenzusetzen. Die gemeinsamen Sprachen der dekodierenden Biotechnologie und der Computerwissenschaften müssen für eine Veränderung des Subjekt-Objekt-Dualismus genutzt werden. Donna Haraway bezeichnet sich selbst als blasphemisch in dem Versuch, eine Utopie zu entwerfen, die auf den Ergebnissen der Technoscience beruht. Wenn aber die Technoscience es möglich gemacht hat, die Vorstellung von der Auflösung der Dichotomien Mensch/Maschine zu denken, wenn durch sie diese Grenzen brüchig scheinen, und somit Identitäten oder selbstidentische Ichs in Frage gestellt werden, heißt das, zuerst einmal zu akzeptieren: Ohne Technoscience keine Cyborgs und Molche. Was ist nun eigentlich Technoscience? »Mit diesem Begriff wird die bemerkenswerte Verbindung von technologischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Praktiken bezeichnet. Technoscience hängt mit Normierung zusammen: im Militär, in der amerikanischen Form der Fabrikation, in den verschiedenen internationalen Industrienormbehörden des späten 19. Jahrhunderts, in der Periode des Monopolkapitals, im Ausbau von Forschung und Entwicklung innerhalb des industriellen Kapitalismus usw. Doch aus meiner Sicht verweisen alle seine Ursprünge auf einen sehr interessanten gemeinsamen Schnittpunkt: auf die systematisierte Produktion von Wissen innerhalb industrieller Praktiken.« (Haraway 1995a) Cyborgs im Machbarkeitswahn Die Gründerväter des Begriffs Cyborg waren Clynes und Kline, zwei australische Wissenschaftler, die 1960 für die NASA eine mögliche Anpassung des menschlichen Körpers an die Bedingungen im Weltraum erforschten. So entstand die Vision, daß Cyborgs die Möglichkeit darstellen, den Menschen an neue Umwelten und zukünftige Anforderungen anzupassen, etwa einer hochtoxischen postatomaren Zukunft, der er in seiner natürlich-gegebenen Selbstregulierung nicht entspricht (Spreen 1997). Die so skizzierten Träume teilten aus anderen Gründen auch Feministinnen wie Shulamith Firestone, nämlich, »daß das Klonen den Frauen eine wirksame Methode der Kontrolle über die Reproduktion erlauben würde«. Dagegen wenden sich technologiekritische Positionen, auch die der Feministinnen der Anti-Gen- und Repro-Bewegung, die die Gefahren einer »positiven Eugenik« durch die genetische Dekodierung des Menschen, eines perfekten Übermenschen und einer nicht-natürlichen, zweckdienlichen und planvoll durchgeführten Auslese thematisieren. Der Druck auf Frauen, Pränataldiagnostiken durchzuführen und keine gesellschaftlich so definierte Behinderte zur Welt zu bringen, ist größer geworden, die Bedingungen, mit Behinderung zu leben, werden sich entsprechend verändern. Frauen sehen darin sogar oft eine Chance ihre Brut so auszusuchen, daß sie nicht vollkommen im Abseits oder am Rand der Gesellschaft landet. Auch Kritiken an In-Vitro-Fertilisation sind verschwindend gering. Schließlich ist IVF die Chance für Heteropärchen mit der Bereitschaft, sich kontrollieren zu lassen, eine klasse Mittelstands-Kleinfamilie zu gründen. Den realen Cyborg finden wir z.B. in der Humanmedizin: Organtransplantate, auch Xenotransplantate (Tiertransplantate), künstliche Transplantate, neue Organe, neue Sinne und vor allem die Gentechnologie sind Verkopplungen von Mensch, Maschine und Tier. Wie zentral die Erbinformation der Gene sei, wird uns nicht nur in Science-Fiction-Filmen gezeigt, wie etwa der Mann, der kein Raumfahrer werden durfte, weil er ein Gen hat, das den Ausbruch einer bestimmten Krankheit sehr wahrscheinlich macht, sondern auch in der Wirklichkeit. Der Versuch, den im Ötztal gefundenen Menschenleib zu klonen oder die Behauptung, dem Aids- oder Schwulen-Gen auf der Spur zu sein sowie der Querschnittsgelähmte, der mittels Fernbedienung nunmehr seine eigenen Beine ›fernsteuern‹ kann, dadurch daß in sie elektronische Impulse eingesetzt wurden, nährt die Faszination des Machbaren in der Öffentlichkeit. Der Wunsch nach der Perfektionierung des Menschen durch die Biomedizin findet ihre Entsprechung in den Kraft- und Kampfmaschinen der Science-Fiction. Auch hier sind Cyborgs präsent. Wir begegnen ihnen in Filmen wie »Robocop«, »Universal Soldier« und »Terminator«. Mischwesen, die oft genug in dem uralten Konzept Mensch/Maschine die Männerphantasie von der Kampfmaschine ausdrücken. Wollten Männer nicht schon immer ihr Ich auflösen in der Kriegsmaschine? »Es handelt sich offensichtlich um gepanzerte, gestählte, mit integrierten Waffen bestückte und selbstdisziplinierte Kämpfernaturen, menschliche Ganzheitsmaschinen« (Theweleit 1980). Schon die futuristische Bewegung vor dem zweiten Weltkrieg (1909 – 1919) formulierte die (zum Teil kriegerische) Verschmelzung des Menschenkörpers mit Maschine und Materie. Der Mensch wird von seiner sorgenvollen Bodenhaftigkeit befreit, indem er sich der technischen Hyperbeschleunigung seines Körpers hingibt und in einen »revolutionären, kriegerischen Dynamismus« eingeht. »Um sich dieses quälenden Ichs zu entledigen, muß man die Gewohnheit aufgeben, die Natur zu vermenschlichen ... im Gegenteil, man muß die Bewegung der Atome, die Brown'sche Bewegung ausdrücken« (Marinetti/Balla 1907). Im futuristischen Manifest von 1909 heißt es: Es beginnt »...die Herrschaft des vielfältigen Menschen, der sich mit dem Eisen vermischt und von Elektrizität nährt. Bereiten wir die unvermeidliche Verschmelzung des Menschen mit dem Motor vor«. Solche Cyborgs ändern nichts am Geschlechterverhältnis. Die männliche Technikeuphorie hat durch die Abgrenzung von und durch die Beherrschungsphantasie über Natur diese als ihr Anderes verfestigt, als ausbeutbare Ressource. Natur als Netzwerk Donna Haraway lehnt jeglichen positiven Bezug auf Natur als statische prädiskursive Entität ab. Natur unterliege in der Grenzziehung zwischen Konstruktion und Gegebenem einer Art Bilderverbot. Die Negativität, das Nichtidentische und Inkommensurable von Natur faßt Haraway in der Figur des Tricksters (Gauner, Schwindlerin), die sie als unberechenbar, eigenwillig und wandelbar bestimmt. »Es ist der leere Raum, die Unentscheidbarkeit, die Gerissenheit anderer Akteure, die ›Negativität‹, die mich auf die Wirklichkeit und damit die letztliche Nicht-Repräsentierbarkeit der sozialen Natur vertrauen läßt und mich gegenüber Doktrinen der Repräsentation und Objektivität mißtrauisch macht.« (Haraway 1995b) Haraway hält damit daran fest, daß das Bewußtsein grundlegend nur begrenzt erkenntnisfähig ist (Weber 1998). Der Machbarkeit sind damit Grenzen gesetzt. Haraway gesteht der in der Konstruktion entstandenen Materie eine Wirksamkeit und Eigenheit zu, die nicht beliebig überformbar ist. Konkret ist dies für sie etwa die Zelle: »Die Zelle wartet nicht einfach auf ihre angemessene Beschreibung. Sie ist extrem kontingent und auf besondere Weise eingelassen in die spezifischen Beziehungen zwischen Instrumenten, sozialen, materiellen und literarischen Technologien. Und das sehr real. Die ›Zelle‹ hat eine unbestreitbare Wirksamkeit. Das ist kein Relativismus. Es heißt nur, daß die Dinge anders hätten sein können, aber sie sind es nicht. Ich denke, das ist eine wichtige, subtile Unterscheidung. Zu sagen, die Dinge hätten anders sein können, ist nicht dasselbe wie zu sagen, sie seien beliebig.« (Haraway 1995a) Aber auch die heterosexuelle Matrix, die eine Verkopplung zwischen Sex und Gender bestimmt, ist nicht einfach aufzulösen. Sie ist in einem Prozeß der Materialisierung entstanden, der auf ihre permanente Re-Produktion zurückwirkt. Natur, die sie an dieser Stelle auch synonym mit Welt gebraucht, hat ein Eigenleben, das sie als Akteur in einer vielfältigen Netzwerkwelt bestimmt (Haraway 1995b). Ihre Natur bildet ein Netzwerk, in der alle auf verschiedenste und schwer vorhersehbare Weise agieren, Bedeutungen erzeugen und an der Konstruktion von Welt, also ihrer eigenen »Natur«, teilnehmen. Diese Netzwerkwelt ist ein vielfältig verwobenes Fadenspiel aus menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren, die es in »vielen und wunderbaren Formen« (Haraway 1995a) gebe. Diese AgentInnen/Aktanten sind Menschen, Maschinen, Technologien und Tiere, die alle Bedeutungen produzieren und Effekte zeitigen. Alle diese Entitäten werden so als aktiv Handelnde gedacht. »Sowohl Schimpansen als auch Artefakte machen Politik, wieso sollten gerade wir darauf verzichten?« (Haraway 1995a) Ihre Welt des Netzwerks bezieht sie sogar auf Wissensprozesse, an dessen Aushandlung nicht nur Menschen beteiligt sind, sondern auch die Wissensobjekte selbst. Welt und Natur ist somit im Grunde alles. Darunter faßt sie auch Labortiere, Labormaschinen, Geräte etc. »Wir müssen, jenseits von Verdinglichung, Besitz, Aneignung und Nostalgie, ein anderes Verhältnis zur Natur finden. Da sie die Fiktion, entweder Subjekte oder Objekte zu sein, nicht mehr aufrechterhalten können, müssen alle, die an den entscheidenden Konversationen teilnehmen, in denen Natur konstituiert wird, eine neue Grundlage finden, auf der sie gemeinsam Bedeutungen produzieren.« (Haraway 1995a) Mit dieser theoretischen Konzeptionierung von Natur als Netzwerk von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren erkämpfen sich Entitäten, die von den Technologien ausschließlich als Objekt betrachtet werden, Raum. Zwischen perfektionierter Unterwerfung und subversiver Aktion Wenn die Biotechnologien weiterhin ein Naturbild erzeugen, das ontisch gegeben und als repräsentierbar suggeriert wird und das neuerdings nur noch als Kodierungsproblem besteht, sollen die neuen Technologien, auch die Neuen Medien, eine Chance bieten, neue Erfahrungen zu machen, in denen die Dualismen verschwimmen oder auf neue Weise zusammengesetzt werden können, gewohnte und verläßliche Differenzerfahrungen obsolet werden?Alte Cyborg-Phantasmen bereiten hierfür nicht den Weg. Wenn es in den NASA-Projekten in den sechziger Jahren noch darum ging, den Körper dem Stoffwechsel mit der Natur zu entziehen, um einen Menschen zu produzieren, der im All seinen Verdauungsapparat besser kontrollieren kann, so wird dadurch nur ein totales autonomes Subjekt erzeugt. Der Rest des Körpers kann nun unterworfen und kontrolliert, die Zirkulationssphäre symbolisch abgespalten werden. Auch die Entwicklungen in der Humanmedizin als solche, wie sie oben bereits beschrieben wurden, vermögen die Dualismen weder aufzulösen noch zu verschieben. Alte Hierarchien zwischen Natur und Technik werden nicht verändert durch Xenotransplantate und die Perfektionierung der Körper durch Technik. Das Dilemma ist, daß die grundsätzlich gleiche Technik, die für uns eine Chance der Veränderung darstellt, auch normiertes und optimiertes körperliches Funktionieren im Sinne bestehender gesellschaftlicher Erfordernisse hervorbringen kann. Wenn Technoscience als systematische Produktion von Wissen innerhalb industrieller Praktiken schon in bestimmten Bahnen läuft, scheint es paradox, daß gerade sie, die nicht entstanden ist, weil wir es so wollen, die Welt radikal verändert und die Möglichkeit für eine Neukonzeption von Natur bereitstellt, sowie auch Potential ist für die Veränderungen anderer Dualismen. Bei unserem Cyborg geht es nicht um ein Unifizierungs-Phantasma sondern um das ganz Andere. Wie die Cyborg die Spielregeln verändern kann, bleibt ungewiss und soll es auch bleiben. Das Gender der Cy_®borgs, so Haraway, ist jedoch eine lokale Möglichkeit, »die globale Vergeltung« zu üben (Haraway 1995a). Haraways konkreter politischer Entwurf ist, sich in die Entwicklungen der Technoscience einzumischen, da die Verschiebungen der symbolischen und sozialen Strukturen im Zuge der Technoscience vehement umkämpft bleiben. Es geht darum, so sagt sie, sich an der Neuordnung dieser Strukturen zu beteiligen und zu kämpfen, um »lebbare Welten« (Haraway 1995a) zu ermöglichen. »Wir müssen uns einmischen, damit nicht die Praktiken, Effekte und narrativen Strategien der Technowissenschaften allein den neuen Naturbegriff konfigurieren, die dazu neigen, die Naturalisierung jenes Naturbegriffs zu betreiben, den sie in ihren Praxen doch auf eher kontingente und historisch spezifische Weise hervorbringen.« (Haraway 1995a) Welche Cyborg könnte denn nun ein Versprechen enthalten? Nicht der technisch ins reine Medium erlöste Leib. Wo der Cyborg herrschaftsstabilisierend ist, könnte die Cyborg subversiv werden – und schon lauert die Gefahr neuer Grenzziehungen. Aber die Cyborg, ein Mischwesen, dessen Mischungsverhältnisse sich stets ändern können, deren Grenzen immer wieder neu angeordnet werden können, scheint sich den Praxen hierarchischer Herrschaft zu entziehen, weil ihre Subjektpositionen nicht von einem natürlichen Körper verdinglicht werden, sondern das »un/an/geeignete Andere« bleiben. Die Cyborg als grundsätzliche Möglichkeit und Chance, abzuweichen, löst nicht vollkommen ihre Subjektivität auf. Genau diesem Anderen aber, dem Nicht-Identischen, gehört die Zukunft. Das Andere kann eine Cyborg sein, die mit der Erfahrung von Herrschaft und ihrem lokalen Gender zur Attacke schreitet. (Haraway 1995a) Gender-Switching – im Netz ist alles möglich? Sind wir schon Cyborgs? Kann noch unterschieden werden oder sollen wir noch unterscheiden, was Realitität und Fakt, was imaginär und Fiktion ist? Beispielsweise gelingt es der Gentechnologie bzw. der Technoscience, mit wissenschaftlichen Beschreibungen ihre »Facts« über die »Natur« plausibel zu machen und in ihrer Deutung anerkannt zu werden. Ihre grundsätzliche Fehlerhaftigkeit und die Unmöglichkeit, alles berechnen und verbessern zu können, wird erfolgreich ausgeblendet. Die informations- und biotechnologische Forschung und Praxis preist sich selbst als Rettung des Menschen und des Lebens an. Auf diese Weise werden (oder können) die gentechnologischen Interpretation oder Erzählpraktiken von fiction zu facts (werden), so daß der absolute Gegensatz zwischen Realem und Imaginärem, oder, wie Haraway es sagt, zwischen imaginärer und materieller Realität aufgehoben wird. Es scheint, als könne besonders die textbasierte Netzkommunikation zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren Unterscheidungen in bestimmter Hinsicht auflösen. Für die Vision des Cyborgs oder das Cyborg-Versprechen entwerfen der Cyberfeminismus und bestimmte cyberfeministische Science-Fiction ein positives Bild für die erwünschten Veränderungen. Im Zentrum des Cyberfeminismus steht die Frage um die Entgrenzung der Körper und um die Entkörperung im Netz. Es wird davon ausgegangen, daß der neue Körper im Netz, eine Art Datenkörper, letztlich das symbolische Zeichen für einen physischen oder wie auch immer realen Körper ist. Melissa Scott entwirft in ihrem Science-Fiction-Roman »Trouble and Her Friends« (Scott 1994) eine Vision für das Gender-Switching im Netz. Zwei Frauen, Trouble und Cerise, beide Spezialistinnen im Netz, agieren und kämpfen mit und gegen die Netz-Institutionen, ihre Datenwelt und deren Überwachung. Beide handeln sowohl im Netz als auch in der realen Welt. Die eine bewegt sich im Netz mit der Figur des Harlekin, die andere als Frau in den Lieblingsfarben der realen Welt. Hervorzuheben ist, daß im Netz nicht immer aber häufig die Neugier bleibt, auf welche Art die Menschen in ihrem realen Leben leben, ob sie Frau oder Mann sind, attraktiv oder nicht, hinterlistig oder integer, und ob sie auch dort mächtig sind oder nicht. Aber diese Fragen können auch in der Netz-Realität für diese Zeit ausgeschaltet bleiben. Auch wenn im Netz immer wieder gemunkelt wird, daß Trouble eine Frau ist, so spielt es für ihr Ansehen und ihre Gefährlichkeit keine Rolle. Für die Sexualität gilt das nicht. Auch im Netz steht Trouble nur auf solche Figuren, die sich als Frauen zu erkennen geben, denn sie ist/lebt lesbisch im realen Leben. Das heißt nun aber nicht, daß diese sich als Frau inszenierende Figur nicht doch ein Mann ist. In diesem konkreten Fall hat Trouble tatsächlich ein erotisches Intermezzo mit einem Icon, hinter dem im realen Leben ein Mann steht. D.h., das Gender-Switching im Netz ist gelungen (für den Mann). Ein anderes Beispiel ist das große und kräftige Icon eines Mannes, der im Netz mächtig ist – und hier zählt nur das, gleichzeitig im Keller seiner Eltern in mickriger körperlicher Gestalt ein armseliges Leben führt. Verändert die Möglichkeit, im Internet das Geschlecht zu wechseln, die Wahrnehmung von Geschlecht und Körper? »In tautologischer form überwindet hier nur genau das die frau-mann-trennung, was die mann-frau-trennung überwindet, nämlich die sprachliche äusserung.« (Geene 1998) Skepsis gegenüber den Wirkungen des spielerischen, temporären Gender-Switching am Computer ist angebracht. Dennoch: Die im Netz mögliche Anonymität und Simultanität vereinfacht es, ein Ich zu simulieren (als Spiel), Ichs zu erfinden und zu erproben. Bewegungen im Netz in nicht-geschlechtskodierten Figuren oder Namen, etwa als Molch oder Harlekin ändern nicht den Körper, können aber Erfahrungen im Umgang mit und letztlich die Wahrnehmung von Geschlecht beeinflussen. Die Standard-Bilder des Netzes sind sexualisiert und – vergleichbar mit einer Verfestigung traditioneller Familienformen im Zuge der Regelungen zur In-Vitro-Fertilisation – sind die geschlechtlichen Schemata gerade in der virtuellen Welt überzogen: kaum eine von den userinnen wird so viel Figur haben wie girl/frau, nachdem sie den Algorithmus durchlaufen hat. Virtuelles und organisches Idol sind im Material Silicon verbunden. Hinter Cyberfeminismus verbirgt sich aber mehr als nur Gender-Switching im Netz. »Do you need a computer to be a Cyberfeminist? Not necessarily, but sooner or later you should acknowledge its existence. Actually Cyberfeminism exists since women and zeros and ones exist.« Den Molchalgorithmus nicht zu vergessen. Cyberfeministinnen lehnen ausdrücklich eine Definition von Cyberfeminismus ab. Hierfür gibt es mindestens vier Gründe: Cyberfeminismus sollte nicht der Abgrenzung zur »alten« Frauenbewegung dienen; mit dem Etikett Cybergrrlism sollte nicht das Bild der jungen, modernen Frau verbunden sein; der Einzug in die Netzwelt sollte nicht als die Lösung aller Genderprobleme mißverstanden werden; und mit der Formulierung festgelegter Forderungen sollten nicht neue Abgrenzungen produziert werden, die der Zwang zum Konsens notwendig macht. »The 1st CYBERFEMINIST INTERNATIONAL slips through the traps of definition with different attitudes towards art, culture, theory, politics, communication and technology – the terrain of the Internet.« [www.obn.org] Mir als Molch ist das zu wenig. Ich will nicht nur auf der Ebene der Sprache Handlungsmöglichkeiten sehen. Identitätstrouble Die Ambivalenzen und Fallstricke des euphorischen Einlassens auf moderne Technologie sind Cyberfeministinnen durchaus bewußt. Für sie wie für Donna Haraway ist die Cyborg eine Figur, die einen Ausweg aus Identitätstrouble möglich macht. Haraway als weiße, mittelständische us-amerikanische Akademikerin versucht sich zu verorten angesichts der Kritik von women of colour. Sie bezieht sich u.a. auf Trinh T. Minh-ha, die Unreinheit und Hybridität thematisiert: »Viele der jüngeren, in der Diaspora lebenden Generationen, die in der Kunstszene und Theorie-Szene heutzutage in Erscheinung treten, haben ihr Unbehagen mit jeglicher Grenzziehung auf beiden Seiten der Begrenzung zur Sprache gebracht: Und zwar genau deshalb, weil die unterschlagene Vielschichtigkeit einer Politik der Identität inzwischen völlig offen liegt. ›Identität‹ ist jetzt mehr ein Ausgangspunkt als ein Endpunkt des Kampfes geworden. Obwohl wir die Notwendigkeit einsehen, diesen Begriff von Identität anzuerkennen, in dem das Persönliche politisiert wird, wollen wir doch nicht darauf beschränkt bleiben. Leute, die dominiert und marginalisiert wurden, haben durch ihre Sozialisation gelernt, immer noch mehr als ihren eigenen Standpunkt zu sehen. In der komplexen Realität des Postkolonialismus ist es deshalb wichtig, die eigene radikale ›Unreinheit‹ anzunehmen und die Notwendigkeit anzuerkennen von einem hybriden Ort aus zu sprechen, und von dort aus mindestens zwei bis drei Dinge gleichzeitig zu sagen.« (Trinh T. Minh-ha 1990) Die Identitäten der Cyborg sind in allen Aspekten variabel, eben auch im Sex/Gender. Somit kann die Cyborg-Figur als konsequente Figurierung feministischer Einsichten über den verkörperten, vergeschlechtlichten, konstruierten Charakter von Subjektivität gelten, die zugleich die Forderung ihrer Analyse und ihrer Vision enthält. Das Dilemma, in einer Welt der Grenzziehungen zu leben und daran beteiligt zu sein, immer wieder Ausschlüsse zu (re-)produzieren, ist damit nicht aufgehoben. Die Cyborg ist eine Möglichkeit, die Grenzen des eigenen Vorstellungsvermögens auszutesten und bestenfalls zu erweitern – so ungewiß das Resultat auch sein mag. Heike Rösch, Marlis Gensler, txt: x 1 x Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt 1995a x 2 x Haraway, Donna: Monströse Versprechen, Hamburg/Berlin 1995b x 3 x Geene, Stephan: money aided ich-design, Berlin 1998 x 4 x Marinetti/ Balla: Technisches futuristisches Manifest, 1907 x 5 x Pritsch, Sylvia: Von Frauen, Cyborgs und anderen Technologien des feministischen Selbst; Vortrag der Frauenforschung Uni Bremen im Rahmen der Vortragsreihe »Erkenntnisprojekt Feminismus« 1998 x 6 x Spreen, Dierk: Was verspricht der Cyborg? in: Ästhetik & Kommunikation 96, 3/1997 x 7 x Theweleit, Klaus: Männerphantasien; Bd. 2, Männerkörper – zur Psychoanalyse des weißen Terrors, Reinbek 1980 x 8 x Trinh T. Minh-ha: Interview mit Judith Mayne 1990 »From a hybrid place«, in: Texte, Filme, Gespräche, München 1995 x 9 x Weber, Jutta: Feminismus & Konstruktivismus. Netzwerktheorie bei Donna Haraway, in: Das Argument 222, 5/1998 x 10 x Wilding, Faith: Where is Feminism in Cyberfeminism? und Old Boys Network: _FAQ_Frequently Asked Questions |