diskus 3/99

Trans Queerrr Express
*(you make me) feel like ...*


> Konstellationen

Warum ist plötzlich alles queer - und was soll das bitte schön sein? Seit längerem taucht im weiten Feld der Geschlechterverhältnisse vermehrt das q-Wort auf und wird dabei unterschiedlich verwendet. In den schwul dominierten schwul-lesbischen Szenen ist es meist gleichbedeutend mit homosexuell. So trägt die kommerziell ausgerichtete »Monatszeitung für Schwule und Lesben« den Haupttitel Queer. Thematisch richtet sie sich überwiegend an junge, fun-orientierte Schwule, politisch geht es in der Regel um Forderungen nach bürgerlicher Gleichberechtigung, sei es in Ehe oder Bundeswehr.

Über queer studies wird derzeit verstärkt in Uni-Kreisen diskutiert. Während es in den gay and lesbian studies eher um Sichtbarmachung von lesbischer und schwuler Geschichte und Identität geht, werden hier auch die Ausschlüsse thematisiert, die mit der Konstruktion solcher Identitäten einhergehen - wobei diese vielleicht noch um einiges verzwickter funktionieren als die der Hetero-Welt. Die vorgebliche Natürlichkeit der Heterosexualität soll in den queer studies nicht in erster Linie dadurch angekratzt werden, daß die Lebensgeschichten des 'anderen Ufers' sichtbar gemacht werden. Vielmehr sind die lesbischen und schwulen Welten nicht das gänzlich Andere, sondern selbst von Linien der heterosexuellen Matrix geprägt. Es geht dann nicht nur um eine spezifische Thematisierung von Existenzen, die aus diesen Rastern herausfallen bzw. sie unterlaufen, sondern eher um die kritische Fokusierung des 'unmarkierten' Zentrums des gender-Regimes (weiß, hetero, ...).

Als queer oder ähnliches werden alltäglich Differenzen nicht nur zum Hetero-Normalismus artikuliert, sondern auch zur ganz normalen Homo-Welt; etwa von der trash-Tunte, die womöglich gerne Kicker spielt und Dosenbier trinkt und in den normalen Umgangsweisen der schicken maskulinistischen Szene keinen Platz hat. Oft wird aber geäußert, hierzulande bestehe eine Kluft zwischen den (sub)akademisch ausgeloteten queeren Existenzweisen und den täglich gelebten Praktiken. Das Thema 'Geschlechterdurcheinander zwischen Unidiskurs und Clubleben' wurde im Feuilleton von Die Zeit bis Spex letztes Jahr u.a. anläßlich des Romans »Tomboy« von Thomas Meinecke verhandelt. Das queer-Werden der Hauptperson besteht weitgehend in der Beschäftigung mit trockener gender-Theorie; seitenweise tagebuchartige Exzerpte einschlägiger Texte rund um den Butler-Boom illustrieren diese Selbsttechnik. Gleichfalls stilisiert ist eine Trans-Figur der Szenerie, die soweit wie möglich als Frau lebt, katholischer Mystik frönt, sich ansonsten aber kaum um kopflastige Grübeleien schert. Der Roman wurde vielfach als Ausdruck und Teil der Schwierigkeit rezipiert, aus 'Theorie' und 'Leben' ein flirrendes Verhältnis zu machen.1

Verbreitet ist die Einschätzung, queer sei entweder nichts anderes als schwullesbischer mainstream oder ein neuer um Originalität bemühter universitärer Trenddiskurs - eine Kopfgeburt ohne Bewegung also. Zumindest würden kritische Reflektion und Alltagspraktiken auseinanderfallen. In heterosexuell dominierten linken Kreisen ist denn auch der Verdacht verbreitet, bei queer handele es sich wohl nicht um etwas sonderlich Radikales. Zeitgeistgemäß wird mit »quer« ja gern alles bezeichnet, was 'so ein bißchen anders' ist, letztlich aber die Verhältnisse nicht grundlegend in Frage stellt, wie etwa der Kommentar in der »Querspalte« der taz.

Das Gerede über die Kluft zwischen queerer Theorie und Praxis ist selber allzuoft von einem engen traditionellen Verständnis intellektueller Produktion geprägt. Wissen von/über queer wird aber nicht nur in akademisch-professionellen Texten generiert und weitergegeben, sondern auch - entscheidender - in kleinen populären Fanzines, Flyern, Musiksendungen, in Polit-Kabaretts, auf Performances bei Demos etc. Die Ankündigung einer feministischen Arbeitsgruppe unter dem Label »querrr theory« etwa markiert mit den vielen rrrs Differenz zur unaktivistischen Theoriehuberei und zum angepaßten Spaßterror - ähnlich wie die riot grrrls sich von den netten girlies abgrenzen. Es wird eben auch nach Verbindungen von queerrren Theorien und Politiken gesucht bzw. diese hergestellt, wie zuletzt auch während der Frankfurter Tagung »Queer - beliebt oder beliebig???« [www.copyriot.com/queer].

Queer soll dabei gerade nicht als neueste Mode auf dem Identitäten-Jahrmarkt dienen. In der »queer«-Ausgabe der Tuntentinte heißt es in einem Interview mit OrganisatorInnen der Queer-Parties im Kreuzberger SO 36: »Queer kann nicht heißen, ich wußte nie, wo ich hingehöre, und jetzt bin ich halt queer. Das ist ein falscher Ansatz.«2 Es geht nun nicht um den Rückgriff auf vermeindlich vorgelagerte homogene Miniatur-Identitäten, sondern um die Betonung des Gegensatzes von queer zu straight, von verquer zu gerade. Vorbehalte gibt es, wenn sich plötzlich alle möglichen Leute als queer bezeichnen, die selber weitgehend in heteronormalen Verhältnisse leben und nicht homo/transphober Diskriminierung ausgesetzt sind, queer also bloß als gelegentlichen Freizeitgag betreiben ('queer for fun'). So gibt es Stimmen, die die autonome »Homolandwoche« gegen eine Umbenennung in »Queer Country Week« verteidigen, damit sich das erkämpfte Homo-Selbstverständnis nicht in eine beliebige queere hipness auflöst.3

Queer ist eben selber ein differenziertes Feld, in dem um verschiedene politische Haltungen gekämpft wird. Außerdem läuft auch nicht jede queere Bewegung unter dem q-Label, sondern ist meist in erster Linie in andere Kontexte eingebunden, da q ja auch nie isoliert von den politischen Linien x, y oder z vorkommt. Zu nennen sind etwa die Edutainment-Shows des Berliner Salon Oriental, eine Art Party-Travestie, die mit dem Projekt kanak attak verbunden ist, welches mit Nachdruck radikale antiidentitäre antirassistische Politik propagiert4; oder aber der Block Queer Adventure Tours bei der Ge-gen-Demonstration zum Nazi-Aufmarsch am 1. Mai in Leipzig.


>> Bezeichnungen

Bei der Importierung queerer Konzepte aus dem US-amerikanischen Kontext wurden hierzulande einige für die dortige Geschichte zentralen Elemente an den Rand gedrängt. So war »queer« anfangs nicht zeitgeistig-unscharf konnotiert sondern ein bad word, mit dem Haß ausgesprochen und Gewalt verbunden war gegen all jene, die nicht ganz richtig, nicht straight waren, also aus der 'natürlichen Ordnung der Dinge' herausfielen.5 So etwas wie eine queer community wurde negativ vermittels Repression und Diskriminierung formiert, durch Ausschluß der als »pervers + gefährlich + abschaumhaft = queer« Geltenden aus der nationalen Gemeinschaft. Vor allem in den Kämpfen gegen die staatlich-zivilgesellschaftliche Regulierung der sozialen Dimensionen von HIV und AIDS wurde queer in eine positive, rotzige, Selbsbezeichnung verwandelt. In populären Aktionen etwa von ACT UP protestierte Ende der 80er Jahre ein relativ breites Spektrum betroffener Szenen gegen die US-AIDS-Politik.6 Die meisten dieser Projekte gingen aber im Laufe der Zeit von Basis- zur Repräsentationspolitik über; die Entwicklungen der bundesdeutschen AIDS-Hilfen verliefen darin ähnlich.7 Bei der Gründung von »Queer Nation« im US-Kontext war noch die Differenz zur Staatsnation angezeigt, anders als in Deutschland, wenn derzeit in bürgerlichen Kreisen eine »LesBiSchwule« oder »queere« Nation ausgerufen wird und der Hauptstadt-CSD triumphierend durch's Brandenburger Tor führt.

Mit dem eingedeutschten queer wird im Alltag meist kaum etwas Widerständig-Antibürgerliches assoziiert. Anders ist dies schon bei Wörtern, die mit Transsexuellen in Verbindung gebracht werden. Bei dem Wort »Transe« ist die Bedeutung als Schimpfwort für abweichendes Verhalten deutlich und die Umwandlungsarbeit in eine stolz-aggressive Selbstbezeichnung präsent. Aber ist mit »transig« nicht meist etwas gemeint, was sich von Mann zu Frau bewegt oder tuntig-schwul codiert ist? Darin tauchen dann

die Bewegungen der maskulinen Frauen, der drag kings, kessen Väter, butches, Frau-zu-Mann-Transgeschlechtlichen etc. nicht auf, werden also in der üblichen Wahrnehmung eher unsichtbar gemacht als offen gedisst.

Bei »trans(ig)« schwingt üblicherweise auch die weitverbreitete Vorstellung mit, es gebe genau zwei Geschlechtspole - wie plus und minus asymetrisch mächtig -, und auf einem festgelegten Transit-Weg seien nur Wanderungen von einem zum anderen möglich. Nun gibt es aber auch davon abweichende Trans-Aktionen, die nicht einen der Pole anpeilen, sondern auf queeren Linien verlaufen und die Trans-Formation des ganzen settings verfolgen. Statt aber derart die agents der heterosexuellen Matrix in die Flucht schlagen zu können, werden solche Bewegungen weitgehend ausgeschlossen. Die Zurichtung geschlechtlicher Subjekte per Gewalt nimmt nicht ab (Maßregelung von ' geschlechtsuntypischen ' Kindern, Homo/Transen-'Klatschen', ...), auch wenn sich zumindest in den Metropolen nicht-heterosexistische Schutzräume herausgebildet haben. Zugenommen hat die einhegende Toleranz 'anderer Lebensweisen', bei der radikale Differenz abgetrennt wird von akzeptiertem Anderssein. Die hegemonialen Männlich- und Weiblichkeitsstereotypen sind dabei in bestimmten Maße flexibel, auch in der kommerziellen Werbung werden bestimmte drag-Elemente aufgenommen, dabei aber spezifisch umgewandelt, gewissermas-sen entschärft (z.B. West). Androgyne Phantasien tauchen offenbar immer wieder auch in hegemonialen Diskursen auf.8 Inwieweit flexibilisiert sich so die normale Geschlechterordnung?

Es kommt in queeren Praktiken/Politiken drauf an, mit den heterosexistischen Keimzellen, wie dem Konzept Ehe/Kleinfamilie, zu brechen und diese nicht einfach etwa in schwul/ lesbischen Lebensgemeinschaften weiterzuführen - sich also nicht um der lieben Anerkennung wegen zu assimilieren. Queerrr würde eben auch bedeuten, die Trennung von einer 'sexuellen' Zweier-Beziehungen vs. allen anderen 'platonischen' Verhältnissen zu überwinden und eher zu knarzig-flirrenden Freundschafts-Kontexten zu gelangen.


>>> Ereignisse

Wie können Praktiken sichtbar gemacht werden, Aktionen Räume erschließen, in denen queer weder von der maskulinistisch dominierten Homo- noch der Heten-Normalität vereinnahmt wird? Versuche der (Wieder-)Aneignung von kweerrr gibt es ja genug. Eine Strategie besteht darin, der gängigen Geschichtsschreibung entgegenzuwirken. Rund um den alljährlich in vielen Großstädten stattfindenden Christopher-Street-Day wird schwules/lesbisch/ queeres/... Selbstverständnis und dessen Repräsentation verhandelt. Die offiziellen Vertreter lesbischwuler Kultur in der bürgerlichen Öffentlichkeit, wie die Funktionäre des LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland), tun dabei alles, die Erinnerung an die riots von 1969 rund um die Kneipe Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street für die Sehnsucht nach dem Trauschein zu vereinnahmen. »Stonewall« taugt meist als bürgerliche Ikone; von radikalen linken Projekten wie der Gay Liberation Front, die in den 70ern Politik machten, ist bei den Feierlichkeiten heute selten die Rede.9 Dabei ging es den StraßenkämpferInnen dieser Tage nicht um eine Assimilation an die Bürgerlichkeit, sondern darum sich der Repression zu wehren.

Gegenwärtige radikale AktivistInnen, die mit oliv-rosa Realo-Politik nichts zu tun haben wollen, suchen diese CSD-Paraden zu stören und eine andere Geschichte präsent zu machen; sei es mit einem »Rattenwagen« in Berlin (bzw. einem Gegen-CSD), Chaos-Transparenten wie »dafür«/»dagegen«/»Bildet Ghettos« in Frankfurt oder der Ankündigung beim Kölner CSD-Büro, zum diesjährigen Jubiläumsumzug eine Neuauflage der historischen Straßenschlacht zwischen Polizei und Angry Queers zu inszenieren.10 Solche Einsätze wirken vielleicht auf den ersten Blick marginal und chancenlos, die mediale Repräsentation der we-are-family-and-nation-Mehrheit nachhhaltig zu stören. So werden aber zumindest Ereignisse provoziert, bei denen klar gemacht wird »Wir wollen weder Nation noch Familie - Stonewall was a riot!« und vielleicht auch andauernde connections entstehen können.

Wo kommt transige queerness alltäglich vor? Wenn es nicht eine feste identitäre Eigenschaft sein kann, die man 'hat' oder 'ist', geht es also eher um situative Verbindungen oder eine fluide Haltung, in denen die asymetrische Bipolarität der Geschlechter zu Bruch geht oder zumindest Risse bekommt. Aber wie unterscheidet sich das von den gängigen Praktiken, in denen ein ironischer Umgang mit Geschlechtlichkeit gerade zur Stabilisierung derselben beiträgt? Im Kölner Karneval etwa wird die Figur der »Jungfrau« im »Dreigestirn« (es gibt noch »Prinz« und »Bauer« ...) traditionellerweise von einem Mann verkörpert, was der allgemeinen Erheiterung dient. Dem haftet wenig Subversives an, eben durch die Art der Inszenierung von 'Weiblichkeit' durch jemanden, der dabei immer als Hetero-Mann markiert bleiben will, wird die protonormalistische

Ordnung gestützt. Dies wurde bei einem Provinzverein erst dann zum Problem, als der Darsteller im 'wirklichen Leben' Männer liebte, was seinen Ausschluß als Schwuler aus der traditionellen Performance zur Folge hatte.

Männliche oder weibliche Codes werden von verschiedenen Positionen und Kontexten angeeignet und umgearbeitet. Eine Lesbe, die als schwuler Stripper in einem Club arbeitet11, bewegt sich anders durch Homo-Welten in der heterosexuellen Matrix als ein schwules Transen-Kabarett. Es sind eben auch die problematischen Elemente von konkreten cross dressings und gender passings in den Blick zu bekommen. Während in Schwulen-Kreisen die ironische Performance des Tuntigen schlechtestenfalls dazu beitragen kann, über als feminin geltende Umgangsweisen zu lachen und sich der eigenen Maskulinität zu versichern, gibt es in lesbischen Szenen Diskussionen, inwieweit zur Schau gestelltes machistisches Verhalten u.U. nicht nur die patriarchalen Gesten wiederholt, ohne sie zu brechen.12

Nicht an der Kleidung läßt sich ein queergrad ablesen, die Haltung derselben, die Bezogenheit zum Körper, die Spiele mit Distanz und Aneignung sind entscheidend. Glamor allein ist kein Kennzeichen von Subversion, es zählt die gelebte Umeignung der Codes. Ob die gängigen Repräsentationen heteronormalen Begehrens in dem konkreten Raum unterlaufen werden können, liegt nun gerade nicht allein in den Händen von drag kings/queens, Anzug- und Fummeltragenden oder deren profaneren Varianten. Tendenziell werden Abweichungen wieder rückgebunden, sei es durch weglachen, belächeln, ignorieren. Auch in zwar um die Debatten 'wissenden', dadurch aber nicht unbedingt dafür aufgeschlosseneren Kreisen, werden u.U. solche subversiven Versuche gelangweilt abgetan; schnell ist das uncool-Verdikt ausgesprochen (»das ist nicht camp«), während man selbst in einem geschlechtermäßig unangezweifeltem outfit rumsteht (»wir sind hier nicht bei Paris is burning, sondern in Bokkenheim, Leute«). Es kommt auf Korrespondenzen an, ob die erprobten queeren Elemente aufgenommen und weiterbearbeitet werden - mehr auf kollektive, denn isolierte brillante Praktiken.

Entstehen also in einem solchen Geflecht aus Style und Umgangsweisen der Leute, Raumausstattung und Musik etc. queere Plätze und Ereignisse? Dabei lassen sich in der Art und Weise wie Szenen organisiert werden, unterschiedliche Ziele und Vorstellungen von Kollektivität ausmachen. Ist das Ganze so aufgezogen, daß nur das Konsumverhalten von vereinzelten Partygrüppchen angeregt werden soll - oder ist es ein low budget Konzept, bei dem es darum geht, neue kollektive Situationen zu provozieren? Eine Garantie auf klare Differenz der Subkulturen vom kommerziellen mainstream gibt es dabei bekanntermaßen nicht. Auch ist nicht alles, nur weil es kommerziell organisiert wird, gleich unter hip-Aspekten zu verdammen oder politisch zu verurteilen. Dem Laden Transformation (Bahnhofsviertel FfM) etwa haftet zwar wenig antibürgerlicher Charme an, trotzdem bieten die Verkaufsräume die geschützte Möglichkeit, sich in die Schale des anderen Geschlechts zu schmeißen - allerdings wie so oft nur von Mann zu Frau. Dies bietet angesichts einer überwiegend transphoben Gesellschaft Schutzraum vor Gewalt. Mit dem Kommerzcharakter des Ladens hängen aber die typischen Ausschlüsse bzw. Engführungen des Programms zusammen. Angesprochen werden soll der zahlungskräftige Mittelstandsmann, vorgesehen ist eine 'eindeutige' Verwandlung, im teuren Transformationsmenü wird nur das Repertoire klassischer Träume von Weiblichkeit angeboten. Vielleicht sind die Schmink-, Schuh- und Anzugabteilungen der Kaufhalle geeignetere Treffpunkte ...


>>>> Bewegungen

Wird nach queeren Praktiken gefragt, werden zumeist solche der auffälligen Maskerade, der theatralischen Performance herangezogen. Wenn trannskweerrr nun alltäglich stattfindet - oder eben nicht -, ginge es aber gerade darum, jene unspektakulären Aktivitäten, die profanen Performanzen, in den Blick zu bekommen. Dann läßt sich vielleicht auch der Frage nachgehen, welchen gesellschaftlichen Bedingungen trans/queer-werden unterliegt, weil es ja keine rein individuelle Entscheidung ist, so werden zu wollen/können oder nicht. Was sind nun die ordnenden Linien des profanen Lebens und wie können sie verschoben werden?

Das Experimentieren mit bzw. Abweichen von geschlechtlichen Existenzweisen ist je nach Räumen mit formierenden Zwängen konfroniert, sei es beim Job, in den eigenen vier Wänden, in Kneipen und Kinos, auf öffentlichen Plätzen oder auf staatlichen Ämtern. Die Trennung in öffentliche und private Sphären wurde insbesondere von den neuen Frauenbewegungen kritisiert und damit verbunden auch die herrschende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Auch wenn es Tendenzen zur Flexibilisierung gibt, wird Heterosexualität weiterhin massiv durch das duale System bezahlte Lohn- und unbezahlte Hausarbeit reproduziert. In den jeweiligen Verhältnissen wird »sexuelle Arbeit« verrichtet, bei denen geschlechtsspezifische Subjektivitäten gefordert und hergestellt werden. Wichtig sind nicht nur Party-, sondern auch andere Lebens- und Arbeitsräume, in denen die heterosexuelle Geschlechterordnung nicht bruchlos reproduziert wird - und die womöglich noch zur Abschaffung der abscheulichen Lohnarbeit beitragen. In einer lesbisch organisierten Autowerkstatt entstehen z.B. andere soziale Verbindungen als in einem heteronormalen Betrieb.13

Statt Betteln um Teihabe sind agressivere Töne angebracht: sich die Räume zu nehmen und so auch Druck auf diejenigen auszuüben, die vom Marsch durch die Institutionen nicht lassen wollen. Mit der Konstituierung der Neuen Mitte ist auch der bürgerliche Teil der Schwulen- und Lesben-Bewegung im Staatsprojekt angekommen. Gegen die Homo-Ehe als Kern-Issue dieser Reformpolitik machen einige linke Gruppen Politik, z.B. Schlampagne oder Beck-up (Volker Beck ist Vorsitzender des LSVD und grünes MdB). Sich direkt an den Diskursen um Regierungspolitik abzuarbeiten, also sich mit Fragen zu beschäftigen, die man sich nicht stellen will, kann aber nicht nur ermüdend sein, sondern läßt oftmals radikale Perspektiven untergehen.

Linke queere Politiken funktionieren wenn dann nur als temporäre Verbindungen heterogener Szenen; woher die Leute sich jeweils annähern ist höchst verschieden. Annahmen, im Kessel queeres hätten alle die gleichen Positionen, macht Distanzierungen, auch optionalen identitären Rückzug (als lesbische Transe, femme of color ...) nötig, um sich nicht wider Willen in der falschen Konstellation im gleichen Boot wiederzufinden.14

Der Vorstellung von einer queeren Bewegung anzuhängen ist deshalb auch kontraproduktiv. Allzu leicht wird eine lineare Geschichte von Ursprungsmythos (glorreiches Stonewall) und Niedergang (pop-repressive Berliner Republik) geschrieben; dabei werden spezifische Ausschlüsse derjenigen vorgenom-

men, die in dieser homogenisierenden Erzählung nur einen Rand- oder gar keinen Platz haben. Stattdessen geht es um ein unheroisches Bewegungsverständnis, um Wahrnehmung und Kritik von internen Kämpfen um Meinungsführerschaft und Repräsentation, Bündnissen, Widersprüchen und Differenzen. Derart können dann connections ineinandergreifen, ohne unlösbar miteinander verkettet zu sein. Nicht zuletzt können so Korrespondenzen über die abschaffungswürdigen Zustände und entsprechende Praktiken entstehen. Ob dies dann »queerrr« oder »trans« oder noch was anderes ist, ist - so es denn passiert - nicht entscheidend; Worte werden sich schon finden lassen.

Wolfgang Hörbe/Monika Mecha

 

x 1 x vgl. Manfred Hermes: Vivian rennt. »Tomboy« von Thomas Meinecke, in Texte zur Kunst 32/99, S. 132-153; vgl. auch: Entgegnung. Leserbrief von Thomas Meinecke, in Texte zur Kunst 33/99, S. 218
x 2 x Tuntentinte (Hg. v. Institut zur Verzögerung & Beschleunigung der Zeit, Berlin) Nr. 16, S. 13
x 3 x Sascha Berlinskij: Kwier und wier, in Tuntentinte 16, S. 6
x 4 x vgl. 'Dieser Song gehört uns!' in diskus 1/99, S. 16
x 5 x vgl. Sabine Hark: Queer Interventionen, in: Feministische Studien 2/1993; S. 103-109
x 6 x vgl. Corinna Genschel: Umkämpfte sexualpolitische Räume. Queer als Symptom, in: Etgeton/Hark (Hg.): Freundschaft unter Vorbehalt. Chancen und Grenzen lesbisch-schwuler Bündnisse, Berlin (Quer Verlag) 1997; S. 77-98
x 7 x vgl. 'Solidarität der Uneinsichtigen. Interview mit der Aidshilfe Frankfurt', in Die Beute 4/94, S. 107-113
x 8 x vgl. Ulla Link-Heer: Wird Androgynität normal? Zur Entfaltung imaginierter Geschlechtlichkeit zwischen zwei Fins de Siècle, in: kultuRRevolution Nr. 27/1992; S. 46-49
x 9 x vgl. Georg Klauda: Sweet! Bullshit! In Gigi (Zeitschrift für sexuelle Emanzipation, Hg. v. Förderverein des wissenschaftlich-humanitären komitees, Berlin) Nr. 4/99, S. 14ff [www.whk.org/gigi]
x 10 x Gigi 2/99, S. 10ff
x 11 x vgl. 'Das Gespräch mit Andy Daim, schwuler Stripper und Lesbe', in Tuntentinte 16, S. 26ff
x 12 x vgl. Blau (Berliner Frauenzeitung) Nr. 18+19, S. 7ff [www.txt.de/blau]
x 13 x vgl. Pauline Boudry/Brigitte Kuster/Renate Lorenz: I cook for sex - Einführung, in dies. (Hg.): Reproduktionskonten fälschen! Heterosexualität, Arbeit & Zuhause, Berlin (b_books) 1999; 6-35
x 14 x vgl. Mariá del Mar Castro Varela: Queer the Queer! Queer Theory und politische Praxis am Beispiel Lesben im Exil, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis Nr. 52/1999 (»Lesbenleben quer gelesen«), S. 29-40; vgl. auch Antke Engel: Verqueeres Begehren, in: Hark (Hg.): Grenzen lesbischer Identitäten, Berlin (Quer Verlag) 1996; S. 73-95