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Gottfried Oy
Kopfrocker
Rotbuch 3000, eine Edition von Martin Hoffmann


"Wissen hilft", "Themen der Zeit" oder "Wissen für Einsteiger". In welchem Diskurs befinden wir uns? Nicht am Buchmessenstand der Bertelsmann-Gruppe, auch nicht in der Verlagsvorschau von Holtzbrinck. Nein, Rotbuch in Hamburg sind es, die uns in der Gestalt der Reihe "Rotbuch 3000", herausgegeben von Martin Hoffmann (ex ID Verlag) "Wissen für das neue Jahrtausend" präsentieren möchten. Das ganze dargeboten in Form von kleinformatigen Bändchen mit um die hundert Seiten, didaktisch und graphisch aufbereitet, mit abstracts, Bildmaterial und Schmuckfarbe. So ein Ding zwischen Materialien für den Oberstufen-Unterricht, die in Klassensätzen bestellt werden - so mag der Verlag hoffen - und Nachschlagewerk für den "letzten linken Studenten" aus der gleichnamigen jungle World-Kolumne beziehungsweise Volkshochschule für den jobbenden Autodidakten mit Ambitionen in Richtung politisch-theoretischer Aktivität, denke ich mir.
Lesefutter für Kopfrocker könnte man meinen - womit nichts gegen ebendiese gesagt sei, meine besten Freunde nennen mich so. Das offensiv vertretene Wissenskanon-Konzept von Rotbuch 3000 irritiert, wirkt es doch anachronistisch und zukunftsgewand zugleich. Willkürlich mutet hingegen die Themenzusammenstellung der Reihe an: "Polizei", "Börse", "Expo 2000" oder "Doping" neben "Popmusik", "Migranten", "Sexualität" oder "Gentechnologie" zu stellen, erfordert schon eine gewisse Abstraktionsleistung.

So weit, so gut, so langweilig, könnte man einwenden. Wären da nicht die Autoren, die Themen und die Art, wie sie aufgegriffen werden, die das Konzept des Wissen-Ratgebers fast schon ad absurdum führen. Viele ehemalige Beute-Redakteure und Autoren wie Jost Müller und Thomas Seibert finden sich hier, aber auch andere wie Boris Gröndahl, maßgeblich aus dem Feld der postautonomen Gegenöffentlichkeit der 90er Jahre. Zweiter Gedanke: Flaschenpost, überwintern in einer Rotbuch-Reihe, Wissen archivieren, auf bessere Zeiten warten, Theorie und oder Politiktraditionen vor dem Vergessen retten. Oberlehrerhaft? Manchmal, nicht immer. Beeindruckende Kompetenz, auf jeden Fall. So wie Müller Geschichte und Theorieentwicklung des Sozialismus auf 96 Seiten bannt oder Seibert den Existenzialismus-Bogen von den Junghegelianern über Heidegger, Satre, Camus, den Situationisten bis hin zu Derrida spannt und das ebenso auf 96 Seiten ist das schon eine intellektuelle Meisterleistung. Gröndahl liefert mit seinem Text eine der wenigen unaufgeregten Darstellungen der Geschichte der Hacker. Sich durch den Berg an Mythen, Klatsch und Tratsch zu kämpfen und dabei eine auch ohne Übertreibungen interessante Geschichte vom Tech Model Railroad Club über die Anti-Vietnam Aktivitäten der Telefon-Hacker bis zum Chaos Computer Club zu erzählen ist diesem Buch hoch anzurechnen. Doch wofür das ganze? Intellektuelle Fingerübung sicher auch, Überprüfung eines verblassenden Wissenskanons der Neuen Linken.

Interessant wird es, untersucht man die Bücher auf ihre Interpretationsleistungen, ihre Verknüpfungen und Kontextsetzungen. Diese sind bewußt gewählt und hier hört dann auch der bloße "Was ist Was"-Charakter einer Wissensreihe für die Kinder des Sommers der Liebe auf. Den Autoren ist zu Gute zu halten, dass Sie jeweils aktuelle Debatten – Globalisierung, Marx‘ postmoderne Gespenster oder den Mythos Informationsgesellschaft - aufnehmen und sich eben nicht auf das glorreiche Gestern konzentrieren. Sie setzen da an, wo sie selbst stehen, in dem Berg aus Fragen und Kritiken, die die autonome, undogmatische und eben nicht mehr ganz so neue Linke wie wir sie kannten, hinterlassen hat. Sich den heutigen Fragestellungen vor dem Hintergrund der Feststellung der Notwendigkeit von der Veränderung des Lebens und der Welt zu widmen, wie es beispielsweise Seibert macht, ist dabei nicht das verkehrteste.

Thomas Seibert: Existenzialismus, Jost Müller: Sozialismus, Boris Gröndahl: Hacker, Reihe Rotbuch 3000, Rotbuch Verlag, Hamburg 2000, je 96 Seiten, je 14,90 Mark