Wagenplätze – Reproduktion von Widerstand und Herrschaft ende
inhalt
Charly Außerhalb

 

 

 
    weiter
Intro  
 

Ausgangspunkte
Zunächst stellt sich die Frage, inwieweit ein Referat zum Phänomen der»Wagenplätze« in einem inhaltlichen Bezug zum Thema des Seminars »Globalisierung und die Internationalisierung von Protest« steht. Vordergründig erstmal gar nicht – die Wagenplätze stellen sich weder in einen internationalen Zusammenhang, noch beziehen sie sich direkt auf die globalen Transformationsprozesse der letzten Jahrzehnte. Auf der andern Seite bilden sie einen exemplarischen Ausschnitt aus dem diffusen Brei von Protest und Widerstand, der sich derzeit artikuliert, und mit ihren inneren und äußeren Widersprüchen bieten sie Gelegenheit, diesen von einem anderem Blickwinkel aus zu begreifen und einige allgemeine Fragen aufzuwerfen.

Der inhaltliche Zusammenhang der Protest- und Widerstandsbewegungen wird zuvorderst über die Kritik der herrschenden Verhältnisse hergestellt: Antikapitalismus, Antisexismus, Antirassismus usw. – die Menschen, die hier Geschichte machen, müssen aber gleichzeitig zusehen, wie sie ihr eigenes Leben reproduzieren und mit den Widersprüchen darin umgehen. Die Wagenplätze sehe ich dabei als einen Versuch, durch die Politisierung des Privaten die strukturelle Trennung von privatem und öffentlichem Raum aufzubrechen, die Reproduktion der sozialen Beziehungen in Frage zu stellen. Dieser Ansatz nahm seinen Anfang mit den Hausbesetzungen und der Stadtteilarbeit der westeuropäischen Linken Ende der 60er Jahre, ist also nicht neu, dem Inhalt nach aber grundverschieden von den traditionellen Kämpfen der Arbeiterklasse. Der zentrale Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital wird damit jedenfalls nicht mehr unmittelbar in Frage gestellt. Vielmehr geht es darum, emanzipative Gegenentwürfe zu leben und wenigstens Momente einer konkreten Utopie praktisch umzusetzen.

Einen Ausgangspunkt der Betrachtung bilden daher Überlegungen zu einer »konkreten Utopie«, die ich wesentlich durch die Forderung nach der »Verfügungsgewalt der Produzentinnen über die Produktionsmittel« bestimmt sehe:
Zum einen kommt hierin der utopische Charakter zum Ausdruck, weil sie nur in einem umfassenden Sinn gedacht wirklich emanzipativ ist: Die Verfügungsgewalt über den Kochlöffel allein bringt nichts, solange andere Mittel zur Produktion von Nahrung nicht ebenfalls kollektiviert sind. Dies setzte allerdings die vollständige Umwälzung der bestehenden Produktionsverhältnisse voraus. Dahingehende Entwicklungen sind derzeit nicht abzusehen, aber selbst wenn sich entsprechende Kämpfe einstellen würden, wäre eine solche Revolution nur über Generationen hinweg zu verwirklichen – jedenfalls wenn davon ausgegangen wird, daß Gesellschaft aufgrund von tradierten Normen und Bedürfnissen grundsätzlich träge ist, Formen von Herrschaft und Unterdrückung auf sehr subtile Weise in alle erdenklichen Strukturen eingeschrieben sind.
Zum andern, weil die Produktionsmittel selbst konkret greifbar sind: Sie sind das Objekt, mit dem alle gegenwärtig möglichen materiellen Bedürfnisse befriedigt werden können. Damit bleiben sie allerdings auch Ausdruck und Teil der bestehenden Herrschaftsverhältnisse – Technologie ist immer auch geronnener Geist des Kapitalismus, entworfen im Sinne der Verwertungsprozesse, in denen der Mensch eine Funktion der Maschine bleibt. In diesem Sinne besteht auch eine Verbindung der Produktionsmittel mit dem Begriff der »notwendigen Arbeit«, der Auffassung, daß ein Rest an Plackerei für alle Zeit erhalten bleiben wird: Irgendwer muß den Acker bestellen, Siliziumkristalle züchten oder verschissene Windeln wechseln. Für undenkbar – wenn auch nicht unmöglich – halte ich dagegen die Vorstellung, daß alle Arbeit als lustvoll und spielerisch empfunden werden könnte, die Notwendigkeit dieser also ihren zwanghaften Charakter verlöre.

Die konkrete Utopie umschreibt so gesellschaftliche Möglichkeiten, die zum einen unerreichbar »utopisch« bleiben, weil sie weit über die bestehenden Verhältnisse hinausweisen, zum andern »konkret« faßbar, weil sie mit gegenwärtigen Denkweisen begriffen werden können. Vorstellungen in dieser Richtung halte ich für grundlegend, weil daran die strukturellen Zwänge dieser Gesellschaft anschaulich werden. Diese betreffen nicht nur den Bereich der Produktion, sondern auch das ganze Feld der gesellschaftlichen Reproduktion, nicht nur den Zwang zur Lohnarbeit, sondern auch die Unmöglichkeit, sich außerhalb dieser zu verwirklichen.

Quellen
Die in diesem Referat vorgebrachten empirischen Daten entspringen allein den Erfahrungen, die ich selbst mit anderen in den Kämpfen zur Durchsetzung von Wagenplätzen gemacht habe und in den Diskussionsprozessen, die darum geführt wurden – einige davon ließen sich an Hand von Dokumenten oder Befragungen belegen, andere sind bloße Annahmen. Mir geht es aber vor allem darum, an einem konkreten Projekt einige Tendenzen zu skizzieren, die sich auch in anderen Teilen sozialer Bewegung feststellen ließen und aus denen heraus sich m.E. Thesen zu den allgemeinen Widersprüchen politischer Praxis entwickeln lassen.


Wagenplätze weiter / zurück
 

Geschichte und Infrastruktur

Kurze Geschichte der Wagenplätze
- Wagenplätze gibt es bis Ende der 80er Jahre nur sehr sporadisch: entweder als Landkommunen am Rande von Bauernhöfen oder in Städten am Rand von besetzten Häusern, als eigenständige Projekte so gut wie gar nicht;
- im Zuge der wachsenden Repression ab Mitte der 80er Jahre ist es in West-Deutschland faktisch nicht mehr möglich, ein besetztes Haus zu halten; die Bauindustrie stellt zu diesem Zeitpunkt auf flexiblere Container um und verscherbelt ihre ausgedienten Bauwagen zum Preis von etwa einer Monatsmiete; erste Wagenplatzbesetzungen, v.a. in Berlin und Hamburg;
- im Rahmen der internationalen Häusertage in Hamburg 1990 findet auf einen unscheinbaren Aufruf hin ein erstes bundesweites Wagentreffen statt; dabei wird überrascht festgestellt, daß unabhängig voneinander in vielen Städten quer durch Westdeutschland ca. 20 Plätze besetzt wurden; in der Folge regelmäßige Wagentreffen mindestens drei Mal im Jahr; die damaligen Häusertage waren die vorläufig letzten in dieser Größenordnung;
- bis Mitte der 90er werden an die 100 Plätze in fast allen westdeutschen Städten besetzt, wenige davon geräumt, die meisten geduldet; ab Mitte der 90er erste Legalisierungen, kaum noch Neubesetzungen; Ende der 90er in Berlin große Räumungswelle: von mehr als 15 Plätzen bleiben nur etwa 4 übrig; erste Platzbesetzungen im Osten Deutschlands.

Technische Standards
Sehr unterschiedlich – die meisten Plätze haben kein fließend Wasser, teilweise Brunnen, Duschen und Wäsche waschen bei Freundinnen und Bekannten; kein Abwasseranschluß, Plumpsklos; keinen 220 Volt Stromanschluß, Elektrik über Autobatterien und Solarzellen; Holz-Kohle-Öfen; keine langfristigen Verträge; keine oder nur geringe Miete; häufig Anschluß an städtische Müllabfuhr; häufig Postadresse; selten Telefon, Handies.

Statistik
Die einzelnen Wagenplätze zeichnen sich sowohl im innern als auch zueinander durch große Heterogenität aus: Selbstverständnis zwischen Kleinkunst, politisch-sozialem Zentrum, Esoterik und »Do-it-yourself«; Wagenplätze beteiligen sich als Kollektive nur selten an politischen Aktionen, der Zusammenhang zu Protest- und Widerstandsbewegungen besteht eher in der Mitwirkung von Einzelpersonen oder in der Bereitstellung von Infrastruktur, insbesondere bei Karawanen und Camps.
Die Anzahl der BewohnerInnen pro Platz schwankt zwischen 5 und 150, die meisten seßhaft, zahlreiche aber auch mit ausgebauten LKWs unterwegs von Platz zu Platz. Die idealtypische Wagenplatzbewohnerin wäre zu etwa 2/3 männlich, hätte 1/3 Abitur und schlüge sich zu einem großen Teil mit Jobs im Niedriglohnsektor durch; ihr Lebensalter stiege zwar mit jedem Jahr um etwa ein weiteres (1990 war sie Anfang 20), aber nur, indem sie nach ca. zwei Jahren durch ein frisches Exemplar ersetzt würde.

Möglichkeiten und Grenzen: Die materiellen Bedingungen

Raumautonomie
Die relative Autonomie in der Gestaltung des Raums macht die eigentliche Lebensqualität an einem Wagenplatz aus: Außerhalb bürokratischer Kontrolle und institutionalisierter Planung entscheidet darüber allein das Platzkollektiv; dies in deutlichem Gegensatz zur funktionalen Stadt mit ihren öffentlichen und privaten Dienstleistungen, die nur über Geld zugänglich sind und deren »Bürgersteige« unantastbar bleiben. Entscheidend dabei ist die weitreichende Verfügung über die Mittel – anders als bei statischen Häusern kann mit relativ geringem Aufwand und viel Improvisation gearbeitet werden, ohne das gleich die ganze Bude einstürzt. Die Trennung zwischen Auftraggeberin, Architekt, Handwerkerin und Mieter, die der Konstruktion von Häusern und Wohnungen zu Grunde liegt, ist weitgehend aufgehoben, die vorgegebene architektonische Struktur muß nicht hingenommen werden. Ansätze zur Subsistenz: Kleintierhaltung, Gemüsegarten. Wagenplätze bilden so Reproduktionsräume für schöpferische Prozesse, einen Gegenentwurf zu den üblichen Straßen-Verkehrsformen; gleichzeitig stehen sie als provokative Demonstration im öffentlichen Raum, als Aufforderung, die Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.
Das ganze kann sich allerdings auch in Kleinwerkelei verlieren oder im Luxusausbau nur des jeweils eigenen Wagens; Legalisierungen bringen Auflagen baurechtlicher Art mit sich; viele Plätze lassen sich im Zuge von Räumungsdrohungen an den Rand der Städte drängen, wo sie kaum noch stören.

Zeitsouveränität
Auch der größtmögliche »Freiraum« kann nur dann gefüllt werden, wenn entsprechend Zeit zur Verfügung steht. Ein wichtiger Aspekt ist deshalb die Erlangung von mehr Zeitsouveränität: Mietzahlungen für Wohnungen oder Häuser machen einen großen Teil dessen aus, wofür Lohnarbeit verrichtet werden muß, die Aneignung des Wohnraums durch Besetzungen verringert den Anteil an notwendiger Lohnarbeit.
Der gleiche Umstand ist allerdings auch Voraussetzung dafür, die Arbeitskraft unter Wert verkaufen zu können und Niedriglohnjobs anzunehmen, was durchaus üblich ist; oftmals werden solche Jobs auf und zwischen den Plätzen vermittelt und gemeinsam getätigt, was wiederum ein solidarisches Moment beinhaltet. Nur wenige Plätze zahlen bisher Miete für langfristige Verträge, die in Ausnahmefällen relativ hoch ausfallen kann.

Möglichkeiten und Grenzen: Die sozialen Beziehungen

Platzkollektive
Ein wichtiger Ansatz für das Leben an Wagenplätzen ist der Bruch mit der bürgerlichen Kleinfamilie, die u.a. Trennung von Arbeit und Leben sowie geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zur Grundlage hat; statt dessen soll das Zusammenleben kollektiv organisiert werden. Die Möglichkeiten sind zunächst dieselben wie in jeder Wohngemeinschaft: gemeinsame (Essens-)Kasse, Küche, Organisation des Alltags. Ein Unterschied zu WGs besteht darin, daß die Räume dafür erst gemeinsam geschaffen werden müssen und die Herstellung der technischen Infrastruktur bedingt kollektive Prozesse erfordert.
Der Umstand allerdings, daß alle BewohnerInnen im Besitz eigener Wägen sind und jeder Individualwagen zumeist über Kochmöglichkeiten verfügt, wirkt in dieser Hinsicht kontraproduktiv. Zwar ist dadurch ausreichend Rückzugsraum für die einzelnen gewährleistet, so daß Gemeinschaft nicht zum Zwang wird; aber es ermöglicht auch ein Nebeneinanderherleben, wie es in Wohnungen kaum möglich ist – der leidige Spülberg wird hier früher oder später zum Thema, während er an Wagenplätzen individualisiert bleiben kann. Es ist auch nicht selbstverständlich, daß Gemeinschaftswägen eingerichtet werden oder Absprachen über die Platzgestaltung kollektiv getroffen werden, auf vielen Plätzen ist dies aber üblich. Gemeinsame Kassen gibt es dagegen so gut wie nicht. Ein weiteres Problem für die kollektiven Strukturen an Wagenplätzen stellt die relative Willkür im Zuzug dar: Hausbewohnerinnen werden sehr viel genauer abwägen, mit wem sie innerhalb der engen Mauern zusammenleben wollen und können. Wagenplätze lassen dagegen zwar eine wesentlich größere Heterogenität zu, es wachsen aber auch die Unverbindlichkeiten und die Schwierigkeit, ein gemeinsames Selbstverständnis zu formulieren. Diese verstärken sich noch durch die hohe Fluktuation der Bewohner, der allerdings häufig eine große Kontinuität einiger weniger gegenübersteht.

Politisch-soziale Zentren
Durch die Einrichtung von Räumen, die über Veranstaltungen politischer und kultureller Art öffentlich zugänglich gemacht werden, erhalten Wagenplätze auch die Funktion von sozialen Treffpunkten und politischen Zentren. Dies halte ich insofern für wichtig, als damit der besetzte und angeeignete Raum über das Wohnen hinaus zugänglich gemacht und nicht in anderer Weise wieder privatisiert wird.
Versuche in dieser Richtung gibt es auf vielen Plätzen, die jedoch sehr unterschiedlich angenommen werden. Insbesondere Plätze, die nicht mehr akut von Räumung bedroht sind, neigen zu kleinbürgerlicher Schrebergartenidylle oder esoterischen Zirkeln.

Vernetzung unter den Plätzen
Durch die regelmäßig stattfindenden bundesweiten Wagentage, aber auch durch regionale Treffen, informelle Kontakte oder Fahrende, die von Platz zu Platz ziehen, ergibt sich ein reger Austausch unter den Plätzen. Wagentage bilden dabei auch einen Akt der praktischen Solidarität, weil sie oftmals in Verbindung mit Neubesetzungen oder Aktionen zur Durchsetzung räumungsgefährdeter Plätze stehen; zur Finanzierung gibt es eine Solidaritätskasse, die auch für anfallende Kosten bei Räumungen/ Aktionen einzelner Plätze zur Verfügung steht. Die Besonderheit der Wohnform und die Repressalien dagegen bilden so einen gemeinsamen Bezugspunkt, der Grundlage für eine handlungsfähige Struktur auch in anderen politischen Feldern sein könnte.

Kämpfe zur Durchsetzung

Als politische Projekte treten die Wagenplätze vor allem in Erscheinung, wenn es um ihre Durchsetzung geht – die Illegalität der Besetzung zwingt sie von Anfang an in den Konflikt mit der herrschenden Rechtsform, dessen Ausgang wesentlich von der Mobilisierung einer Öffentlichkeit zugunsten des Projekts abhängt. Inhaltlich werden damit u.a. die Bedingungen der individuellen Reproduktion hinterfragt, die Notwendigkeit, Lohnarbeit zu verrichten, um ein existentielles Bedürfnis befriedigen zu können. Dieser Inhalt kann allerdings beim Werben um Sympathien in der Öffentlichkeit verloren gehen, indem ein bunt jonglierendes Allerlei präsentiert oder im schlimmsten Fall der Wille zur Arbeit bekräftigt wird.
Während besetzte Häuser oftmals zu regelrechten Festungen ausgebaut wurden und so teilweise nur durch brachiale Polizeieinsätze geräumt werden konnten, lassen sich Wagenplätze militärisch kaum verteidigen; hier könnte lediglich versucht werden, die Räumung zu erschweren, indem die Wagen immobil gemacht werden. Die Tendenz vieler Plätze geht jedoch eher dahin, bei akut drohenden Räumungen den Platz zu wechseln, wodurch aber unter Umständen die sonst unvermeidliche Zerstörung eines sozialen Zusammenhangs verhindert wird; darüber hinaus sind diese Umzüge durch die Stadt auch ein Druckmittel, mit dem der Verkehr stellenweise lahmgelegt und durch kurzfristige Besetzung zentraler Plätze eine große Öffentlichkeit hergestellt werden kann. Dennoch zeigt dieser Umgang die Wagenplätze als modern und flexibel bezüglich des »Standorts«, Stadtteilarbeit und die Kämpfe darum stehen nicht mehr unbedingt im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Zugespitzt ließe sich formulieren, daß sie sich in diesem Punkt dem neoliberalen Postulat eher fügen, als ihm zu widerstehen – dem gesellschaftlichen Mangel an bezahlbarem Wohnraum wird nicht durch Protest und Widerstand z.B. in Form von Mietzahlungsverweigerung oder Hausbesetzung begegnet, sondern durch Ausweichen auf einen besonderen Weg, der Privilegien bestimmter Lebenslagen in Anspruch nimmt.
Gleichzeitig aber drückt das hartnäckige Beharren auf dem selbstgewählten Weg die Verweigerung aus, sich der institutionalisierten Ordnung zu beugen – in diesem Sinne sind Wagenplätze gerade keine beliebige Manövriermasse, sondern formulieren entschieden den Anspruch, den Raum der individuellen Reproduktion unmittelbar selbst gestalten zu können, ohne daß die Einzelnen darin als austauschbares Element eines abstrakten Kollektivs, z.B. der Gemeindeverwaltung, verhandelt werden.

Insgesamt läßt sich sagen, daß die Wagenplätze in ihren Durchsetzungsphasen den lebendigsten und widerständigsten Ausdruck erlangen – sowohl die kollektiven Momente im innern als auch die politische Wirkung nach außen sind unter den Bedingungen der unmittelbaren Repression am stärksten. Allerdings bedeuten diese Auseinandersetzungen außerordentlichen Streß für die Beteiligten, und letztlich wird damit der eigene Bauchnabel sehr stark in den Mittelpunkt gestellt.
Geduldete oder tolerierte Plätze könnten dagegen Möglichkeiten eröffnen, in anderen Feldern politisch aktiv zu werden; als eigenständige Projekte verlieren sie jedoch oftmals ihren rebellischen Charakter, ermüden an sich selbst, verschwinden als politische Projekte aus dem Licht der Öffentlichkeit.




Outro weiter / zurück
  Es stellt sich daher die Frage, was das ganze soll. Wenn die oben beschriebenen Möglichkeiten formulierte Ansprüche bleiben, die sich langfristig nicht umsetzen lassen – wieso solche Versuche überhaupt unternehmen? Ist es nicht sogar kontraproduktiv, wenn der beabsichtigte Zweck – die Erfahrung kollektiver Prozesse – immer bestraft wird mit der praktischen Einsicht, daß der bürgerliche Weg für den Einzelnen doch bequemer ist? Ich halte in diesem Zusammenhang ein Verständnis für notwendig, das die Ursache für das »Scheitern« nicht in den einzelnen Menschen oder in den Ansätzen kollektiver Projekte sucht, sondern in den herrschenden Verhältnissen, die letztlich immer die Grenzen möglicher Gegenentwürfe bestimmen. Gesellschaft ist in sich gespalten durch antagonistische Interessen und Lebenslagen, bedeutet schon dem Begriff nach die permanente Zerstörung nicht-warenförmiger sozialer Zusammenhänge –
Die kollektiven Strukturen in dieser Gesellschaft (Sozialversicherungen, Verwaltungen, Gewerkschaften, ...) sind hochgradig institutionalisiert und vermachtet und funktionieren nur unter der Voraussetzung, daß die darin zusammengeschlossenen Individuen zuvor in abstrakt gleiche StaatsbürgerInnen zerlegt wurden –
Vergemeinschaftungen sind in diesem Zwangsverhältnis überhaupt nur möglich durch die Konstruktion von Identitäten, durch die Herstellung eines »wir« über äußere Feindbilder, innere Dogmen oder Wettbewerb – solche Gemeinschaften erfüllen zwar das Bedürfnis nach sozialer Bindung, aber eben nur in einem reaktionären Sinn (Nationalismus, Rassismus, Teamgeist); zudem werden darin bestehende Hierarchien und Antagonismen verdeckt –
Linke »Solidarität« kann sich dagegen nur im Prozeß sozialer Kämpfe artikulieren, in Bewegungen, die in den Konflikt mit gesellschaftlichen Strukturen treten, deren Teil sie sind: es gibt kein außerhalb, keine Inseln der Glückseligkeit, nichts Wahres im Falschen.

Das legt den Schluß nahe, daß es unter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung der äußeren Bedrohung, der unmittelbaren Wahrnehmung von Herrschaft als Unterdrückung bedarf, um emanzipative Gegenentwürfe zu entwickeln. Repression in diesem Sinne ist nicht auf den Polizei- oder Behördenknüppel zu reduzieren, sondern weiter zu fassen, könnte beispielsweise auch in einer gemeinsamen ökonomischen Lage bestehen, die durch extremen Mangel bestimmt ist. Zur Unterstützung dieser These ein Beispiel auf ganz anderer Ebene: Die populäre Musik des 20. Jahrhunderts (von Blues und Jazz bis Hip-Hop und Soul), die wie keine andere zuvor Marktinteressen unterliegt, entstand fast ausnahmslos als Reaktion auf die rassistische Diskriminierung der Schwarzen in den USA – die gemeinsam erfahrene Unterdrückung schafft in ihrer solidarischen Variante eine ungeheuer schöpferische Kraft, mit der Verweigerung und Rebellion einen gemeinsamen Ausdruck finden: The subaltern speak. Allerdings nur sehr kurz. Das Beispiel der Popmusik zeigt nämlich auch sehr anschaulich den Verlauf des Prozesses vom Widerstand zur Integration: Eine gegenhegemoniale Bewegung etabliert sich und verliert ihre Widerständigkeit, sobald sie vermarktet die Massen ergreift. Sie verkehrt sich in ihr Gegenteil, wird Teil des hegemonialen Konsens, sympathy for the devil. Umgekehrt ließe sich also formulieren, daß die Reproduktion kapitalistischer Vergesellschaftung auf solche Bewegungen angewiesen ist: Die Schulen der Ordnung, Disziplinierung und Kontrolle allein genügen nicht zur Stabilisierung der Produktionsverhältnisse, und gerade für die immer wieder notwendigen strukturellen Veränderungen einer Gesellschaftsformation können gegenhegemoniale Bewegungen einen wichtigen Anstoß liefern. »Hegemoniekrisen«, die Mobilisierung staatlicher Zwangsapparate, wären so zu verstehen als das dynamische Moment kapitalistischer Entwicklung im Gegensatz zur relativen Statik einer ausgebildeten Hegemonie.
Der formulierte Anspruch der Wagenplätze nach Selbstbestimmung und kollektiven Strukturen würde verallgemeinert darauf hinauslaufen, selbstbestimmte »Schulen« zu errichten (entgegen der Normalisierung am Notenmaßstab), Gesundheitsversorgung selbst zu organisieren (gegen eine Schulmedizin, die nur auf die individuelle Herstellung der Arbeitskraft abzielt), Altersheime zu ersetzen durch direkte Hilfe usw., letztlich also auf die vollkommene Ersetzung der bestehenden sozialen Sicherungen durch primäre Sozialbeziehungen. In gewisser Weise entspricht dies der neoliberalen Ideologie in ihren Bestrebungen nach Privatisierung und Selbstverwaltung der Armut, ähnlich wie anti-etatistische Forderungen der 68er einhergingen mit denen nach einem schlanken Staat. Gleichermaßen könnte auch der Verzicht der Plätze auf gewisse industrielle Konsumstandards (Zentralheizung, Kanalisation, …) neoliberal gewendet werden in: Den Gürtel enger schnallen. Diese Entsprechungen rühren aber vor allem daher, daß der politische Ansatz sich allein auf der Ebene der Reproduktion bewegt – der Ort der gesellschaftlichen Produktion, die Ökonomie, bleibt weitgehend ausgeblendet bzw. wird nur negativ berührt (keine Lohnarbeit für Miete). Er macht daher nur Sinn in Verbindung mit anderen Kämpfen, mit denen die Produktionssphäre direkt in Angriff genommen wird: Wagenplätze für sich genommen haben wenig emanzipatives, sie leben von und in anderen Bewegungen. Umgekehrt wird aber jede Bewegung auch durch die Art und Weise geprägt, wie sich Einzelne darin den alltäglichen Widersprüchen stellen.

     
Protestbewegungen im globalen Kapitalismus.
    beginn / zurück