Aspekte des »alten« Internationalismus Schwerpunkt: Die Entwicklung in Deutschland |
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Annette Hegers | ||
»Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« | weiter | |
Der im Kommunistischen Manifest von Marx und Engels entworfene proletarische Internationalismus verwirklichte sich nicht. Dies lag in Deutschland vor allem daran, daß sich die hiesige Arbeiterklasse weniger als Teil einer internationalistischen Bewegung, sondern vielmehr als »deutsche Arbeiterklasse« (1) an sich verstand. Während Marx und Engels den Staat lediglich als Übergang zum Kommunismus sahen, setzte Lassalle, Führer des ADAV (Allgemeiner Deutscher Arbeiter-Verein) (2), den Staat ins Zentrum des politischen Denkens. In der Tradition Hegels gewährleistete allein der Staat Sicherheit und Freiheit, Sittlichkeit und Fortschritt. Der bürgerliche Nationalismus wirkte auf die Arbeiterbewegung weitaus anziehender als der proletarische Internationalismus. Sie verstand sich »als Erbin der deutschen Klassik« in der sie »den Höhepunkt der menschlichen Kultur« (3) sah. Vor dem Hintergrund dieses Selbstverständnisses fiel auch die Rechtfertigung von Imperialismus und Kolonialismus nicht schwer. Die Notwendigkeit hierfür sah man zum Beispiel im Abbau der heimischen Arbeitslosigkeit durch höheren Export und die Stärkung der Wirtschaft durch billige Ressourcen aus den Kolonien. Die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 durch die Sozialdemokratie und zur Politik des Burgfriedens (4) war schließlich nur noch die logische Folge dieser Ideologie. An jener Zustimmung zerbrach letztlich die Organisation der Arbeiterbewegung, die 1889 gegründete II. Internationale.
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(1) Hierlmeier, 2002; S. 19 (2) Die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) 1863 durch Ferdinand Lassalle betrachtet die deutsche Sozialdemokratie als ihre Geburtsstunde. aus: http://www.muenchenspd.de (3) Hierlmeier, S. 20 (4) »In der Reichstagssitzung vom 4. August 1914 stimmten auch die (...) Sozialdemokraten bei nur zwei Enthaltungen für die Kriegskredite. Die ansonsten zerstrittenen Parteien schlossen einen Burgfrieden und wollten für die Dauer des Krieges ihre Auseinandersetzungen nicht mehr in die Öffentlichkeit tragen. Die unerwartet starke Geschlossenheit der Nation brachte Kaiser Wilhelm II. im Reichstag mit dem Wort ›Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche‹ auf den Punkt.« aus: http://www.dhm.de/lemo/html/ | |
Politische Apathie – Die Zeit nach 1945 | weiter / zurück | |
Hatte sich damit die deutsche Linke einerseits selbst kalt gestellt, so wurden ihre Organisationen und Strukturen während des Nationalsozialismus noch weiter zerschlagen und führende Persönlichkeiten ermordet oder zur Flucht gezwungen. (5) Eine Internationalismus-Bewegung war in Deutschland nicht mehr existent.Als durch den Zusammenbruch der Kolonialreiche nach dem Zweiten Weltkrieg die »Dritte Welt« entstand, interessierte dies in Deutschland wenig. Man war auf sich selbst fixiert, auf die täglichen Sorgen um Nahrung und Unterkunft. Die bittere Erfahrung der Flucht und des Kampfes um die Existenz führte später jedoch nicht zu Solidarität mit den Menschen in der Dritten Welt. Das schlechte Gewissen gegenüber den minder Privilegierten wurde recht bequem mit gelegentlichen Spendenaktionen beruhigt.
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(5) Erwähnenswert ist in jedem Fall aber der Kampf von rund 45.000 BrigadistInnen aus 50 Nationen, darunter ca. 5000 Deutsche, gegen General Franco und seine faschistischen Verbündeten während des Spanischen Bürgerkriegs 1936-1939. (6) Hierlmeier, S. 26 (7) Balsen/Rössel, 1986; S. 46 (8) Alfred Krupp z.B. wurde am 31.7.1948 zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, aber am 3.2.1951 bereits wieder entlassen. Der Vermögenseinzug wurde rückgängig gemacht. (9) Dies rührt auch von dem traditionell mythischen deutschen Staatsverständnis her, in dem man von einer Einheit von Staat, Nation, Volk und Individuum ausgeht. Jeder, der aus dieser organischen Einheit ausschert und damit dem identischen Willen der Gesamtheit entgegenwirkt, ist des Verrats verdächtig. (10) Hierlmeier, S. 25 | |
Der Neue Internationalismus | weiter / zurück | |
In dieser Phase der Angst vor einem Wiedererstarken des Faschismus begann der Vietnam-Krieg. Mit diesem Krieg sollte sich diese politische Apathie radikal ändern. Der Internationalismus wurde durch den Protest gegen die Politik der USA neu angestoßen und man kann die Zeit von APO und Studentenbewegung als die erste Phase eines Neuen Internationalismus (11) bezeichnen. Der Krieg und die breite Solidaritätsbewegung waren Katalysatoren für einen offen ausgetragenen Konflikt mit überkommenen Politik- und Moralvorstellungen im eigenen Land. »Die Erkenntnis, dass in unserer eigenen Wirklichkeit keine Möglichkeiten für eine sinnvolle politische Praxis‹ bestanden, führte zur Auseinandersetzung mit internationalen Fragen« (12). Man war in Aufbruchstimmung, wollte die Welt verändern und war von einem immensen Geschichtsoptimismus beflügelt. Man nahm sich als Teil einer globalen Bewegung, eines internationalen Prozesses wahr und identifizierte sich mit Vorbildern wie Ho Chi Minh, Che Guevara und Mao. Diese Idole zeigten, dass die Revolution möglich war, dass die Utopie lebte und Glücksvorstellungen nicht auf die Zukunft verschoben werden musste. Mit Aktionen der Studentenbewegung sollte ein breites politisches Bewusstsein geschaffen werden, die Manipulation durch die Massenmedien – insbesondere Springer – sollte enttarnt werden, gleichzeitig sollte die strukturelle Gewalt des Staates aufgedeckt werden. Man forderte einen Bewusstseinssprung, »wollte den Alltag aufheben und (...) die radikale Transzendenz des Bestehenden. Die Anziehungskraft der Bewegung bestand genau in dem Überschreiten der traditionellen Kampfziele der Arbeiterklasse« (13). Es galt »zwei, drei, viele Vietnams« zu schaffen und den (US-)Imperialismus damit zu zwingen, seine Kräfte zu zersplittern. »Ein Funke kann zu einem Steppenbrand werden« (Mao) war die Devise und die Studenten sahen sich als Überbringer dieses Funkens, als Avantgarde, die den Massen die Ausbeutung und Entfremdung durch den Kapitalismus vergegenwärtigt und sie von der Knechtschaft befreit.
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(11) »Neuer Internationalismus« im Vergleich zum vorangegangen Diskutierten. Im Sinne unseres Seminars jedoch weiterhin »Alter Internationalismus« (12) Dutschke, zitiert aus: Hierlmeier, S. 46 (13) Hierlmeier, S. 52 | |
Falsche Faschismusanalyse | weiter / zurück | |
Zwar war und ist Widerstand gegen die Politik der USA berechtigt und notwendig, »dennoch ist es eine unerträgliche Verharmlosung des deutschen Nationalsozialismus, die Politik der US-Regierungen mit der SA oder gar der SS zu vergleichen, wie dies mit der Parole ›US, SA, SS‹ geschah« (14), einer der am häufigsten skandierten Parolen auf Demos gegen die US-Politik. In einer verkürzten Theorie-Analyse, nach der Kapitalismus unweigerlich und direkt zum Faschismus führt und beide nahezu identisch sind, verkam der Faschismus-Begriff zum Passepartout für die Beschreibung verschiedenster gesellschaftlicher Phänomene. Während der Begriff des Faschismus geradezu inflationär benutzt wurde, fand eine konkrete Analyse und Auseinandersetzung damit fast nicht statt. Warum konnte Auschwitz passieren? Warum gab es gerade in Deutschland einen derartigen Nährboden für den Faschismus? Welcher Nationenbegriff liegt dem (deutschen) Antisemitismus zugrunde? Fragen wie diese wurden nicht gestellt. »Diese Form der Normalisierung konnte nur eine doppelt unschuldige Generation leisten: unschuldig, weil links und unschuldig, weil nachgeboren« (15).
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(14) Hierlmeier, http://www.buko.info/asww/ (15) Hierlmeier, S. 67 | |
Die zweite Phase des Neuen Internationalismus | weiter / zurück | |
Die Revolutionseuphorie der 60er Jahre endete mit einem Bruch, als die Massenmorde Pol Pots in Kambodscha bekannt wurden. Auch die Entwicklung im Iran nach dem Sturz des Schahs 1979 trug zu diesem Trend bei, das Vertrauen in das Volk war enttäuscht worden. So war die Internationalismus-Bewegung der 80er Jahre von Ernüchterung geprägt. Hatte der Wahlsieg Willy Brandts 1969 und die damit verbundene Entspannungspolitik mit dem Osten ebenso wie die Bildungsreform noch »auf viele wie ein Akt der Befreiung« (16) gewirkt , unterstützte Brandts Nachfolger Helmut Schmidt die Atompolitik und den NATO-Doppelbeschluß. Dem Optimismus der 60er folgte in den 80ern eine apokalyptische Stimmung. Sinkende Produktivitätszuwächse und der Anstieg der Arbeitslosigkeit, auch und gerade in den USA, machten die Krise des Keynesianismus evident. In weiten Teilen der Bevölkerung setzte ein Wertewandel ein, der insbesondere durch die immer stärkere Wahrnehmung der ökologische Krise verstärkt wurde. Schnell bildete sich eine breite Friedens- und Ökologie-Bewegung und eine neue politische Generation betrat die Bühne.
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(16) Hierlmeier, S. 85 (17) Balsen/Rössel, S. 376 | |
Gemeinsamkeit: Rechtfertigung von Gewalt | weiter / zurück | |
Beiden Phasen des Internationalismus gemeinsam war das Lob des bewaffneten Kampfes. Nicht wenige unterstützten Bahman Nirumand in der Ansicht, daß »die Waffe der Kritik die Kritik der Waffen nicht ersetzen könne« (18). Im Sinne Frantz Fanons bewirkte Gewalt eine Befreiung im doppelten Sinne, nämlich sowohl die vom Kolonisator als auch eine eigene innere Befreiung. In diesem Sinne war Gewalt nicht mehr eine alte, unterdrückerische, sondern eine neue und Voraussetzung für den neuen Menschen. Insbesondere Che Guevara wurde mystifiziert und zum Sinnbild des neuen Menschen, einem harten Helden ohne menschliche Schwächen und Zweifel.
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(18) Hierlmeier, S. 73 | |
Die dritte Phase des Internationalismus | weiter / zurück | |
Der »Epochenbruch von '89« (19), die Implosion der UDSSR stürzten linke Bewegungen in eine tiefe Krise. Das Scheitern des Sozialismus in der Sowjetunion wurde als das Scheitern des Sozialismus an sich interpretiert. Der Neoliberalismus schien gesiegt zu haben und Margaret Thatcher propagierte das TINA-Denken (»There is no alternative«).
Zudem mußte die sandinistische Regierung in Nicaragua 1990 eine Wahlniederlage hinnehmen. Die negativen Aspekte der nicaraguanischen Politik, die traditionelle Machtpolitik der Parteiführer brachten das dichotome Weltbild vom Volk vs. Unterdrücker, von gut gegen böse ins Wanken.
Als im August 1990 der Irak Kuwait besetzte und die USA dies als Attacke auf die eigenen Interessen wertete, kam es zum zweiten Golfkrieg. Vor dem Hintergrund, daß Saddam Hussein tatsächlich keine unschuldige politische Figur war und zudem mit einem Angriff auf Israel drohte, konnte die Internationalismus-Bewegung keine Alternative zum militärischen Konflikt entwickeln. Hussein wurde als neuer Hitler angesehen. Wieder mußte ein neuer Faschismus verhindert werden, der Krieg gegen ihn mußte folglich ein gerechter und moralischer Krieg sein.
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(19) Hierlmeier, S. 112 (20) Hierlmeier, S. 118 | |
Übergang zu NGOs | weiter / zurück | |
Das Artikulieren und Verwirklichen globaler und internationalistischer Interessen wird seit Anfang der 90er Jahre verstärkt auf NGOs übertragen. »Das, was von der Bewegung übriggeblieben ist, hat sich zum größten Teil als professionelle NGOs, die sich die Politikberatung auf die Fahnen geschrieben hat, institutionalisiert« (21). Nach dem Scheitern linker Politik hofft man nun auf die Kraft des besseren Arguments, das langfristig einen Politikwechsel herbeiführen wird. Das Problem dieses Konzeptes ist die Gefahr des Opportunismus. Um als Dialogpartner von Wirtschaft und Politik anerkannt zu werden, muß man mit Kritik vorsichtig umgehen. Gleichzeitig steht die NGO leicht im Verdacht, Erfüllungsgehilfe der Machthabenden zu sein. Es bleibt die Aufgabe der Internationalismus-Bewegung aus ihren Fehlern zu lernen und jenseits verkrusteter Schemata und über alte Theorien hinaus neue Reformansätze zu formulieren.
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(21) Hierlmeier, http://www.buko.info/asww/ | |
Literatur | ||
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Balsen, Werner/Rössel, Karl (1986): Hoch die internationale Solidarität: Zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik. Köln |
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Protestbewegungen im globalen Kapitalismus. | ||
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