diskus 3/99

What you mean friends, boyfriend?

 

Neulich nachts, unterwegs auf der Suche nach Fragen und Antworten im verzwickten Feld von Sex und Sein, Beziehungen und Macht und ‚Was tun?’, stieß ich auf ein Interview. Schon 17 Jahre her, das Gespräch zwischen Foucault und zwei Leuten im Kontext der damaligen Schwulenbewegung. Lang her und nicht ganz unsere Baustelle also - eine Baustelle, auf der mit queeren Einsätzen am Angriff auf die Heteronormativität und das patriarchale Geschlechterverhältnis gebastelt wird. Will mir nun anschauen, welche Werkzeuge aus dem Interview für dieses Projekt brauchbar gemacht werden könnten. Was für ein Subjekt soll hier widerständig werden? Welche Rolle können Praktiken wie SM dabei spielen - und was passiert darin mit der Vergeschlechtlichung von Körpern? Was kann „Freundschaft“ meinen? Was können wir mit der Unterscheidung zwischen „Sex“ und „Lust“ alles anfangen?

 

 

Sich nicht ins Bockshorn jagen lassen

 Ein guter Ansatz, Widerstandsformen als überwiegend schöpferischen Prozeß zu beschreiben. Eine neue Kultur, neue Lebensweisen und neue Formen der Beziehungen sollen da geschaffen werden, nicht als Ausdruck eines vorgängig zu bestimmenden Schwulseins, sondern in Beziehung zu „sexuellen, ethischen und politischen Entscheidungen“. Ein ‚Immer-schon-drin-sein’ im Spiel, die Unmöglichkeit, eine Position außerhalb des Feldes der Macht einzunehmen, hat weder die Konsequenz, nur noch die eigene Ohnmacht bejammern zu können, noch gipfeln die Überlegungen in der Notwendigkeit bloßer Zerstörung ‘der Macht’ (was eh nicht geht) oder im ‚Macht kaputt, was Euch kaputt macht’, im Dagegenkämpfen als einziger Handlungsoption. Das Aufzeigen von Möglichkeiten, trotz allem sein/ihr eigenes Spiel zu spielen, kommt mir außerdem nicht voluntaristisch vor, nicht blind für objektive Herrschaftsverhältnisse, sondern ist eher Resultat der Einsicht, daß uns eh nix anderes übrigbleibt. Aber eben auch, daß uns was übrigbleibt. So spricht daraus der Appell an den Mut, Neues zu entwickeln, ohne sich ständig um den heteronormativen mainstream zu kümmern, sich aufzureiben an dessen Analyse oder zu beharren auf dem abgrenzenden Geltendmachen des ‘eigenen’ ‘Andersseins’.

 

 

Das Subjekt: Strategische Improvisationen

 In einem Atemzug spricht Foucault von den „sexuellen, ethischen und politischen Entscheidungen“, durch die neue Lebensweisen gestaltet werden können. ‘Sexuelle Orientierung’ (oder wie immer man das Kind nennen will) ist damit nicht mehr nur nicht unentrinnbares biologisches Schicksal oder im Subjekt verankerte Identität, sondern eine Entscheidung, vergleichbar mit ethischen und politischen. Und umgekehrt verliert ‘das Politische’ durch diese Reihung den Nimbus des Unkörperlichen und Leidenschaftslosen und seinen vollständig rational (selbst-)bewußten Charakter. Anscheinend endlich mal nicht das klassische männlich-autonome Subjekt, das uns schon viel zu lange zum Hals raushängt ...

Dennoch: Wer entscheidet hier? Und wie? In welchem Feld? - Ob ich lieber mit Frauen oder mit Männern ins Bett gehe, was ich mag und was mir guttut, ist weder Schicksal noch eine bewußte politische Entscheidung. Was aber würde passieren, wenn wir die Überlegungen ausdehnten auf das, was dieser Wahl vorausgeht, auf das Frau- oder Mannsein? Wie steht es da mit der „Entscheidung“? Sicher, es hat seine Vorteile, zu sagen, ‘ich habe mich entschieden, eine Frau zu sein’; mein Frausein nicht als Schicksal zu begreifen, sondern zu versuchen, ein strategisches Verhältnis zu ‘meinem Geschlecht’ einzunehmen: Nicht die Repräsentation einer immer schon definierten Weiblichkeit einzufordern, sondern aufgrund dieser ‘Wahl’ neue Formen der Kultur, der Lebensweisen und Beziehungen zu erfinden. Aber wer bin denn ‘ich’, wenn ich nicht ‘Frau’ bin? Wenn sich dieses ‘Frausein’ auch oft alles andere als selbstverständlich anfühlt, wäre die Entscheidung, als Mann zu leben, nochmal eine ganz andere Nummer und auf ganz andere Weise ständigen Anfechtungen ausgesetzt. Oder gar darauf zu bestehen, mehrere Geschlechter (oder keines) zu haben! Klar könnte ich drauf bestehen, aber wenn’s keine Möglichkeit gibt, dem reale Wirkungen folgen zu lassen ... Das bringt’s nicht. Jedenfalls müßte noch viel, viel neue Kultur, müßten noch viele neue Lebensweisen gestaltet werden, um eine ‘Freiheit der Wahl’ bezüglich des Geschlechts und der Geschlechtlichkeiten zu ermöglichen - oder besser noch ein Obsoletwerden dieser Wahl, weil sich die Frage dann so nicht mehr stellt.

Kultur gestalten, Lebensweisen erfinden: Und das auch noch im Bereich der körperlichen Lust! „Kultur“ soll nicht länger Ergebnis von Sublimierung sein, von männlichem An-sich-halten; ebensowenig geht es um die ‘Befreiung’ von (Selbst-)Disziplinierung und von der Unterdrückung einer an sich freien schöpferischen Triebkraft. Aber was um Himmels Willen ist das für eine Tätigkeit, dieses erfinderische Sich-Lust-verschaffen? „Strategische Beziehungen“ spielen dabei eine Rolle; und zwar solche, die nicht nur das „Soziale“ betreffen, sondern „den Körper“ miteinbeziehen ... Warum diese Trennung? Ich finde ja auch, daß „der Körper“ und körperliche Erfahrungen ihre eigene Logik haben. Sehr gute Idee, diese Logik, diesen Bereich der Erfahrungen miteinzubeziehen in den kreativen Prozeß - „Erfindungen“ nicht als Leistung eines scheinbar körperlosen, rein geistigen Subjekts zu betrachten. Aber der Clou wäre doch gerade, darauf zu beharren, daß diese körperlichen Erfahrungen und Lüste durch und durch sozial sind, regelgeleitet auch dann, wenn dies nicht bewußt ist, vielleicht nie ganz bewußt sein kann und/oder sollte. Überhaupt ist das mit der Bewußtheit ein springender Punkt: Ich habe bestimmt keine Lust, Sex als dunkle, geheimnisvolle Triebkraft zu begreifen, die sich uns stets entzieht und sich dennoch in allen unseren Äußerungen manifestiert. Aber verfügen wir deshalb vollständig darüber - oder wäre eine solche ‘Verfügungsgewalt’ ein Ziel - oder nicht doch wieder der alte (männliche) Traum von Autonomie? Was meint „strategisch“ - kann ich mich nur strategisch verhalten, wenn mir das Feld, in dem ich agiere, vollständig transparent ist? Beugt sich der Stratege über die Generalstabskarte, alles sehend, weil selbst nicht im Getümmel? Oder geht’s eher um ein ständig drin verwikkeltes Rumprobieren und Rumsuchen?

Mein Vorschlag wäre, es statt mit dem foucaultschen „Erfinden“ mal mit ‘Improvisieren’ zu probieren. Der ‘Erfinder’ riecht mir zu sehr nach dem Genie, das einzig aus sich heraus der Wahrheit auf die Spur kommt und daraus Neues erschafft. ‘Improvisieren’ ist dagegen auch das Durchwurschteln im Alltag, die kluge Verwendung von dem, was sich so findet, um das Beste draus zu machen. Musikalische Improvisation setzt vorgängige Formen und Regeln nicht außer Kraft, spielt aber mit ihnen. Und verändert sie dabei auch. Wenn’s gut kommt, nicht um der Veränderung selbst willen, sondern eben, damit’s gut kommt. So kommt was Neues raus, was gleichzeitig ungeplant, also nicht vollständig bewußt herbeigerufen ist, und doch nur lesbar ist innerhalb geltender (und historisch veränderlicher) Muster.

 

 

SM: Lust und Vergeschlechtlichung

 Und dann die Sache mit den SM-Praktiken. Angenehm nicht moralisierende Überlegungen: SM-Praktiken nicht als die Befreiung oder den Ausdruck eines tiefsitzenden, immer schon lauernden Gewalt- und Aggressionspotentials zu sehen. Vielmehr als die reale Kreation neuer Möglichkeiten, Vergnügen oder Lust herzustellen. Etwa dadurch, daß aus herkömmlicher Sicht eher ungewöhnliche Körperzonen und -teile miteinbezogen und benutzt werden.

Auch wenn Foucault hier nicht besonders konkret wird: Gemessen an ‘normalen’ heterosexuellen sexuellen Praktiken, in denen die Herstellung von (sexualisierter) Lust gewöhnlich auf stets die gleichen, nämlich genitale Körperteile fixiert ist, scheint dies ganz plausibel.

Was bedeutet das aber, wenn ich die im ‘Normalfall’ immer schon gegebene (zwei-)geschlechtliche Codierung von Körpern bedenke? Wenn im SM nun andere als die geschlechtlich markierten oder besser: Geschlecht markierenden Körperzonen in die Herstellung von Lust involviert sind, könnte dann die „Desexualisierung der Lust“ auch eine tendenzielle Entgeschlechtlichung der Lust bedeuten? Ist die Geschlechtlichkeit des eigenen und des anderen Körpers im SM eben nicht das Entscheidende, nämlich Lustbringende?

Das führt auch zu der Frage, um wen es eigentlich geht, wenn in dem Gespräch von SM geredet wird. Sind es im Kontext von „becoming gay“ sowieso nur Männer? ‘Funktioniert’ der SM-Bezug dieses Gesprächs sowieso nur in Abgrenzung zur Heterosexualität? Oder ist es für das, was Foucault an SM interessant findet, irgendwie egal, ob hier gleich- oder gegengeschlechtliche Leute und Körper Sex - Verzeihung: Lust - haben, welchen Geschlechts sie dabei sind? Und genau da hätte ich unter den gegenwärtigen Umständen so meine berechtigten Zweifel anzumelden.

 

 

Lesbischer SM, Macht und Strategie

 Auf einer anderen Ebene ist ‘Geschlecht’ in dieser Unterhaltung auch für Foucault relevant. Das Interessante - und vielleicht auch Oppositionell-subversive - an lesbischem SM ist, so meint er nämlich, daß hier bestimmte Stereotypen von Weiblichkeit überwunden werden. Welche Stereotypen er hier jedoch genau meint, bleibt leider meiner Assoziation überlassen. Okay, assoziiere ich, es geht um die ‘friedfertige Frau’, die gleichberechtigte Beziehungen sucht und sich nicht in männlich und hierarchisch geprägten Sexspielen korrumpiert. Hier befinden wir uns dann wohl auf der Ebene der Geschlechtsrollen oder -identitäten. Auf dieser Ebene wird im lesbischen SM vielleicht wirklich was überwunden oder zumindest restrukturiert. SM bedeutet aber auch hier immer noch (wenn ich überhaupt richtig durchsehe), das (lustvolle) Spiel um Unterwerfung und Unterworfen werden, Macht und Ohnmacht oder so ähnlich. Und hierfür stehen doch die Weiblichkeits-Stereotypen geradezu parat: Neben dem klassischen weiblichen Part ist doch auch die Domina oder der Vamp ein zum Stereotyp geronnenes Bild. Das wäre dann wohl ein noch auszuführendes Projekt: die Frage des Verhältnisses von geschlechtsspezifischen Stereotypen und deren Brechung im lesbischem SM, als einem Feld, das selbst geschlechtsspezifisch und -hierarchisch vorstrukturiert ist.

Doch was ist mit der Frage, ob SM mit seiner asymmetrischen Struktur von Macht und Ohnmacht nicht doch irgendwie auch in Frage zu stellen ist? Für Foucault ist SM nicht die Reproduktion von Machtstrukturen in einer erotischen Beziehung (was aus einer linken Perspektive ja irgendwie ‘böse’ bedeuten würde). Er nimmt eine andere Perspektive ein: SM ist nicht einfach die Erotisierung von Macht, sondern die Erotisierung von strategischen Beziehungen, ein Durchspielen von Machtstrukturen als ein strategisches Spiel, das sexuelle oder körperliche Lust verschafft. Im Gegensatz zu sozialen Machtverhältnissen bleibt im SM die Struktur immer flüssig. Es ist ein Spiel, in dem die Rollen von Herrscher und Beherrschtem immer ausstauschbar/umkehrbar bleiben.

SM - die Realisierung neuer, abweichender Formen körperlicher Lust und eine strategische Beziehung, in der Strategie immer auch den Hauch von ‘Freiheit’, etwas Neues zu kreieren, etwas (Macht?) umzuarbeiten oder zu bearbeiten, andeutet.

  

Subversion und Pseudo-Liberalisierung

 Trotzdem stellt sich mir dabei die Frage, ob das, was Foucault in SM sieht und die Strategie seiner Rede, SM nicht zu verwerfen, sondern als etwas innovatives, tendenziell subversives zu legitimieren, zu Zeiten des ‘anything goes’ im Bereich der Lust und des Sex so noch funktioniert. Längst hat SM Eingang in den mainstream gefunden, der über das nächtliche Geblubber der Talk- und Peepshows, das Angebot der Shops und Kataloge einen bunten Strauß von Perversionen bereithält, an dem sich jeder und jede - ohne die Scham vergangener Zeiten - bedienen kann und soll. Vor solchen Dynamiken, das hat Foucault ja auch selbst gesehen, kann man in der Welt, in der ich lebe, niemals sicher sein. Aber vor dem Hintergrund der heutigen Pseudo-Liberalisierung des Feldes des Sex stellt sich die Frage der Möglichkeit, sexuelle Abweichung/Subversion, subkulturelle Weisen der körperlichen Lust zu produzieren, wahrscheinlich anders. Denn ‘heute’ gehört es eher schon zum guten Ton, netten kleinen Perversionen nachzugehen als mit ‘normalem’ Sex zu langweilen.

Können vor diesem Hintergrund im SM noch neue, andere Möglichkeiten der Lust produziert und erfahren werden, wenn die Bilder und das Equipment schon im Sender und in den Regalen bereitliegen? Daß im SM alles nur ein Spiel sei, ist längst zu einem Allgemeinplatz geworden, zu einem Argument, das die potentielle Subversivität dieser Praktiken verharmlost und neutralisiert.

Klar, die Möglichkeit neue, andere, vielleicht auch subversive Weisen der körperlichen Lust zu produzieren, hängt nicht vom aktuellen Medienhype und dem Angebot in den Regalen ab. Was die Leute daraus und überhaupt machen, ist nämlich nochmal ein anderes Ding. Egal ist es dafür aber auch nicht.

Und überhaupt: Vielleicht geht es bei der Lust auch nicht so sehr darum, subersiv zu sein oder sein zu wollen, sondern darum, Lust haben zu wollen und tatsächlich zu haben.

 

 

Boyfriends friends

 Verwoben und verwickelt mit der Frage der Lust wird die der Freundschaft. Zumindest glaube ich eine Schnittstelle erkennen zu können; das Programm des gay-werdens.

Die Freundschaft, die wiederzugewinnen oder neu zu erfinden ist: meint Foucault damit nicht dasselbe wie „becoming gay“? Und wenn ja, welche Bedeutung hat die Neuerfindung von Lust darin? Und was meint er mit Sex, wenn er Sex und Lust wie einen Kaugummi auseinanderzieht? Was will er damit retten? Gegen wen schreibt er an? Fragezeichen.

Ich bin nicht sicher, wohin seine Reise geht, da sie an vielen Stellen unmarkiert bleibt. Seine Spuren, die er legt, verlieren sich in meinem Kopf in Ahnungen, Grübeleien, Irritationen, denen ich hinterherschnüffele. Ich kann die Deutung selbst nur erfinden, etwas setzen, um Foucault hineinzutragen in meine kleine Erfahrungswelt. Versionen also.

 Becoming gay. Das ist das Projekt des Angriffs auf die Institution Heterosexualität. Es handelt sich dabei um das Neuerfinden und Kultivieren einer Freundschaft zwischen Männern, die zu anderen Zeiten anscheinend ansatzweise lebbar war und gelebt wurde. Eine soziale Beziehung, die emotional stark, füreinander sorgend ist - in jeder Hinsicht. In der es Räume gab für gewisse Freiheiten und Platz für eigene Entscheidungen; auf selbstverständliche Art scheint sie so etwas wie körperbezogen, leidenschaftlich, orgasmisch gewesen zu sein. Zumindest flirrt mir ähnliches durch den Kopf.

Und irgendwann schlich sie sich einfach davon - oder wurde verscheucht, was weiss ich. Was weiss ich? Zumindest aus dem Haus männlicher Beziehungen, heisst es. Und dies war (womöglich) der Zeitpunkt, als Homosexualität zum Problem wurde.

 Aber auch bei diesem Thema wieder die arglose Kränkung durch den boyfriend. Nein, er interessiert sich nicht wirklich für das Geschlechterverhältnis. Mein Wissen und meine Erfahrungen sind eben andere, nicht in aller Vollständigkeit, dennoch sind meine Berührungs- und Bezugspunkte anders. Die Freundschaft, von der Foucault spricht, galt nie für das Verhältnis zwischen Frauen und Männern; sie galt vielleicht mal für das zwischen Männern untereinander - und ganz vielleicht auch für das zwischen Frauen.

Und ebenso meint die Homosexualität, die er da thematisiert, die zwischen Männern; es war in erster Linie das sexuelle Begehren von Männern anderen Männern gegenüber, das benannt, problematisiert und diskriminiert wurde. Weibliche gleichgeschlechtliche Sexpraktiken tauchten in der randständigen Debatte um homosexuelle Lebensweisen nur als Rand auf. Sie waren in der maskulinen Welt der Heteronomativität kaum von Gewicht. Und hier macht er keinen Unterschied in der Erzählung.

 Es mag ja sein, daß affektionale Freundschaften zwischen Männern als legitime Lebensweise rar und verpönt sind, daß sie verscheucht wurden. Männerfreundschaften anderer Art hat es allerdings zu Hauf gegeben: Männerseilschaften, Kumpaneien, Vetternwirtschaft etc. Wie könnte diese beschworene Freundschaft für mich also nicht wie Komplizenschaft aussehen? Ein Angriff auf die Heteronormativität ist noch lange kein Angriff auf die Hegemonie des Maskulinen.

Oder meint er es trickreicher? Verspricht die sich zuwendende, sorgende Freundschaft das Durchschneiden alter Seile oder Fesseln (je nach Perspektive) und Erfindungen anderer sozialer Beziehungen in alle Richtungen? Sollte sich am Ende des becoming gay gar die gesamte geordnete Welt der Geschlechter verschoben haben?

Spinnereien.

 

 

Durcheinandergebracht

 Becoming gay. Knifflig ist das: Sex und Lust auseinander-, Freundschaft und Lust zusammen zu bringen. Klar schreibt er mit diesem Kunstgriff gegen das Geheimnis der Psychoanalyse bzw. deren übliche Rezeption an. Nein zum Sex, der als dunkle Macht des Seins das Selbst in all seinen Dimensionen und Regungen bestimmt und sich immer wieder entzieht. Das kapiere ich. Trotzdem: Was meint Foucault mit Sex, wenn er ihn der Lust gegenüberstellt, was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Sex als Fixierung auf die Genitalien, als platte (Trieb-)Befriedigung, als Unterwerfung der Anderen, als Stützpunkt der Disziplinierung - was ist der Punkt? Und wie über Sex sprechen, ohne über die Figur des Schwanzes in die Domäne des Phallus zu geraten? Der Schwanz, als Schnittpunkt und Verdichtung des Sexdiskurses, ist ein Rattenschwanz einer Assoziationskette, die sich wirkmächtig in den Köpfen und Körpern ausbreitet. Er strukturiert das Feld der Beziehungen, ist Garant eines Doppeleffekts: der Heteronormativität und der Hervorbringung der Devianten, der Perversen, der Homosexuellen.

Sex wird Sexualität, potenziert als Diskurs, als Objekt des Wissens und der Macht und darin gleichzeitig zum Problem gemacht. Gegenstand der Wissensapparate, durchzogen von Disziplinierung und Kontrolle. Der Sex wird dabei nicht ausgetrieben, sondern eingespannt, zum Knotenpunkt des Zugriffs auf Individuelles. Durch regelndes Wissen und organisierende Verfahren nistet er sich ein in das, was erst hergestellt wird: ins Selbst. Und dieses Selbst ist als solches an den Sex gekoppelt. Medizinisierung. Und auf eine Art die Psychoanalyse als deren Verlängerung. Sex als das allgemeine, dynamische Prinzip, aus dem heraus sich das Partikulare entwickelt und als geschlechtliche Identität repräsentiert. Als finstere Gewalt bestimmt er sämtliche Nischen des Selbst, des Sozialen, wirkt in seinen Sublimierungen immer und überall. Kulturelles Unbehagen eben.

Dem entgegen setzt er „pleasure“ als Lust, Vergnügen, Gefallen, Gelüste, vielleicht der Sorge - das Reich der Zuneigung, Leidenschaft, affektionale Bezogenheit. Ein Versprechen auf etwas eigenes, das sich traut, das experimentiert.

Diese Lust - als ein emotional-affektionales Konzept - wurde im Zuge dieser historischen Bewegung dem Sex sukzessive unterworfen. Dem Sex, den ich deute als etwas, hinter dem sich die stille Konzeption einer reproduktiven Überlebenslogik verbirgt. Denn schwingt nicht die Verknüpfung mit einem Reproduktionswillen und einer gerichteten Reproduktionspraxis als latenter Subtext immer mit, wenn beispielsweise darüber diskutiert wird, welche Art der Sexpraktik legitim ist - selbst wenn heutzutage nicht alles, was als Sex gilt, explizit damit in Zusammenhang gebracht wird? Sex könnte möglicherweise interpretiert werden als Konzept, daß den Schwanz mit der Figur des Phallus über ein rein mechanisch-physiologisches Reproduktionsmodell - mit Verfransungen - verbindet und Affektionales verdrängt.

 Gegen die Okkupation des Königreiches Lust durch den Sex setzt - so könnte man es jetzt lesen - Foucault ein Projekt, eine Anstrengung: Sex und pleasure wieder entzerren.

Einen Prozess des Umdeutens, der Neudefinition in Gang zu setzen, der auch und gerade vor den Genitalien nicht halt macht. Der Schwanz - genauso wie übrigens die Klitoris - könnte eben vieles: Er könnte Lust machen, könnte zu einem anderen Körper Kontakt aufnehmen und Beziehung herstellen. Das könnte vögeln ein-schliessen, hätte dann aber eine andere Bedeutung; es wäre kein Ziel, kein Zweck mehr, sondern eine Variante. Er verwiese auf nichts, nur auf Vergnügen und Verbindung oder auf gar nichts. Ein Ding wie jedes andere Ding auch - wie andere Körperteile. Er könnte vergessen, ersetzt, ironisiert, anderswo plaziert werden - gelöst von der Frage der Reproduktion. Damit hätten homosexuelle Bettpraktiken ebenso wenig den Ruch von Perversion und Verkehrtheit wie die Spiele mit Dildos und anderen Sextoys.

 Das hiesse nun also, daß der Zeitpunkt als die Freundschaft verschwand und Homosexualität (zwischen Männern) zum Problem wurde, der Zeitpunkt der Okkupation des Königreiches Erotik durch den Sex war. Demnach will Foucault möglicherweise für eine Lebensweise werben, die sich durch die Rückeroberung der Erotik charakterisieren und sich in einer männlichen Homoerotisierung ausdrücken liesse. Gaysein wäre dabei ein gaytun, eben eine erotische Lebenskultur. Berührend in jeglicher Denkweise - affektional.

 Ich rätsele, ob Foucault es ähnlich gemeint haben könnte.

Aber weisste, eigentlich ist es scheiss-egal, wie es nun wirklich gedacht war.

Ich improvisiere ein bisschen rum.

 

alexuliuta