Déjà vu

von Serhat Karakayali

Vor allem meine Freunde mit bereits abgeschlossenem Studium befanden, dass das Konzept der "Tagung zu Subjektkonstitution und Ideologieproduktion"1 verbraucht sei, die eingeladenen Gäste eigentlich nichts Neues zu sagen hätten und das Ganze genau so auch vor 5 oder 10 Jahren hätte stattfinden können. Der der Veranstaltung zugrundeliegende fundamentale politiktheoretische Streit ist so neu tatsächlich nicht mehr.

Die Auseinandersetzung zwischen Ansätzen, die sich eher der Kritischen Theorie zurechnen und solchen, die im allgemeinen dem Poststrukturalismus zugeschlagen werden ist in Deutschland seit Habermas' Attacke gegen Foucault Medium heftigster ideologischer Anfeindungen. Die Kritik Habermas', Foucault sei im Grunde genommen neokonservativ, war mit dessen Weigerung begründet, die sogenannten "normativen Grundlagen" seiner Theorie "auszuweisen", wie das im anerkennungstheoretischen Jargon so schön heißt. Das entziehe der Gesellschaftskritik die Grundlage, so Habermas. In gewisser Weise setzt sich dieser Streit in der linken Subkultur fort, denn bei den Linksradikalen geht die Furcht um, postmoderne Theorien würden die Radikalität linker Politik per se untergraben. "Diskurs essen Linke auf" titelte daher einst ein Dossier zum Thema in der Jungle World.

Umgekehrt führte die Überheblichkeit derer, die ihre vermeintliche theoretische Avanciertheit vor sich hertrugen wie eine Monstranz, häufig zu einer kaum politisch mehr nennbaren Distinktionsdynamik gegenüber allem, was irgendwie nach verstaubter Orthodoxie klang.

Auf dem Kongreß standen, wie so häufig, diese Ansätze mehr oder weniger feindlich nebeneinander und es war dem Publikum überlassen, die Verbindung herzustellen. Das zog jedoch vor, sich gegenseitig die Beulenpest an den Hals zu wünschen und die jeweils andere Seite für den Niedergang der Linken verantwortlich zu machen. Erstaunlich war daher, daß auf den Fluren von Studierendenhaus und Hörsaalgebäude der Frankfurter Universität nicht das übliche Familientreffen stattfandet, wo jede jeden kennt. Ein großer Teil des Publikums gehörte nicht zu den üblichen Verdächtigen, auch weil es noch gar nicht so viel Gelegenheit dazu hatte: Sie waren zu jung dafür. Jedoch: Age ain't nothing but a number. Falls also irgendjemand gedacht haben sollte, Borniertheit und Dogmatismus hätten irgendwas mit uncoolen Senioren von der PDS zu tun, der wurde eines Besseren belehrt.

Die Härte, mit der einige den vermeintlichen politischen Gegner angriffen, war kaum in Beziehung zu setzen mit der tatsächlichen politischen Bedeutung etwa der Frage, ob die Beschäftigung mit den Effekten von Polizeipraktiken auf Subjektivität nun konterrevolutionär ist oder nicht. Daß der Referent verdächtigt wurde, er sei möglicherweise "anfällig für bürgerliche Ideologie" war eher Ausdruck von etwas anderem. Die Dogmatisierung geht nicht zufällig einher mit einer dramatischen Marginalität des Linksradikalismus. Wie um sich in einer zunehmend feindlicher werdenden Umwelt gegen alle verwässernden bzw. schädlichen Einflüsse zu schützen, werden ideologische Schützengräben ausgehoben, die dann verbissen verteidigt werden. Das Sektenhafte schlägt sich dann eben darin nieder, dass überhaupt nicht zur Diskussion steht, was das überhaupt sei, die bürgerliche Ideologie oder wie man darauf kommen könnte, jemand sei für sie anfällig wie ein Alkoholiker für gefüllte Pralinen.


Die Kritik des Publikums richtete sich vor allem gegen einen vorgeblichen Mangel an Kritik. Zwar wussten die poststrukturalistisch inspirierten Beiträge tatsächlich nicht zu begründen, was etwa den Ansatz Foucaults für emanzipatorische Kritik wichtig macht, was ja durchaus möglich gewesen wäre. Aber sobald jemand nur den Anschein erweckte, etwas solle erstmal nur betrachtet werden, folgte die scheinbare Antithese auf dem Fuß: Es müsse vielmehr abgeschafft werden! So wurden permanent Kritik und Analyse alternativ diskutiert. Viele Diskussionsbeiträge erweckten den Eindruck, als wollten sich die Rednerinnnen und Redner gegenseitig ihrer linken bzw. radikalen Identität versichern.

Die Skepsis gegenüber den sogenannten poststrukturalistischen Ansätzen war dabei weniger von den erkenntnistheoretischen Problemen getragen, die Habermas einst zum Verdikt der "Kryptonormativität" veranlassten, was immerhin ein interessanter Punkt gewesen wäre. Vorbehalte gab es wohl eher gegen die akademistische Sprache und das Fehlen gesellschaftskritischer Rhetoriken. Der Umstand etwa, dass der dekonstruktivistische Feminismus nur in einer kleinen akademischen Community diskutiert wird, ist tatsächlich ein Problem. Davon unmittelbar auf den politischen Gehalt dekonstruktivistischer Ansätze zu schliessen ist allerdings kurzschlüssig. Auch der Marxismus war einige Zeit Mainstream an den Universitäten und nur die Tatsache, dass er es heute nicht mehr ist, scheint ihn für die radikale Linke wieder attraktiv zu machen. Der Vorbehalt gegenüber der akademischen Arriviertheit theoretischer Positionen ist kaum inhaltlich begründet sondern selbst Teil der Inszenierung einer radikalen Identität, die keine politische Perspektive mehr hat.

Es wäre jedoch auch irreführend den Konflikt auf dem Kongress als einen zwischen Akademismus und Populismus darzustellen, da immerhin ein nicht geringer Teil der jungen Radikalen Kritik mit kritischer Theorie identifizierte, für die ja bekanntlich "Wahrheit nicht kommunizierbar" ist, wie Adorno schrieb. Die bizarre Mischung aus Opferidentifikation, Weltschmerz und kritischer Kritik, die Lars Quadfasel in seinem Statement zur Abschlussdiskussion zum Besten gab, würde man eben auch nicht verstehen, wenn man nicht mal wenigstens den Drang verspürt hat, die "Negative Dialektik" in den Händen zu halten. Lustigerweise hat Joachim Hirsch, obwohl kaum als Subjekttheoretiker bekannt, als Einziger bei jener Diskussion eine Position formuliert, die jenseits von Fatalismus und Euphorie lag. Statt Aufklärung (Florian Rödl) oder Geschichte der Subjektpositionierungen (Katja Dieffenbach) einfach zu setzen, versuchte Hirsch, Politiken der Subjektivität zu kontextualisieren. Wer auf die von den VeranstalterInnen präparierte Frage "Pro oder contra Subjekt?" (wirklich!) nicht antwortete, hatte jedenfalls schon einiges gewonnen.

So wie jede Verschwörungstheorie auch nur der verzweifelte Versuch ist, Sinn und Ordnung in die Welt zu projezieren, bestehen heute linksradikale Ansätze politischer Theorie anscheinend darin, das fehlende gesellschaftspolitische Projekt durch Innovation oder Kohärenz im theoretischen Bereich zu kompensieren. Während die kritischen TheoretikerInnen in einer Mischung aus westlichem und östlichem Marxismus das Heil suchen um die endgültig "richtig richtige" Politik zu finden, besteht die poststrukturalistische Bewegung nach wie vor in einer bloß negatorischen Abgrenzung gegenüber allen Versuchen, Totalität zu denken.

Vielleicht liegt die Antwort wie so häufig in der Praxis. Bekanntlich liess sich Foucault in seinem politischen Engagement in keiner Weise durch scholastische Fragen beirren, während Habermas, der so toll alles normativ zu begründen können glaubte, sich eher bedeckt halten sollte.

Scholastisch werden theoretische Fragen dann, wenn ihre Beantwortung keine politische Relevanz hat und sie, wie auf dem Kongress gesehen, nur noch identitätsbildende Funktion haben. Anstatt zwei theoretische Konzepte so gegeneinander zu positionieren, dass dabei nur Blut fliessen kann, kömmt es darauf an, zu reflektieren, was der Ort und die Stellung der Theoreme in den gegenwärtigen Verhältnissen ist. Aus dieser Ortsbestimmung könnte es gelingen, eine Gesellschaftskritik zu entwickeln, die nicht nur kritisch und theoretisch kohärent ist, sondern praktisch dadurch, dass sie sich eben in und nicht jenseits dieser Verhältnisse weiss.

Anmerkung

1 "Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!" Tagung zu Subjektkonstitution und Ideologieproduktion. 9.-11.2.2001 in der Frankfurter Universität; veranstaltet von der Hochschulgruppe "Demokratische Linke".
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